Читать книгу Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität - Sylvi Rennert - Страница 7

2.1.1 Qualität für wen?

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DolmetscherInnen und DolmetschnutzerInnen haben oft unterschiedliche Vorstellungen von Qualität (siehe 3.2.1), weshalb sich beim Versuch, diese zu definieren, die Frage stellt, wer bestimmen soll, was Qualität ist. Sind es die DolmetscherInnen als ExpertInnen, aber eben auch DienstleisterInnen? Oder sind es die RezipientInnen des Zieltextes (ZT) als NutzerInnen bzw. KundInnen, die RednerInnen, deren Ausgangstext (AT) verdolmetscht wird und die somit auch KundInnen sind, oder gar KonferenzveranstalterInnen als eigentliche AuftraggeberInnen? Darüber herrscht bei weitem keine Einigkeit. Chiaro & Nocella (2004) stellen fest:

… there appears to be little harmony concerning which perspective to take when undertaking research: whether it is best to explore the success of an interpretation from the perspective of the interpreter or from that of the user is a debateable issue. Ideally, of course, both standpoints should be considered simultaneously … (Chiaro & Nocella 2004: 279)

Wie einleitend erwähnt ist die Schwierigkeit der Definition des Qualitätsbegriffes nicht auf die Translationswissenschaft beschränkt; auch in vielen anderen Bereichen – vor allem im Dienstleistungssektor – gibt es kein allgemein akzeptiertes Qualitätsverständnis, wie Bruhn (2016: 29) feststellt. Bei Dienstleistungen gibt es dabei laut Bruhn (2016: 29f.) zwei zentrale Ansätze, nämlich den produkt- und den kundenbezogenen Qualitätsbegriff. Beim produktbezogenen Qualitätsbegriff steht die Qualität als Summe oder Niveau vorhandener Eigenschaften im Vordergrund, wobei Bruhn diese Kriterien als objektiv bezeichnet aber auch einräumt, dass diese Kriterien im Dienstleistungsbereich schwer beobachtbar sind. Der kundenbezogene Qualitätsbegriff hingegen bezieht sich auf die „Wahrnehmung der Produkteigenschaften bzw. Leistungen durch den Kunden“ (Bruhn 2016: 29), was bedeutet, dass hier keine rein objektive, sondern vielmehr eine weitgehend subjektive Bewertung der aus KundInnenperspektive wichtigen Qualitätsmerkmale stattfindet. Die Anforderungen aus Kundensicht können sich dabei auf Potenzial, Prozess und Ergebnis der Dienstleistung beziehen. (Bruhn 2016: 30) Bei der Dienstleistung Dolmetschung könnten sich die Erwartungen beispielsweise auf verfügbare Sprachen und Dolmetschtechnik (Potenzial), angenehme und flüssige Vortragsweise, Akzent, inhaltlich korrekte und gut verständliche Dolmetschung (Prozess) sowie geglückte Kommunikation (Ergebnis) beziehen (für weitere Erwartungen von NutzerInnen siehe 3.2.1).

Zu Problemen kommt es vor allem dann, wenn die beiden Perspektiven stark auseinandergehen (Bruhn 2016: 29f.). Allerdings macht Bruhn (2016: 30) auch darauf aufmerksam, dass trotz der Bedeutung, die die KundInnenperspektive im Dienstleistungsbereich hat, die Qualitätskriterien nicht einseitig aus KundInnensicht festgelegt werden dürfen, sondern auch die Unternehmensperspektive berücksichtigt werden muss.

Bruhn spricht sich daher für eine Kombination der beiden aus und definiert den Begriff der Dienstleistungsqualität wie folgt:

Dienstleistungsqualität ist die Fähigkeit eines Anbieters, die Beschaffenheit einer primär intangiblen und der Kundenbeteiligung bedürfenden Leistung gemäß den Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anforderungsniveau zu erstellen. Sie bestimmt sich aus der Summe der Eigenschaften bzw. Merkmale der Dienstleistung, bestimmten Anforderungen gerecht zu werden. (Bruhn 2016: 32)

Ein absoluter Qualitätsbegriff, der Qualität als Maß der Güte einer Leistung angibt (Bruhn 2016: 30), sei im Dienstleistungssektor nicht zielführend, da die Erwartungen an das Leistungsniveau aus Sicht des Leistungsempfängers, also der KundIn, festgelegt werden, womit subjektive und auch relative Einzelanforderungen ins Spiel kommen; vielmehr sei bei der Messung der Dienstleistungsqualität die Verknüpfung der beiden Qualitätsperspektiven sinnvoll (Bruhn 2016: 32). Schließlich nützt es wenig, wenn die Dienstleistung aus DienstleisterInnensicht von hoher Qualität ist, wenn die KundInnen dies nicht so sehen. (Bruhn 2016: 30ff.) Die wahrgenommene Dienstleistungsqualität wird durch die Erwartungen an die Dienstleistung einerseits und die gelieferte und wahrgenommene Dienstleistung andererseits bestimmt, wobei die Wahrnehmung individuell unterschiedlich sein kann (Bruhn 2016: 34).

Auf die Dienstleistung Dolmetschen umgelegt würde dies bedeuten, dass bei der Bestimmung von Dolmetschqualität sowohl die Perspektive der DienstleisterInnen (der DolmetscherInnen) als auch jene der KundInnen (ZT-RezipientInnen und andere obengenannte KundInnengruppen) berücksichtigt werden sollten. Diese klaffen aber nicht nur, wie erwähnt, häufig weit auseinander; auch innerhalb dieser beiden Gruppen herrscht keine Einigkeit über die zu verwendenden Kriterien. Deshalb kann beim Dolmetschen auch bei der produktbezogenen Perspektive (Bruhn 2016: 29) nicht von tatsächlich objektiven Kriterien die Rede sein. Gleichzeitig stellen DolmetscherInnen oft in Frage, ob KundInnen Dolmetschqualität (dabei meist im Sinne von inhaltlicher Richtigkeit und AT-Treue verstanden) überhaupt beurteilen könnten. Dies spiegelt sich auch in der etwas polemischen Frage von Shlesinger (1997: 126) wider: „Do our clients know what’s good for them?“ Grbić weist darauf hin, dass KundInnenorientierung wichtig sei, warnt aber davor, den KundInnen zu viel zuzumuten oder sich an einer idealen KundIn zu orientieren (Grbić 2008: 248). Déjean Le Féal hingegen ist der Meinung, dass neben Zielen wie dem gleichen Inhalt und der gleichen kognitiven Wirkung (vgl. 2.1.2) auch solche NutzerInnenerwartungen, die DolmetscherInnen oft nicht so wichtig seien, erfüllt werden sollten, etwa eine angenehme Stimme oder das Vermeiden von Pausen in der Dolmetschung, die nicht im Original vorhanden sind und die von ZuhörerInnen als Informationsverlust interpretiert werden können: „Rightly or wrongly, they assume that any such silence reflects a loss of information.“ (Déjean Le Féal 1990: 155) Damit führt sie die DolmetscherInnenperspektive mit jener der RezipientInnen zusammen und stellt fest: „Although we may not share their views on the last point, we should take their wishes into account insofar as possible. Indeed, our ultimate goal must obviously be to satisfy our audience.“ (Déjean Le Féal 1990: 155)

Der produktbezogene Qualitätsbegriff soll auch in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, wobei hier „Produkt“ nicht im Sinne einer Aufnahme oder Transkription der Dolmetschung verstanden wird, sondern im Sinne des Ergebnisses, wie es weiter oben auch bei den KundInnenanforderungen dargestellt wurde. Für die vorliegende Arbeit wird „Verständlichkeit“ als Produkteigenschaft aufgefasst, die sowohl aus NutzerInnensicht als auch aus dolmetschwissenschaftlicher Sicht gefordert wird (vgl. 2.1.2). Verständlichkeit unterscheidet sich begrifflich vom Verstehensprozess als NutzerInnenleistung. Obwohl dieser produktbezogene Qualitätsbegriff nicht als objektiv angesehen werden kann, ist zumindest die Messung der kognitiven Wirkung möglich (vgl. 2.1.3). Die Produkteigenschaft der Verständlichkeit und inhaltlichen Richtigkeit wird auch von KundInnen gefordert, weshalb in diesem Fall der produktbezogene Qualitätsbegriff DienstleisterInnen- und KundInnenerwartungen in sich vereint. Im Gegensatz zu anderen Dienstleistungen ist es KundInnen bei Dolmetschungen üblicherweise nicht möglich, die gelieferte Leistung zu beurteilen, sondern es wird lediglich die wahrgenommene Leistung beurteilt. Daher soll hier statt des kundInnenbezogenen Qualitätsbegriffs von der subjektiven Bewertung bzw. Wahrnehmung durch die NutzerInnen gesprochen werden.

Im nächsten Abschnitt soll nun die für diese Arbeit herangezogene produktbezogene Qualitätsdefinition erarbeitet werden, die dann im Experiment (ab Kapitel 4) gemeinsam mit der subjektiven Bewertung durch die KundInnen untersucht und mit ihr verglichen wird.

Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität

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