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Kapitel 1 Lockende Schatten

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Die Süße des Cocktails hatte sich auf ihre Lippen gelegt, und obwohl Meta sie unauffällig abzulecken versuchte, blieb sie hartnäckig an Ort und Stelle. Es fühlte sich glatt an, wenn Meta mit der Zungenspitze darüberfuhr. Kandiert – viel besser als jeder Nachtisch, der auf der Speisekarte des kleinen Restaurants gestanden hatte.

Meta lachte leise in sich hinein und legte im nächsten Moment schützend die Hand vor den Mund. Wenn eine ihrer Freundinnen mitbekommen sollte, dass sie beschwipst genug war, um albern zu kichern, würden sie sie kurzerhand ins nächste Taxi setzen. Aber allein nach Hause zu fahren, war so ziemlich das Letzte, was Meta sich an diesem Abend wünschte. Nein, sie wollte hierbleiben, die flirtenden Menschen beobachten und noch mehr Cocktails trinken.

Es war schon seltsam, dass dieses mondäne Vierer-Kleeblatt von Freundinnen ausgerechnet in einer Tapas-Bar gelandet war. Auf die rot getünchten Wände waren Kakteen gemalt, deren Umrisse unter der Sonnenglut flimmerten. Wer auch immer dieses Kunstwerk zustande gebracht hatte, hatte genau gewusst, was er tat. Diese Meinung behielt Meta allerdings tunlichst für sich, denn die drei anderen Frauen hatten sich erst nach mehreren Gläsern Wein mit dieser doch recht gewöhnlichen Umgebung abgefunden. Es war auch nicht besonders hilfreich gewesen, dass die anderen Gäste keine Chance ungenutzt hatten verstreichen lassen, um die edel gekleideten Freundinnen ungeniert zu mustern. Oder dass sie die Frauen amüsiert dabei beobachteten, wie sie kerzengerade auf den Holzstühlen saßen und ihr Essen weitgehend unangetastet wieder zurückgehen ließen. Nicht, dass es etwas an der Tapas-Auswahl zu mäkeln gegeben hätte – sie war nur schlicht und ergreifend tödlich für jede schlanke Linie.

Die Galerie-Eröffnung, die die vier Frauen zuvor besucht hatten, hatte sich als gnadenlos überlaufen entpuppt. Was sich kaum anhand der ausgestellten Werke erklären ließ – Pyramiden von kleinen blauen Plexiglasschachteln mit verderblichem Zeug im Inneren, das sicherlich schon bald unangenehm riechen würde. Dass die Gäste trotzdem dicht an dicht standen und sich nach einigen Gläsern Sekt nicht mehr sonderlich darum kümmerten, wenn sie die Kunstwerke umstießen, hatte sicherlich viel mit der Lage der neuen Galerie zu tun: Sie war im Herzen einer der lebendigsten Amüsiermeilen der Stadt eröffnet worden. Das Paar, das die Galerie leitete und selbst der Künstlerszene entstammte, hatte sich zu diesem Einfall gratuliert, denn in diesem Viertel mussten sie kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie die Ausstellungsräume erst zur Dämmerstunde öffneten – vorher ließ sich hier sowieso kein Mensch blicken.

Nachdem die vier Frauen sich mit allen Gästen, die von Bedeutung waren, über die laute Musik hinweg angeschrien hatten, war beschlossen worden, sich in eins der vielen kleinen Restaurants dieser Straße zu flüchten. Dabei fühlte sich der Besuch dieser Tapas-Bar wie das Betreten von Neuland an und zeigte Meta nur, wie sehr sie und ihre Freundinnen sich in den letzten Jahren zu Snobs entwickelt hatten. Sie selbst hatte sich dabei erwischt, wie sie kritisch den Holzstuhl begutachtet hatte, bevor sie sich mit ihrem hellen Seidenkleid darauf niederließ. Die Nächte, in denen sie Bier aus Flaschen in irgendwelchen Hinterhäusern getrunken hatte, wo sich mittellose Künstler herumtrieben, waren nicht nur passé, sondern auch schon eine ganze Weile her.

Es ist wirklich mal an der Zeit für ein wenig Abwechslung, dachte Meta, während sie unauffällig Salzreste vom Glasrand leckte. Immer nur schicke Restaurants und zu Tode geplante Dinners bei Bekannten, deren Wohnungen mit jedem Jahr mehr wie Ausstellungsräume aussahen, war auf die Dauer doch nicht das Wahre.

Derartig beschwingt, ließ Meta sich dazu hinreißen, Eve, deren gelangweilter Blick sie gerade streifte, ein Lächeln zu schenken. Einen Moment funkelte so etwas wie Abneigung in Eves sorgfältig geschminkten Augen auf, dann erwiderte sie das Lächeln und rückte mit ihrem Stuhl näher. Marie und Sue, die gerade in einer mit vielen Ausrufezeichen versehenen Unterhaltung versunken waren, sahen gleichzeitig auf.

Als Eve sich über die Stuhllehne zu ihr hinüberbeugte, bereute Meta ihre Charmeoffensive sofort. Denn in einem Augenblick von Aufrichtigkeit musste sie sich eingestehen, dass sie schon ordentlich angetrunken war und sich deshalb viel lieber hätte weiterhin treiben lassen, als sich mit der scharfzüngigen Eve auseinanderzusetzen. Außerdem fühlte sie sich unwohl, wenn ihr die Frau mit ihrem aufdringlichen Parfüm zu dicht auf den Leib rückte. Als ahnte Eve etwas von dieser Abneigung, rutschte sie dichter an Metas Seite und legte ihr einen Arm um die Taille. Reine Schikane. Metas Lächeln zerfiel zu einigen kläglichen Resten, während sie das Bedürfnis unterdrückte, nach Luft zu schnappen.

Wenn Meta ganz ehrlich war – und nach vier Margaritas auf fast nüchternen Magen war sie das –, gab sie zu, dass sie Eve ebenfalls nicht ausstehen konnte. Sie misstraute dem Ehrgeiz, der die drahtige Eve wie ein Schutzpanzer umgab. Der abschätzende Blick, mit dem sie ihr Umfeld unentwegt taxierte, um alles umgehend in etikettierte Schubladen zu stecken. All das weckte in Meta den Wunsch, irgendetwas Unerwartetes zu tun, das Eves starre Weltsicht wenigstens für einige Sekunden ins Schwanken brachte. Allerdings blieb es lediglich bei der befriedigenden Vorstellung von einer Ms. Eisblock, die die Fasson verlor. Denn Meta war nicht sonderlich erfahren darin, aus der Rolle zu fallen.

»Du bist wirklich ein tapferes Mädchen, das muss ich dir einmal sagen«, zwitscherte Eve ihr ins Ohr. Als Meta sie fragend anblickte, zeigte sie ihre Zähne, die trotz des rötlichen Dämmerlichts ungewöhnlich weiß aufleuchteten. »Dass du mit Karl weiterhin befreundet sein kannst – ich finde, das zeugt von deiner reifen Persönlichkeit. Nein, eigentlich mehr von ... na, du weißt schon ... Großmut.«

Allein Karls Name führte nun dazu, dass Metas Magen androhte, die Cocktails wieder retourzuschicken. Obwohl sie fest damit gerechnet hatte, dass Karl auch an diesem Abend ein Thema sein würde, irritierte sie etwas an Eves Wortwahl.

Mittlerweile täuschten Marie und Sue nicht einmal mehr vor, ein Gespräch zu führen, und sahen Meta mit Kummerfalten auf der Stirn an. Wenn sie nicht ein so gut erzogenes Mädchen wäre, dann hätte Meta jetzt einfach mit den Schultern gezuckt und ihr Gesicht hinter dem Rand des Cocktailglases versteckt, um alle unfreundlichen Gedanken fortzuschieben. Doch ihre Freundinnen hatten sie längst mit ihrer Fürsorge umzingelt und warteten auf eine Antwort.

»Nun, es ist ja nicht das erste Mal, dass Karl und ich uns eine Auszeit nehmen, deshalb bin ich eigentlich auch nicht sehr unglücklich. Bislang ging es uns danach jedes Mal ein wenig besser. Ab und zu braucht es etwas Distanz, um sich neu zu entdecken.«

Diese Erklärung hatte Meta im Lauf der gemeinsamen Jahre mit Karl immer mehr verfeinert. Sie waren beide anspruchsvolle, intellektuelle Menschen, da war es nicht weiter verwunderlich, dass sie sich nicht wie ein verheiratetes Paar aus der Vorstadt aufführten. Wie viel Schlaf sie diese regelmäßigen und von vielerlei Diskussionen begleiteten Auszeiten kosteten und wie oft sie sich dabei ertappte, allein und einsam an ihrem Esstisch zu sitzen und in ein Weinglas zu starren, bedachte sie dabei lieber nicht. Vielleicht fiel es ihr auch einfach nicht mehr auf, denn der Glanz der gemeinsamen Zeit mit Karl war inzwischen verblasst.

»Du hast ja Recht, Meta«, erwiderte Marie sofort. Trotzdem presste sie ihre mit Cocktailringen geschmückte Hand gegen die Brust, als fühle sie dort einen tiefen Schmerz. »Immerhin amüsierst du dich ja auch gut, nicht wahr?«

»Amüsieren?« Meta drehte das Wort in ihrem Mund wie einen Fremdkörper. Nun, sie hatte sich nach einem anstrengenden Tag, den sie größtenteils in der Gesellschaft eines grauenhaft ordinären Geschäftsmanns und dessen Anlageberaters verbracht hatte, ordentlich einen angetrunken und wollte nun einfach nur entspannt dasitzen. Warum auch nicht? Schließlich hatten sich ihre Freundinnen seit dem Verlassen der Galerie nur noch über ihre Inneneinrichtungen und den neuesten Klatsch der Kunstszene unterhalten. Desto unvermittelter traf Meta jetzt dieser Themenwechsel. Doch für einen Absprung war es zu spät, wie die mitleidigen Blicke, die zwischen den drei Freundinnen ausgetauscht wurden, bezeugten.

»Karl amüsiert sich also gut?«, fragte Meta in unsicherem Ton. »Meinen Segen hat er.«

»Tatsächlich, ist das so?« Eve machte keinen Hehl daraus, dass sie ihr diese glattzüngige Reaktion nicht abnahm. Die Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich, der Klammergriff um Metas Taille wurde merklich gelockert. »Dann müssen wir uns ja keine Gedanken machen, wenn er sich mit der guten Reese Altenberg in der Horizontalen vergnügt, anstatt diese albernen Ölschinken zu bewerten, die sie von irgendeinem ihrer unzähligen Verwandten geerbt hat.«

Im letzten Augenblick schluckte Meta die ungläubige Frage, die ihr schon auf der Zunge lag, wieder hinunter. Die Gesichter ihrer Freundinnen verrieten sowieso die Antwort. Eves Mund glich nach wie vor einem Strich, was nichts anderes bedeutete, als dass Meta nur bekommen hatte, was sie verdiente. Während Sue mit dem Fingernagel die Kanten des Tisches abfuhr, schaute Marie sie unverändert mit sorgenvoller Miene an.

Wie nett, dachte Meta. Und damit kommen sie mir erst jetzt, nachdem wir den ganzen Abend miteinander verbracht haben. War es ihnen die Stunden zuvor entfallen? Oder haben sie mein Gesicht nach Spuren abgesucht, ob ich es nicht vielleicht schon wusste? Obwohl es ihrem Stolz zuwiderlief, nahm sie die frische Margarita an, die Sue fürsorglich geordert hatte, und trank sie aus. Ihr Magen zog sich kurz und schmerzhaft zusammen, aber dann war auch er zu betrunken, um sich weiter zu beschweren.

»Karl kann sich amüsieren, mit wem er will. Schließlich sind wir zurzeit kein Paar.« Herausfordernd schob Meta das Kinn vor, aber selbst in ihren Ohren klangen diese Worte nach kindischem Trotz. Schlimmer jedoch war, dass sie ihre Verletztheit nur schlecht verbergen konnte.

»Nun, das tut er ja auch ausgiebig, wie man so hört«, erklärte Eve mit einem schnippischen Ton, für den Meta ihr nur allzu gern den Cocktail über den Kopf gegossen hätte, wenn davon noch etwas im Glas gewesen wäre.

»Wir wollten nur vermeiden, dass du es hintenherum erfährst. Außerdem war es uns wichtig, herauszufinden, ob dich Karls Affäre nicht allzu sehr belastet.« Während Sue sprach, widmete sie die ganze Aufmerksamkeit ihren Fingernägeln, unter denen offensichtlich ein Splitter vom Tisch hängen geblieben war. Dabei übertönte ihre im Auktionshaus geschulte Stimme spielend leicht den Geräuschpegel des Restaurants, einer Mischung aus Salsamusik, Geschirrgeklapper und Gesprächsfetzen.

Wahrscheinlich haben euch Karls Affäre und meine Unwissenheit die Feierabende am Telefon versüßt, dachte Meta bissig. Doch im nächsten Augenblick schossen ihr Tränen in die Augen, und als Marie ihr tröstend übers Haar strich, hätte Meta sich fast gehenlassen. Wie leicht wäre es gewesen, einfach zu weinen und sich von ihren Freundinnen beschwichtigende Worte ins Ohr flüstern zu lassen, während sie ihr den Rücken tätschelten. Wie gut hätte ihr das Gefühl von Nähe und Vertrautheit getan, genau wie die Bestätigung, dass sie unter Karls Herzlosigkeit leiden durfte, ganz gleich, ob sie nun ein Paar waren oder nicht. Doch Meta kannte ihre Freundinnen zu gut und zu lange und erriet daher mühelos ihre Meinung zu diesem Thema: Ein Mann wie Karl gehörte an die lange Leine, und Meta standen überbordende Gefühle nicht gut zu Gesicht.

Als wolle sie Metas Überlegungen bestätigen, sagte Marie sanft: »Es ist ja so, wie du sagtest: Karl und du – im Augenblick seid ihr kein Paar.«

»Ja«, erwiderte Meta leise und ärgerte sich über das Zittern in ihrer Stimme. Ohne einen weiteren Kommentar abzuwarten, stand sie auf und griff nach ihrer Clutch, um ein paar Geldscheine hervorzuholen. »Nehmt es mir nicht übel, aber ich möchte jetzt gehen.«

»Warte«, sagte Marie und versuchte, eilig aufzustehen, aber ihr hautenger Rock machte ihr einen Strich durch die Rechnung. »Wir können uns doch ein Taxi teilen, so wie sonst auch immer.«

Meta war bereits auf dem Weg in Richtung Ausgang. »Lass nur. Die Nacht ist schön, und ich will noch ein paar Schritte laufen.«

»Laufen? Das ist doch wohl nicht dein Ernst.«

Meta ignorierte das ungläubige Schnaufen ihrer Freundinnen und eilte aus der Tapas-Bar.

Die Nacht war wirklich schön. Zwischen den Straßenschluchten hatte sich die Wärme des Tages gehalten, aber zu dieser späten Stunde ging ein leichter Wind, der die vielen erhitzten Nachtschwärmer ein wenig abkühlte. Alle Gedanken beiseitedrängend, tauchte Meta in die Menge ein und ließ sich treiben. Die vielen funkelnden Lichter fesselten sie, sorgten jedoch zugleich dafür, dass ihr zusehends schwindliger wurde. Ihre Sinne überschlugen sich, und inmitten des ausgelassenen Trubels sehnte sie sich plötzlich nach Halt. Halt, den es in ihrem Leben nicht gab, obwohl sich nach außen hin alles in perfekten Bahnen bewegte. Ihre Vorzeigefamilie, ihr spannender Beruf als Galeristin, Karl, der sicherlich bald wieder an ihre Türe klopfen würde.

Bevor das Unglück der letzten Wochen auf sie einstürmen konnte, beschleunigte Meta ihren Schritt, als sie plötzlich eine Lücke im Gedränge ausmachte ... als träten die Menschen, ohne es selbst zu bemerken, beiseite, um ihr einen geheimen Weg zu offenbaren. Ein Kellergang ... ein dunkler Ort, der sie magisch anzog ... Während Meta noch über diese märchenhafte Vorstellung staunte, fand sie sich an einer Bar wieder, mit einer halbleeren Margarita vor sich. Leicht verwirrt blickte sie sich um. Offensichtlich war sie in einem der vielen Clubs gelandet, die in den Kellerräumen dieser Straße zu finden waren. Auch hier war kaum mehr ein Fuß an den Boden zu kriegen, die zum Rhythmus wippenden Schatten standen dicht an dicht gedrängt. Zwar war der Raum – von einem gelegentlich blitzartigen Licht einmal abgesehen – in Dämmerlicht getaucht, laut und unerträglich stickig, aber genau das gefiel Meta. Ein wunderbarer Gegenentwurf zu ihrer Alltagswelt der Galerie und ihrem gestylten Apartment, in dem jeder Schritt hallte. Selbst die Farbe des Cocktails zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht.

Da ihre Hände zitterten und ihr bereits ein Schwung des Getränks über die Finger gelaufen war, versuchte sie, jeden Anflug von Melancholie zu unterdrücken. »Amüsieren«, sagte sie zu sich selbst. Ein gutes Motto. Amüsieren klang so viel besser, als sich zu Hause allein die Augen auszuweinen.

Sie spürte eine Berührung am Arm und glaubte schon, dass Marie ihr vor lauter Sorge bis in den Club gefolgt war. Doch es war ein Fremder, der neben ihr an der Bar gestanden hatte und sich nun zum Gehen abwandte. Meta erhaschte nur noch einen Blick auf sein dunkles Haar und ein ebenso dunkles T-Shirt, aber eine Spur seines Geruchs blieb zurück und rief in ihr eine Flut von Impressionen wach. Frisch geschlagenes Holz und Laub, aber auch etwas Schwereres, das von einem Körper in Bewegung erzählte. Eindringlich, vielleicht sogar ein wenig zu herb, meinte ihre Nase, die von dem Duft prickelte. Meta schüttelte unbewusst den Kopf. Nein, er war perfekt. Obwohl der Geruch ihr ungewöhnlich intensiv erschien, hielt sie es keinesfalls für ein raffiniertes Aftershave mit der Note Moschus. Es roch echt, sehr echt.

Metas Mund verzog sich zu einem Lächeln, während ihr unzählige Bilder durch den Kopf wirbelten, hervorgerufen durch den Duft des fremden Mannes. Einige Vorstellungen waren derart sinnlicher Natur, dass sie sich fast verlegen umgeschaut hätte, ob nicht jemand sie beobachtete und die schmutzigen Gedanken von ihrem Gesicht ablesen konnte.

Herrgott, dachte sie. Keine Margarita mehr für die Lady, oder sie fängt noch an, sich an fremden Männern zu reiben. Doch halt: Warum eigentlich nicht? Ein bisschen Vergnügen konnte schließlich nicht schaden – sagte sie sich und schaute sich um. Der Club war inzwischen in ein gedämmtes goldenes Licht getaucht, in dem sich die umherschwirrenden Gäste als weiche Schatten abzeichneten. Außerdem fiel es Meta schwer, den Blick geradeaus gerichtet zu halten. Alles war in Bewegung, ein einziges Durcheinander, in dem vereinzelt Gesichter und glitzernder Schmuck auftauchten und sofort wieder verschwanden. Von einem leichten Schwindel gepackt, widmete Meta sich wieder ihrem Cocktail.

Doch lange hielt es sie nicht an der Bar. Der Duft dieses Mannes hatte ihre Lebensgeister geweckt, und unruhig rutschte sie auf dem Barhocker hin und her. Als sie sich schließlich einen Weg durch den überfüllten Club bahnte, stellte sie fest, dass sie das mittlerweile leere Cocktailglas immer noch in der Hand hielt. Sie versuchte, es auf einem der Stehtische abzustellen, verfehlte die Platte aber, so dass das Glas zu Boden fiel und zersprang. Eine junge Frau, die von einer Scherbe am Bein getroffen worden war, schimpfte laut. Meta nuschelte eine halbherzige Entschuldigung, dann verschwand sie zwischen den tanzenden Leibern. Sie war heilfroh über die allgegenwärtige Enge, denn sie war sich nicht sicher, ob sie sich ohne sie lange allein auf den Beinen gehalten hätte.

Sie bewegte sich zum treibenden Rhythmus der Musik, wobei sich vor ihrem geistigen Auge das Bild eines sich sanft wiegenden Algenteppichs verdichtete. Obwohl Meta arge Probleme mit ihrem Gleichgewichtssinn hatte, streckte sie ihre Arme in die Höhe und glaubte einen Augenblick lang zu sehen, wie die Sonne sich an der Wasseroberfläche brach und ein blaues Schimmern auf sie niedersank. Sie schwankte leicht nach hinten und lachte dabei. Jemand stützte sie am Ellbogen ab, und noch bevor Meta sich bedanken konnte, stieg ihr wieder dieser markante Duft in die Nase, der von dem dunklen Stoff eines T-Shirts direkt auf ihrer Augenhöhe aufstieg.

»Hallo«, sagte Meta gedehnt und schmiegte kurzerhand die Wange an das T-Shirt, um diesem übersinnlichen Geruch noch näher zu sein. Es fühlte sich gut an, warm und verschwitzt. Und darunter schien sich ein männlicher Oberkörper zu verbergen, der es durchaus mit dem anregenden Duft aufnehmen konnte.

Meta schloss die Augen und überließ sich dem leichten Schwindel, während ein Mann in ihrer unmittelbaren Nähe verwirrt auflachte. Sie spürte noch, wie sie bei den Oberarmen gepackt wurde, dann geriet hinter ihrer Stirn alles durcheinander.

Es war ihr unmöglich, zu sagen, wie lange sie einfach so mit geschlossenen Augen dagestanden hatte. In der samtigen Dunkelheit fühlte sie sich geborgen, während sich ihre Glieder seltsam schwerelos anfühlten. Sie zwang ihre Augenlider erst wieder auf, als sie das Kratzen von Bartstoppeln auf ihrer Wange spürte. Die Musik war nicht mehr laut, sondern ein vibrierendes Pochen im Hintergrund, das ihren Körper erbeben ließ, während das Licht mit einem Mal sanft und diesig war.

Meta versuchte, sich zu konzentrieren, vor allem, weil die Umarmung, die sie eben noch auf den Füßen gehalten hatte, gelockert wurde. Nur einen Hauch von ihr entfernt streifte sich der Unbekannte das schwarze T-Shirt über den Kopf, wie sie erstaunt feststellte. Noch mehr erstaunt war sie allerdings, als der körperwarme Stoff ihren nackten Busen streifte. Benommen bemerkte sie, dass ihr Kleid um ihre Fußknöchel drapiert dalag und sie allem Anschein nach nur in Slip und T-Straps auf der Tanzfläche stand.

Vor Schreck hätte sie sich beinahe auf den Boden sinken lassen, dann wurde ihr bewusst, dass sie schon längst nicht mehr in dem überfüllten Club tanzte. Vor ihr zeichnete sich im Gegenlicht ein muskulöser Oberkörper ab, dessen Brust mit dunklen Haaren übersät war. Wow, schoss es Meta durch den Kopf. Dabei hatte sie so etwas eigentlich nie ausstehen können. Leicht wankend, streckte sie die Hand aus, um mit den Fingern durch die Brusthaare zu fahren.

Das Nächste, woran sie sich entsinnen konnte, waren kräftige Finger in ihrem Mund, an denen sie leidenschaftlich leckte. Sie schmeckten nach Margarita und etwas anderem. Aber bevor Meta hinter dieses Geheimnis kommen konnte, kitzelte sie eine Zunge unterhalb ihres Bauches. Vor Überraschung spannte sie die Bauchmuskeln an. Augenblicklich stieg Übelkeit ihre Kehle hoch, und die Ahnung von Margaritas weckte überhaupt keine aufregenden Bilder mehr.

Stöhnend richtete Meta sich auf und begriff erst in diesem Moment, dass sie auf dem Rücken lag, splitternackt, mit angewinkelten Beinen. Sie griff in das dunkle Haar des Fremden und schob seinen Kopf fort, so dass sie sich auf die Seite legen konnte. Dabei atmete sie tief ein und krallte ihre Finger in einen rot gebatikten Bettbezug, den sie noch nie in ihren Leben gesehen hatte. Hinter ihr geriet die Matratze in Bewegung, und ein verschwitzter Körper drängte sich an ihren Rücken, streifte ihren Hintern. Sie spürte den Atem des Fremden in ihrem Nacken, den er voller Leidenschaft zu küssen begann. Dazwischen biss er immer wieder einmal leicht zu, während seine Hand über ihre Hüfte wanderte.

Trotz der Übelkeit gab Meta sich den Liebkosungen hin, bis der Arm, auf dem sie sich abstützte, nachgab und ihr unbekannter Liebhaber, der ihr Verhalten missverstand, sie kurzerhand auf den Bauch drehte. Bevor sie protestieren konnte, sank sie benommen in die Kissen.

Als sie wieder auftauchte, hatte er sie schon auf alle viere hochgezogen, und Metas Arme drohten unter seinen Stößen erneut nachzugeben. Trotzdem war der eben noch rebellierende Magen vergessen. Ihr ganzer Körper war ein einziges Glühen und Pochen, das sich nach den Erschütterungen des Fremden sehnte. Meta gab sich ihrer Lust hin und nahm ihren Gespielen erst wieder wahr, als er auf sie niedersank. Sie spürte seinen prickelnden Bartschatten auf ihrer Schulter, auf die er seinen Kopf gebettet hatte. Sie spürte die verschwitzte Hitze seiner Haut, mit der er sie bedeckte, den tiefen Atem, als seine Brust sich vor Erschöpfung hob und senkte. Dann schlief Meta ein.

Wintermond

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