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Kapitel 6 Reue

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Jannik hatte beide Hände tief in den Jackentaschen vergraben, die Schultern hochgezogen und beeilte sich, mit David Schritt zu halten. Gleichzeitig war er darum bemüht, den Fontänen auszuweichen, die der Feierabendverkehr aufspritzen ließ. Er war zwar schon bis auf die Haut durchnässt, aber er kam sich jedes Mal wie ein Opfer vor, was durch die gleichgültigen Mienen der Autofahrer noch verstärkt wurde. Soll er sich eben ein Taxi nehmen wie jeder andere normale Mensch auch, schienen diese Leute zu denken. Doch genau wie David wurde Jannik lieber nass, als sich in ein Auto zu setzen.

Er hatte vor der Galerie auf seinen Freund gewartet, mit einigen Schritten Abstand zu den hell erleuchteten Fenstern, die wie von Licht umflorte Schleusen in eine andere Welt aussahen. Während er von einem Bein auf das andere getreten war, waren seine Sinne ganz auf David gerichtet gewesen. Er spürte, wie dieser sich zuerst unsicher und gereizt gefühlt hatte, um dann von einer Woge der Enttäuschung überrollt zu werden. Da war Jannik näher an das Fenster herangetreten, über das Rinnsale von Regen flossen, die die Sicht verzerrten. Umringt von einem klinischen Weiß, überreichte David einer Frau mit Unmengen von Armreifen an beiden Handgelenken das Bild, bevor er fluchtartig das Foyer verließ.

Erst als David wieder auf der regennassen Straße stand, konnte Jannik aufatmen. Sein Freund würdigte ihn keines Blickes, und auch der Kopf des schwanzwedelnden Hundes blieb ungetätschelt. Stattdessen ging David einfach los, ohne ein Wort zu verlieren.

»Diese Meta hat nicht besonders begeistert ausgesehen«, platzte es schließlich aus Jannik hervor, als er Davids Schweigen nicht länger ertragen konnte. Dabei versuchte er, unauffällig einen Schritt vor seinen Freund zu treten, damit er wenigstens einen Blick auf dessen Gesicht erhaschen konnte. Eigentlich ein überflüssiges Unterfangen, denn der Missmut umgab David wie ein dunkles Energiefeld. Trotzdem wurde Jannik von seiner Neugierde übermannt, da sich David nur selten Gefühle erlaubte. Bevor er allerdings an ihm vorbeitänzeln konnte, hielt David unwillkürlich an und musterte Jannik entnervt.

»Das ist nicht Meta gewesen, sondern eine Kollegin«, erklärte er, dann schritt er weit aus, als wolle er bloß schnell den größtmöglichen Abstand zwischen sich und die Galerie bringen.

Jannik war das nur recht, denn dieses herrenlose Gebiet zerrte an seinen Nerven. Lieber wäre er durch ein fremdes Revier gestromert, das entsprach wenigstens seiner gewohnten Umgebung. In dieser Gegend jedoch erhoben sich die Gebäude wie gläserne Riesen. Stahl und verspiegeltes Glas weckten den Eindruck von Eleganz, aber die schiere Menge dieser Gebäude machte sie wieder zunichte. Genau wie der allgegenwärtige Staub, der den Regen in verdreckten Schlieren an den Scheiben herunterlaufen ließ. Diese Ecke der Stadt war erfüllt mit dem Vibrieren der Rechner, Telefone und Leuchtstoffröhren. In den Schaufenstern, die so zurückhaltend dekoriert waren, dass sie schon fast leer aussahen, wurden exklusive Kleidung und Schmuck, Hightech und Antiquitäten ausgestellt. Doch niemand war unterwegs, um diese verwaisten Luxuszellen zu erobern. Diese Läden, die sich dicht an dicht aneinanderreihten, wirkten fast selbst wie Ausstellungsstücke. Auch wenn er es nicht zugegeben hätte, gruselte es Jannik vor diesen Kunstwelten. Zwar wäre er David so ziemlich überallhin gefolgt, aber je eher sie dieses merkwürdige Viertel verließen, desto besser.

Zwei Blöcke weiter verdaute Jannik immer noch die Information, dass David lediglich einer Kollegin seiner Angebeteten das Päckchen übergeben hatte, und versuchte, sie mit Davids Emotionen während seines Galerieaufenthalts abzustimmen. So viel Enttäuschung, bloß weil diese Meta nicht da gewesen war – eine Frau, mit der er sich lediglich eine Nacht lang vergnügt hatte?

Als David ihm von seinem Plan erzählt hatte, die Frau zu suchen und ihr zur Wiedergutmachung für seine Grobheit etwas zu schenken, hatte er ihm begeistert zugestimmt. Ein cleverer Schachzug. Wenn es gut gelaufen wäre, hätte die Dame sich vielleicht noch zu einer kleinen Zugabe hinreißen lassen. Dagegen hätte Jannik ganz und gar nichts gehabt. Denn wenn David auf seine Kosten kam, dann fiel davon auch etwas für ihn ab. Eine nette Abwechslung, da Davids Gefühlswelt ansonsten eher einem trüben Tümpel glich.

»Hast du dem Paket denn wenigstens eine Karte mit deiner Adresse beigelegt oder so?«, fragte Jannik schließlich in der Hoffnung, dass noch nicht alles verloren war.

David verlangsamte seine Schritte, als habe diese Frage ihm den Wind aus den Segeln genommen. »Nein, ich bin irgendwie davon ausgegangen, dass ich mit ihr sprechen würde und dabei feststellen könnte, ob sie mich überhaupt noch einmal treffen will.«

Jannik stöhnte und fing sich dafür einen zornigen Blick von seinem Freund ein. Doch in diesem Augenblick war es ihm herzlich gleichgültig, ob David die Zähne fletschte vor Wut. Sie hatten sich beide den Arsch aufgerissen, um Metas Fährte zu folgen, die nach einer Woche alles andere als aufdringlich gewesen war. Aber sie hatten sie gefunden und waren ihr bis in dieses elende Glasscheiben-Viertel gefolgt. Nach all den Mühen erwartete Jannik mehr als ein anonym überreichtes Geschenk.

»Das heißt, sie hat jetzt keine Möglichkeit, sich bei dir zu melden? David, warum machst du das so kompliziert?«

»So wie Meta mich eben in der Galerie angesehen hat, dürfte sie eh kaum ein Interesse daran haben, mich wiederzusehen.«

»Moment mal – sie war da?«

Jannik brauchte die Antwort nicht zu hören, denn schon überrollte ihn Davids nur mühsam beherrschte Enttäuschung, die jeden Augenblick in Wut umschlagen konnte. Und in seinem Inneren breitete sich als Reaktion eine Angst aus, die sich anfühlte, als habe er unzählige Zitronenspalten auf einen Schlag verschluckt. Obwohl er genau wusste, dass David seine Frustration nicht an ihm auslassen würde, zog er unwillkürlich den Kopf ein. Das verängstigte Winseln in seinem Inneren, das nur er und David hören konnten, war von der Ungefährlichkeit der Situation alles andere als überzeugt. David warf seinem Freund einen wissenden Blick zu und berührte ihn kurz an der Schulter.

Eine Zeit lang liefen sie schweigend durch die Straßen, das Wasser rann ihnen in die Kragen, die Hosen klebten nass an ihren Oberschenkeln. Dabei machte die Nässe Jannik deutlich weniger zu schaffen als David, der immer wieder übellaunig zum schwarzen Himmel aufsah. Jannik ärgerte sich nur darüber, bei dem Regen nicht rauchen zu können. Burek lief einige Schritte wie eine Vorhut voraus, dicht an den Hausmauern entlang, um wenigstens etwas Schutz vor dem Unwetter zu finden. Er hatte die Ohren angelegt, die Rute eingezogen und sah sich immer wieder nach den beiden Männern um, als sei ihm die Stille unheimlich.

»Meta hat mich gesehen und auch wiedererkannt«, sagte David schließlich. Dabei ging er unbeirrt weiter, hielt den Kopf jedoch gesenkt, als wolle er dem Regen keine Chance geben, ihm ins Gesicht zu fegen. »Da war so ein Ausdruck auf ihrem Gesicht, als würde sie sich einen räudigen Straßenköter anschauen. Vielleicht ist ihr in diesem Moment ja klargeworden, mit wem sie sich da eingelassen hat. Jedenfalls schien es ihr klüger, sich im Hintergrund zu halten, während dieses aufgetunte Miststück von Kollegin mich Richtung Ausgang gebissen hat. Was für eine idiotische Idee, ihr ausgerechnet ein Bild zu schenken. Eine Galerie, verflucht! Du hast diesen Laden ja gesehen – todschick. Und ich Schwachkopf geh da trotzdem rein und versuche eine nette Zufallsnummer in ... ja, in was eigentlich zu verwandeln?«

Janniks Hand fuhr unwillentlich zu der Haarinsel auf seinem Hinterkopf und zupfte an den nassen Fransen. »Das mit der Galerie konntest du doch nicht wissen«, sagte er, um seinen Freund etwas zu beruhigen. »Hör mal, wir sind den ganzen Tag unterwegs gewesen, sind sogar in Maggies Revier eingedrungen, um Metas Wohnhaus zu finden. Aber was hätten wir da ausrichten können? Dumm herumstehen, bis uns Maggies Grenzwächter den Hintern aufreißen? Das Geschenk einfach so vor ihrer Tür abstellen? Mann, die Galerie befindet sich wenigstens auf neutralem Boden.«

Doch David machte nicht den Eindruck, als ob ihn irgendetwas beruhigen könnte. »Wenn es richtig schlecht läuft, denkt sie noch, dass ich mich mit meinen Bildern aufdrängen will. Warum, zum Teufel, bin ich da bloß reingegangen? Wenn ich nur einen Augenblick lang nachgedacht hätte.«

»Nun komm schon«, sagte Jannik und streckte vorsichtig die Hand aus, um Davids Arm zu berühren, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Was er gleich sagen wollte, würde seinem Freund sicher nicht gefallen. Aber wenn er Davids Verhalten richtig einschätzte, brauchte sein Freund einen Schuss vor den Bug, bevor er sich noch mehr in diese heillose Geschichte verrannte. »Das mit dir und dieser Frau, das war doch bloß ein bisschen Ficken. Mit einer zweiten Nummer wird es offensichtlich nichts, was soll’s. Ist doch besser so, als wenn sie sich eine Liebesgeschichte erhofft hätte. Das hätte die Sache doch erst recht schwierig gemacht.«

Zu Janniks Beunruhigung nickte David lediglich vage, ohne seinen Blick zu erwidern. Wirklich überzeugt sah er nicht aus. Wenn David sich tatsächlich etwas in dieser Richtung erhoffen sollte, war es besser, ihm gleich klar und deutlich zu sagen, dass er sich das abschminken musste. Sehr viel besser, als anschließend seine Reste einzusammeln, wenn Hagen mit ihm fertig war.

»Das mit Liebesgeschichten ist nichts für uns beide, David«, sagte Jannik deshalb leise. »Es in einer Nacht mal knallen zu lassen, ist ja okay. Da lachen alle anderen drüber und kraulen sich gegenseitig die Eier, während sie dreckige Witze reißen. Aber wenn du anfängst, dich auf jemanden einzulassen, der nicht zu uns gehört ... Du weißt doch genauso gut wie ich, wie das dann läuft.«

David hielt den Kopf immer noch gesenkt, aber bevor Jannik erleichtert ausatmen konnte, sah David auf. »Vielleicht hätte ich Hagens Angebot, im Rudel aufzusteigen, doch nicht so leichtfertig ausschlagen sollen«, sagte er mit rauer Stimme, als fiele es ihm schwer, die Worte hervorzubringen.

Mit aufgerissenen Augen setzte Jannik einen Schritt zurück. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Wir werden sehen.«

Wintermond

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