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Kapitel 7 Kaffeetrinken
Оглавление»Hallo, ich wollte fragen, ob du vielleicht Zeit und Lust auf einen Kaffee hast? Ich kann zur Versüßung der Pause sogar ein paar Trüffel beisteuern.« Rahel war in der Tür stehen geblieben und hielt eine durchsichtige Zellophanpackung in die Höhe, in der sich cremefarbene Pralinen türmten. »Himbeer-Chili – klingt das schick genug für dich?«
Meta wedelte mit der Hand, unfähig, den Blick vom Schreibtisch zu lösen. Doch dieses Zeichen reichte Rahel aus, und sie schlüpfte ins Büro, wobei ihr versehentlich heißer Kaffee über das Handgelenk lief. Hastig stellte sie die beiden Becher auf dem Schreibtisch ab und ignorierte Metas missbilligendes Naserümpfen angesichts der Flecken.
Entspannt sank Rahel in einen der üppig gepolsterten Besuchersessel und wischte das Handgelenk an ihrer Stoffhose trocken. Wenn Meta jemandem die Frau aus der Buchhaltung hätte beschreiben müssen, so hätte sich dieses Bild hervorragend angeboten. Denn so war Rahel: eine entspannte, pragmatisch veranlagte Frau mit dunklem Lockenhaar, das – obwohl sie erst Mitte dreißig war – von ersten grauen Strähnen durchzogen war. Rahel kümmerte sich nicht um solche Eitelkeiten, die in ihren Augen reine Zeitverschwendung waren. Genauso wenig wie um ihre üppigen Hüften und den Bauch, der gerade unter dem Poloshirt hervorblitzte. Für Meta, die mit einem Bekanntenkreis gestraft war, für den eine Rubensfigur so abstoßend schien wie schwarz verfärbte Zahnstumpen, war Rahel zu einem Ruhepol in ihrem überspannten Alltag geworden.
Diese gemeinsamen Pausen hatten sich seit einigen Monaten eingebürgert. Meta konnte gar nicht mehr sagen, wie es dazu gekommen war, und auch nicht, was sie und Rahel sich eigentlich zu erzählen hatten. Von außen gesehen waren sie zwei vollkommen verschiedene Frauen, in deren Leben es kaum Berührungspunkte gab. Nichtsdestotrotz verging die Zeit immer rasend schnell und mit viel Gelächter. Nicht diesem schrillen Lachen, bei dem man sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchte, weil ja alles so schrecklich witzig war, sondern mehr ein lockeres Glucksen.
»Himbeer-Chili?«, wiederholte Meta mechanisch, und doch schwang eine Mischung aus Verlangen und einem Hauch von Panik mit. Unter der cremefarbenen Hülle zeichnete sich ein zart pinkfarbener Kern ab. Unwiderstehlich. »Na, dann gibt es heute Abend wohl wieder nur Miso-Suppe.«
Rahel beobachtete, wie Meta sich über den zu groß geratenen Schreibtisch beugte, um sich eine Trüffel und den Kaffeebecher zu angeln. »Da ist Vollmilch drin«, sagte sie und bereute den Kommentar sofort, weil Meta sich anschickte, den Becher wieder wegzustellen. »Komm, das war ein Scherz. Aber du würdest dieses Hängerchen wirklich besser ausfüllen, wenn du ein wenig mehr auf den kippen hättest.«
Meta blinzelte getroffen, denn eigentlich gab sie Rahel Recht: Selbst Meta konnte ihre staksigen Beine und ihr hageres Dekolleté nicht ausstehen. Noch weniger gefiel ihr allerdings der Gedanke, nicht dem Bild von einer attraktiven Frau zu entsprechen, das in ihrem Umfeld vorherrschte.
Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, sagte Rahel: »Aber was verstehe ich schon von Mode, die aussieht wie ein paar gefältelte Stoffbahnen.« Ihr Augenblinzeln dabei verriet, dass auch Rahel sich der Unterschiede zwischen ihnen beiden bewusst war.
Einen Augenblick lang stellte Meta sich vor, wie Rahel abends mit einigen Freundinnen dicht gedrängt auf einer Couch saß, während irgendein alter Spielfilm lief. Die Frauen hielten Bierflaschen in den Händen, zwischen ihnen eine Schale Chips, so dass von allen Seiten kräftig zugelangt werden konnte.
Vielleicht versuchte Rahel in solch einem Moment, ihren Freundinnen Meta zu beschreiben: »Ihre Fingernägel sind immer blau angelaufen unter dem Lack, weil sie außer Kaffee nichts im Magen hat und in diesen kompliziert geschnittenen Fähnchen friert. Aber man stellt sich eben nicht mit einem Hosenanzug in die Galerie, als würde man in einer Bank arbeiten. Kunst ist schick, da darf man nicht so rüberkommen, als würde man bloß einem Job nachgehen.«
»Also ist das Einzige, was euch verbindet, das Kaffeetrinken«, stellte eine Frau fest, deren blondes Haar dem Fell eines Straßenköters glich. Bestimmt fristet sie ihr Leben in einer Versicherungsgesellschaft, entschied Meta. »Das ist nicht viel.«
»Na ja«, erwiderte Rahel, als fiele es ihr schwer, die Beziehung in die richtigen Worte zu fassen. »Irgendwie passt das schon.«
Genau, irgendwie passte das schon, auch wenn Meta wahrscheinlich niemals auf diese Couch eingeladen werden würde. Aber sie hatte ja selbst genug Freundinnen. Die sahen ihr allerdings alle so ähnlich, dass es ihr manchmal vorkam, als blicke sie ständig in einen Spiegel. Dafür brauchte sie Rahel nicht.
Während Meta ihrer Fantasie freien Lauf ließ und an einer Trüffelpraline knabberte, trank Rahel ein paar Schlucke Kaffee. Dann deutete sie auf das nasse Paket, auf dem Metas freie Hand besitzergreifend ruhte.
»Ist das schon das Kunstwerk oder steckt da eins drin?«
Augenblicklich bekam Metas blasses Gesicht Farbe, und sie strich einige der Papierfetzen glatt. »Das ist ein Geschenk«, sagte sie und verspürte das Bedürfnis, Rahel alles über David zu erzählen. Aber das war unmöglich, hier in ihrem cleanen Büro mit den ausgesuchten Werken an den Wänden und dem Panoramafenster, das direkt auf die Hauswand des Nachbargebäudes zeigte. Rinzo hatte das sehr lustig gefunden, als sie die Galerie eingerichtet hatten: eine Aussicht auf Beton, haha. Aber er hatte das Büro dann doch nicht selbst beziehen wollen.
»Und willst du es nicht auspacken?«
»Ich glaube, ich weiß schon, was drin ist.«
»Ja, und?«
Widerwillig machte Meta sich daran, das Papier abzuziehen. Zum Vorschein kam das gut ein Meter hohe Bild, das sie in Davids Wohnung gesehen hatte. Auch von nahem dieselbe Faszination auf sie aus, dennoch erkannte Meta sogleich, dass die Acrylfarbe nicht mit sonderlich ausgefeilter Technik aufgetragen worden war. Enttäuscht stellte sie fest, dass es keine Signatur gab. Auch auf der Rückseite der Leinwand war keine Spur des Künstlers zu finden.
»Keine Liebesgrüße?«, fragte Rahel. Sie streckte die Hand nach dem Bild aus, und als Meta zögerte, hielt sie ihr die Trüffel zum Tausch hin. Meta legte den Kopf schief, doch schließlich ging sie auf den Handel ein. Mit krauser Stirn betrachtete Rahel die Leinwand. Nach einiger Zeit drehte sie sie auf die Seite und dann auf den Kopf, ohne dass sich auf ihrem Gesicht so etwas wie Verständnis abzeichnete.
»Für mich sieht das aus wie Malen nach Zahlen.«
Den Mund voller Himbeer-Mousse streckte Meta beleidigt die Hand aus, aber Rahel ignorierte sie.
»Du hältst es verkehrt herum«, brachte Meta mit schwerer Zunge hervor und griff nach ihrem Kaffeebecher. »So herum gehalten, steht das Gebäude auf dem Kopf.«
»Und woher willst du das wissen? Gibt es hier vielleicht versteckte Hinweise, die für Menschen aus der Buchhaltung unsichtbar sind?«
Gereizt sprang Meta auf die Beine und holte sich das Bild kurzerhand zurück. Wie einen Schatz presste sie es gegen ihre Brust, als befürchte sie, Rahel würde es ihr sonst rauben.
Rahel blickte sie verblüfft an, dann musste sie schmunzeln. »Diesem Bild haftet ein irrer Geruch an, zwar nur leicht, aber ignorieren kann man ihn nicht«, sagte sie herausfordernd. »Gehört das dazu? Ich meine, so eine Art künstlerischer Trick?«
Meta lächelte verträumt. Die Spur des markanten Duftes, den sie als Erstes an David wahrgenommen hatte, war ihr auch schon aufgefallen. »Duftet großartig, nicht wahr? Wonach riecht es deiner Meinung?«
Rahel kratze sich am Hinterkopf. »Ich weiß nicht ... irgendwie ... wow.« Als sie Metas eifriges Nicken sah, grinste sie. »Ich glaube, ich möchte gern ganz genau wissen, was es mit diesem geheimnisvollen Geschenk auf sich hat. Oder wohl eher mit dem Spender. Das ist das erste Mal, dass ich dich so aufgeregt sehe. Dabei verlierst du doch nicht einmal die Nerven, wenn einer von Rinzos Künstlern vor versammelter Kundschaft seine eigenen Werke bepinkelt, weil er glaubt, damit einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Wer verbirgt sich hinter diesem Bild?«
Meta hielt ertappt inne, dann erzählte sie atemlos die Geschichte, wie sie betrunken in Davids Bett gelandet und am nächsten Morgen darin aufgewacht war. Wie sie das Bild gesehen und er sie schon im nächsten Moment zum Gehen aufgefordert hatte. Als sie mit der nur vage erinnerten Taxifahrt endete, war sie trotz der kühlen Temperaturen in ihrem Büro und ihres schulterfreien Hängerchens ins Schwitzen geraten. Schau mal an, dachte sie. So verwegen und zugleich peinlich berührt habe ich mich das letzte Mal gefühlt, als ich meiner Studienfreundin Bea zwischen zwei Seminaren von einem Abenteuer mit unserem Professor erzählt habe.
Während der ganzen Zeit hatte Rahel sie mit einem Hauch von Begeisterung angeschaut und sie kein einziges Mal unterbrochen. Vermutlich hatte Meta alles ausgeplaudert, weil sie es einfach nicht gewohnt war, so viel Redezeit zugestanden zu bekommen. Normalerweise wurde man in ihren Kreisen relativ schnell mit schrillem Quietschen, Seitenhieben oder der Langeweile geschuldeten Themenwechseln unterbrochen.
»Klingt so, als hätte Karl ernsthaft Konkurrenz bekommen«, sagte Rahel nun mit einem breiten Grinsen. »Ein junger, knackiger Kerl.«
»Nein, nein, so ist das nicht«, unterbrach Meta sie in gehetztem Ton. »Das war nur Spaß. Ich meine, warum soll nur Karl gelegentlich eine Abwechslung genießen? Außerdem ist David jünger als ich, und ich glaube ... Ich weiß, das klingt jetzt unmöglich, aber er lebt in eher schlichten Verhältnissen. Nicht, dass er deshalb auch schlicht oder einfach gestrickt wäre. Es ist nur so: Wenn Karl David sehen würde, würde er mich wahrscheinlich auslachen. Das wäre keine Affäre, sondern ein Witz für ihn.« Ihre eigenen Worte berührten Meta auf peinliche Weise.
Ein Schatten huschte über Rahels Gesicht, aber was auch immer ihr bei diesen Sätzen durch den Kopf ging, sie behielt es für sich. Stattdessen hob sie den Kaffeebecher an ihren Mund, um anschließend einen enttäuschten Blick hineinzuwerfen, weil er leer war. »Trotzdem ist es eine spannende Geschichte«, sagte sie nachdenklich. »Ich mag Happy Ends, da bin ich wirklich ganz altmodisch. Es ist doch sehr niedlich, dass dieser David jetzt nach über einer Woche in der Galerie auftaucht, um dir das Bild zu schenken.«
Statt einer Antwort lächelte Meta versonnen. Jetzt, da sie die Geschichte das erste Mal jemandem erzählt hatte, konnte sie ihr auch etwas Romantisches abgewinnen. Denn das Geschenk warf ein anderes Licht auf die triebgesteuerte Leidenschaft der einen Nacht. Wenn es dabei geblieben wäre, hätte sie es Rahel auch auf keinen Fall erzählt, ganz gleich, ob ihr David unentwegt durch den Kopf spukte oder nicht.
»Ja, das hat mich wirklich gerührt. Besonders, da ich nicht damit gerechnet habe, ihn überhaupt wiederzusehen. Die Verabschiedung am Morgen ist ja recht übereilt ausgefallen.«
»Wie hat er dich eigentlich gefunden? Hast du ihm erzählt, dass du in dieser Galerie arbeitest, oder ihm deine Visitenkarte dagelassen?«, fragte Rahel auf einmal in einem derart nüchternen Ton, als erkläre sie Meta das Ergebnis der monatlichen Abrechnungen.
»Nein, keine Visitenkarte.« Meta biss sich auf die Unterlippe, während ihre Finger über den Innenrahmen aus rissigem Holz wanderten. »In der Nacht hatte ich, wie gesagt, einige Blackouts. Aber ich schwöre, wir haben uns nicht wirklich viel unterhalten. Höchstens ein paar Sätze, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die sich um die Arbeit gedreht haben.«
»Dann muss der Bursche wohl einer von der findigen Sorte sein, wenn er dich trotzdem aufgestöbert hat. Erwartet er jetzt dasselbe von dir? Schließlich hat er dir weder seine Telefonnummer noch sonst etwas hinterlassen.«
»Wahrscheinlich geht er davon aus, dass ich mich noch daran erinnern kann, wo er wohnt.«
Meta ließ die Schultern hängen. Eigentlich hatte sie immer gedacht, ihre Geburtsstadt in- und auswendig zu kennen, doch in Davids Viertel hatte es sie auch bei ihren nächtlichen Ausflügen noch nie hin verschlagen. In seiner Gegend reihten sich die Mietshäuser trist aneinander, die Bordsteine sahen verwahrlost aus. Ein Block voller Kasernen, unmöglich, sich dort an einem Herbstmorgen nach unzähligen Margaritas zurechtzufinden. So romantisch Meta das Ganze eben noch erschienen war, so abgeschlossen wirkte es jetzt: Sie würde David für das Bild keinen Dank übermitteln können. Und nach dem Blick zu urteilen, den er ihr in der Galerie zugeworfen hatte, würde er bestimmt nicht vorbeikommen, um ihn sich persönlich abzuholen.