Читать книгу Infiziert - Teri Terry - Страница 11
ОглавлениеKILLIN, SCHOTTLAND
Time Zero: 29 Stunden
»Ich bin zu Hause«, rufe ich, kicke die Schuhe weg und laufe keuchend Richtung Treppe. Heute hatte ich kein Handy dabei und bin darum so schnell wie möglich nach Hause geradelt.
Mum tritt in den Flur. »Das sehe ich. Hast du schon wieder die Milch vergessen?«
»Ähm, ganz so war es nicht.« Ich habe jetzt keine Lust auf lange Erklärungen. Diese Sache kann nicht länger warten.
»Jetzt mal im Ernst, Sharona. Manchmal weiß ich echt nicht, was in deinem Kopf vorgeht. Dabei bist du doch angeblich so schlau.«
»Shay. Bitte nenn mich Shay.«
Mum verdreht die Augen, lacht, dann schaut sie mich genauer an. »Ist was passiert?«
Obwohl sie mich oft wahnsinnig macht: Wenn etwas nicht stimmt, merkt sie es sofort. Mum ist so eine Art Hippie. Mit langem Rock steht sie vor mir, ihr dunkles Haar ist lockig wie meines, nur trägt sie es nicht schulterlang wie ich, sondern bis zur Taille. Um den Hals hängen lange, bunte Perlenketten. Was Vergesslichkeit angeht, hat sie gerade gut reden. Ohne mich würde sie ständig vergessen zu essen. Dafür bemerkt sie die wichtigen Dinge.
»Und ob was passiert ist.«
»Haben dich diese Jungs wieder geärgert?«
»Nein, das ist es nicht. Hier.« Ich ziehe den zerknitterten Zettel aus der Tasche. Mum streicht ihn glatt, liest und sieht mich fragend an.
»Ich habe sie gesehen. Ich habe dieses Mädchen gesehen. Ich muss anrufen.«
»Erzähl mal.« Also berichte ich ihr die ganze Geschichte. Dabei zieht sie mich in die Küche und macht einen speziellen Kräutertee, der beruhigend wirken soll. Schmeckt abartig.
»Bist du dir sicher, dass es das Mädchen war? Ist ja schon ziemlich lange her. Täuschst du dich auch nicht?«
»Nein.«
»Und das ist keine dieser verrückten Geschichten, die deine Freundin Iona bloggt?«, fragt sie vorsichtig. »Du verwechselst da doch nichts, oder?«
»Natürlich nicht!«
»Okay, ich wollte nur sichergehen. Ich glaube dir ja.«
»Wann sind wir letzten Sommer weggefahren?«
Mum legt die Stirn in Falten und überlegt. Dann wühlt sie in einer Schublade und hält triumphierend einen Kalender vom letzten Jahr hoch. Nachdem sie ihn aufgeschlagen hat, macht sie ein langes Gesicht. »Am 30. Juni.«
»Also habe ich sie am 29. gesehen, an dem Tag, an dem sie verschwunden ist.«
»Soll ich da anrufen?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, mache ich schon selbst.«
Als ich die Nummer wähle, zittern mir die Hände ein wenig. Hätte ich doch bloß damals gleich die Polizei angerufen. Wenn das Auto nur eine Minute später gekommen wäre, hätte ich das auch. Aber vielleicht war der Mann ja auch ihr Vater. Vielleicht ist sie erst später an dem Tag verschwunden und ich hätte nichts tun können.
Es klingelt: einmal, zweimal, dreimal, viermal. Kopfschüttelnd sehe ich Mum an. Endlich wird abgenommen.
»Hallo. Leider können wir nicht persönlich ans Telefon gehen, bitte hinterlassen Sie uns doch eine Nachricht.« Eine warme männliche Stimme, gehobene Ausdrucksweise, mit leichtem Akzent.
»Anrufbeantworter«, zische ich und frage mich, was ich sagen soll.
Piep.
»Ähm, hallo. Ich habe Ihren Aushang gelesen. Über Calista. Und …«
»Hallo, hallo? Hier spricht Kai Tanzer. Ich bin Calistas Bruder. Weißt du, wo sie steckt?« Es ist die Stimme vom Anrufbeantworter. Die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus, er ist voller Hoffnung. Auch wenn ich ihn überhaupt nicht kenne, fällt es mir schwer, das im Keim zu ersticken.
»Nein, tut mir leid. Ich weiß nicht, wo sie ist. Aber ich habe sie gesehen.«
»Wo? Wann?«
»Es ist schon länger her. Ich bin erst heute auf die Anzeige gestoßen, aber ich habe Calista im letzten Jahr gesehen, an dem Tag, an dem sie verschwunden ist. 29. Juni stand da.« Ein Flyer, der im Supermarkt am Schwarzen Brett hing, an dem ich bestimmt schon hundertmal vorbeigegangen bin und der mir nie aufgefallen war. »Es war am späten Nachmittag. Calista ging spazieren und stieg dann zu einem Mann in einen Wagen. Ich nahm an, es sei ihr Vater.« Habe ich das wirklich geglaubt? Oder rede ich mir das jetzt ein, weil ich ein Unglück hätte verhindern können, wenn ich nachgehakt hätte?
»Ah, verstehe«, sagt er. Da ist Schmerz in seiner Stimme. »Verschwunden ist sie schon morgens. Weißt du noch, wie der Mann aussah?«
»Ich glaube schon.«
»Wo wohnst du denn?«
»In der Nähe von Killin in Stirlingshire. Schottland.« Ich gebe ihm unsere Adresse, erkläre ihm, dass er der einspurigen Straße den Berg hinauf folgen muss. Und der Wegweiser Addy’s Folly ihn zu uns führt.
»Bleib, wo du bist. Ich komme zu dir. Geh nirgendwohin, okay?«
»Ich bleibe hier.«
»Ich brauche vielleicht zwei, zweieinhalb Stunden. Wie heißt du?«
»Shay.«
Die Leitung ist tot.