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6 Todesboten

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Es war eine dieser Frühlingsnächte, in denen die Wärme sich überraschend lange hielt. Bald würde ganz Paris in Sonnenschein und Helligkeit getaucht sein und die Seine einer grünblau funkelnden Schnur gleichen, über deren Brücken die Menschen nicht nur hasteten, sondern auffällig oft stehen blieben, um den Moment zu genießen.

Sogar zur späten Stunde übte die Seine noch ihre eigene Magie aus, auch wenn ihr Wasserlauf jetzt ein seidig glänzendes Schwarz war.

Ganz die Königin der Nacht, dachte Adam voller Ironie. Allerdings konnte auch er sich nicht der Magie des Flusses entziehen. Etienne hatte zu einem Spaziergang angeregt, denn in Paris waren die verschiedenen Arrondissements gut zu Fuß erreichbar. Adam war es nur recht gewesen, schweigend umherzulaufen, den Kopf leer, während seine Finger mit dem Heft in seiner Manteltasche spielten. Der gleichbleibende Rhythmus seiner Schritte, dem Carrière sich mit seinen deutlich kürzeren Beinen nur ungern angepasst hatte, beruhigte ihn, das dunkel dahinziehende Wasser der Seine hielt seinen Blick gefangen. Er hätte ewig so weiterlaufen können, das Klacken von Etiennes Gehstock in seinem Ohr. Doch ein helles Frauenlachen riss ihn aus seiner Entrücktheit.

Auf dem Trottoir kam ihnen eine nach Wein riechende Gruppe von Nachtschwärmern entgegen, Übermut und Lebenslust versprühend. Eine Dame, untergehakt bei einem leger gekleideten Herrn, der gerade zu einer lautstarken Schimpftirade über den fast fertiggestellten Eiffelturm ansetzte, winkte Adam aufreizend zu.

»Ich habe noch einen Arm für Sie frei, mein Hübscher. Wollen Sie uns nicht begleiten? Wir kennen mehr als einen Ort, wo man sich auch nach der Sperrstunde hervorragend amüsieren kann.«

Adam blieb stehen, als hätte man ihm eine Ohrfeige verpasst. Diese Art von Aufmerksamkeit war alles andere als nach seinem Geschmack.

Die Gruppe passierte, und die Dame ließ es sich nicht nehmen, ihren Zeigefinger über Adams Oberarm gleiten zu lassen, was ihre Begleitung endlich den Monolog unterbrechen ließ. »Also wirklich, Chloé. Du hast auch nicht den kleinsten Funken Anstand im Leib«, sagte der Mann, aber es klang wie ein Kompliment. Er schob sich seinen zerknautschten Hut in den Nacken und lachte, woraufhin die anderen sogleich mit einfielen.

»Wenn du dich über diesen aufragenden Stahlriesen und die Weltausstellung in Rage redest, darf ich mich wohl nach etwas umschauen, das mein Interesse erregt.« Sie warf dem erstarrten Adam einen Handkuss zu, woraufhin der sich abwandte. »Schau doch nur einmal her, Chéri, damit du auch weißt, was du verpasst!« Was immer sie auch tat, von ihrer Gesellschaft erntete sie Begeisterungsstürme und Gelächter.

Adam musste nicht fragen, was dem geneigten Publikum geboten worden war. Er hatte das Rascheln ihrer Unterröcke, als sie diese über die Knie hob, deutlich gehört, auch wenn er es immer noch nicht glauben konnte.

»Ja, die Frauen von heute. Wirklich erstaunlich. Vermutlich die Muse eines Malers«, murmelte Carrière, der einen Blick über die Schulter riskiert hatte und dessen Wangen sich nun rot verfärbten. »Ein sehr unternehmungslustiges Völkchen. Wenn Sie mich fragen, eine umherstromernde Künstlerhorde mit ihren Freunden aus aller Welt, der es im Herzen von Montmartre zu langweilig geworden ist. Die Stadt ist in diesen Tagen voll von ihnen, harren alle der Weltausstellung, deren Eröffnung noch mehr Leben und Geld in die Stadt bringen wird. Wie auch immer, wir sind an unserem Ziel angelangt.« Mit der Hand deutete Carrière auf das Ufer der Seine. »Die Dame, die uns heute ihre Gastfreundschaft gewährt, ist im Augenblick die interessanteste Gesellschaft, die Paris zu bieten hat. Ich möchte Sie bitten, Höflichkeit walten zu lassen und das Reden vorerst mir zu überlassen. Madame Rischka ist sehr unberechenbar, da möchte ich mir nicht auch noch um Ihren Hitzkopf Sorgen machen müssen.«

»Natürlich«, sagte Adam, der nicht ganz bei der Sache war. Seine Aufmerksamkeit war auf das fest vertaute Hausboot unten am Ufer gerichtet.

Während ihres Spaziergangs waren Adam immer wieder die länglichen, oftmals etwas heruntergekommenen Boote aufgefallen, auf denen Wäscheseile gespannt und deren Decks mit Blumenkübeln geschmückt waren. Ihm gefiel die Vorstellung, auf einem Boot zu wohnen. Jederzeit die Taue lösen und weiterziehen zu können, kam ihm in diesen Stunden wie die beste aller Möglichkeiten vor. Das Hausboot, zu dem Etienne ihn nun führte, sagte ihm ganz besonders zu, mit seinem dunkel schimmernden Holz und dem Licht, das durch die flaschengrünen Vorhänge in den Butzenfenstern fiel. Es strahlte etwas Altes und zugleich sehr Lebendiges aus, erzählte von fernen Orten, die ihre Spuren in seinem Antlitz hinterlassen hatten.

Neben dem schaukelnden Bootssteg war eine Messinglampe angebracht, in der eine Kerze hinter rotem Glas flackerte – wie eine Einladung.

Adam lief wie verzaubert auf den Steg des Bootes zu, als ihm plötzlich eine Gestalt den Weg versperrte. Sie war so unvermittelt vor ihn getreten, dass er aufkeuchend einen Schritt zurücksetzte, während er sich fragte, warum seine Instinkte ihn nicht rechtzeitig gewarnt hatten. Offensichtlich waren sie doch nicht so empfindlich, wie er vermutet hatte. Dafür erreichte ihn nun ein Geruch nach Leder, Frau ... und Muskat.

Unweigerlich wusste Adam, wer vor ihm stand: eine Unsterbliche, in der ein nach Blut dürstender Dämon hauste. Eine Schwester im grausamsten Sinne.

In ihm bäumte sich sein eigener Dämon bedrohlich auf, als wolle er sich auf jeden Konkurrenten stürzen, der es wagte, ihm die Stirn zu bieten. Ich bin stärker, knurrte er, ich bin der Überlegene.

Das Verlangen unterdrückend, die Frau zu packen und in die Knie zu zwingen, erwiderte Adam den kühlen Blick von ihr. Langsam öffnete er seine zu Fäusten geballten Hände und nötigte sich dazu, sie entspannt hinabhängen zu lassen, obwohl alles in ihm darauf drängte, zu einem Angriff überzugehen und der Forderung des Dämons Folge zu leisten.

Doch etwas ließ ihn innehalten. In den dunklen Augen der Frau glaubte er sein Spiegelbild zu erkennen: das gleiche Bedürfnis, sämtliche Bedenken wie ein zu eng gewordenes Kleidungsstück abzustreifen und sich nur seinen Instinkten zu überlassen. Zu jagen ... zu erlegen ... sich dem Rausch hinzugeben, sich jemanden untertan zu machen, indem man ihn überwältigte und seinen Leib mit den Zeichen der eigenen Überlegenheit übersäte. Wie eine Raubkatze, die keinerlei Schuldgefühle davon abhielt, sich neben ihrem blutenden Opfer auf dem Boden zu räkeln.

Die ganz in Schwarz gekleidete Frau hob ihre Mundwinkel, doch es wurde kein Lächeln, sondern nur das Eingeständnis, ein würdiges Gegenüber gefunden zu haben. Augenblicklich spürte Adam einen Stich in seinem Brustkorb, der Beweis eines Schamgefühls. So bin ich nicht, wollte er laut ausrufen. Es ist der Dämon in mir. Doch das wäre eine Lüge gewesen, deshalb schob er die Frau lediglich mit einem Arm von sich fort. Ganz behutsam, damit auch kein Zweifel daran aufkam, dass er sich weder jetzt noch später auf ein Spiel mit ihr einließ.

Langweiler, spottete der Dämon, der Adam mehr denn je wie ein Imperator vorkam, dem das Treiben in der Arena zu seinen Füßen nicht blutig genug zugehen kann.

Carrière, der das Schauspiel mit angehaltenem Atem betrachtet hatte, ließ seinen Gehstock mit einem lauten Knall auf das Uferpflaster aufschlagen. »Keine angenehme, aber immerhin eine Begrüßung, wie ich sie von dir erwartet habe, Truss. Wenn du uns dann bitte passieren lassen würdest?«

Doch die Frau namens Truss beachtete ihn gar nicht. Voller Faszination starrte sie Adam an, als sei er ein Versprechen und nicht etwa ein Fremder, der zur späten Stunde um Einlass bat. Mit so schnellen Bewegungen, dass Adam die Brauen vor Überraschung hochzog, ließ sie sich neben dem Kai nieder und zog ein Fischernetz aus dem Wasser.

Obwohl ihm ein widerlicher Gestank entgegenschlug, trat Adam neben Truss und blickte auf den Fang, der sich als nackte Männerleiche entpuppte. Durch die schwarzen Maschen hindurch schimmerte wächserne Haut, der nicht einmal das rote Leuchten der Messinglampe den Anstrich von Leben verleihen konnte. Geschickt befreite Truss den Leichnam aus dem Netz, damit Adam einen Blick auf das werfen konnte, was ihr allem Anschein nach das Wichtigste schien: der aufgerissene Brustkorb, dessen Höhle leer war. Es war jedoch der von Entsetzen geprägte Gesichtsausdruck des Mannes, dem Adam sich nicht entziehen konnte. Als habe man ihm bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust geschnitten.

»Sehr schön.« Carrière wirkte mehr gereizt als entsetzt, während er Adam beim Ellbogen packte und ihn fortzog. »Wirklich lobenswert, dass du und dein elender Bruder zu guter Letzt doch noch dazu übergeht, eure Leichen zu entsorgen, anstatt sie überall in Paris liegen zu lassen. Aber so nahe an eurem Unterschlupf – ob das klug ist? Nun, wen kümmertʼs? Mich nicht. Obwohl sicherlich keine Notwenigkeit besteht, den Dämon mit solch widerlichen Opferungen zu befriedigen. Das hat kein Mensch verdient.«

Die Art, wie Truss Carrière für seine Worte anfunkelte, verriet, dass sie nur allzu gern das Gleiche mit ihm getan hätte, allein für seine Unverfrorenheit. Stattdessen kauerte sie schweigsam neben ihrer Beute, die Finger in der blutleeren Wunde.

Es fiel Adam unbegreiflich schwer, sich abzuwenden. Diese Gestalt, denn die Bezeichnung Frau wollte einfach nicht richtig passen, hatte etwas in ihm zum Einrasten gebracht. Als sei er das Rad in einem Uhrwerk, das endlich das passende Gegenstück gefunden hatte. So abstoßend die Zurschaustellung des Leichnams auch sein mochte, es erschien ihm dennoch seltsam vertraut ... Doch wie kann ich bei diesem Anblick etwas anderes als Abscheu und Trauer empfinden?, fragte Adam sich, und diese Tatsache verwirrte ihn weitaus schlimmer als die Verbindung, die er zu dem Ungeheuer namens Truss verspürte. War das etwa der Verlust der Menschlichkeit, von dem Carrière gesprochen hatte?

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Carrière, als sie über den Steg gingen. »Ich hätte Sie darauf hinweisen sollen, dass das Hausboot von unangenehmen Wachhunden belagert wird. Für gewöhnlich sind ihre Nasen gut genug, um zu wittern, wenn ich mich nähere. Was mir nur lieb ist, denn je seltener ich diese blutrünstige Bagage sehen muss, desto besser. Dass Truss hervorgekommen ist und Ihnen sogar ihre Beute präsentieren musste, war überraschend. Sie haben wohl ihre Neugierde geweckt.« Carrière zog die Nase kraus, als wäre mit dieser Vorstellung ein übler Gestank verbunden. »Jetzt sollten wir uns aber beeilen, schließlich werden wir bereits erwartet.«

Mit einer einladenden Geste deutete Carrière auf die Tür zur Kajüte.

Adam biss seine Zähne so fest aufeinander, dass sein Kiefer knackte, dann erst konnte er der Aufforderung nachkommen. Während er nach dem Türknauf griff, sah er, wie Truss ein schwarzes Seidentuch über der Messinglampe ausbreitete. Einen Herzschlag lang war die Nacht noch in Blut getaucht, dann war alles schwarz.

Nachtglanz

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