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8 – Rantzau

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Nachdem der Sozialpädagoge endlich von der Toilette zurückgekehrt war, setzte er seine Erzählung fort:

»Seit Kurt nach einem sehr, sehr langen Aufenthalt aus der Klinik entlassen worden war, beruhigten sich die Dinge für eine Weile etwas«, nahm der Sozialpädagoge den Faden wieder auf. Tom-Tom hatte in der Zwischenzeit drei Zigaretten geraucht. Verbotener Weise im Büro. Doch das wir ihm im Moment egal.

Kurt nahm also seine Arbeit in der Werkstatt wieder auf. Behielt Abstand zu jeglichen Projekten. Und kümmerte sich um sein Erbe. In der Werkstatt hatte man angenommen, Kurt würde gar nicht zurückkommen, da er als Erbe jetzt mit eigenem Vermögen ausgestattet war. Was für ihn bedeutete, er musste seinen Werkstattplatz nach dem Tod der Mutter aus eigenen Mitteln bezahlen.

Doch Kurt schien richtig aufzuleben. Zusammen mit dem Amtsbetreuer wurde der Nachlass geordnet. Der Sozialpädagoge stellte Kontakt zu einer Arbeitsloseninitiative her, welche Kurts Scheibchenvilla einer Komplettrenovierung unterzog. Bis auf die Dacheindeckung wurde es sogar recht ansehnlich. Doch mit fließendem Wasser in den eigenen vier Wänden hatte Kurt ja bereits einschlägige Erfahrung, seit er die Badewanne zum Schweißplatz umfunktioniert hatte.

Aufgrund der sehr guten Verlaufsprognose durch den behandelnden Neurologen stand sogar in Aussicht, dass die Betreuung bis auf die Vermögensvormundschaft wieder aufgehoben werden könnte.

Kurts Schwester hatte in der Zwischenzeit ihre zweite Tochter geboren und war so sehr damit beschäftigt, diese überall herumzuzeigen in Rantzau, dass sie Kurt fast ein Jahr lang in Ruhe ließ. Doch dann kam der erste Geburtstag des Töchterchens und Kurt erhielt eine Einladung hierzu nach Rantzau. Kurt sollte in einem spirituellen Akt der Esoterikgemeinschaft zum Hauptpaten der kleinen Helene ausgerufen werden.

Was das konkret bedeuten mochte, konnte Kurt nicht sagen. Artig machte er sich trotzdem an einem schönen Spätsommertag auf den Weg nach Rantzau. Er fuhr mit dem Zug bis Hamburg. Unternahm, da er noch etwas Zeit bis zur Anschlussverbindung hatte, die kleine Stadtrundfahrt im Doppeldeckerbus. Natürlich auf dem Oberdeck, denn es war ein wirklich schöner Tag. Und wie gesagt. Er war richtig gut drauf. Sogar sein Logbuch hatte er zu Hause gelassen.

Stattdessen machte er mit seinem neuen Smartphone - übrigens der einzig nennenswerte Wertgegenstand, den Kurt sich nach seinem Erbantritt geleistet hatte - zahlreiche Erinnerungsbilder.

Wieder am Hauptbahnhof angekommen, fuhr Kurt mit dem Regionalexpress weiter nach Lübeck. Erneuter Umstieg in die Regionalbahn nach Plön. Endstation Malente. Wo ihn seine Schwester mit ihrer kunterbunten und klapprigen Kastenente abholen sollte, die sie ursprünglich mit dem Geld der Eltern als Tourbus für sich und den Leadsänger-Roadie gekauft hatte.

Doch auch für die Belange der Landkommune war das Gefährt recht nützlich. Jedenfalls dann, wenn es mal wieder fuhr. Hierfür hatte Pummelchen zu sorgen, wie Kurts Schwester ihren Roadie-Freund und Vater ihrer beiden Töchter liebevoll nannte. Denn vor seiner Weltkarriere im Musikgeschäft hatte der Mofas frisiert und gestohlene Autoradios verhökert. Mit anderen Worten: Er war vom Fach, wenn es um Autotechnik ging. So sah es jedenfalls Kurts Schwester.

Wie auch immer. Im Augenblick war die Ente gerade fahrbereit. Sie hatte sogar frischen TÜV. Und um den zu bekommen, war sie mit neuen Reifen ausgestattet worden.

Alleine hierfür hatte Kurts Schwester ein kleineres Vermögen ausgeben müssen. Entenreifen sind nicht mehr auf dem Schrottplatz zu bekommen. Und leider auch nicht mehr auf dem Marktplatz im Austausch gegen untergelegte Ziegelsteine. Sie sind wie die Deux Chevaux überhaupt Sammlerstück und Kultobjekt. Damit sündhaft teuer und nur über Spezialanbieter zu beziehen.

Da Kurts Schwester die gesamte Fahrt zum Gehöft von den Reifen und weiteren teuren Reparaturen an der Ente erzählte und die kleine Helene in ihrem Redeschwall überhaupt nicht vorkam, setzte sich bei Kurt allmählich der Gedanke fest, dass es wie immer darauf hinauslaufen würde, dass ihn seine Schwester um Geld angehen würde. Und dass er womöglich einen großen Fehler gemacht haben könnte, nach Rantzau gekommen zu sein.

Entgegen Kurts schlimmsten Befürchtungen schien das Gehöft von außen betrachtet sogar bewohnbar zu sein. Das Anwesen bestand aus einem größeren Haupthaus mit mehreren Anbauten und Scheunen drum herum. Alles war geschmackvoll in grell pink und lila angestrichen. Die Farbe blätterte allerdings an vielen Stellen ab.

Kurt war jetzt nicht der begabte Heimwerker. Aber es sah so aus, als habe man immer wieder neue Farbe aufgetragen, ohne die alte ab- oder immerhin anzuschleifen. Gut, das war nicht sein Problem und sollte es auch nicht werden.

Überall liefen Tiere und Kinder herum. Hunde, Katzen, Hühner, eine Ziege. Sogar ein Prachtexemplar von Hausschwein machte er aus, auf dem gerade ein vielleicht fünfjähriger Junge in Latzhose zu reiten versuchte.

Vielleicht habe ich ja Glück, dachte sich Kurt, und es ist doch keine Veganer-Kommune. Zur Sicherheit hatte sich Kurt einen ansehnlichen Vorrat Schinken, Salami und Corned Beef eingepackt.

Denn Kurt konnte zwar eine Weile ohne Psychopharmaka auskommen. Eine noch längere Weile auch ohne Gesellschaft, insbesondere weibliche. Doch ein Tag ohne Fleisch und Wurst brachte Kurt zur Verzweiflung.

Drinnen kam ihm der Duft von Kaffee und frisch gebackenem Brot entgegen. Und tatsächlich. Auf dem riesengroßen Holztisch in der Gemeinschaftsküche türmten sich Brote, Körbe mit Schinken, Wurst, Käse, Tomaten und allerlei Obst und Gemüse. Und ein Kuchen, welcher das Ausmaß eines Wagenrades zu haben schien. Vielleicht doch nicht so schlecht das Landleben, dachte sich Kurt.

Ihm wurde sogar ein eigenes kleines Zimmerchen im Dachgeschoss zugewiesen. Mit richtigem Bett und frisch bezogener Bettwäsche. Alles wirkte sauber, wenngleich sehr unaufgeräumt. Da überall Spielzeug und diverse Anziehsachen in Kindergröße herumlagen, nahm Kurt an, dass die Kinder - Kurt hatte auf dem Weg in das Haupthaus pfeilschnell mitgezählt und war auf neun Kinder gekommen, allesamt strubbelig und sehr lebendig - zuständig für diese Unordnung waren. Doch das ging ihn nichts an, solange man ihn in Ruhe ließ.

Nachdem er sich ein wenig frisch gemacht hatte, ging es an die Abendvesper und Kurt wurden die aktuellen Mitglieder der Landkommune vorgestellt. Neben den neun Kindern im Alter zwischen einem Jahr - das war Helene, seine Nichte - bis vermutlich so etwa dreizehn Jahren - das war seine andere Nichte, so genau wusste Kurt nicht mehr, wann diese zur Welt gekommen war - gab es noch elf erwachsene Mitglieder.

Wobei Kurt sofort auffiel, dass außer Pummelchen nur zwei weitere Männer zu der Gemeinschaft zu gehören schienen. Soweit man das bei deren in Kurts Augen sehr femininem Outfit und Gehabe so zuordnen durfte. Vielleicht waren sie ja auch Musiker gewesen. Wie Pummelchen.

Und zwei der weiblichen Mitglieder waren auf den ersten Blick als lesbisches Paar zu erkennen. Das bekam sogar Kurt mit. Die eine von den beiden sprach jeden im Raum in der femininen Form an. Pummelchen hieß in ihrer Sprache Pummelinchen. Belegte konsequent auch alles Gegenständliche mit dem weiblichen Pendant. Verzeihung, der Pe(n)dantin. So wurde aus dem Kuchen etwa die Wortschöpfung die Trockentorte (gemeint war banaler Gugelhupf). Und aus dem Kuchenstück die Gebäckschnitte.

Ihre Partnerin verzichtete auf eine solche Ausdrucksweise. Vielleicht hatte sie es aber auch nur nicht drauf. Sie benutzte zwar in ihrem Vokabular das maskuline Genus. Allerdings spukte sie vor jedem maskulinen Artikel sehr theatralisch aus. Zum Glück sprach sie nicht so viel.

Gut, auch das ging Kurt nichts an. Und er hatte sich ja fest vorgenommen, sich nur noch um seinen eigenen Kram zu kümmern.

Außer Pummelchen gab es also noch zwei weitere Männer. Wenngleich diese Kurt mehr an treue Dackel erinnerten, die brav Männchen machten, sobald es eine der Amazonen von ihnen wünschte.

Wie die sonstige Zugehörigkeit sich sortierte, konnte Kurt nicht erkennen. Die Männer hatten jedenfalls nichts zu sagen. So viel stand mal fest. Außerdem unterschieden sie sich weder in Kleidung, noch hinsichtlich Haartracht oder Schmuck sonderlich von ihren weiblichen Mitbewohnerinnen.

Ständig tuschelten und kicherten sie hinter vorgehaltener Hand. Bei Pummelchen stimmte sogar die Oberweite. Mindestens das lesbische Pärchen schien über einen deutlich höheren Testosteronanteil zu verfügen als die Männerfront zusammengenommen.

Hingegen wirkten zwei aus der weiblichen Riege ausgesprochen nett, freundlich und vor allem sehr weiblich. Hatten obendrein beste Umgangsformen, was Kurt ganz besonders gefiel. Und verhielten sich nach Kurts ersten Eindrücken verhältnismäßig normal. Aber auf Brautschau war Kurt ja ohnehin nicht.

Auch Helene war ein richtig hübsches und fröhliches Baby. Selbst seine ältere Nichte, die in Kurts Erinnerung als ständig weinendes und schreiendes Etwas abgespeichert war, hatte sich zu einem hübschen jungen Wildfang gemausert. Und bestimmt schon einigen Jungs den Kopf verdreht.

Ihre Mutter war ja nur ein Jahr älter gewesen, als Pummelchen sie geschwängert hatte. Doch Kurt wollte sich nicht einlullen lassen und nahm sich vor, unbedingt wachsam zu bleiben.

Um es kurz zu machen. Natürlich ging es Kurts Schwester auch ums Geld. Sie verpackte das alles in den kommenden Tagen zwar zuckersüß in einem Familienpaket: Wie schön es doch wäre, wenn Kurt und sie zusammenleben könnten, als große Familie in der Kommune. Jetzt, wo beide Elternteile tot waren. Er könnte natürlich auch ein größeres Zimmer bekommen. Vielleicht sogar zwei. Kurt müsste auch nur den üblichen Mietanteil zahlen.

Doch eines war augenscheinlich: Der Kommune ging es, was die Ausstattung mit finanziellen Mitteln anging, nicht besonders gut.

Da niemand in der Kommune ein besonderes Geschick im Umgang mit Nutztieren oder Obst- und Gemüseanbau hatte - alle kamen aus der Stadt -, trug dieser Erwerbszweig nie besonders viel zum allgemeinen Lebensunterhalt bei. Der Traum von Selbstversorgung war nur bedingt in Erfüllung gegangen.

Zucchini hatten sie jede Menge. Doch für holzige Zucchini und verdelltes Obst blieb die Nachfrage überschaubar.

Auch die kunsthandwerklichen Gegenstände - oder das, was sie in der Landkommune dafür hielten -, brachten auf den Wochenmärkten keine nennenswerte Nachfrage.

Blieben noch Gelder der Europäischen Union, die für die Pflege und Vorhaltung renaturierter Flächen gezahlt wurden, und Einnahmen aus diversen Photovoltaik-Projekten benachbarter Höfe, an denen sie sich beteiligt hatten.

Da sie aber weder genügend Investitionsmittel hatten auftreiben können - lediglich eine der vier ökologisch ausgerichteten Banken, die es zu der Zeit in Deutschland gab, hatte sich überhaupt bereit gefunden, einen kleineren Kredit zu vergeben -, noch über ausreichend geeignete Dachflächen verfügten, die sie hätten verglasen können, warf das Projekt gerade mal so viel ab, dass sie einen Teil der Energiekosten einsparen konnten.

Windkraft war nicht nur wegen des bescheidenen Forecast Values kein Thema. Ihr Gehöft war Niststelle mehrerer Kranichpaare. Das letzte Windrad, welches in dieser Gegend genehmigt worden war, stand auf dem Grund des Bürgermeisters aus dem Nachbardorf. Was aber mit der Genehmigung vermutlich nicht das Geringste zu tun gehabt haben wird.

Wie auch immer. Die Gemeinschaft hatte in finanziellen Dingen kein sonderlich glückliches Händchen und benötigte dringend eine neue und zuverlässige Einnahmequelle. Als solche hatten sie Kurt erwählt.

Da ja das Landleben so gesund und erfrischend war, wollte man sich von den Wochenmärkten verabschieden und in den Tourismus einsteigen. Erlebnisurlaub in der Landkommune. Mit selbstgebackenem Brot, esoterischen Trainingsangeboten und einer eigenen Therapiegruppe für schwer erziehbare Kinder aus der Stadt.

Fachlich waren sie da bestens aufgestellt. Nicht nur aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen auf dem Land und in der Kommune. Nein. Zur Gemeinschaft gehörten neben einer angehenden Kindertherapeutin weitere Fachkräfte aus dem weit gefächerten sozialen und pädagogischen Bereich.

Und dann war da ja auch noch Pummelchen, der den Kindern Musikunterricht geben konnte. Alles perfekt durchgeplant, mit zuständigem Ordnungs-, Sozial- und Jugendamt bereits vorbesprochen und für gut befunden.

Jetzt fehlte nur noch ein klein wenig Startkapital. Denn zumindest die sanitären Einrichtungen oder auch der Brandschutz bedurften einer leichten Anpassung an die gesetzlichen Auflagen.

Wenn Kurt wollte, könnte er ja mit den Kindern später elektronische Versuche durchführen. Kurt dachte an seine vorübergehende Karriere als Disco-Techniker und wollte nicht.

Am Tag nach der zeremoniellen Taufe ließ Kurt sich daher direkt von seiner Schwester zum Bahnhof Malente bringen und fuhr nach Hause. Die Abreise erkaufte er sich mit dem Zugeständnis, künftig monatlich einen finanziellen Beitrag zum Überleben der Landkommune zu leisten.

Er stand zwar immer noch unter dem Einwilligungsvorbehalt seines Vermögensbetreuers. Aber das würde er dem Mann vom Amt schon abringen können. Immerhin war er ja jetzt frisch gebackener Patenonkel und hatte gewisse familiäre Verpflichtungen.

Ganz wie es seine Art war, ließ der Sozialpädagoge auch die kleinste Kleinigkeit nicht aus. Tom-Tom war überrascht, wie genau er bis ins Detail unterrichtet war.

»Das hat dir Kurt alles haarklein erzählt?«, fragte Tom-Tom verwundert. In seiner Erinnerung hatte Kurt zwar die Hilfe des Sozialpädagogen in Reha-Belangen gern in Anspruch genommen. Besonders viel gehalten hatte er von ihm aber nicht. Auch Kurt machte der wibbelige Sozialpädagoge nervös.

»Nein, nicht alles. Das meiste weiß ich von Gundula. Du weißt doch, wie gut wir zueinander stehen!«

Natürlich wusste Tom-Tom, wie intensiv und erfolglos der Sozialpädagoge die leitende Verantwortliche des Sozialen Dienstes der Klinik seit Jahren anbaggerte.

»Kurt hat sein Logbuch regelmäßig mit Gundula durchgesprochen. Zu ihr hatte er Vertrauen. Auch in intimeren Dingen hat er sie häufig um einen Rat gebeten. So aus der Sichtweise einer Frau.«

»Und dann hat dir Gundula alles brühwarm beim nächsten Fallgespräch präsentiert?« Na prima. So viel zum Thema vertrauliche Information. Tom-Tom war noch im Nachhinein empört. Es hatte ihn immer geärgert, wie unsensibel die sozialpädagogische Liga mit persönlichen und vertraulichen Informationen umging.

»Nein, nicht alles. Soviel Zeit haben wir ja nicht. Gundula hat mir Kurts Logbücher gegeben. Und ich habe die kopiert und mit zur Akte genommen. Kurt konnte sehr präzise aufschreiben, was ihn bewegte.«

Tom-Tom dachte nach. Wenn der Sozialpädagoge wirklich Kurts Logbücher besaß, fand sich da vielleicht ein Anhaltspunkt, der erklären konnte, was schiefgelaufen war in Norddeutschland. Und wieso Kurt im Pauli Trikot auf dem Friedhof in Altona gelandet war.

Er nahm sich jedenfalls vor, die Logbücher einzusehen. Wenn der Sozialpädagoge sie zur Akte genommen hatte, würde er schon einen Weg finden, daran zu kommen. Das musste der Sozialpädagoge aber nicht unbedingt wissen. Er sollte seine Geschichte erst mal zu Ende erzählen.

Tom-Tom rief in der Küche an und bestellt eine Kanne Kaffee für sich und eine Kanne Tee für den Sozialpädagogen. »Na dann erzähl 'mal weiter«, forderte Tom-Tom ihn auf.

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