Читать книгу Wenn sie mich finden - Terri Blackstock - Страница 10
5 Dylan
ОглавлениеKeegans Blick beim Verlassen des Parkplatzes macht mich krank. Er ist ein gefährlicher Mann, und wenn er das Gefühl bekommt, dass ich nicht auf seiner Seite bin oder ihm seine Geschichte nicht abkaufe, bin ich beinahe schon so tot wie Brent. Ein paar Meilen entfernt vom Haus der Paces stoppe ich bei einem Burger King und öffne meinen Laptop. Ich melde mich beim offenen WLAN an und kopiere alle Dateien über Brent, die ich habe, auf den Stick, den Casey mir vor ein paar Wochen zugeschickt hat – den Stick, auf dem alle Daten waren, die Brent gesammelt hatte. Dann lösche ich die Dateien aus dem Postfach und von der Festplatte.
Vom Stick kopiere ich die Dateien auf einen weiteren Stick. Dann fahre ich zu meiner Bank, miete ein Tresorfach und hinterlege den Originalstick dort. Ich nehme den Schlüssel mit und überlege, wem ich den geben kann. Wem kann ich vertrauen?
Meiner Therapeutin? Ich könnte ihr sagen, falls ich ums Leben komme, soll sie das Beweismaterial ans FBI oder die Bundespolizei geben. Aber das klingt ein wenig paranoid, wie Mel Gibson in Conspiracy Theory. Ich will nicht, dass sie denkt, mein PTB-Syndrom habe ein neues Level erreicht.
Ich könnte Hannah den Schlüssel geben, Caseys Schwester. Aber ich glaube, sie verfügt bereits über das Beweismaterial. Ich weiß, dass sie Casey schon einmal ein Päckchen geschickt hat. Und darin war vermutlich eben dieser Stick.
Ich könnte ihn den Paces geben, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht früher oder später doch sehen wollten, was in dem Tresorfach ist.
Nein, es gibt niemanden, dem ich genug vertrauen kann.
Der Gedanke stößt mich fast zurück in die Depression, aber ich gehe mit Gewalt dagegen an. Ich kann mich da nicht hineinfallen lassen. Ich muss etwas tun. Irgendwann wird mir eine Idee kommen, was ich mit dem Schlüssel mache, aber jetzt darf ich mich damit nicht aufhalten.
Personalengpass hin oder her – Keegan und Rollins werden Casey ganz sicher verfolgen. Sie haben ihre eigenen Ressourcen und das ist ein Teil des Problems.
Irgendwann werde ich Casey wieder eine Mail schicken müssen, damit wir unseren Kenntnisstand abgleichen können. Wenn ich sie dazu bringen kann, mir zu vertrauen, sagt sie mir vielleicht sogar, wo sie steckt.
Ganz genau. Und Schweine können fliegen. Ich weiß, dass ich gerade fantasiere.
Als ich meine Wohnung betrete, klingelt das Telefon. Ich schaue aufs Display und seufze. Meine Mutter. Ich überlege, einfach nicht dranzugehen, aber vor dem vierten Klingeln nehme ich den Anruf an. „Hey, Mom.“ Ich weiß, dass meine Stimme matt klingt.
„Du hast mich seit Wochen nicht angerufen. Ich wollte nur wissen, ob du vielleicht tot bist.“
„Nein, Mom, ich bin nicht tot.“
„Man sollte doch denken, du würdest dich öfter mal melden, nachdem du so lange so weit fort warst. Es ist ja nicht so, als hättest du so viel anderes zu tun.“
„Doch, hab ich, Mom“, sage ich. „Ich habe gearbeitet.“
„Gearbeitet? Wer hat dich eingestellt?“
Ich möchte nicht zu deutlich werden. „Ich habe den Auftrag, der Polizei bei einem Kriminalfall zu helfen. Ich war viel unterwegs.“
„Wissen sie von deinem Problem?“
Ich hasse es, wie sie dieses Wort ausspricht – als stünde es in Anführungszeichen.
„Ja, Mom. Also, wie geht’s dir?
„Gut. Ich bin nur neugierig, wieso du Zeit hast, unterwegs zu sein, aber nie, um mich zu besuchen.“
Ich koche. „Du hast mich rausgeworfen.“
„Ich hab dich nicht rausgeworfen. Wir hatten einen kleinen Streit, sonst nichts.“ Ihre Worte klingen verwaschen. „Ich hab doch nicht gemeint, dass du nicht mehr zurückkommen kannst.“
Ich schlucke ein leises, bitteres Lachen hinunter. „War sowieso Zeit für mich, mir was Neues zu suchen.“ Ich kann mir nur einen einzigen Grund vorstellen, warum sie anruft. Sie hat es mehr als deutlich gemacht, dass ihr nicht viel daran liegt, mich zu sehen, und dass es sie, wenn sie mich doch sieht, sehr stört, dass ich nicht die Version meiner Selbst bin, die sie gern hätte.
„Brauchst du Geld, Mom? Rufst du deshalb an?“
„Nein“, knurrt sie. „Ich wollte nur wissen, ob du von Brent Pace gehört hast. Wurde umgebracht, der Arme.“
Ich möchte mit ihr ebenso wenig über Brent sprechen wie über mich selbst. „Ja, natürlich hab ich davon gehört. Aber es ist schon Monate her.“
„Wenn man bedenkt, wie viel Aufmerksamkeit dieser Junge von allen bekommen hat, und dann passiert so was. Er muss in irgendetwas Dunkles verwickelt gewesen sein.“
„War er nicht.“
„Woher weißt du das? Und die ganze Zeit haben sie auf mich herabgeschaut, als ob so etwas nur meinem Kind passieren könnte, weil ich eine so schreckliche Mutter bin. Aber ihnen natürlich nicht.“
Mein Gesicht glüht. „Und du meinst, es geschieht ihnen recht, hm?“
„Das habe ich nicht gesagt. Aber nun, jetzt hast du es gesagt …“ Ihre Stimme verliert sich, als würde sie wissen, dass diese Bemerkung abscheulich ist. Jedenfalls hoffe ich, dass ihr noch dieser letzte Rest an Gewissen geblieben ist.
„Nächstes Wochenende kommt dein Onkel mit seiner Familie zu Besuch. Ich habe ihm gesagt, du wirst hier sein, wenn du dich aus dem Bett schälen kannst.“
Ich befeuchte meine Lippen. Warum ist mein Mund plötzlich so trocken? „Das schaffe ich wahrscheinlich nicht. Ich bin schon wieder auf dem Sprung.“
„Und was soll er denken, wenn du nicht kommst?“
Jetzt brennt mir die Galle überall in meinen Gedärmen. „Dass ich einen Nervenzusammenbruch hatte und jetzt in einer Zwangsjacke stecke?“
„Das denkt er nicht.“
„Als ich das letzte Mal mit ihm telefoniert habe, hat er mir eine Standpauke gehalten und mir gesagt, ich solle mich endlich zusammenreißen. Ich sei eine Schande für die Familie und solle endlich erwachsen werden.“
„Er hat eben hohe Maßstäbe.“
Der kleine Bruder meiner Mutter hat keinen einzigen Tag seines Lebens im Dienst für sein Land verbracht, aber er hat klare Ansichten über Leute, die das getan haben. „Ich habe ebenfalls hohe Maßstäbe, Mom.“ Ich räuspere mich. „Es tut mir leid, aber du hättest ihm nicht sagen sollen, dass ich da bin, ohne mich vorher zu fragen. Ich kann nicht kommen.“
Ich sage ihr nicht, dass meine Therapeutin mir geraten hat, vorerst auf Abstand zu meiner Familie zu gehen. Leute, die nicht verstehen, was eine posttraumatische Belastungsstörung ist – oder eine ganz normale menschliche Schwäche –, sollten keine Gelegenheit haben, meinen Heilungsfortschritt zu behindern.
Ich habe ein dickes Fell und bei den meisten Menschen kann ich Ignoranz ertragen, aber bei Menschen, die einem eigentlich nahestehen sollten, ist das schwerer.
„Was soll ich deinem Dad sagen?“
„Sag ihm, ich bin aufgestanden.“
„Er hat wieder das ganze Geld im Spielsalon gelassen. Ich weiß nicht, wovon wir die Rechnungen zahlen sollen.“
Aha. Ich wusste es doch. „Wie viel?“
„Hundertfünfzig.“
„Gib mir die Kontonummer. Ich rufe die Bank an und zahle die Rechnung.“
„Ich weiß sie nicht auswendig. Schick mir einfach das Geld, dann begleiche ich die Rechnung.“
Ich weiß es besser. Meine Eltern sind beide Alkoholiker. Mein Dad hat bereits eine so schlimme Leberzirrhose, dass er Blut spuckt. Sie vertrinken jeden Cent ihrer Unterstützung, bevor die Rechnungen fällig werden. Ich könnte sagen, ich schicke ihnen kein Geld mehr, aber dann werden sie ausfallend und ich würde die nächsten paar Tage nur damit zubringen, mir deswegen Vorwürfe zu machen, statt über Casey Cox nachzudenken. Also verspreche ich, Geld zu schicken, damit ich das Gespräch beenden kann.
Manchmal ist eine Familie ein Minenfeld.