Читать книгу Offen gesagt Band 3 Zum aktuellen Zeitgeschehen - Tassilo Wallentin - Страница 4
ОглавлениеERSCHIENEN AM 23. 8. 2015
DAS GESCHÄFT MIT DEN GENOSSENSCHAFTSWOHNUNGEN
Mieter von Genossenschaftswohnungen müssen an die Wohnbaugenossenschaft monatlich Raten für längst abbezahlte Kredite zahlen. Was sich wie ein schlechter Witz anhört, ist in Österreich Gesetz und trägt den kryptischen Namen „Auslaufannuität“. Das Wortungetüm soll diesen Skandal vertuschen.
Jeder sechste Bürger Österreichs lebt in einer Genossenschaftswohnung, von denen es landesweit etwa 925.000 gibt. Eine gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft soll einkommensschwachen Menschen günstiges Wohnen ermöglichen. Daher darf die Genossenschaft nur so viel Miete verlangen, um gerade noch die laufenden Kosten zu decken. Einen Gewinn erzielen soll sie nicht; denn genau darin liegt ja die Mietersparnis für den Mieter. Kurzum: Die Genossenschaft soll an der Vermietung nichts verdienen. Wohnen wird dadurch günstig. Soweit das hehre Ideal der gemeinnützigen Genossenschaft.
Doch aufgrund einer skandalösen Gesetzesbestimmung holen sich gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften von ihren einkommensschwachen Mietern – frech – eine Art „Sondergewinn“. Und das funktioniert so: Die Errichtung der Wohnanlage wird fast immer mit einem Bankkredit finanziert. Den haben hinterher die Mieter monatlich abzustottern. In der Mietvorschreibung gibt es dafür den Posten „Annuitäten“ (die Rate des Mieters zur Kreditrückzahlung). Die „Annuitätenzahlungen“ betragen pro Mieter und Jahr oft mehr als 1000 Euro. Die Genossenschaft kassiert das Geld ein und leitet es an die Bank weiter.
Doch sobald der Bankkredit abbezahlt ist, dürfen die Genossenschaften die monatlichen Annuitätenzahlungen von den Mietern einfach weiter einheben und selbst kassieren! Mieter mit niedrigem Einkommen müssen an die Genossenschaft also Raten für einen bereits abbezahlten Kredit zahlen. In der Mietvorschreibung wird kurzerhand aus dem Posten „Annuitäten“ der Posten „Auslaufannuitäten“. Der idiotische Begriff soll diesen Skandal verschleiern. Bei Mieterbeschwerden heißt es von Genossenschaftsseite dann gerne, dass man zur Einhebung gesetzlich berechtigt sei. Das Geld würde für andere Kredite verwendet werden oder ginge in eine Rücklage. Dass es danach ins freie Vermögen der Genossenschaft fällt, wird nicht erwähnt.
Und dass es bei so einem Gebaren naturgemäß zu Fragwürdigkeiten, Misswirtschaft, Bonzentum oder Freunderlwirtschaft kommt, versteht sich von selbst. Man denke an die Zeitungsmeldung über eine Jahresgage der drei Vorstände der Wiener gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft „Sozialbau AG“ in Höhe von 1,013 Millionen Euro oder die Tatsache, dass die drei Chefs in den Jahren 2010 bis 2012 von der Genossenschaft Kredite in Höhe von rund 950.000 Euro erhielten. Es war übrigens auch die „Sozialbau“, die dem Genossen Nationalratsabgeordneten Josef Muchitsch trotz eines Monatsgehaltes von 8800 Euro netto eine Sozialwohnung vermietete. In bester Erinnerung ist auch der Bericht des Rechnungshofes, der bei drei weiteren gemeinnützigen Bauträgern feststellte, dass die Mieten höher als die Kosten waren, es zu hohe Vorstandsgehälter gab, wettbewerbsrechtlich bedenkliche Honorarordnungen im Spiel waren, derselbe Architekt von 18 Bauvorhaben 12 erhielt und die Annuitäten kurz vor der letzten Kreditrate plötzlich sprunghaft anstiegen, um so zu überhöhten Auslaufannuitäten zu werden.
Das „Geschäft“ mit den Genossenschaftswohnungen muss durch eine Gesetzesänderung sofort beendet werden. Wenn die Politiker, die das angerichtet haben, dazu nicht willens sind, dann eben direkt demokratisch durch ein Volksbegehren mit breiter Zustimmung.