Читать книгу Wenn sie mich finden - Terri Blackstock - Страница 11

6 Dylan

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Auf der Hantelbank schaffe ich jetzt die 250 Pfund, obwohl ich seit meiner Entlassung aus der Armee Gewicht verloren habe. Meine Therapeutin meint, ich solle mich in jeder Hinsicht um meine Gesundheit kümmern. Zuerst hatte ich überhaupt keine Lust auf Sport. Ich wollte am liebsten im Bett bleiben und die Kacheln an der Decke zählen – in meinem Schlafzimmer sind es übrigens 196 Stück –, aber mein Kumpel Dex hat mich sozusagen sanft gezwungen, mit ihm ins Fitnessstudio zu gehen. Dex hat wie ich einen Sprengstoffanschlag überlebt, bei dem fünf von unseren Jungs, die an diesem Tag mit im Konvoy waren, ums Leben gekommen sind. Er ist so stur wie ein Ziegenbock und er war total aufgebracht, dass ich mich vor dem Sport drücken wollte, wo mir das doch so viel bringen konnte. Es ist schwer, einem doppelt Amputierten zu widersprechen, der dir ins Gewissen redet, gefälligst von den Gliedern Gebrauch zu machen, die einem geblieben sind.

Also gehe ich zum Training, wenn ich kann, und Dex führt sich auf wie mein persönlicher Trainer, holt noch zehn weitere Züge aus mir raus, legt noch zehn Pfund drauf, lässt mich länger schwitzen. Ich muss zugeben, es hilft mir wirklich, einen klaren Kopf zu bekommen, und verringert die Spannungszustände.

Dex hat ebenfalls PTBS, aber er scheint damit besser klarzukommen.

Nach dem Duschen fragt er, was er immer fragt: „Kommst du noch mit auf ein Bier?“

„Ich komm noch mit auf ’nen Kaffee“, antworte ich wie immer.

„Ab und zu ein Bier könnte dir gut bekommen, weißt du.“

„Ich bin sicher, das haben meine Eltern auch mal gesagt.“

„Ein Bier macht dich noch nicht zum Alkoholiker.“

„Nein, aber ein Bier und ein paar Schmerztabletten und Antidepressiva und Antipsychotika …“

„So was nimmst du doch gar nicht.“

„Nein, tu ich auch nicht. Und werd ich auch nicht. Aber alle sagen, dass ich es besser tun sollte.“

„Kannst du schlafen?“

„Nicht gut. Und du?“

Er zuckt die Achseln. „Mein Arm und mein Bein tun weh, sobald ich’s versuche.“

Ich werfe einen Blick auf das verbliebene Bein. „Wahrscheinlich, weil es das ganze Gewicht allein tragen muss.“

„Nein, nicht das. Dies hier.“ Er hebt die Prothese. „Phantomschmerz. Was, bitte schön, soll man dagegen machen?“

„Schmerztabletten nehmen.“

„Na, dann sollten sich die Ärzte mal über Suchterkrankungen schlaumachen.“

„Ich denke, sie wissen das“, sage ich. „Aber vermutlich halten sie es für die leichteste und am wenigsten zeitintensive Therapie. Alles im Namen der Menschlichkeit.“

Ich weiß, dass Dex meiner Meinung ist. Er hat sich ebenfalls geweigert, Pillen zu schlucken, seit er aus dem Krankenhaus ist. „Aber weißt du, was?“, sagt er. „Ich habe da von was Neuem gehört. Eine Art Pflaster. Man klebt es auf die Stirn, es soll die Gehirnströme unterbrechen oder so. Angeblich hilft es gegen Albträume. Dr. Coggins will, dass ich es damit probiere.“

„Muss man es ständig tragen?“

„Nein, ich glaube nicht. Ich weiß noch nicht viel darüber, aber ich sag’s dir, wenn ich mehr erfahre.“

„Sei vorsichtig. Es klingt ein wenig nach einer Lobotomie.“

Er grinst. „Ja, davor werd ich mich schon in Acht nehmen. Also Kaffee. Kein Bier. Kommst du mit oder nicht?“

Wir landen bei Starbucks, und nachdem wir unsere Getränke bekommen haben, erzähle ich ihm ein bisschen von dem Fall, an dem ich arbeite. Dex war kein Kriminalermittler, er war bei den Sanitätern. Aber bevor er zur Armee ging, hat er hier in Shreveport als Medizintechniker in der Notaufnahme gearbeitet und von daher viel Kontakt zur Polizei gehabt.

„Ich bin beeindruckt, Mann. Kein Wunder, dass es dir besser zu gehen scheint.“

„Ja. Es lenkt mich ab von mir selbst.“

„Und es könnte mal ’ne Festanstellung draus werden.“

Ich schweige, als er das sagt.

„Was? Glaubst du das nicht? Wenn du dieses Mädchen schnappst?“

Ich nippe eine Minute lang an meinem Kaffee. „Die Sache ist die: Je weiter ich in diesen Fall eintauche, umso mehr habe ich den Eindruck, sie sind der Falschen auf der Spur. Unter uns, Kumpel, ich glaube nicht, dass sie es war.“

Natürlich hat das gar nichts mit Glauben zu tun. Ich weiß sicher, dass sie es nicht war, aber das kann ich wohl kaum erzählen.

„Weißt du, das hab ich auch schon gedacht, als diese Berichte rauskamen, wie sie das Mädchen gerettet hat. Ich wusste nicht, dass du an dem Fall arbeitest, aber ich dachte, irgendetwas stimmt an dieser Geschichte nicht. Na ja, wenn sie’s nicht war, wer war’s dann? Hast du schon eine Ahnung?“

Ich nehme noch einen Schluck Kaffee und lasse die heiße Flüssigkeit durch meine Kehle rinnen.

„Verrätst du mir nicht, was?“, hakt er nach einem Moment nach. „Oder gehört das zu den Dingen, deretwegen du mich zuerst umbringen müsstest?“

Ich antworte noch immer nicht. Stattdessen starre ich auf die Preistafel, unschlüssig, ob ich mir noch einen Kaffee bestellen soll.

„Na schön“, sagt er schließlich. „Verrätst du’s mir eben nicht. Aber eins sag ich dir, Mann: Wenn du in diesem Job mal Unterstützung brauchst, vergiss nicht: Was ich im Übermaß habe, ist Zeit.“

Ich sehe ihn nachdenklich an. Das war mir noch nicht in den Kopf gekommen. Aber jetzt, wo er es sagt, wird mir klar: Ich könnte ihn auf Keegan ansetzen. Keegan kennt ihn nicht, vielleicht würde er ihn nicht mal bemerken. Ich könnte Dex einen Teil meines Honorars von den Paces zahlen. Er braucht das Geld. Die Entschädigung, die die Armee gewährt, reicht nicht weit, wenn man damit eine Familie ernähren muss.

Und wenn ich mich nicht mehr um Keegan und Rollins kümmern müsste, könnte ich ein paar der anderen Beamten ausfindig machen, die noch im Dienst waren, als Caseys Vater angeblich Selbstmord begangen hat. Vielleicht sind etliche inzwischen nicht mehr bei der Polizei oder bereits im Ruhestand. Ich könnte sie aufsuchen und schauen, was sie mir über Andy Cox berichten können. Die Ideen sprudeln nur so, während ich noch hier mit Dex beim Kaffee sitze. Ich trinke wohl besser doch keinen Kaffee mehr.

„Weißt du, das ist eine gute Idee. Ich könnte in der Tat ein wenig Hilfe gebrauchen. Hast du Lust, ein bisschen Privatermittler zu spielen?“

„Solange ich nicht zu Fuß auf Verfolgungsjagd gehen muss, immer. Ich bin dabei.“


Ich gebe Dex die nötigen Informationen, warum und wie er Keegan beschatten und seine Aktivitäten dokumentieren soll. Dann kaufe ich ein paar Packungen Donuts und bringe sie aufs Polizeidezernat. Der Beamte hinter dem Empfangstresen, der mir gestern vermutlich noch nicht mal Auskunft gegeben hätte, wie spät es ist, ist plötzlich ganz aufgeschlossen. Schon komisch, was ein bisschen Essen so alles bewirkt. „Hey“, sage ich. „Ich hab gedacht, ihr könntet hier vielleicht ein gutes Frühstück gebrauchen.“ Ich öffne eine Schachtel und reiche sie ihm.

„Wow“, sagt er. „Das war’s dann wohl mit meiner Diät. Sagen Sie’s nicht meiner Frau.“ Während er einen Donut nimmt und hineinbeißt, stelle ich mich vor.

„Ich bin Dylan Roberts. Ich bin Privatermittler; ich unterstützte einige von den Kollegen oben, die in einem örtlichen Mordfall ermitteln.“

„Aha?“, macht der Mann und kaut weiter.

„Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich bin auf der Suche nach Mitarbeitern für meine Privatdetektei. Sie haben nicht zufällig eine Liste mit Leuten, die in den letzten, sagen wir fünfzehn Jahren, hier gekündigt haben oder pensioniert wurden? Ich dachte vor allem an ehemalige Polizisten oder Leute, die mal in der Armee waren.“

Der Sergeant zuckt die Schultern. „Ja, vermutlich kann ich eine Liste der Ruheständler besorgen. Haben Sie eine E-Mail-Adresse?“

Ich gebe sie ihm. Ich wünschte, mir wäre etwas Besseres eingefallen, das mir auch zu den Namen von verstorbenen Polizeimitarbeitern verholfen hätte. Die würden mir nämlich Einblick geben, ob Keegan und seine Henkersknechte noch weitere Polizisten aufs Korn genommen hatten. Ich rufe Dex an und bitte ihn, sich mit mir zu treffen. Er muss einen Anruf für mich erledigen.

Eine halbe Stunde später sitze ich mit ihm zusammen und lausche seinem Anruf bei der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Polizeidezernats Shreveport. Er nennt seinen tatsächlichen Namen und erklärt, er arbeite an einem Artikel für das North Louisiana Magazine. „Es geht um unsere gefallenen Helden“, sagt er. „Ich habe mich gefragt, ob ich wohl die Namen von allen Polizeimitarbeitern bekommen könnte, die in den letzten zwanzig Jahren verstorben sind. Ich würde mich gern mit den Angehörigen unterhalten, vielleicht auch die eine oder andere Familie porträtieren.“

Ich kann die Stimme des PR-Referenten im Hintergrund hören. Ich kenne sie aus Interviews mit ihm in den Nachrichten. „Meinen Sie diejenigen, die im Dienst getötet wurden?“

„Nein, nicht nur. Einfach alle, die inzwischen verstorben sind. Ich möchte nur die Familien finden und sehen, ob sie eine gute Geschichte zu erzählen haben. Vielleicht werden ein paar vernünftige Artikel daraus.“

„Ja, eine solche Liste kann ich ihnen besorgen. Kein Problem.“

Dex nennt seine E-Mail-Adresse, legt auf und reckt den Daumen hoch.

„Man sollte dem Mann einen Oscar verleihen“, sage ich. „Du machst das wirklich gut.“

Wenn sie mich finden

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