Читать книгу Draußen erleben! - Sven Groß - Страница 18
3 MotiveMotive und PersönlichkeitsmerkmalePersönlichkeitsmerkmale von Abenteuerreisenden
ОглавлениеZu den Hintergründen der Teilnahme an abenteuertouristischen Aktivitäten bzw. Reisen, d. h. dem „Warum“, gibt es verschiedene Zugänge. International gibt es vielzählige Überlegungen, Konstrukte und Theorien, die speziell Hard-AbenteueraktivitätenHard Abenteueraktivitäten betrachten, die mit dem Eingehen eines hohen Risikos verbunden sind (vgl. Pomfret & Bramwell, 2014).
So gibt es soziologische Betrachtungen (u. a. Breivik, 2010; Bette, 2004), aber auch psychologische Herangehensweisen an das Thema (vgl. Brymer & Houge Mackenzie, 2017). Es wird bspw. die Neigung zum Abenteuer als evolutionsbedingt angesehen und somit als notwendige Kompensation für zu viel Sicherheit und Kontrolle im Alltag. Neben dem Drang nach Adrenalin spielen tiefe Flowmomente eine Rolle, aber auch die soziale Selbstdarstellung in Videos und sozialen Netzwerken (vgl. Breivik, 2010).
Psychologische Konstrukte wie EdgeworkEdgework (vgl. Lyng, 1990), die Reversal TheoryReversal Theory (vgl. Apter, 1982) oder das Phänomen des Sensation SeekingSensation Seeking (vgl. Zuckerman, 1979) werden zur Erklärung herangezogen, wenn es v. a. um die Ausübung von Extremsportarten und risikoreichen (Abenteuer-)Aktivitäten geht. Diese Ansätze beschreiben (sehr) extreme Persönlichkeitszüge, bei denen überwiegend Männer nach starken Reizen und Erlebnissen suchen, süchtig nach Adrenalin sind (Sensation Seeking), einen Gegenpol zum sicheren und vertrauten Umfeld des Alltags suchen (Reversal Theory) oder an den Grenzen zwischen Leben und Tod wandeln, um sich selbst zu spüren und hierbei den Tod in Kauf nehmen (Edgework).
Auch aus dem deutschsprachigen Raum gibt es Studien, die sich damit befassen, warum die jeweiligen Aktivitäten ausgeübt werden. Dabei werden die folgenden Motive unterschieden (vgl. Opaschowski, 2000, S. 93ff.):
Lebensfreude: Abenteueraktivität als Möglichkeit, das Leben zu genießen, Freude und Glücksgefühle hervorzurufen und sich selbst gut zu fühlen.
Alltagsflucht: Abenteueraktivität als Ausgleich zum tristen und monotonen Alltag, der meist nicht alle Sinne fordert und keine stimulierenden Erlebnisse bietet.
Lust am Risiko: Abenteueraktivität als Gegenpol zur sicheren und versicherten Gesellschaft, in der es kaum noch Herausforderungen und Risiken gibt.
Lebenstraum: Abenteueraktivität als Weg sich einen lang gehegten Lebenstraum zu erfüllen, z. B. Aktivitäten ausprobieren, die schon immer durchgeführt werden wollten.
Erlebnishunger: Abenteueraktivität als Suche nach immer neuen Erlebnissen, nach dem nächsten Kick; Abenteueraktivität kann somit auch zur Sucht werden.
Lebensbewältigung: Abenteueraktivität als Mittel zur Bewältigung des eigenen Lebens, durch Motive und neue Herausforderungen, die dem Leben wieder einen Sinn geben.
Mittlerweile erklären diese Ansätze aber nicht mehr die Motive der Vielzahl der Abenteuersuchenden, allen voran die der Frauen, die zunehmend Abenteueraktivitäten für sich entdecken (vgl. Pomfret & Bramwell, 2014; siehe auch → Kapitel 7.1). Daher sind diese Ansätze zunehmend in die Kritik geraten, auch weil Extremsportler angeben, ihren Sport aus anderen Motiven heraus zu betreiben (vgl. Brymer & Houge Mackenzie, 2017; Houge Mackenzie & Hodge, 2020). So wurde bspw. herausgefunden, dass das Eingehen und speziell das Kontrollieren und Bewältigen von Risiken positive Effekte auf das subjektive WohlbefindenWohlbefinden hat (vgl. Holm et al., 2017). Auch konnte gezeigt werden, dass die Kontrolle über das Risiko behalten und das Meistern der Situation wichtige Motive von Hard Abenteurern sind (vgl. Kerr & Houge Mackenzie, 2018).
Somit rücken in Bezug auf Abenteuer und Abenteuerreisende zunehmend Ansätze der positiven PsychologiePsychologie in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion (vgl. Seligman, 1998; Houge Mackenzie & Hodge, 2020).
Die Betrachtung des subjektiven Wohlbefindens rückt nicht nur in der Abenteuertourismusforschung, sondern generell in der Freizeit- und Tourismusforschung in den Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. Farkić & Taylor, 2019; Mansfield, Daykin & Kay 2020; Smith & Diekmann, 2017). Hinzu kommen Untersuchungen zu positiven Effekten von Wasserlandschaften („Blue Spaces“) (vgl. Britton et al., 2020; Wheaton et al., 2020) und grünen Naturlandschaften auf das Wohlbefinden („Green Spaces“) (vgl. Robertson et al., 2020). Besonders wirksam ist die Verbindung von Natur und Bewegung (vgl. Lahart et al., 2019). Ein Trend aus Japan ist das WaldbadenWaldbaden („Shirin Yoku“), das Achtsamkeit und Entschleunigung zur Gesundheitsförderung nutzt und dessen Nutzen vielfach belegt ist (vgl. u. a. Hanse, Jones & Tocchini, 2017; Wen et al., 2019).
Es gibt vielzählige Studien und Ergebnisse zu konkreten positiven Effekten und Konstrukten von Abenteuerreisen auf das subjektive Wohlbefinden (vgl. Sand & Gross, 2019). Dazu zählen LiminalitätLiminalität als Gegenwelt zum Alltag (vgl. Houge Mackenzie & Goodnow, 2020), EntspannungEntspannung (vgl. Buckley, 2020), SelbstwirksamkeitSelbstwirksamkeit (vgl. Mutz & Mueller, 2016), ResilienzResilienz (vgl. Robertson et al., 2020), Ehrfurcht vor der Natur und der Schöpfung (englisch: AweAwe) (vgl. Piff et al., 2015) und dem sog. „FlowFlow“ (vgl. Boudreau et al., 2020). Der Flow ist ein bedeutender Aspekt im Hinblick auf ein Abenteuer und beschreibt den Zustand, in dem eine Person vollends in die Aktivität aufgeht, seine Angst, negative Gedanken und sein Zeitgefühl verliert (vgl. Csikszentmihalyi, 1975; Houge Mackenzie et al., 2011).
Eine Sammlung von positiven Aspekten des Abenteuertourismus und deren Kategorisierung wurde, basierend auf Houge Mackenzie & Hodge, 2020, erarbeitet. Eine Pilotstudie hat alle Beiträge der International Adventure ConferenceInternational Adventure Conference (IAC) der Adventure Tourism Research AssociationAdventure Tourism Research Association (ATRA) auf Hinweise zu positiven Effekten untersucht und diese mit Hilfe einer qualitativen Analyse kategorisiert. Die positiven Effekte wurden zu den folgenden sechs Oberkategorien Liminalität, Naturräume und Ressonanzerfahrung, Identität, existentielle Selbstpositoinierung, Psyche und kognitive Fähigkeiten zusammengefasst (vgl. Sand, May & Gross, 2019). Zur näheren Überprüfung und Sinnhaftigkeit dieser Kategorien wurden 16 Items in die eigene Onlinebefragung inkludiert, deren Ergebnisse im zweiten Teil (→ Kapitel 9) vorgestellt werden.
Es wird in der wissenschaftlichen Diskussion konstatiert, dass Abenteuer längst in der breiten Bevölkerung angekommen sind und Erklärungsansätze, die sich mit Trieben, Genen oder psychischer Verdrängung befassen, ausgeschlossen werden. Vielmehr wird eine Gegenwelt zur modernen Gesellschaft, in der Alltagsroutinen und mangelndes Risiko zu Leere und Langeweile führen, gesehen. Einige Autoren sind überzeugt, dass das Ausbrechen hieraus sinnstiftend ist, der Selbstermächtigung dient, eine Flucht aus dem Alltag ermöglicht, Individualisierung fördert, einer im Alltag erlebten Machtlosigkeit entgegenwirkt und der Komplexität des modernen Lebens mit Konkretheit und direkt erlebtem Feedback begegnet (vgl. Bette, 2015).
Wissen | Motive Motive von Outdoorsport Outdoorsport lern
Im Auftrag der „OutDoor by ISPO“-Messe führte das rheingold institut eine qualitative Befragung zu den Motiven von Outdoorsportlern durch. Demnach steht am Anfang ein Drang (aus der Komfortzone) herauszukommen und Herausforderungen zu suchen, während dem Abenteuer heißt es durchhalten und sich letztendlich belohnen, so dass der Durchführende am Ende gestärkt und aufgeladen hervor geht (vgl. rheingold institut, 2019). Die „eigene kleine Heldenreise“ dient dabei zur Flucht aus dem Alltag, auf der Erlebnisse gesammelt werden Freiheit gelebt und Selbstbestimmung erzielt wird. Daraus entwickeln die Autoren der Studie vier Outdoorcharaktere, eingerahmt in der Matrix zwischen Demütigem Eingliedern und Verbinden (Selbstfindung) und Kämpferischem und heroischem Bewältigen (Selbstbestätigung) auf der X-Achse, sowie Zivilisierter Absicherung (Kultivierte Natur/Urbaner Raum) und Natürlicher Ursprünglichkeit (Die Wildnis) auf der Y-Achse:
Gerahmter Eskapismus: Im geschützten Rahmen zwischen demütigem Eingliedern und Verbinden und zivilisierter Absicherung Angeln, Campen oder Spazieren gehen.
Klassische Naturliebe: Im soften Bereich zwischen demütigem Eingliedern und Verbinden und natürlicher Ursprünglichkeit Wandern, Bouldern oder Skitouren gehen.
Urban Warrior: Im körperlich herausfordernden Bereich des kämpferischen und heroischen Bewältigens in der zivilisierten Absicherung im Hochseilgarten, bei Outdoorfitness oder dem Tough Mudder.
Survival und Adrenalin: kämpferisch und heroisch in der natürlichen Ursprünglichkeit Mountainbiken, Kajakfahren oder Wellenreiten.
Abbildung 7:
Die vier Outdoorverfassungen und entsprechende Aktivitäten, rheingold institut, 2019.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es verschiedene Motive und verschiedene Erklärungsansätze gibt, warum Menschen Abenteueraktivitäten nachgehen. Als psychologische Erklärung wird oftmals das Flow-Empfinden herangezogen (vgl. Boudreau, Houge Mackenzie & Hodge, 2020). Im Zustand des Flows geht die Person voll und ganz in seiner Tätigkeit auf und befindet sich in einem besonderen Bewusstseinszustand. Dieser Zustand wird erreicht, wenn eine Tätigkeit ausgeübt wird, die zwischen Über- und Unterforderung liegt. Dieser Bereich dazwischen wird als Flow-Kanal bezeichnet. Im Flow hat der Mensch ein vermindertes Zeitempfinden, die Gehirnareale für negative Gedanken, Angst und Bedrohung werden heruntergefahren, ein Gefühl der vollkommenen Handlungskontrolle, Handeln und Bewusstsein verschmelzen und er fokussiert sich vollkommen auf die Handlung. Die autotelische (dem Selbstzweck dienende) Erfahrung führt zu positiven Empfindungen, die auch noch nach der Erfahrung andauern (vgl. Nakamura & Csikszentmihalyi, 2014).