Читать книгу ATTENTI AL CANE! - e al padrone - T. F. Wilfried - Страница 13
6 - Kurt kommt so gar nicht auf die Beine
ОглавлениеDer Sozialpädagoge redete und redete. Dabei sprang er nicht nur ständig von einem Bein auf das andere. Auch seine Gedanken sprangen recht munter zwischen den jeweiligen Schauplätzen und zeitlichen Zusammenhängen hin und her.
Tom-Tom kannte den Sozialpädagogen zu lange und zu gut, als dass er versucht hätte, ihn zu unterbrechen. Irgendwie würde er die Geschichte schon zusammenpuzzeln und in eine verständliche Reihenfolge bringen können.
Er konnte sich noch gut erinnern, wie der Sozialpädagoge vor einigen Jahren einen behinderten Mitarbeiter, den sie wegen eines psychotischen Schubes in die Klinik bringen mussten, dadurch beruhigen wollte, dass er ihn auf der Fahrt dorthin weiter rauchen lassen wollte.
Ihr Dienst-Bulli hatte keinen Aschenbecher. Der Mitarbeiter war so von der Rolle, dass er ständig neue Zigaretten anzündete und mindestens immer drei gleichzeitig unterwegs hatte. Also kam der Sozialpädagoge auf die glorreiche Idee, aus der Werkstatt auch drei Aschenbecher mitzunehmen.
Man wollte ja schließlich kein Brandloch im Sitzpolster des Bullis haben. Natürlich nicht die aus Kunststoff, sondern gläserne.
Es kam, wie es kommen musste. Der wibbelige Sozialpädagoge stolperte mit seinen drei Aschenbechern über die Trittstufe des Bullis, flog mit dem Kopf voraus ungebremst in den Fahrgastraum und zerdepperte alle drei Aschenbecher. Neben einer ordentlichen Schnittwunde am Arm zog er sich noch eine recht eindrucksvolle Beule an der Stirn zu. Machte ja nichts, ging 'eh in die Klinik.
Der psychotische Mitarbeiter hörte den lauten Knall, als die Aschenbecher zersprangen. Sah das Blut auf den Boden tropfen. Und reagierte folgerichtig: Er fing an zu schreien, um sich zu schlagen und war nicht mehr zu beruhigen. Also mussten sie jetzt tun, was sie unbedingt hatten vermeiden wollen: Ambulanz und Polizei anrufen. Das ganz große Besteck.
Kliniküberführung mit Blaulicht und in Handschellen. Na super. Brachte geschätzte drei Monate geschlossene Station anstelle Krisenintervention über das Wochenende. Für die behinderten Mitarbeiter wurden Anforderungsprofile und Stressanalysen erstellt. Hätte man mal besser für die Fachkräfte machen sollen.
Doch nun gab es ja keine Aschenbecher mehr zu zerschlagen. In der Werkstatt herrschte schon seit geraumer Zeit Rauchverbot. Tom-Tom merkte, dass er immer ungeduldiger wurde. Der Sozialpädagogen-Kollege war ein netter Kerl. Trotzdem konnte Tom-Tom ihn nur begrenzt lange ertragen. Er war einfach zu wibbelig.
Weghören und an Hamburg denken, was er es sonst immer tat, war dieses Mal nicht möglich. Er wollte ja schließlich wissen, wie Kurt nach Hamburg gekommen war. Nach gefühlten vier Stunden stellte sich der Hergang aus dem Wortgemetzel des Sozialpädagogen wie folgt dar:
Kurt hatte sein Projekt, wie komme ich an eine Frau, mit mehreren Versuchen fortgesetzt. Teile der Geschichte hatte Tom-Tom noch zu Zeiten seines Gruppendienstes miterlebt.
So war Kurt kurzzeitig offiziell mit einer ebenfalls behinderten Mitarbeiterin aus der Werkstatt verlobt. Er brachte ihr regelmäßig Blumen und Zigaretten. Räumte ihre Wohnung auf. Lud sie zum Essen ein. Alles Dinge, die Männer so tun, wenn ihre Lebensplanung im nächsten Abschnitt Ehegatte vorsieht. Jedenfalls dachte sich Kurt, dass es so ablaufen müsste.
Irgendwann hatte es sich dann ausverlobt. Nicht unwesentlichen Anteil an dem Zerwürfnis hatte ein ehemaliger Mitarbeiter der Werkstatt, der Kurts Verlobter zwar weder Blumen noch Zigaretten brachte. Sie dafür aber regelmäßig flachlegte, wie man sich zu der Zeit in Kurts Kreisen auszudrücken pflegte.
Kurt hatte seine Verlobte nie flachgelegt. Das wollte er sich bis nach der Hochzeit aufsparen. Sah das Ablaufschema in seinem Logbuch jedenfalls so vor.
Was nicht vorgesehen war, fand dann im wirklichen Leben statt. Eines Tages hatte Kurt den Bus verpasst, der ihn zu seiner Verlobten bringen sollte. Also nahm er sich kurzer Hand ein Taxi und kam früher als verabredet bei der Wohnung der Verlobten an. Die war aber noch intensiv in flachlegen-Stellung und flachlegen-Stimmung, was bis in das Treppenhaus nicht zu überhören war.
Kurt war empört und verletzt. Möglicherweise auch in umgekehrter Reihenfolge. Die Verlobung wurde jedenfalls förmlich aufgehoben. Per Einschreiben und mit Rückforderung des Verlobungsringes.
Kurt hielt noch gut eine Woche durch. Danach landete er wieder auf der geschlossenen Station und blieb dieses Mal für ein gutes halbes Jahr dort. Beziehungsgeflecht therapeutisch entsorgen.
Die nächste Auserwählte war dann zwar deutlich hübscher, als Kurts Verlobte es gewesen war. Entsprechend groß war damit aber auch die Heerschar ihrer Verehrer und Kurts Konkurrenz.
Kurts Vorteil bestand darin, dass er sich mit einer platonischen Freundschaft zufriedengab. Zumindest für den Anfang. Die anderen Stecher wollten das genaue Gegenteil. Und das ließ Kurts Freundin nicht zu. Zumindest für den Anfang.
Leider hatte Kurt die Episode mit seiner Verlobten nicht komplett aufgearbeitet. Er wurde immer misstrauischer und eifersüchtig, sobald sich jemand auch nur in die Nähe seiner Freundin wagte.
Als er diese dann eines Tages nach Arbeitsende in der Werkstatt in ein ihm nicht bekanntes Auto einsteigen sah und noch mitbekam, dass der Fahrer seiner Freundin einen Kuss gab, machte es wieder klick.
Kurt notierte sich das Nummernschild und beauftragte einen Privatdetektiv damit, herauszufinden, wo dieser Mistkerl wohnte. Danach ging er in den bösen Teil seiner Siedlung, welcher nur zwei Straßenzüge weiter begann, und schaffte es dort irgendwie, jemanden zu finden, der ihm versprach, für einhundert Scheine jeden Kontrahenten aus dem Weg zu räumen.
Nun war Kurt keineswegs gewalttätig. Also lautete sein Auftrag an den gemieteten Schläger: Nur einschüchtern, nicht gleich umbringen. Kurt Weltbild kannte diesen Unterschied noch. Das des Schlägers gab das nicht her.
Weil Kurt wohl irgendwie ahnte, dass sein Projekt übel ausgehen könne, zog er in einem wachen Moment den Sozialpädagogen ins Vertrauen. Gerade noch rechtzeitig genug, um die Polizei zu informieren und den Schläger aus dem Problemviertel zu stoppen.
Der hatte zwar vermutlich sowieso nicht vor gehabt, in welcher Weise auch immer aktiv zu werden und die einhundert Scheinchen gleich am ersten Abend versoffen. Sicher konnte man bei diesen Typen aber nie sein.
Mit Kurts Beziehung war dann trotzdem Ende. Denn der vermeintliche Konkurrent war der Vater von Kurts Freundin. Was dieser auch hätte wissen können, wenn er den Privatdetektiv nach dem Namen des Halters des notierten Autos gefragt hätte. Hatte er aber nicht.
Dafür hatte Kurt wieder jede Menge Zeit, über sein Projekt nachzudenken. Auf der geschlossenen Station. Wie beim letzten Mal. Obendrein drohte ihm eine Anzeige wegen Anstiftung zu einer Straftat.
Nur mit viel Mühe hatte es der Sozialpädagoge dann fertig gebracht, die Staatsanwaltschaft davon abzubringen.
Kurt stand allerdings ab jetzt unter kompletter Betreuung. Dummerweise wurde dafür seine Mutter auserkoren, welche ja nicht ganz unschuldig an Kurts Gemütslage und verpfuschtem Leben war.
Jedenfalls änderte Kurt nach diesen leidvollen Erfahrungen sein Logbuch. Jetzt sollte zuallererst flachgelegt werden. Danach konnte man immer noch sehen.
Neues Zielprojekt war eine noch recht junge und - flüchtig betrachtet - durchaus ansehnliche Neuaufnahme in die Werkstatt, die neben ihrem psychischen ein akutes Alkoholproblem hatte. Für eine Flasche Weinbrand durfte so ziemlich jeder mal dran und drüber.
Kurt kam also endlich zum Zuge und fing an, sich sportlich betätigen. Sein Hormonhaushalt wurde dennoch nicht wesentlich beruhigt. Denn seine neue Liebe - oder was Kurt dafür hielt - hatte eine Mutter, welche ebenfalls mit entsprechendem Alkoholpegel alles mit sich machen ließ.
Kurt war weder besonders athletisch gebaut, noch hatte er in jedweder Hinsicht ein ausgeprägtes Stehvermögen. Nicht zu der Zeit. In der Werkstatt konnte er eigentlich nur im Sitzen arbeiten. Mutter und Tochter in dieser oder wechselnder Reihenfolge flachzulegen, entsprach so gar nicht seinem Konditionsprofil.
Mit anderen Worten: Kurt verausgabte sich völlig und sah nach kurzer Zeit aus wie ein Blobfisch. Seine zunehmend ausgeprägten und dunkler werdenden Augenränder legten beredtes Zeugnis dafür ab.
In der Werkstatt schlief er immer öfter mir nichts dir nichts ein. Obendrein setzte Kurt eigenmächtig seine Psychopharmaka ab. In der Annahme, dies täte seiner körperlichen Fitness gut. Tat es aber nicht. Er verkam zusehends. Körperlich wie psychisch.
Als Freundin und Mutter dann auch noch wegen aufgelaufener Mietschulden auf die Straße gesetzt wurden, hielt Kurt es für eine gute Idee, seiner Mutter vorzuschlagen, die beiden bei sich wohnen zu lassen. Schließlich habe man ja genügend Platz. So zu zweit in einem Einfamilienhaus.
Das stimmte zwar in der Theorie. Doch Platz gab es neben Kurts Mutter nirgendwo. Schon gar nicht für zwei alkoholabhängige Schlampen, die ihr den Sohn wegnehmen wollten.
Kurt hielt diese Spannungen nicht lange aus und verabschiedete sich wieder auf die Akutstation der Klinik.
Freundin und deren Mutter fanden recht schnell Versorgungsersatz für Weinbrand gegen Sportunterricht. Und verschwanden damit aus Kurts Leben.
Die Dinge hätten ab diesem Zeitpunkt einen guten Verlauf nehmen können, wäre da nicht die Sache mit dem Müllwagen gewesen .
Der hatte turnusgemäß die Mülltonnen geleert, die vor Kurts Elternhaus abgestellt waren. Unglücklicherweise stand dort auch die blaue Wertstofftonne für Altpapier. Ein hilfsbereiter Nachbar hatte diese am Abfuhrtag aus dem kleinen Gang zum Garten geholt und vor die Tür gestellt, weil Kurts Mutter diesen gerade im Klinikum besuchen war.
Was der Nachbar nicht wusste: In der blauen Tonne befand sich überhaupt kein Altpapier. Kurt und seine Mutter pflegten technische Geräte und andere Wertgegenstände an Orten aufzubewahren, welche dafür ursprünglich nicht bestimmt waren. So deponierten sie in der blauen Tonne unter anderem den Rasenmäher. Aber auch eine kleine Kassette mit Bargeld, für die Kurt extra einen Zwischenboden in die Tonne eingelassen hatte. Sie gedachten sich damit vor Einbrechern und sonstigen bösen Buben zu schützen. Was bis zu diesem Zeitpunkt ja auch aufgegangen war.
Es ist nie bekannt geworden, wie viel Bargeld sich in der Tonne befunden hatte. Kurts Mutter ist jedenfalls völlig ausgerastet, als sie auf dem Rückweg von der Klinik den Müllwagen vor ihrer Haustüre sah, wie der gerade die blaue Tonne entleerte.
Da es sich um das letzte Haus in der kleinen Anliegerstraße handelte, wollte der Müllwagenfahrer soeben in dem kleinen Wendehammer drehen und zum nächsten Straßenzug fahren, als Kurts Mutter ihm mit fuchtelnden Armen in den Weg sprang.
Nun war Kurts Mutter nicht besonders groß. So ein Müllwagen schon. Vermutlich hat der Fahrer noch nicht einmal gesehen, dass ihm da vom Bürgersteig aus eine ältere Frau vor den Wagen sprang.
Kurts Mutter wurde ganze zwei Blocks mitgeschleift, bis Passanten den Müllwagenfahrer auf das Missgeschick aufmerksam machen konnten. Von Kurts Mutter war nicht sehr viel heil und übrig geblieben. Sie wurde nach Freigabe des Leichnams durch die Staatsanwaltschaft in Abwesenheit von Kurt beigesetzt. In aller Stille und bis auf den Unglücksnachbarn, der die blaue Tonne vor die Tür gestellt hatte, auch ohne Kondolenzpublikum.
Kurt lag fixiert in der Klinik und sollte dies auch noch eine sehr lange Zeit bleiben. Wie man sich erzählte, war er der Patient, der die längste Zeit fixiert in dieser Klinik gelegen hatte. Sieht man davon ab, dass es ihm zwei Male gelungen war, die Lederriemen zu zerreißen und zu versuchen, durch das vergitterte Fenster zu entkommen.
Wenn man bedenkt, wie unsportlich Kurt war, kann man ermessen, was ein Mensch im akut psychotischen Zustand anzustellen vermag.
Kurts Schwester hatte ebenfalls nicht aus Norddeutschland zur Beerdigung kommen können. Sie war gerade hochschwanger mit dem zweiten Kind und hatte aufgrund ihrer Problemschwangerschaft absolutes Reiseverbot.
Der Sozialpädagoge kümmerte sich darum, dass Kurt eine Amtsbetreuung erhielt, die sich um den Nachlass und den ganzen Schriftkram kümmern sollte. Denn Kurt war zur Überraschung aller Alleinerbe. Seine Mutter hatte die Tochter vor einigen Jahren ausbezahlt, weil sie wohl gedacht hatte, nur so könne sie sich vor den ständigen Bitten um Geld schützen.
Im Gegenzug musste Kurts Schwester auf alle weiteren Ansprüche verzichten. Von dem Geld hatte die Schwester das heruntergekommene Gehöft in der Grafschaft Rantzau notdürftig renovieren lassen, in dem sie mit Kind, Roadie und einer Schar von Esoterikern eine Landkommune betrieb. Präzise ausgedrückt: herunterwirtschaftete.
Das Gehöft gehörte zum Nachlass der Tante und war ihr durch die Mutter überschrieben worden. Es war dennoch nur eine Frage der Zeit, bis die letzten Reserven aus der Auszahlung aufgebraucht sein würden, von denen die gesamte Kommune lebte. Sieht man von staatlichen Transferleistungen und sehr bescheidenen Gewerbeeinnahmen einmal ab.
Damit war auch klar: Ab jetzt würde Kurt von seiner Schwester um Geld angegangen werden.
»Und wie ist Kurt jetzt nach Hamburg gekommen?«, unterbrach Tom-Tom entgegen guter Vorsätze dann doch den Sozialpädagogen. »Erzähl ich gleich. Jetzt muss ich erst mal pinkeln.« Und flugs entschwand der Sozialpädagoge auf die Toilette.