Читать книгу Todesruhe - Ein Fall für Julia Wagner: Band 2 - Tanja Noy - Страница 15

11. KAPITEL

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Die Lady und der Freak

Wie viele Stunden war sie schon hier?

Charlotte stellte fest, dass solche Kliniken ihre ganz eigenen Zeitzonen erzeugten. Während sie durch den schlecht beleuchteten Flur schritt, dachte sie daran, dass sie einmal von einem Krankenhaus geträumt hatte, das sich als Hölle herausstellte, in deren Mitte sich ein riesiger Kessel mit kochendem Wasser befand, in den die Pfleger und Krankenschwestern nach und nach einen Patienten nach dem anderen stießen.

Sie seufzte leise auf und riss sich zusammen.

Die nächste Tür wurde von einer attraktiven Frau mit langem, dunkelbraunem Haar geöffnet. Die Kleidung, die sie trug, ließ auf Geld schließen, und sie besaß das sichere Auftreten einer Person, die genau wusste, was sie wollte. Dazu zeigte ihr Gebaren keinerlei Anzeichen von Nervosität oder Unruhe. Im Gegenteil, sie schien völlig ruhig. „Mein Name ist Ilona Walter“, stellte sie sich vor und trat zur Seite. „Soll ich das Zimmer so lange verlassen?“

„Nein. Sie können bleiben.“ Erneut ein Zeichen an Tech, und der verschwand auf ein Neues im Badezimmer.

„Sie befinden sich gerade in der Parksuite“, begann Ilona in Reiseleiterimitation, während Charlotte wie immer mit dem Bett begann. „Ich habe das Zimmer so genannt, weil man von hier aus einen wunderbaren Blick auf den Park hat. Originell, nicht wahr? Das Zimmer links von mir, ich vermute, das ist das Zimmer, aus dem Sie gerade kommen – ich meine das von Frau Yilmaz –, nenne ich die Halbmondsuite. Ja, ich weiß, sagen Sie nichts, das ist nun wiederum nicht sehr originell.“

Charlotte hatte unter dem Bett nachgesehen, die Bettwäsche zur Seite geräumt, die Matratze angehoben, nichts gefunden, keine Augen, keine Waffe, und machte sich deshalb an den Schrank.

„Die Suite, die Sie nach meiner betreten werden“, fuhr Ilona währenddessen fort, „bewohnt ein durchgeknallter Rockmusiker auf Kokainentzug, der sich benimmt wie ein schlecht erzogenes Kind, das von den Eltern in ein Ferienlager geschickt wurde.“

„Wie ist sein Name?“, fragte Charlotte.

„Campuzano.“

„Von ihm habe ich bereits gehört.“

„Und nichts Gutes, nehme ich an.“ Ilona warf Charlotte einen Blick zu. „Mit Recht. Seien Sie auf alles gefasst, wenn Sie ihm gegenübertreten.“

„Sie mögen ihn also nicht?“

Ilona hob die Schultern in die Höhe. „Er ist verrückt und außerdem noch schlecht erzogen, benimmt sich, als wär er der König und dies hier sein Schloss. Aber das werden Sie ganz schnell selbst herausfinden.“

„Und Weinfried Tämmerer?“, hakte Charlotte nach, während sie den Schrank durchsuchte. „Mochten Sie ihn auch nicht?“

„Ich hatte nicht sonderlich viel mit ihm zu tun. Lediglich einmal habe ich ganz kurz mit ihm gesprochen. Oder besser: er mit mir. Das war etwa vor drei Tagen.“

„Was hat er zu Ihnen gesagt?“

„Er meinte, er hätte etwas Schlimmes getan, und nun würde er die Hölle erleben. Vielleicht erwartete er Mitleid von mir, ich weiß es nicht.“

„Was haben Sie geantwortet, als er das zu Ihnen gesagt hat?“

„Nun, falls er damit so etwas wie Reue zeigen wollte, so habe ich sie ihm jedenfalls nicht abgenommen. Meiner Meinung nach war Tämmerer nämlich ein eiskalter Mensch. Kein Opfer, ein Täter. Deshalb sagte ich ihm, dass er überhaupt keine Ahnung davon hätte, was die Hölle ist.“ Jetzt schlich sich so etwas wie offene Verachtung in Ilonas Stimme. „Es ist die Hölle, wenn ein kleines Mädchen hilflos einem erwachsenen Mann ausgesetzt ist. Es ist die Hölle, wenn es fürchterliche Dinge über sich ergehen lassen muss, weil es nicht in der Lage ist, sich gegen diesen Mann zu wehren. DAS ist die Hölle. Und deshalb, es tut mir leid, hält sich mein Mitleid mit Tämmerer in Grenzen.“

Charlotte hatte die Durchsuchung des Schrankes beendet und wandte sich der Frau nun zu. „Er ist tot, Frau Walter. Und sein Mörder läuft immer noch frei herum.“

Ilona nickte. „Ich weiß. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass Tämmerer schon lange vorher tot war. Ein Zombie. Äußerlich am Leben, aber innen tot. Ich bin mir sicher, er hatte keine Ahnung, welchen Schaden er angerichtet hat, und es ist gut möglich, dass es ihm egal gewesen wäre, hätte er es gewusst. Aber das spielt nun ja keine Rolle mehr, nicht wahr? Er weilt nicht mehr unter uns. Was ändern da noch Reue oder gar Bedauern?“

„Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen?“

„Nein.“ Ilona verschränkte die Arme vor der Brust. „Mehr habe ich nicht dazu zu sagen. Tut mir leid, Frau Kommissarin.“

Charlotte war sich nicht sicher, was sie als Nächstes erwartet hatte, jedenfalls keinen derart großen, tätowierten und langhaarigen Freak.

Sie hatte auch ganz sicher nicht damit gerechnet, auf Anhieb Robert Campuzanos beste Freundin zu werden, aber dieser Mann hatte etwas an sich, was sie von der ersten Minute an gegen ihn einnahm. Ilona Walters Beschreibung war nicht gerade freundlich gewesen, aber jetzt fand Charlotte, dass sie sogar noch sehr zurückhaltend war, denn er stand breitbeinig in der Tür, zog den Schleim hoch, spuckte ihn gnädigerweise aber nicht aus und knurrte: „Was wollen Sie?“

Sofort steckte Techs Finger wieder im Ohr.

Charlotte sagte: „Kriminalpolizei. Wir werden jetzt Ihr Zimmer durchsuchen. Je eher Sie zur Seite treten, desto schneller geht’s.“

Campuzano bewegte sich nicht von der Stelle. Er legte lediglich die linke Hand über die rechte und zog daran. Es gab ein krachendes Geräusch, so als würde er sich die Finger ausreißen. „Warum sollte ich Sie reinlassen?“

„Weil Ihr Mitpatient, Weinfried Tämmerer, einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.“

„Ich hab ihn nicht gekillt.“

„Wir müssen trotzdem rein.“

„Warum?“

„Das habe ich Ihnen gerade erklärt.“

Daraufhin verrannen die Sekunden. Campuzanos fast vollkommen schwarze Augen funkelten. Charlotte hielt seinem Blick stand. Techs Finger verschwand fast vollständig im Ohr.

Dann endlich wurde die Tür geöffnet, allerdings nur so weit, dass sie sich gerade so hineinschieben konnten.

Die Luft im Inneren des Zimmers war zum Schneiden. War es in den anderen schon kaum auszuhalten gewesen, hier war es noch um ein Dreifaches schlimmer.

Charlotte wandte sich um und stellte fest, dass Tech sich bereits ins angrenzende Badezimmer verdrückt hatte. Während sie sich selbst an die Arbeit machte, sagte sie: „Ich erinnere mich, irgendwann einmal von Ihnen gehört oder gelesen zu haben. Sie sind der Leadsänger einer deutschen Rockband, nicht wahr?“

Überflieger, so heißt meine Band.“ Plötzlich zeigte der Freak so etwas wie ein Lächeln. „Jau Mann, ich schwör, ich rock Ihnen den Arsch ab, Frau Kommissarin.“

„Schade nur, dass die Überflieger einen mächtigen Absturz hinlegten, nachdem Sie dem Sänger einer anderen Band im Koksrausch den Kehlkopf zugedrückt haben“, bemerkte Charlotte, ohne darauf einzugehen.

Unschuldig hob Campuzano die Hände in die Höhe. „Wir leben in einer bösartigen Welt. Da muss man sich ja wohl verteidigen dürfen.“

„Hier drinnen scheinen Sie auch nicht gerade den ersten Preis für Umgänglichkeit zu gewinnen.“

„Na und?“

Charlotte seufzte leise auf. „Sie haben recht. Lassen Sie uns zum Thema kommen: Wie gut kannten Sie Weinfried Tämmerer?“

Campuzano verschränkte die Arme vor der Brust, und als er sich dabei ein klein wenig drehte, erkannte man im Profil, dass seine Nase schon mindestens zweimal gebrochen war. „Ich hatte nichts mit ihm zu tun.“ Er brach kurz ab, dann fügte er hinzu: „Er war eine Drecksau. Er hatte es verdient.“

„Was genau hatte er verdient?“

„Meinetwegen auch den Tod.“ Campuzano trat in die Mitte des Raumes, die Arme immer noch vor der Brust verschränkt. „Der hat kleine Mädchen gefickt. Dafür verdient man den Tod. Keiner wird ihn vermissen.“

„Haben Sie ihn umgebracht?“

„Nein.“

„Haben Sie ihn schikaniert?“

Ein verächtliches Lächeln legte sich auf die Lippen des Freaks. „Ich hab ihm nur ein paar Manieren beigebracht. Wenn’s seine Eltern schon nicht getan haben. Sind Sie jetzt fertig, Frau Kommissarin? Ich schreib nämlich grad an einem neuen Song. Wenn ich hier raus bin, starte ich wieder voll durch. Was interessieren mich da dreckige, tote Kinderficker?“

Todesruhe - Ein Fall für Julia Wagner: Band 2

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