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B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines BetreuersVIII. Der Verfahrenspfleger › 1. Stellung und Aufgaben des Verfahrenspflegers im anhängigen Betreuungsverfahren

1. Stellung und Aufgaben des Verfahrenspflegers im anhängigen Betreuungsverfahren

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Nach § 276 FamFG ist dem Betroffenen im Rahmen des anhängigen Betreuungsverfahrens ein Verfahrenspfleger zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Die § 297 Abs. 4 und § 298 Abs. 3 FamFG treffen weitere Regelungen für Genehmigungen nach § 1904 oder § 1905 BGB und § 317 FamFG für Unterbringungsverfahren. Seit 26.2.2013 ist für Genehmigungen stationärer ärztlicher Zwangsmaßnahmen ebenfalls stets eine Verfahrenspflegerbestellung nötig, § 312 S. 3 FamFG. 2014 wurden 137.114 mal Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren bestellt (davon 88.414 mal Anwälte, 49.257 mal andere Personen).[1] Das heißt, dass zu rund 2/3 Anwälte als Verfahrenspfleger bestellt werden.

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Im Folgenden wird kurz auf die Vorgeschichte des § 276 FamFG (vor dem 1.9.2009 § 67 FGG) eingegangen. Wichtige Zielsetzung des Reformgesetzgebers des BtG war es, die Rechtsstellung der Betroffenen im Betreuungsverfahren zu verbessern und modernen, grundgesetzlichen Anforderungen anzupassen. Dem Betroffenen sollte nach dem Willen des Reformgesetzgebers ein faires Verfahren garantiert werden, um ihn nicht, wie nach altem Recht, zum bloßen Verfahrensobjekt zu machen.[2]

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Im Gegensatz zum Betreuer unterliegt der Verfahrenspfleger nicht dem Willensvorrang des Betroffenen und der Wunschbefolgungspflicht, § 1901 Abs. 3 BGB. Gleichwohl ist es eine vorrangige Aufgabe des Verfahrenspflegers, dem Gericht die Anliegen und den Willen des Betroffenen zu hintertragen. Der Verfahrenspfleger ist als „Sprachrohr“ des Betroffenen aufgerufen, dessen Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, in dem anhängigen Betreuungsverfahren zu realisieren.

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Der Verfahrenspfleger ist in jeder Hinsicht unabhängig:[3] Er unterliegt weder der Aufsicht des Gerichtes noch ist er an die Weisungen des Betroffenen gebunden. Der Verfahrenspfleger hat die objektiven und subjektiven Interessen des Betroffenen zu vertreten.[4] Darin liegt der entscheidende Unterschied der Tätigkeit eines Verfahrenspflegers im Vergleich mit der eines Rechtsanwaltes.

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Rechtsanwälte sind nach § 3 BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung) die berufenen und unabhängigen Berater und Vertreter von Bürgern in allen Rechtsangelegenheiten. Zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten kommt ein Geschäftsbesorgungsvertrag zustande, §§ 611, 627 Abs. 1, 675 BGB. Dies gilt im Betreuungs- und Unterbringungsverfahren auch bei einem geschäftsunfähigen Klienten, §§ 275, 316 FamFG).[5]

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Danach ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Weisungen seines Auftraggebers umzusetzen. Bei der Wahrnehmung eines anwaltlichen Mandats ist es also in erster Linie geboten, die subjektiven Interessen eines Mandanten außergerichtlich und gerichtlich im besten Licht zu präsentieren. Dies hat, um eine optimale Interessenvertretung sicher zu stellen, die Konsequenz, dass für das Anliegen des Mandanten weniger günstige Fakten unter den Tisch fallen, ganz davon abgesehen, dass der Mandant durch die genaue Auftragsgestaltung und Vorgaben die Führung des Mandats beeinflusst. Von diesen Beschränkungen ist der Verfahrenspfleger entlastet und kann im objektiven Interesse des Betroffenen ein Votum abgeben. Gleichwohl sind die Anliegen und Wünsche des Betroffenen dem Gericht zu übermitteln.

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Beispiel

Rechtsanwältin Rose Sch. wird von dem zuständigen Amtsgericht für Kerstin C., die an einer Demenz leidet, zur Verfahrenspflegerin bestellt. Frau C., eine pensionierte Studienrätin, ist der Auffassung, das ganze Verfahren sei ein „Witz“, sie sei sehr wohl noch in der Lage, ihre finanziellen und sonstigen Angelegenheiten zu regeln. Im Übrigen brauche sie niemanden, denn ihre langjährige Nachbarin Inge K. helfe ihr bei allem. In ihrer gegenüber dem Amtsgericht abzugebenden Stellungnahme wird Rechtsanwältin Sch. einerseits mit Beispielen – im Gegensatz etwa zu einem anwaltlichen Mandat – ausführen, welche Handicaps bei der Betroffenen existieren und inwiefern sie der Unterstützung durch einen Betreuer bedarf. Andererseits wird sie bei Gericht anregen, Frau K. zur Betreuerin zu bestellen.

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Folgende Aufgabenstellungen sind von dem Verfahrenspfleger wahrzunehmen:[6]

Einsicht in die Betreuungsakten (§ 13 Abs. 1 i.V.m. § 274 Abs. 2 FamFG);
Kontaktaufnahme zu dem Betroffenen;
eruieren des sozialen Umfeldes des Betroffenen (gibt es anderweitige Hilfen i.S.d. § 1896 Abs. 2 BGB?);
ermitteln/überprüfen von vorgelegten Vorsorgevollmachten/Patientenverfügungen (Missbrauchskontrolle: Bestand Geschäfts-/Einwilligungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Abfassung der Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung? Wurde die Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung zwischenzeitlich wirksam widerrufen? Ist der Bevollmächtigte geeignet zur Wahrnehmung der übertragenen Angelegenheiten? Besteht eine Kongruenz zwischen dem aktuellen Willen des Betreuten/Vollmachtgebers und dem schriftlich dokumentierten? Trifft die Patientenverfügung überhaupt auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu? Enthält die Patientenverfügung eine Entscheidung über die anstehende medizinische Maßnahme?);[7]
Teilnahme bei der Anhörung/dem Schlussgespräch;
Ermittlungstätigkeit: Einholen von Informationen über die persönlichen/wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen;
Übermittlung der Wünsche des Betroffenen an das Gericht;
Kontaktaufnahme zu dem von dem Betroffenen gewünschten Betreuer, Eignungsprüfung;
überprüfen des (verfahrensentscheidenden) Sachverständigengutachtens;
überwachen der Einhaltung der Verfahrensrechte des Betroffenen;
überprüfen der materiell-rechtlichen Betreuungsvoraussetzungen;
anregen weiterer Ermittlungen/Beweiserhebungen;
anstellen eigener Ermittlungen zu Gunsten des Betroffenen des Betroffenen;[8]
einlegen und Begründen von Rechtsmitteln einschl. Verfassungsbeschwerden;[9]
legt der Verfahrenspfleger eine Beschwerde ein, ist diese zu begründen. Es muss sich aus dem Zusammenhang des Vortrags ergeben, dass das Rechtsmittel dem objektiven Interesse des Betroffenen dient.[10]

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Im Umkehrschluss heißt dies für die Betreuungsgerichte, dass immer dann, wenn ein Betroffener außer Stande ist, die oben skizzierten Aufgaben selbst verantwortlich wahrzunehmen, ihm zur Wahrung der „Waffengleichheit“ in einem anhängigen Betreuungsverfahren ein Verfahrenspfleger zwingend beizuordnen ist. Ansonsten würde der Betroffene schutzlos der Allmacht von Richtern und Ärzten überantwortet werden! Die Bestellung hat so frühzeitig zu erfolgen, dass der Verfahrenspfleger noch Einfluss auf die Entscheidung nehmen kann.[11]

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Der Verfahrenspfleger ist in dem anhängigen Betreuungsverfahren Verfahrensbeteiligter (§ 274 Abs. 2 FamFG), allerdings nicht der gesetzliche Vertreter des Betroffenen. In materiell-rechtlichen Fragen sind seine Interessen von ihm selbst oder von seinem Betreuer wahrzunehmen. So hat der Verfahrenspfleger keine Verjährungseinrede bez. Regressansprüchen der Staatskasse gem. § 1836e BGB einzulegen.[12]

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Das Gericht ist auch nicht gehindert, einem bereits anwaltlich vertretenen Betroffenen einen Verfahrenspfleger beizuordnen. Dies wird allerdings nur dann in Betracht zu ziehen sein, wenn auf Seiten des Gerichts der Eindruck besteht, dass der Betroffene nicht optimal vertreten ist.[13]

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Beispiel

Der an Schizophrenie leidende Bernd E. hat in einem anhängigen Betreuungsverfahren Peter T., einen mit einer Betroffeneninitiative zusammenarbeitenden Rechtsanwalt, mit seiner Interessenwahrnehmung beauftragt. Rechtsanwalt T. tut im Weiteren alles, um das Verfahren zu blockieren und schreckt auch nicht davor zurück, untaugliche Rechtsmittel einzulegen zu dem Zweck, Zeit zu schinden. Das Gericht bestellt daraufhin Rechtsanwältin Sabine F. zur Verfahrenspflegerin für Herrn E.

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