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7 Treibgut

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Das Innere des Hausboots war ein einziger Salon. Die Decke hing so niedrig, dass Adam befürchtete, jeden Augenblick mit dem Kopf anzustoßen. Die Wände wiesen, wo sie nicht von den flaschengrünen, schweren Vorhängen verhüllt wurden, eine Wölbung nach außen auf, wodurch der Salon etwas sehr Geborgenes ausstrahlte. Die Kandelaber mit ihrem weichen Licht und die dicken Teppiche am Boden taten ein Übriges.

»Fast so gemütlich wie in Mutters Schoß«, brachte Carrière es auf den Punkt, als er die kunstvoll in Blei gefasste Glastür hinter sich zuzog. »Aber lassen Sie sich nicht täuschen«, fügte er mit einer Note zu, die Adam nicht zu deuten wusste.

Es kümmerte ihn im nächsten Moment auch schon nicht mehr, denn er hatte eine Frau entdeckt, die auf einem mit Samt und Pelzkissen ausgestatteten Lager ausgestreckt dalag. Auch wenn ihr sinnliches, in Spitze gekleidetes Äußeres ausgereicht hätte, um die ganze Aufmerksamkeit eines Mannes zu erringen, erkannte Adam, dass es nicht das Hausboot gewesen war, das ihn angelockt hatte, sondern diese Frau. Als hielte sie eine unsichtbare Leine, an der sie ihn zu sich zog.

Mit einem sphinxhaften Ausdruck musterte sie ihn. »Du hattest Recht mit deiner Vermutung, Etienne: Er stammt tatsächlich von einem der Meinen ab«, erklärte sie mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme, in der ein harter Akzent mitschwang.

Carrière lachte verhalten. »Tun wir das nicht alle in dieser Stadt? Adam, darf ich Ihnen die Dame vorstellen, die bereit war, mich an der Unsterblichkeit teilhaben zu lassen? Das hier ist die unvergleichliche Rischka.«

Mit unübersehbarem Stolz hob Rischka das Kinn an, obwohl etwas an ihrer Haltung verriet, dass ihr Selbstvertrauen keiner Komplimente bedurfte. »Du bist also Adam. Etienne schrieb mir, dass du nicht weißt, wer du eigentlich bist. Und das, obwohl der Beherrscher dir einen Namen gegeben hat, der darauf schließen lässt, dass du von dem Baum der Erkenntnis gekostet hast. Ein böser Witz?«

»Es steht keineswegs fest, dass der Dämon mir diesen Namen gegeben hat.«

»Dämon? Pfui, was soll denn dieses hässliche Wort? Wir sind doch nicht die Heimstatt für ein nach Schwefel stinkendes Ungeheuer«, warf Rischka amüsiert ein.

»Der Dämon stinkt vielleicht nicht nach Schwefel, aber ein Ungeheuer ist er auf jeden Fall.«

Carrières Anweisung, den Mund zu halten, klang noch in Adams Ohren, und auch seine Instinkte rieten ihm dazu, sich bei dieser Frau zurückzuhalten. Doch die Anspielung, dass der Dämon – oder Beherrscher, wie sie ihn nannte – sein Schöpfer war, konnte er einfach nicht ertragen. »Vielleicht ist mein Name ja das einzige Überbleibsel aus meiner Vergangenheit. Jedenfalls gehört er mir.«

Zu seiner Erleichterung ging Rischka nicht auf diesen Einwurf ein, sondern winkte Carrière zu sich, der sogleich neben ihr Lager trat und einen Kuss über ihrem Handrücken hauchte. Dann zog sie ihn ein Stück zu sich herab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Gemeinsam lachten sie, ein verstörend fremdes Geräusch, dem wenig Menschliches anhaftete.

Adam nutzte die Gelegenheit und konzentrierte sich auf die Eindrücke des Salons, die ihm seine Sinne verrieten. Rischka empfing viel Besuch, vor allem Herren, und weder deren Rasierwasser noch die nach Opium und Weihrauch duftenden Räucherstäbchen konnten darüber hinwegtäuschen, womit jeder Flecken dieses Raumes getränkt war: Schweiß und Blut. Darunter allerdings, unter all den Noten, die Rischkas ganz individuellen Duft ausmachten, fand er noch etwas anderes ... wie ein gut verstecktes Geheimnis: Muskat. So alt, dass man es kaum noch wahrnahm. Adam war keineswegs überrascht, denn mit nichts anderem hatte er gerechnet. Doch als der scharfe Muskatduft ihm nun in der Nase brannte, spürte er augenblicklich, wie sein Interesse an der Frau verschwand. Ihre vom Korsett hochgeschobenen und lediglich von schwarzer Spitze verhüllten Brüste reizten ihn ebenso wenig wie ihre sinnlich geformten Lippen oder die weißen Fesseln, die unter dem Saum des Rockes hervorblitzten. Sie waren tatsächlich miteinander verwandt, sie alle, auf eine Weise, die er nicht verstand – noch nicht.

Rischka legte die Stirn in Falten, als könne sie seinen plötzlichen Stimmungswechsel von seiner Miene ablesen. Sie stützte sich auf einem Arm auf, während Carrière Platz auf einem Stuhl in ihrer Nähe nahm.

»Etienne hat mich gebeten, dir dabei zu helfen, deinen Zustand besser zu begreifen. Für gewöhnlich verschmelzen der Beherrscher und sein erwähltes Haus derartig miteinander, dass eine solche Aufklärung gar nicht vonnöten ist. Aber du scheinst mir ein besonderes Exemplar zu sein.«

Dabei betonte sie das Wort Exemplar so, als wolle sie Adam damit reizen. Als wäre er ein Pferd, das einem interessierten Käufer vorgeführt wurde. Oder nur eine weitere Fliege im Netz des Dämons, ohne einen eigenen Willen. Adam spürte ein Prickeln auf seiner Zunge, hielt sich jedoch zurück. Vermutlich musste er für seine Unverfrorenheit ohnehin noch büßen, da war er sich sicher. Jemand wie Rischka mochte keine Eigenwilligkeit bei ihrem Gegenüber akzeptieren, und noch weniger mochte sie Männer, die nicht auf ihre Reize reagierten.

Unterdessen nahm Rischka sich die Zeit, eine schwarze Locke aus ihrem kunstvoll hochgesteckten Haar zu lösen und sie um ihren Zeigefinger zu wickeln, ehe sie weitersprach. »Du gibst mir Rätsel auf, Adam. Unser Beherrscher hat zweifelsohne Besitz von deinem Körper ergriffen, und du hast ihm auch bereits ein erstes Opfer gebracht, wie ich hörte.«

Adam schnaufte abfällig. »Er hat es sich geholt, ohne mein Zutun. Dein Beherrscher, wie du ihn nennst, ist sich nämlich keineswegs zu schade dafür, seine Opfer selbst abzuschlachten, wenn der Lakai nicht willig ist.«

»Du bist ein wahrhaftiger Tempel für den Beherrscher«, fuhr Rischka fort, als habe er soeben nichts gesagt. »Woher stammt also dieser Widerwille gegen seinen Machtanspruch? Ich bin in den Jahrhunderten, die nun schon an mir vorbeigezogen sind, einigen Geschöpfen begegnet, denen der Beherrscher seltsame Dinge angetan hat. Aber das Auslöschen einer Vergangenheit anstelle der Seele ist mir bislang noch nicht untergekommen. Lass uns am besten von vorn beginnen, damit wir diese komplizierte Situation Schritt für Schritt klären können. Zieh deinen Mantel, deine Jacke und Weste aus«, kommandierte sie ihn in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

Also zog Adam auch bloß seine Augenbrauen vor Erstaunen und mit einer Spur von Belustigung hoch, ehe er ihrer Aufforderung nachkam.

»Und nun, weg mit dieser Halsbinde und öffne dein Hemd.«

Dieses Mal dauerte es etwas länger, bevor Adam der Aufforderung folgte. »Es ist keine Bissnarbe an meinem Hals zu finden«, erklärte er, während er seinen Hemdkragen lockerte und ein paar Schritte auf das Lager zutrat.

»Das weiß ich.« Auf Rischkas Gesicht breitete sich ein gerissenes Lächeln aus. »Ich wollte mich nur einer Vermutung versichern. Dreh dich einmal um dich selbst. Aber langsam, wenn ich bitten darf.«

Adam, der gerade wie gewünscht sein Hemd aufknöpfte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Nein, das werde ich nicht tun.«

Seine Stimme war derartig fest, dass Carrières Augenlider zuckten, als hätte man ihm Sand ins Gesicht geworfen. Ansonsten hielt er sich wohlweislich aus diesem Kräftemessen heraus.

»Schade. Und dabei bin ich doch so neugierig, ob deine Kehrseite an Attraktivität mit der Vorderseite mithalten kann.« Das Lächeln auf Rischkas Gesicht wurde breiter. Sie ließ ihre Augen noch einmal über Adams Gestalt wandern und genoss die gelungene Demütigung, dann sagte sie an Etienne gewandt: »Nun, bei unserem Freund fällt es zumindest leicht, zu erraten, warum der Beherrscher ihn erwählt hat. Er ist von einem atemberaubend schönen Äußeren. So ein Körper und vor allem so ein Gesicht müssen unbedingt vor dem Verfall bewahrt werden. Die Motivation des Beherrschers steht schon einmal außer Frage.«

»Wenn dieser verfluchte Dämon seine Opfer nach ihren Gesichtern aussucht, dann sollte man ihm nicht huldigen, sondern zusehen, dass er in dem Höllenkreis landet, der für die Eitlen und Dummen reserviert ist.« Das aufgebrachte Funkeln in Adams Katzenaugen verriet, dass die erfahrene Erniedrigung die Reste seiner Beherrschung fortzuwischen drohte. Gefährlich dicht trat er an ihr Lager, wobei der klopfende Puls an seiner Kehle nicht zu übersehen war.

Obwohl Rischka all dies nicht entging, ließ sie sich auf die Samtdecke zurücksinken, als wäre alles nur ein Spiel. »Reg dich nicht auf. Man könnte fast meinen, es gefällt dir nicht, wie ein junger Gott auszusehen. Dabei ist es doch eine so wertvolle Gabe.«

»Das kann auch nur eine Hure so sehen!«

»Hure oder nicht. Ich lebe schon seit Jahrhunderten, aber du wirst nicht einmal den nächsten Sonnenaufgang erleben, wenn du dich nicht sofort am Riemen reißt. Du solltest meine Nachsichtigkeit nicht übermäßig strapazieren.«

Adam blieb stehen und legte den Kopf schief, als habe er nicht etwa eine Drohung, sondern ein Zauberwort vernommen, das nur für ihn bestimmt war. Binnen einer Sekunde begann das Blut in seinen Adern zu kochen und rauschte donnernd durch seinen Körper. Auf den Wellenkämmen tanzte der Dämon und zeigte ihm Bilder von Rischkas blassem Körper, der auf einem blutroten Spiegel ruhte. Ein feiner, sauberer Schnitt verlief von ihrem Hals zwischen ihren Büsten bis zum Bauch. Doch nicht ein einziger Tropfen drang aus diesem Schnitt hervor. Noch nicht. Schon sah er, wie er sich mit leicht geöffneten Lippen über sie beugte, die Süße ihres Blutes ahnte, das gleich nur für ihn zu fließen beginnen würde.

Adam verspürte eine fast unerträgliche Erregung. Wenn er ihr nicht sofort nachgab und Rischka berührte, würde er schlicht den Verstand verlieren – sofern er das nicht schon längst getan hatte, so sehr, wie ihn das plötzliche Verlangen quälte. Dann wurde ihm bewusst, dass es nicht seine eigene Begierde war. Es war die des Dämons, so wie ihm auch die Wunschbilder gehörten, die Adam gesehen hatte. Was auch immer soeben geschehen war, der Dämon war in Lust entbrannt zu der Frau, die Adam erwartungsvoll unter halb geschlossenen Lidern beobachtete.

Was für eine Verlockung, was für ein Fest. Die Gabe dieser Hure ist fast zu schön, um wahr zu sein. Du bist wirklich ein armseliger Kerl, wenn du ihr widerstehen willst, ließ der Dämon ihn wissen. Danach ging seine Stimme in ein unverständliches Gemurmel über, das Gerede eines Liebestrunkenen.

Wie im Fieber fasste Adam sich an die Stirn und taumelte einige Schritte zurück, bis er gegen einen Servierwagen stieß. Das Klirren der Flaschen brachte der Welt ihre Klarheit zurück. Gerade rechtzeitig, damit er den Schatten in seinem Rücken wahrnehmen konnte. Adam wirbelte herum und schlug einen Arm fort, der ihn im Nacken packen wollte. Es entbrannte ein kurzer Kampf, bis Adam die Gestalt zu fassen bekam und sie auf die Knie niederdrückte.

»Nimm deine Pfoten von mir, oder du wirst es bereuen«, drohte eine seltsam leere Stimme.

Nur dachte Adam gar nicht daran, auf sie zu hören. Neugierig betrachtete er seine Beute: ein junger Mann mit den gleichen hageren Zügen wie bei Truss. Auch er trug die eng anliegende Kleidung aus Leder wie eine zweite Haut. Den einzigen Unterschied, den Adam außer dem Geschlecht ausmachen konnte, war das dunkle Haar, das der Mann kurz trug, während Truss ihr langes Haar schlicht im Nacken zusammengebunden hatte.

Sosehr sie sich im Äußeren glichen, so unterschiedlich fiel Adams Reaktion aus: Bei Truss hatte er eine gewisse Form der Verbundenheit gespürt, bei diesem jungen Mann jedoch kochte ein Widerwille hoch. Außerdem schien er nicht zu ihnen zu gehören, denn Adam konnte nicht die geringste Spur von Muskat wahrnehmen. Auch ansonsten ging von dem Mann kein Geruch aus, abgesehen von seiner Lederkleidung.

Du irrst dich, gab der Dämon zu bedenken. Er steht dir genauso nah wie der Tod, dem du draußen am Kai begegnet bist. Ihr drei gehört zusammen: Der eine jagt, der andere führt die Opferung durch, und die Dritte im Bunde tötet. Eure Talente bilden ein Dreieck. Ich liebe Dreiecke! Sie sind voller Magie.

Allein bei der Vorstellung zog Adam eine Grimasse. »Wer ist das? Einer von den Wachhunden, die das Hausboot beschützen?«

»Das ist Lakas, der Bruder von Truss. Er reagiert ausgesprochen sensibel auf mein Talent, den Beherrscher eines anderen zu verführen. Da konnte er eben wohl nicht widerstehen, obwohl er nicht eingeladen war.« Trotz der Lage schien Rischka keineswegs aufgeregt, sondern vielmehr belustigt. »Außerdem gehört Lakas zu mir. Du solltest ihn also besser loslassen, es sei denn, du willst mich ein weiteres Mal provozieren.«

»Darum geht es mir gar nicht«, erwiderte Adam, während er Lakas daran hinderte, aufzustehen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein blasser Carrière ihm bedeutete, den Griff auf Lakasʼ Schulter aufzugeben. Doch es bereitete ihm eine gewisse Genugtuung, diesen Kerl seine Überlegenheit spüren zu lassen. »Ich mag es nur nicht, wenn man sich von hinten an mich heranschleicht«, erklärte er.

»Und ich mag es nicht, wenn man sich mir widersetzt.« Von einer Sekunde auf die andere war Rischkas Laune gekippt.

Gleich tut sie es noch einmal! Nur zu, reiz sie weiter, damit sie dir ihre Macht beweist. Ein wunderbares Spiel, jauchzte der Dämon voller Vorfreude.

Als würde ein Warnsignal in seiner Brust gezündet, gab Adam nach.

»Kluger Junge.« Rischkas Stimme war nicht mehr als ein tiefes Schnurren. »Es ist gut zu wissen, wann man vor einem überlegenen Gegner steht. Obwohl es mich durchaus interessiert hätte, wozu dein Dämon und ich dich hätten anstiften können. Willst du mir nicht verraten, was er mit mir vorgehabt hat? Nun schau nicht so entsetzt, Adam. Jeder von uns verfügt eben über ganz spezielle Talente. Ich kann den Dämon der anderen locken, und du bezirzt eben mit deinen physischen Vorzügen.«

Dann wandte sie sich Lakas zu, bei dem weder Miene noch Körperhaltung darauf schließen ließen, was in ihm vorging. Falls überhaupt etwas in ihm vorgeht, dachte Adam. Würde mich nicht überraschen, wenn sein Innenleben ebenso wenig vorhanden ist wie sein Geruch.

»Lakas, ich will, dass du jetzt genauso plötzlich verschwindest, wie du aufgetaucht bist. Wir werden uns später über dein unangebrachtes Eindringen unterhalten, wie auch über das ausgediente Opfer, das deine Schwester und du zu meinem Boot gebracht habt. Sieht ganz so aus, als hättet ihr beiden nicht richtig verstanden, was ›Es sollen keine blutleeren Leichen mehr in der Stadt auftauchen‹ bedeutet. Jetzt aber raus mit dir.«

Einen Moment lang sah es so aus, als würde Lakas sich dem Befehl widersetzen. Seine Hand zuckte vor, als wolle er Adam berühren, der sofort ein warnendes Knurren ausstieß. Doch dann machte er kehrt und verschwand zur Tür hinaus.

»Was du eben gesagt hast, war interessant, Rischka. Du weißt schon: dass Adams Talent sein hinreißendes Aussehen sei«, lenkte Carrière das Gespräch in andere Bahnen. Trotz seines Plaudertons war sein Gesicht weiterhin aschfahl. Mit einem raschen Seitenblick musterte er Adam, der jedoch still dastand und versuchte, aus dem eben Erlebten schlau zu werden. »Zuerst dachte ich auch, dass es dem Dämon nur um den Erhalt von Adams Erscheinungsbild gegangen sei, aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wenn ich mich nicht irre, verfügt Adam über ausgesprochen gute Sinne, fast wie ein Raubtier.«

Rischka deutete mit dem Kinn ihre Zustimmung an. »Ein Tiger vielleicht, voller Kraft und Geschmeidigkeit. Außerdem sind diese Tiere Einzelgänger, wie man so hört – außer während der Paarungszeit.«

Bei dem Vergleich mit einer Raubkatze zuckte Adam zusammen, untersagte sich jedoch jegliche Erwiderung. Dass es ein Leichtes für Rischka gewesen war, ihn über seinen Dämon zu beeinflussen, ließ ihn vorsichtig werden. Diese Frau war nicht zu unterschätzen.

Mit einem Schlag legte Rischka alle verführerischen Gesten ab, stand von ihrem Lager auf und ging zu einem Sekretär hinüber. Aus einem Humidor nahm sie einen schlanken Zigarillo, den sie ansteckte, bevor Carrière ihr zu Hilfe eilen konnte. Gereizt stieß sie die Rauchwolken aus. »Ein Tempel, der unter dem Fuß des Beherrschers nicht erschüttert und in zwei Teile zerbricht ... zudem außergewöhnliche Talente. Alles so, wie man es im besten Fall erwarten darf. Trotzdem ist etwas anders an Adam, aber woran mag es liegen?«

»Die Verwandlung«, bot Carrière Schützenhilfe. »Unser Freund, der den Dämon mit ihm geteilt hat, hat ihn allein in der Gasse zurückgelassen.«

»Keine große Überraschung.« Rischka schnippte die Asche in eine wertvoll aussehende Vase. »Wer auch immer es von den Unseren war, wurde von der Entscheidung des Dämons, einen neuen Tempel zu beziehen, vermutlich vollkommen überwältigt. Das erste Mal, wenn man den Dämon teilt, kann sehr verwirrend sein. Schließlich ist man plötzlich selbst derjenige, dessen Blut vergossen wird. Außerdem gehört unser schöner Adam offenbar zu der rücksichtslosen Sorte, ansonsten wäre er kaum mit so viel Blut beschmiert gewesen. Hat wohl einfach nicht genug bekommen vom roten Lebensfluss.«

»Ich soll das Blut eines anderen getrunken haben, ohne dass mich der Dämon dazu zwang?«, fragte Adam, die Stimme heiser vor Unglauben.

»Nun, der Dämon wird dich ermuntert haben, so wie du deine Opfer ermunterst, mit dir zu gehen. Aber die Entscheidung, das Geschenk des ewigen Lebens anzunehmen, ist allein dir überlassen. Es war deine Entscheidung. Da gibt es nichts zu beschönigen. Du hast den Kuss des Dämons empfangen ...«

»Die Sache mit dem Kuss erwähnte Carrière schon. Ich will darüber nichts hören.«

Rischka verschluckte sich am Rauch, als sie lachen musste. »Wer hätte gedacht, dass ein Kuss so viel Unwillen auslösen kann?«

»Warum braucht es ihn überhaupt?« Adam war an eins der schmalen Butzenfenster getreten und spähte seitlich des Vorhangs auf das schwarze Wasser der Seine.

»Der Kuss«, sagte Rischka ungewöhnlich sanft. »Nicht einmal Blut schmeckt so gut. Es ist vielleicht der einzige Moment, in dem der Dämon dem Menschen unterlegen ist. Ohne diese Einladung kann er sich nicht teilen. Denn der Dämon ist viele und doch immer nur einer. Wir tragen alle ein und denselben Dämon in uns, aber sein Gewand färbt sich beim Betreten eines neuen Tempels einzigartig ein, wenn er durch das vergossene Blut schreitet. Daher weiß ich, dass du in meiner Blutlinie stehst, ich spüre ein Echo meines Dämons in dir – mein Opfer, das anderen die Unsterblichkeit geschenkt hat.«

»Von Anfang an geht es also nur ums Opfern.«

Es gelang Adam nicht, seinen Blick vom glänzend fließenden Wasser zu lösen. Es schien ihm jeden Augenblick ein Geheimnis offenbaren zu wollen. Nicht einmal, als Rischka sich dicht an seine Seite stellte und den Vorhang so weit beiseiteschob, dass auch sie hinausblicken konnte.

»Wir sind die Werkzeuge des Beherrschers, nur dazu erschaffen, ihm seine Opfer darzubringen«, erklärte sie nüchtern.

»Das ist bestialisch.«

»Natürlich, aber es ist auch viel mehr als das. Denn den Menschen selbst ist das Blutopfer nicht fremd. Warum sonst gibt es den Kult um das Blut, die Faszination, es fließen zu sehen? Es ist einer der ältesten Bräuche der Menschheit, dem Opfer die Kehle aufzuschlitzen und es ausbluten zu lassen. Blut steht für Leben, wir verschwenden es für unseren Beherrscher und bekommen dafür die Unsterblichkeit geschenkt.«

Carrière stieß seinen Gehstock auf dem Boden auf, ein Beweis, wie nah ihm dieses Thema ging. »Der Dämon fordert Blut, zweifellos. Aber er trachtet nicht nach dem Leben der Opfer.«

»Glaubst du das nach vier Jahren mit dem Beherrscher in deiner Brust immer noch, mein lieber Etienne? Natürlich sehnt sich unser Beherrscher nach dem Tod, denn erst wenn das Opfer erlischt, war es ein wahres Blutopfer.« Rischka wandte sich Adam zu, einen milden Ausdruck auf dem Gesicht, obwohl sie doch von so grausamen Dingen sprach. »Etienne wehrt sich tapfer gegen den Gedanken, dass er sich mit dem Einzug des Beherrschers in einen Scharfrichter verwandelt hat. Der Gedanke, dass ein Opfer mit Lust und an Wahnsinn grenzende Hingabe dargebracht wird, schreckt ihn ab. Er ist ganz ein Kind dieses zu Ende gehenden Jahrhunderts, das sich so unendlich modern wähnt. Man glaubt, Gewalt, Revolten und Krieg gehörten der Vergangenheit an – aber das ist reine Dummheit. Der Fortschritt rottet das Böse genauso wenig aus, wie der sich ausbreitende Wohlstand nicht das Wilde, das in jedem Geschöpf schlummert, bezähmen kann.«

Rischka wiegte den Kopf, als stimme sie diese Vorstellung traurig.

»Etienne glaubt, er könnte den Beherrscher mit ein paar Blutstropfen besänftigen, und verzweifelt jedes Mal, wenn er scheitert. Es sind die menschlichen Überreste in ihm, die ihn so empfinden lassen. Darum tut der Beherrscher beim Eindringen gut daran, wenn er vollständig mit seinem Tempel verschmilzt, damit seine Diener solche Gewissensqualen nicht ausstehen müssen. Man muss den Menschen ganz absterben lassen und sich uneingeschränkt dem Beherrscher zuwenden, um sich seinem Geschenk der Unsterblichkeit würdig zu zeigen. Du solltest dich glücklich schätzen, Adam. Denn du hast dich selbst vergessen und alles, was hinter dir liegt. Du kannst eins werden mit deinem Beherrscher, du musst nur aufhören, dich gegen ihn zu wehren.«

»So einfach ist das alles nicht«, warf Etienne unüberhörbar aufgebracht ein. »Adam mag keine Vergangenheit haben, das ändert jedoch nichts daran, dass er eine Persönlichkeit besitzt, die der Dämon nicht anzutasten vermag. Er kann sie doch nicht einfach auslöschen!«

Obwohl Etienne sich vorgelehnt hatte und seine Mentorin herausfordernd anstierte, beachtete Rischka ihn nicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf Adam gerichtet, der sie mit ausdruckslosem Gesicht ansah. Nein, korrigierte sich Etienne. Es ist nicht ausdruckslos, sondern eine Maske. Was auch immer Adam durch den Kopf gehen mag, er verbirgt es. Er lernt schnell, das muss man ihm lassen. Zu seiner Verwunderung schmerzte Etienne diese Entwicklung, denn er wünschte sich keineswegs, dass Adam seine Menschlichkeit verbarg – in diesem Punkt vertrat er eine gänzlich andere Meinung als Rischka.

»Adam, so grausam Ihnen der Zustand Ihrer inneren Zerrissenheit auch vorkommt, er eröffnet Ihnen die Möglichkeit zu wählen. Eine solche Chance haben nur die wenigsten von uns. Sie dürfen den Menschen in sich nicht aufgeben, nur weil es Sie quält, zu empfinden.«

Als habe er die richtige Losung ausgesprochen, erwiderte Adam seinen Blick. Für einen Moment bekam die Maske Risse und offenbarte das Gesicht eines jungen Mannes, den Wut, Abscheu und Verzweiflung zu weit an seine Grenze getrieben hatten. Damit hatte Etienne nicht gerechnet, denn obwohl er durchaus die dunklen Seiten des Dämons sah und bereits einige Male unsäglich unter ihnen gelitten hatte, war er seinem Schicksal dennoch dankbar. Doch Adam hätte ihn sich mit einem glühenden Schürhaken aus dem Leib gerissen, wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Der einzige Grund, warum dieser Mann sich dem Dämon hingeben würde, bestände in dem Wunsch, sich vor lauter Hass und Ekel selbst auszulöschen. Konnte Rischka das denn nicht sehen?

Allerdings schätzte Rischka die Situation scheinbar anders ein, denn sie stieß ein Lachen aus. »Deine Liebe zu den Menschen lässt dich manchmal wie einen Narren reden, Etienne. Nun, gut. Jeder von uns hat so seine Eigenart, und bei dir scheint der Beherrscher es für passend gehalten zu haben, das Interesse, das du ihm zuerst entgegengebracht hast, aufs Menschliche umzupolen. Unser Beherrscher verfügt wirklich über Humor, wenn auch von der ganz schwarzen Sorte. Allerdings verkennst du vor lauter Menschenliebe, was unseren hübschen Adam ausmacht: Er ist der geborene Jäger. Und Jäger kennen weder Mitleid noch Schuldgefühle. Oder hast du beim Töten etwas empfunden?«

»Die beiden Männer, die ich in Belleville getötet habe, haben mir keineswegs leidgetan. Sie haben mich angegriffen«, erwiderte Adam gleichgültig, das Gesicht wieder sorgfältig hinter der ausdruckslosen Maske versteckt.

»Ich denke, das reicht für heute«, sagte Carrière, ehe Rischka weiter nachfragen konnte. »Wir überfordern unseren jungen Freund. Ich weiß noch, wie es ist, mit der Existenz des Dämons konfrontiert zu werden: Solche Dinge brauchen Zeit.«

»Aber du warst noch ein Mensch, als ich dir alles über den Beherrscher der Unsterblichkeit erzählte«, warf Rischka ein. Doch Carrière beachtete sie nicht weiter, sondern suchte Adams Kleidung zusammen. Sie musste sich ihm in den Weg stellen, was ihr keineswegs zu gefallen schien. Trotzdem schenkte sie ihm ein zuckersüßes Lächeln. »Überlass ihn mir, wenigstens für heute Nacht«, bat sie, ihre vollen Lippen zu einem Schmollmund geschürzt.

»Nein, das kann ich nicht, so leid es mir tut.« Carrière war erschöpft. Er wusste zu gut, dass er sich mit seiner Entscheidung unbeliebt machte – ausgerechnet bei der Frau, die ihm so viel bedeutete. »Du weißt, dass ich dir den Spaß mit ihm gönnen würde, aber ich befürchte, du würdest die gemeinsame Nacht mit ihm nicht überleben.«

Als er Adam am Ellbogen packte, wich Rischka erst zur Seite, nachdem sie einen Blick auf Adams Gesicht erhascht hatte. Zutiefst erschrocken flüchtete sie zu ihrem Lager. Endlich hatte auch sie gesehen, was Etienne schon während ihres ersten Kräftemessens verstanden hatte: Adam mochte vielleicht Rischkas Talent, jemanden über seinen Dämon zu beeinflussen, nicht widerstehen können. Aber aus Rache würde er nicht zögern, sie bei der erstbesten Gelegenheit zu töten. So wie er auch diese beiden Männer in Belleville getötet hatte. Und ebenfalls in dieser Hinsicht ähnelte der junge Mann einem Raubtier: Er war kaltblütig, wenn sein Instinkt ihm zum Töten riet. Dämon und Raubtier in einer Gestalt ... sehr viel beängstigender ging es nicht. Wozu Adam imstande sein würde, wenn er seine Menschlichkeit aufgab – das wollte Etienne sich lieber nicht vorstellen.

Nachtglanz

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