Читать книгу ATTENTI AL CANE! - e al padrone - T. F. Wilfried - Страница 12
5 - Der Avvocato
ОглавлениеKennengelernt hatte Tom-Tom den Avvocato über Mutti. Mutti war, wie der Name schon sagt, zuständig für Planung, Versorgung, Kartenbestellungen und häufig genug auch Kreditausschüttungen an den Haufen HSV-Fans, die sich im Großraum Niederrhein / Ruhrgebiet bis angrenzend Niederlande zu einer lockeren Fahr- und Feiergemeinschaft zu HSV-Spielen zusammengefunden hatte. Na ja, die Sache mit dem Feiern mussten sie in den letzten Jahren regelmäßig anderen überlassen.
Tom-Tom war einige Jahre lang solo zu den Heim- und Auswärtsspielen des HSV gefahren. In den ersten Jahren noch mit seiner großen Reise-Enduro, danach mit einem 125er Roller, den er speziell für diverse Toskana-Urlaube gekauft hatte.
Insbesondere der Roller hatte ihm, ohne dass er das zu diesem Zeitpunkt wissen konnte, in besagter Fahrgemeinschaft einen veritablen Respekt eingebracht. Denn die Jungs hatten ihn irgendwo bei Karlsruhe in nicht strömendem, sondern schon sintflutartigem Regen bei gefühlten Minustemperaturen von locker zehn Grad unter dem Nullpunkt auf dem Rückweg von Freiburg überholt.
Erkannt hatten sie ihn als HSV-Fan aus dem Rheinland natürlich am Nummernschild und an der am Topcase befestigten Vereinsfahne. Alle Achtung, hatte damals der Avvocato, der am Steuer gesessen hatte, zu den anderen gesagt: »Datt ist aber mal echt 'en Harten.«
Gut, mit Roller oder Motorrad zum Spiel war ja jetzt nicht so schlecht. Weder Stau unterwegs noch Parkplatzsuche waren jemals ein Thema. Doch erstens war alleine fahren echt öde. Und zweitens auch nicht gerade die günstigste Variante, so eurotechnisch gesehen.
Also hatte Tom-Tom zu Beginn der neuen Saison im Forum unter Mitfahrgelegenheit gepostet:
»Suche Mitfahrgelegenheit aus Großraum Düsseldorf zu allen Spielen des HSV. Bin bislang mit Roller solo unterwegs. Allein ist aber wenig kommunikativ, außer für den Geldautomaten.«
Insbesondere die Sache mit dem Roller brachte einige Nachfragen von Fans aus dem Forum, die nicht glauben wollten, dass man bekloppt genug sein konnte, aus dem Rheinland nach Hamburg regelmäßig mit einem Roller anzureisen.
Für Mutti war das alles gar kein Thema und auch keine Besonderheit. Er wollte nur ein weiteres Schäfchen unter seine Fittiche bringen. Und so wurde bereits das zweite Spiel der neuen Saison zu einer gemeinsamen Fahrt mit den Jungs und mit dem Avvocato.
Mit dem Avvocato verstand Tom-Tom sich gleich vom ersten Moment an richtig gut. Er hatte diesen trockenen norddeutschen Humor. Gepaart mit inzwischen gut dreißig Jahren Überleben im Ruhrgebiet. Also echt en Töften, den so leicht nichts aus der Ruhe bringen konnte.
Außer vielleicht, wir hatten gegen die blau-weiße Arroganz des Ruhrgebiets verloren und der Avvocato musste sich dutzende aufmunternde Short Messages seiner Kollegen gefallen lassen, die nahezu durchgängig Schalke-Fans und damit quasi von Geburt an bekloppt waren.
Spätestens seit der Avvocato sich als kleiner Junge auf dem Weg zur Schule von mehreren - natürlich deutlich älteren - Schalke-Fans, die man auch ohne Trikot sofort am unsere-Eltern-gehen-zum-BVB-Syndrom erkennen konnte, einige Ohr-Watschen eingefangen hatte, weil er so dreist gewesen war, in der blau-weißen Sperrzone mit seinem nagelneuen HSV-Trikot zu Schule zu gehen, gab es für den Avvocato nur ein oberstes Saisonziel: Nicht gegen den blau-weißen Mob verlieren!
Um das zu erreichen, wurden alle verfügbaren Fußball-Geister beschworen: Hatten sie den letzten Sieg unrasiert eingefahren, ging es natürlich unrasiert zum Spiel. Auch Nuancen konnten entscheidend sein: Drei-Tage-Bart oder nur die üblichen Wochenend-Stoppeln. Die Fußball-Götter nahmen die Abläufe sehr genau. Die kleinste Abweichung konnte dazu führen, dass auch die sorgfältigste Vorbereitung nicht von Erfolg gekrönt war.
So hatten sie zuletzt das Derby in der Nähe von Delmenhorst sicher nur deswegen verloren, weil der Holländer dieses Mal auf dem Rücksitz gesessen hatte. Bei jedem erfolgreichen Derby zuvor - erfolgreich war natürlich schon jede knappe Niederlage! - hatte der Holländer immer auf dem Beifahrersitz gesessen.
Da half dann auch die grüne Unterhose von Mutti nichts mehr, die er wie immer vor einem Derby ordentlich gelüftet hatte.
Denn waschen hätte das Karma des letzten Unentschieden zerstört. Hätten sie im Vorhinein gewusst, wie wichtig der Holländer auf dem Beifahrersitz war, sie hätten ihn im Leben nicht auf die Rückbank verbannt.
Da musste er sitzen, weil bei der Fahrt zum Derby in der Saison zuvor ein echt gravierendes Missgeschick geschehen war. Der Holländer hatte gerade die fünf Tickets für den Auswärts-Steher auf der Armaturenablage drapiert und wollte von Mutti, der am Steuer saß, wissen, wer noch an wen wie viel zu bezahlen hatte, bevor er sie verteilte.
Vielleicht war es ein kleiner Schelmenstreich der Fußball-Götter, dass just in dem Moment der Presbyter auf dem Rücksitz, eingekeilt zwischen DJ und Mongo, einen derart hammerartigen Darm-Bengalo in die Welt entließ, dass »Presbyter, du Wildsau!« schreien und Fenster herunterfahren im Grunde beim Holländer eine einzige fließend natürliche Körperreaktion auslöste, die auch nicht mehr durch Muttis »bloß nicht das Fenster!« aufgehalten werden konnte.
Jedenfalls lagen die fünf Tickets jetzt irgendwo zwischen Holdorf und Vechta verteilt auf der Autobahn. An ein Einsammeln war nicht zu denken und das Spiel damit abgesagt.
Zurückfahren? Undenkbar. Das Spiel irgendwo in Delmenhorst in der Kneipe anschauen? Hallo? Geht’s noch? Was blieb? Gas geben, nach Hamburg durchfahren und das Spiel da in vertrauter Umgebung in einer Supporters-Kneipe anschauen.
Ausreichend Platz müsste sein. Schließlich waren die meisten von denen einhundert Kilometer südlich im Stadion. Und danach? Bloß die Schnauze halten und niemandem von der Nummer erzählen. Und dann haben wir das Derby auch noch richtig gut gespielt. Kam ja auch nicht so oft vor.
Das war der Grund, warum der Holländer nicht mehr vorne sitzen durfte. Und das ist auch ganz sicher der Grund, warum wir diese Saison trotz präziser Vorbereitung das Derby dann wieder verloren haben. Die Fußball-Götter nehmen auch kleinste Details sehr genau.
Der Avvocato war, wie der Name schon sagt, im zweiten Leben niedergelassener Rechtsanwalt, und zwar für Arbeitsrecht. Mit anderen Worten: Hauptsächlich mit der Vertretung von Hartz-IV Vorgängen betraut. Ein sicherer Garant für zumindest zwei Dinge: Den Kontakt zur S04-Klientel nicht zu verlieren und ganz sicher nicht zum Arschloch zu konvertieren.
In gewisser Weise war er die männliche Ausgabe von Danny Lowinski, mit allerdings deutlich spektakulärerer Körbchen-Größe.
Dafür ohne Klapptisch, aber mit fester postalischer Adresse und einem Einkommen, welches ihn gelehrt hatte, dass Tempo fünfundneunzig völlig ausreichend war, pünktlich zum Spiel nach Hamburg zu kommen. Wenn man rechtzeitig genug losfuhr. Mit vollem Tank kam man so bis nach Hamburg zum Spiel und noch einen Teil des Rückweges bis Osnabrück-Hafen, wo die Jungs gerne auf einen kraftvollen Fünf-Sterne-Burger einkehrten.
Da der Avvocato und Tom-Tom nie wirklich diese Leidenschaft hatten teilen können, wichen sie meistens in die ordinäre Pommes-Bude direkt nebenan aus oder ließen den Spätimbiss komplett sein.
Nachdem die Jungs dann wieder eingesammelt waren, was sich leichter anhört, als es tatsächlich vonstattenging, wurde die Heimfahrt fortgesetzt.
Von der präzisen Ursache für die aktuelle Niederlage im Derby hatte der Avvocato übrigens erst sehr viel später erfahren, da er die Tour solo über Rotterdam gefahren war.
Dennoch hatte es ihn ungeheuer beruhigt. Er hat dem Holländer auf der nächsten Tour fünf Biere ausgegeben und aus gutem Grund für sich behalten, dass er den Gewinner-Dress der letzten drei siegreichen Derbys - ein ganz besonders ausgefallenes Exemplar von Einteiler in geschmackvollem Leoparden-Muster, welches er sich anlässlich eines ziemlich ausgelassenen Herrenabends verdient hatte - dieses Mal partout nicht hatte finden können.
Es waren natürlich seine Kollegen von der Schalke-Front gewesen, welche ihm dieses ausgesprochen geschmackvolle Dessous kredenzt hatten. »Hör mah! Auf’m Kiez bisse damit der Stier überhaupt. Fär’sse doch sowieso immer hin. Musse anziehn, bisse voll der Gewinner!«
Der Avvocato hatte weder die Geduld noch die sonderpädagogische Ausbildung, einem Schalke-Fan zu erklären, dass man entweder zum Kiez oder zum HSV fährt.
Hätte der sowieso nicht verstanden. Also hatte er brav den geschmackvollen Einteiler in Leopard-Optik angezogen, natürlich den Kumpels einen kurzen Blick vergönnt und war nicht lange danach nach Hause gedackelt.
Irgendwie hatte er dann aber morgens den Wecker überhört und war erst vom Presbyter nach vielen Versuchen per Handy wach geklingelt worden. Der bereits ein halbe Stunde am Treffpunkt auf ihn gewartet hatte. Wasser ins Gesicht, Zähne putzen, Eintrittskarte und Geld am Mann? Okay, dann mal schnell los. So ging der Einteiler mit auf Tour, wurde zum Gewinner-Dress und war damit fortan bei jedem Derby unverzichtbar.
Natürlich wurden nur die engsten Freunde in die Geschichte eingeweiht. Was letztlich nichts anderes bedeutete, als dass im Grunde jeder aus der Fahrgemeinschaft sowieso über Facebook bestens auf dem aktuellen Stand war. Aber auch der größte Teil im Block über den wahren Grund des unerwarteten Derby-Sieges Bescheid wusste.
Allein schon deshalb ließ es dem Avvocato keine Ruhe, wo der Einteiler denn wohl hin abgekommen sein konnte. Das nächste Derby durfte nicht dem Zufall überlassen bleiben.
Sich da nur auf den Holländer und sein Karma verlassen, konnte grob leichtsinnig sein. Besser noch mal in aller Ruhe suchen und Vattern Bescheid geben, der sich in ihrer Zwei-Männer-WG um die Wäsche kümmerte: Dieser Einteiler ist tabu für die Waschmaschine (oder die Putzlappensammlung)! Macht das Karma kaputt (unsere kleine Serie sowieso)!!!
Deshalb: Die Geschichte vom Holländer erfährt Vattern nicht. Der Einteiler musste gefunden werden. Koste es, was es wolle.