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3 - Warum es Hamburg sein musste

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Jeder Mensch benötigt in seinem Leben einen Fixpunkt. Andere sagen auch Heimat, ein Lebensziel, eine Identifikation. Jedenfalls einen Punkt im Leben, an dem du deinen Anker fallen lässt und sagst: Hier bin ich zu Haus, hier gehöre ich hin.

Wenn man bedenkt, dass Tom-Tom im Grunde im Ruhrgebiet aufgewachsen war, seinen späteren Lebensmittelpunkt mitsamt Familie in das Rheinland verlegt hatte und sich dort wohl fühlte, muss man erst einmal darauf kommen, wieso jetzt Hamburg nicht nur seine gefühlte, sondern seine authentische Identität sein konnte. Gut, er war in Hamburg geboren. Einer genaueren Überprüfung hätte diese Angabe allerdings kaum standgehalten. Denn bereits in seinen ersten Lebensjahren wurde er zunächst nach Kiel und dann auf Dauer in das Ruhrgebiet verschleppt.

Noch mal gut. In den Nachkriegsjahren waren die Dinge eben, wie sie waren. Seine Eltern werden froh gewesen sein, im Ruhrgebiet einen neuen Anfang gemacht haben zu dürfen. Zumal ihr eigener Lebensmittelpunkt nicht Hamburg, sondern das großartige Berlin gewesen war.

Was jetzt an Berlin so großartig sein sollte, hatte Tom-Tom zwar nach etlichen Berlin-Reisen noch immer nicht herausfinden können. Aber gut. Die Eltern hatten halt ihren eigenen Ankerplatz. Hamburg war für sie letztlich nur Zwischenstopp gewesen. Ausreichend, um sich vom alten Leben abzukoppeln, ein Kind zur Welt zu bringen und von hier aus eine hoffentlich und endlich freundlichere Zukunft zu planen.

Tom-Tom hatte das nie etwas ausgemacht. Nicht, dass er im Ruhrgebiet keine schöne und behütete Kindheit gehabt hätte. Doch Hamburg blieb für ihn immer das Maß aller Dinge. Vom Balkon seiner Lieblingstante Jenny, die eigentlich nicht wirklich seine Tante war, die er aber mochte wie keine andere, und die sie mindestens immer dann besuchten, wenn die Familie zu seiner Großmutter nach Kiel fuhr, konnte er - weit über das Balkongeländer gebeugt - das Trainingsgelände am Rothenbaum einsehen.

Sein Onkel, genauer der Sohn seiner Tante, die nicht wirklich seine Tante war, hatte irgendwann die entscheidenden Worte gesagt. Damals mochte Tom-Tom vielleicht sechs Jahre alt gewesen sein:

»Sieh nur genau hin. Wenn du gute Augen hast, wirst du Uwe Seeler sehen können. Wenn du ein wenig älter bist und ich länger im Hafen liege, nehme ich dich einmal mit.«

Das war noch vor Bundesliga. Aber Uwe Seeler, die beiden Dörfels, Willi Schulz und alle, die danach kamen, das waren seine Idole. Später sollten Willi Schulz und Uwe Seeler seine ersten Starschnitte aus der BRAVO werden.

Zugegeben, Franz Beckenbauer und Winnetou/Pierre Brice lagen genau dazwischen. Die hatte er aber nicht aus eigenen Mitteln gesammelt, sie lagen halt einfach dazwischen.

Und die Zeitschrift hatte seine Schwester gekauft. Jedoch nicht wegen Franz Beckenbauer oder Pierre Brice. Sondern wohl eher wegen Dr. Sommer und den seinerzeit sehr beliebten - und in dieser Zeit wohl auch unverzichtbaren - lila Aufklärungsseiten im Innenteil. Leicht verschämt eingeheftet und gerade dadurch als Loseblattsammlung zur Weitergabe prädestiniert.

Die Fickipedia-Jugend kann mit derlei Erinnerungen nicht viel anfangen. Er zu dieser Zeit konnte mit den lila Seiten auch noch nicht wirklich viel anfangen. Mit den Starschnitten allerdings schon.

Dass sich hier die Prioritäten in nicht allzu weiter Zukunft verschieben sollten, lag auf der Hand. In der notwendig anzüglichen Terminologie der Pubertät würde man später gesagt haben: Die Priorität lag in der Hand.

Doch gegenwärtig war er zufrieden damit, vom Balkon seiner Tante, die eigentlich nicht wirklich seine Tante war, Uwe Seeler sehen zu können. Hätte ihn rufen können, ihm zuwinken. Erkennen konnte er zwar nur kleine schwarze Punkte auf grünem Geläuf, nebenan auf roter Asche. Doch es war ganz sicher Uwe Seeler.

Dies vor allem deshalb, weil sein Onkel es ihm versichert hatte. Und der war über jeden Zweifel erhaben. Hatte er doch als Erster Steuermann zur See Panama, Ceylon - wie es damals noch hieß -, Buenos Aires und Hongkong angefahren.

Alles Orte, die in der Tom-Sawyer-Fantasie eines im Ruhrgebiet gestrandeten angehenden Seemannes Freddy-Quinn-Romantik und unendliche Sehnsucht auslösten. Kap Horn und Feuerland umrunden. In jedem Hafen eine Lale Andersen schmachtend zurücklassen. Seinen Original-Panama-Strohhut, den ihm der Steuermann geschenkt hatte, endlich zum Einsatz bringen. Was konnte einem das Leben Besseres bieten?

Im Alter von fünfzehn, sechzehn Jahren hatte er dann noch einmal ernsthaft über eine Ausbildung an der Seefahrtsschule an der Rainvilleterrasse in Ottensen nachgedacht. Natürlich hätte er für den Anfang bei Tante Jenny wohnen können. Doch zur See fahren hieß auch, mit Mathematik klar kommen.

Was nun nicht so sein Ding war. Und gute Augen haben. Brillenträger wurden in diesen Jahren nicht zur Ausbildung zugelassen. Auch wenn es kaum mehr üblich war, die Wache an der Reling oder im Mastkorb zu durchstehen und seine Brille gegen die überpeitschende Gischt der Wellen zu beschützen. Was unzweifelhaft zu weniger Aufmerksamkeit, damit Riffkollision und Schiffbruch führen musste.

Wie auch immer. Sowohl die Mathematik als auch seine vererbte Sehschwäche ließen seine romantischen Träume von einem Leben zur See bei Durchsicht der Aufnahmekriterien zur Nautikschule schlagartig unerfüllbar erscheinen. Schade für die Lale Andersens der Häfen dieser Welt. Schade für seinen pubertären Lebenstraum.

Seine Liebe zur See, zu Tante Jenny und zu Hamburg blieben dennoch Fixpunkte, die wie der Polarstern das Licht in der Nacht bedeuteten, wenn er Halt und Orientierung oder auch nur Entspannung suchte.

Segel- und Surfschein hatte Tom-Tom dann später immerhin nachgeholt. Doch die wirklichen Abenteuer sollte er nicht auf See erleben. Die wirklichen Abenteuer warteten im richtigen Leben auf ihn. Und natürlich in Hamburg.

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