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KILLIN, SCHOTTLAND

Time Zero: 23 Stunden

Erst spät in der Nacht gelingt es mir, Zugang zu meiner Erinnerung von jenem Tag zu finden; ich spiele sie ab, als würde alles gerade in diesem Moment passieren:

Die Sonne scheint, aber im Wald ist es kühl.

Ich beobachte sie mit ihrem dunklen Haar und dem roten Kapuzenpulli. Sie kommt näher und näher.

Am liebsten würde ich ihr zurufen, sie möge auf mich warten. Ihr sagen, ich würde sie auf den Gepäckträger nehmen und mit ihr nach unten ins Tal zur Polizei fahren oder Kai anrufen. Nur kann ich nicht in der Zeit zurückgehen. Ich bin unfähig, mich zu rühren. Gezwungen, alles noch einmal zu erleben. Genau so zu erleben, wie es passiert ist. Nun hat sie mich fast erreicht.

»Hallo. Hast du dich verlaufen?«

»Ich bin’s nur, keine Angst. Hast du dich verlaufen?«

Sie dreht sich um. Ihre Augen sind blau, aber nicht so langweilig mittelblau wie meine, sie sind dunkel, fast lila. Zwischen den Bäumen hindurch fällt ein Lichtstrahl genau auf sie und um ihren Hals glitzert und funkelt etwas. Eine Kette mit einem Anhänger. Ich blinzle und sie tritt etwas aus der Sonne. Ein Anhänger wie ein Strahlenkranz. Auch wenn ich mir sicher bin, so was noch nie gesehen zu haben, weckt es eine Erinnerung.

»Nein«, sagt sie, wendet sich ab und läuft weiter.

Abermals habe ich den Impuls, ihr hinterherzulaufen, doch ich bin wie versteinert. Erst als ich sie fast aus dem Blick verloren habe, kann ich mich wieder rühren und ihr bis zur Straße folgen. Wie an jenem Tag hole ich mein Handy aus dem Rucksack.

Ruf diesmal wirklich die Polizei an, Shay. Mach schon!

Der Wagen kommt. Er ist schwarz, vier Türen, ein glänzender Mercedes mit getönten Scheiben. Mit zusammengekniffenen Augen schaue ich auf das Nummernschild, aber mir ist der Blick von dem Gestrüpp am Fahrbahnrand versperrt. Ich sehe nur die obere Hälfte der Zahlen und Buchstaben, das reicht nicht.

Ein Mann steigt aus. »Da bist du ja«, sagte er. Er ist halb von mir abgewandt. Sein Gesicht kann ich nicht besonders gut erkennen. Er hat schütteres Haar, oben schon eine Glatze. Dunkel, nicht grau. Von meiner Warte lässt sich die Größe schlecht schätzen, aber vielleicht um die 1,80.

Sie geht zu ihm hin, steigt in den Wagen ein – hinten.

Als er sich umdreht, um auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen, erkenne ich ihn für den Bruchteil einer Sekunde von vorn. Ich nehme jedes Detail auf. Die kaum verhohlene Wut in den braunen, weit auseinanderstehenden Augen, eine kleine Narbe am linken Auge. Das rechte wirkt ein wenig rot und geschwollen, als wäre er kürzlich geschlagen worden und würde morgen ein blaues Auge haben. Um den Hals glitzert etwas Goldenes.

Vorne sitzt noch eine Person. Abgewandt. Durch die getönten Scheiben kann ich nur eine Silhouette ausmachen. Eine vage Vorstellung von Größe. Stärke. Noch ein Mann?

Der Wagen fährt davon.

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