Читать книгу Wenn sie mich finden - Terri Blackstock - Страница 12
7 Casey
ОглавлениеBis die Perücken bei Pedro’s Place angeliefert werden, wird es noch ein wenig dauern. Deshalb steige ich irgendwo unterwegs aus dem Bus und verbringe die Nacht in einer weiteren Spelunke. Am nächsten Tag nehme ich den Bus, der mich bis nach Durant bringen wird. Erst nach einer weiteren Übernachtung mache ich mich auf den Weg zu dem Restaurant.
Pedro’s Place hat sich kaum verändert, seit ich vor ein paar Monaten hier war. Ich betrete das Lokal und gehe zur Kasse, wo ich mich umsehe. Etwa zwanzig Gäste sind im Raum. Ich hätte nicht um die Mittagszeit kommen sollen.
Eine Kellnerin kommt zu mir. „Wie viele Personen?“, fragt sie.
Ich schüttele den Kopf. „Ich möchte eigentlich den Restaurantleiter sprechen.“
„Mein Vater ist hinten“, sagt sie. „Worum geht es denn?“
„Ich möchte mich um einen Job bewerben“, sage ich.
„Wir stellen niemanden ein. Aber ich kann Ihnen ein Bewerbungsformular geben, falls sich doch mal was auftut.“
Ich seufze und sie entfernt sich, bedient an einem der Tische und verschwindet dann hinten im Haus. Wenn sie mit einem Formular zurückkommt, weiß ich nicht, was ich tun soll. Welchen Namen soll ich verwenden? Ich werde irgendwas erfinden müssen. Wenn ich lange genug hier sitze, um den Bogen auszufüllen, taucht Pedro ja vielleicht auf.
Während ich dasitze und warte, geht mir durch den Kopf, dass die Leute, die hier arbeiten, alle wissen, was Pedro in seinem Hinterzimmer macht. Ich studiere die Gesichtszüge des anderen Mädchens, das die Bedienung macht. Sie könnte auch zu seiner Familie gehören. Sie sieht ihm ein wenig ähnlich.
Ich bin erleichtert, als er mit der Kellnerin zurückkommt, die ihn gerufen hat. Er hat ein Formular in der Hand, wirft mir einen Blick zu, ohne mich wahrzunehmen, und dann einen zweiten, genaueren.
„Hi“, sage ich. „Es hat mir neulich hier so gut gefallen, dass ich dachte, ich verschaff Ihnen ein Déjà-vu.“ Ich bin nicht sicher, ob er Déjà-vu versteht. Er scheint Mexikaner zu sein. Er spricht zwar Englisch, aber gebrochen und mit deutlichem Akzent. „Ich bin nämlich wieder einmal dabei, mich selbst zu finden.“ Bei dem Codewort, das ich beim ersten Mal gebraucht habe, verändert sich seine Miene; er ahnt, wer ich bin und was ich will. Er räuspert sich. „Kommen nach hinten“, sagt er.
Seine Tochter kümmert sich wieder um ihre Gäste und ich folge Pedro nach hinten in den Raum, in dem er bei meinem letzten Besuch das Foto von mir gemacht hat.
Dort angelangt, dreht er sich zu mir um. „Warum Sie hier?“, fragt er. Es klingt wie ein Vorwurf.
„Ich brauche einen neuen Ausweis“, sage ich. „Ich brauche noch einmal eine neue Identität.“
Er geht durch den Korridor zurück und wirft einen prüfenden Blick in die Gaststube. Ich stelle mir vor, wie er die Gesichter aller Gäste mustert, um sicherzugehen, dass weder die Einwanderungsbehörde noch das FBI dort sitzt, um gleich zuzuschlagen.
„Ich bin allein, ich schwöre“, sage ich. „Ich werde nicht verfolgt. Ich habe mehrmals den Bus gewechselt und bin ausgestiegen, als wir in Durant getankt haben. Ich glaube nicht, dass man mir hierher folgen kann.“
Er starrt mich an, als frage er sich, worauf er sich da gerade einlässt.
„Bitte“, sage ich. „Ich kann die Papiere, die Sie für mich ausgestellt haben, nicht mehr benutzen. Und nicht, weil ich irgendetwas Unrechtes getan habe. Aber meine Tarnung ist aufgeflogen. Ich habe Geld.“
„Sie haben gesagt kein Wort zu niemandem?“
„Nein, Ehrenwort. Ist hier jemand aufgetaucht und hat Fragen gestellt?“
„Nein.“
„Wenn sie es wüssten, wären sie gekommen.“ Ich sehe mich im Raum um und mein Blick bleibt an einem Expresspäckchen hängen, das neben dem Schreibtisch auf dem Boden steht. „Das Päckchen. Haben Sie es geöffnet?“
Er runzelt die Stirn. „Die Perücken.“
„Sie sind für mich“, sage ich. „Ich habe sie hierher bestellt.“
Jetzt wird er dunkelrot. „Das vielleicht sicher für Sie. Aber nicht für mich! Wenn Einwanderung mich überwachen, wenn die was merken, das ist Beweis!“
Mir wird auch gerade klar, dass es keine ganz so gute Idee war, die Perücken hierher schicken zu lassen. „Es tut mir leid. Daran habe ich nicht gedacht. Ich habe nur nach einer Lösung in meiner Situation gesucht.“
Er öffnet das Päckchen und schleudert die Perücken in meine Richtung. „Ich mache Papiere für Kunden, damit sie finden Arbeit. Nicht, damit sie machen Verbrechen!“
Ich verkneife mir die Bemerkung, dass das Ausstellen falscher Papiere ein Verbrechen ist. Aber ich weiß, was er meint. Er glaubt, ich bin schlimmer als alle, mit denen er es bisher zu tun hatte. Vielleicht hat er recht.
„Ich habe nicht getan, was man mir anhängt. Ich versuche einfach nur am Leben zu bleiben.“
Ich rechne fast damit, dass er mich jetzt rausschmeißt, aber er verschränkt nur die Arme und starrt mich einen Moment lang an. „Finden Sie niemand anderen zu machen das für Sie?“
„Vielleicht schon“, sage ich. „Aber hören Sie. Wenn Sie es noch einmal für mich tun, kaufe ich zwei Versionen. Ich habe jetzt die Perücken. Sie werden mich nicht wiedersehen. Und ich zahle bar.“
Er scheint sich die Sache zu überlegen. Schließlich schüttelt er den Kopf und geht zu einem Schränkchen. Dann setzt er sich an den Schreibtisch und zieht ein Brett heraus, hinter dem ein Tresor zum Vorschein kommt. Er schließt ihn auf. Hier muss er die Informationen über die einzelnen Personen aufbewahren. Er sieht die Unterlagen durch. „Wie alt Sie noch mal?“
„Fünfundzwanzig“, sage ich.
Er zieht ein Dokument heraus. „Mädchen war dreißig. Zwei andere fünfunddreißig. Sie nicht aussehen wie fünfunddreißig, aber ich niemanden habe in Ihr Alter. Die meisten älter.“
„Vielleicht wird’s durchgehen. Ich nehme die beiden Jüngsten.“
Er geht zu einem Schrank und holt ein Etui, aus dem er seine Kamera und das Stativ nimmt. Er installiert den Apparat, dann lässt er das Hintergrundrollo herunter. Ich warte stumm. „Stellen sich da hin“, sagt er und zeigt auf das Rollo.
Ich zerzause mein Haar, dann stelle ich mich vor das Hintergrundbild und warte darauf, dass er die Aufnahme macht. „Woran sind sie gestorben?“
Er unterbricht die Kameraeinstellung und lässt die Hände sinken. „Warum wollen Sie immer wissen? Wollen Sie Papiere oder nicht?“
„Ich will nur sicher sein, dass ich niemandem die Identität stehle, der noch lebt.“
„Ich nehmen nur Daten von Toten.“ Er schießt sein Foto, wirft einen missbilligenden Blick darauf und schießt noch eins. „2500 Dollar“, sagt er.
Das reißt eine mächtige Lücke in meine Ersparnisse, aber ich weiß, dass ich noch sehr lange auf der Flucht sein werde. Vielleicht sogar für den Rest meines Lebens. „Die Hälfte jetzt, die andere Hälfte morgen?“, schlage ich vor.
Er nickt.
„Und dafür bekomme ich auch die Versicherungskarten?“
„Ja“, bestätigt er. „Wie bei letzten Mal.“
Ich will schon zur Hintertür hinausgehen, als ich hinter mir seine Stimme höre.
„Unfall mit Auto“, sagt er und packt seine Kamera ein.
Ich drehe mich um. „Was?“
„Todesanzeigen nicht immer sagen, warum. Aber diese beiden waren Unfall mit Auto.“
Ich schweige einen Moment. Ich stelle mir die Beerdigung vor, die Eltern, noch starr von dem Schock, wie sie der Trauergemeinde zunicken und Worten lauschen, die ihnen in den Ohren verschwimmen. Ich muss schlucken. „Okay“, sage ich. „Können Sie mir trotzdem die Namen nennen?“
„Miranda Henley … Liana Winter …“, sagt er.
„Okay“, sage ich. „Ich bin morgen wieder da. Halb acht?“
„Ja. Und kommen pünktlich.“
Ich checke im Hampton Inn als Miranda Henley ein und erzähle meine übliche Geschichte – dass ich bar zahlen muss, weil man mir meine Papiere gestohlen hat und ich noch keinen neuen Ausweis habe. Sie lassen sich die Übernachtung im Voraus bezahlen.
Ich gehe in mein Zimmer und sinke in einen tiefen Schlaf, aus dem ich am nächsten Morgen tatsächlich erholt aufwache. Um halb sechs stehe ich auf, gehe nach unten zum Frühstücken, packe und checke aus. Ich erreiche Pedro’s Place ein wenig zu früh und klopfe an die Hintertür. Er öffnet nicht, also warte ich und sehe auf die Uhr. Exakt um halb acht öffnet er die Tür.
Ich trete ein.
Er sagt nichts und reicht mir nur einen Umschlag. Ich prüfe die Dokumente und sehe mein Bild im Führerschein von Miranda Henley und entsprechend auf ihrer Versicherungskarte. Und dasselbe in den Dokumenten von Liana Winter, die ich hoffentlich nicht brauchen werde. „Großartig.“ Ich hole den Umschlag mit dem restlichen Geld aus meiner Handtasche.
Er hebt abwehrend die Hand. „Nein. Ich gebe Ihnen Geld zurück.“ Er holt die Scheine hervor, die ich ihm gestern gegeben habe, rollt sie zusammen und hält sie mir hin.
Ich nehme sie nicht. „Warum? Haben Sie nicht gesagt, 2500?“
Er spielt mit seinem kräftigen Schnurrbart. „Hab gelesen über Sie in Internet“, sagt er. „Unter Namen von letzte Mal.“
Mein Herz stolpert. „Oh.“
„Ich sehe, was Sie gemacht. Warum jetzt fliehen. Das Mädchen und Baby.“
Ich sehe ihn erschrocken an. Jetzt kennt er meinen richtigen Namen und die Geschichte, die er nicht erfahren sollte. „Ich habe meinen Freund nicht getötet.“
„Papiere sind aufs Haus. Jetzt Sie gehen.“
Ich halte die Luft an. „Aufs Haus? Nein, das kann ich nicht annehmen. Bitte, lassen Sie mich …“
Er legt seine Hand auf die meine und zwingt mich, die Rolle mit den Geldscheinen zu nehmen. „Sie haben gemacht richtig“, sagt er. „Ich auch machen richtig.“
Jetzt stehen mir die Tränen in den Augen. „Danke, Pedro.“
Er sagt nichts mehr, öffnet nur die Tür und lässt mich hinaus. Als ich draußen bin, stehe ich noch einen Moment da, überwältigt von seiner Großzügigkeit. Ich wische mir die Augen und gehe zurück in mein Hotel. Ich rufe ein Taxi und setze mich zum Warten auf den Bordstein. Wo soll ich nun hin?
Als das Taxi kommt, habe ich noch immer nicht entschieden, was mein nächstes Ziel sein soll. Vielleicht sollte ich mir einfach einen oder zwei Tage Zeit lassen, um mir einen Plan zurechtzulegen. Ich lasse mich zu einem Motel am anderen Ende der Stadt bringen. Dort checke ich als Miranda Henley ein, zahle bar und muss noch eine beträchtliche Summe hinterlegen, für den Fall, dass ich das Zimmer verschmutze oder so. Dann versuche ich, einen klaren Kopf zu bekommen und meine nächsten Schritte zu planen.