Читать книгу Wenn sie mich finden - Terri Blackstock - Страница 7

2 Dylan

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Ich gestehe freimütig: Casey Cox ist der mutigste Mensch, der mir je begegnet ist – und ich kenne junge Männer, die haben sich über Granaten geworfen, um ihre Kameraden zu schützen. Aber über Gordon Keegan oder Sy Rollins kann ich das nicht sagen – die beiden Kriminalermittler, die Casey auf den Fersen sind. Für sie ist sie eine tickende Zeitbombe, die entschärft werden muss, bevor sie die krummen Touren der beiden auffliegen lässt und es mit dem bequemen Leben vorbei ist.

Detective Keegan sitzt auf dem Beifahrersitz neben mir. Ich bringe ihn zurück zu seinem Flugzeug – das er wahrscheinlich mit Blutgeld gekauft hat – und kann die Spannung im Wagen mit Händen greifen.

„Ich kann nicht glauben, dass Sie sie einfach haben laufen lassen“, bemerkt er.

Ich presse meinen Kiefer so fest zusammen, dass es schmerzt. „Ich war abgelenkt. Das Mädchen, das Cox retten wollte, schrie und dann war da dieser Kerl, der versuchte, sie und das Baby umzubringen. Die klassische Triage: Ich habe mich um die Situation gekümmert, die mir am brenzligsten erschien.“

„Aber Sie wussten, dass es Casey war.“ Seine Lippen sind schmal, zusammengepresst, die Worte kommen knapp. „Hier ging’s nicht um ein Entweder-oder. Sie hätten das Mädchen und ihr Baby rausholen und Casey trotzdem festnehmen können.“

„Mitten im Gefecht laufen die Dinge selten so, wie sie sollten.“

Keegan wirft mir einen mörderischen Blick zu. „Kommen Sie mir nicht mit solchem Geschwafel. Ich war bei Desert Storm dabei, und zwar an der Front. Ich hab mich nicht hinter einem Dienstgradabzeichen versteckt.“

Er weiß nicht, dass ich Kriminalermittler in der Armee war. Ich antworte nicht.

„Damals haben wir unsere Jungs nicht so verhätschelt und sie mit weinerlichen Ausreden nach Hause gehen lassen. Wenn man damals von der Armee zurückkam, musste man anpacken und es selbst zu etwas bringen.“

Tatsächlich? Bei Desert Storm gab es keine posttraumatischen Belastungsstörungen? Oder in Vietnam? Korea? In den Weltkriegen? Das hat alles erst mit dem Krieg gegen den Terror begonnen? Keegan ist ein noch größerer Idiot, als ich dachte. Mit welchem Vorwand er wohl seine Erpressereien und Morde rechtfertigt? Wird er darauf auch vor Gericht zurückgreifen, wenn ich ihn endlich für all seine Vergehen zur Rechenschaft ziehe?

„Ich finde sie“, sage ich. „Keine Sorge. Ich hab sie ja auch hier aufgespürt, oder? Ich weiß allmählich, wie sie handelt, wie sie denkt. Jede Minute, die ich mit Ihnen verbringe, ist eine Minute, in der ich nicht hinter ihr her sein kann.“

Wir erreichen den kleinen Flugplatz und ich parke vor der Abfertigungshalle. Keegan schüttelt den Kopf. „Fahren Sie auf die Rollbahn. Ich zeig Ihnen, zu welcher Maschine.“ Ich steuere am Gebäude vorbei aufs Flugfeld und er greift nach seiner Reisetasche auf dem Rücksitz.

„Gehört der Flieger Ihnen?“, frage ich, während mein Blick über die vielleicht zwanzig Maschinen gleitet.

Er zögert eine halbe Sekunde, was ein Eingeständnis ist. Danach folgt in der Regel eine Lüge. „Einem Freund. Er leiht sie mir ab und zu.“

Ich kenne eine Menge Piloten. Wer eine eigene Maschine hat, verleiht sie in der Regel nicht wie einen Rasenmäher. Die Versicherung kostet ein Vermögen und gilt nicht für Gastpiloten und jeder zusätzliche Flug erhöht den Wartungsaufwand erheblich. Aber das behalte ich für mich.

„Schon mal daran gedacht, fliegen zu lernen, Dylan?“

„Im College hab ich Flugstunden genommen“, sage ich. „Ich hab die Lizenz, aber ich bin schon Jahre nicht mehr geflogen.“

Keegan sieht enttäuscht aus. Ich würde ihm gern sagen, er soll’s nicht so schwernehmen, aber ich halte den Mund und er dirigiert mich zu seiner Cessna 182.

Als er sein Gepäck in die einmotorige Maschine wuchtet, notiere ich mir die Registriernummer. Er kommt noch mal zum Auto und beugt sich durchs Fenster. „Und was machen Sie als Nächstes?“

„Ich nehme die Spur auf. Seh mich nach ihr um.“

„Unsinn“, sagt er. „Fahren Sie nach Hause. Ich weiß noch nicht, ob wir Sie in dem Fall weiter brauchen. Wir haben ja jetzt die Aufmerksamkeit jeder einzelnen Polizeistation in fünf Bundesstaaten. Und die Medien werden diese Geschichte landesweit bringen. Wo sie auch hinkommt, man wird sie identifizieren. Wir brauchen Sie nicht mehr.“

Ich spare mir die Erwiderung, dass Casey nicht dumm ist, dass sie eine neue Tarnung finden wird. Vermutlich hat sie das bereits. „Ich arbeite nicht für Sie“, sage ich und bemühe mich um einen neutralen Ton. „Ich arbeite für die Paces.“ Brents Eltern, die mich als Privatermittler engagiert haben, damit ich das Mädchen finde, das sie für die Mörderin ihres Sohnes halten, werden ebenso wenig erfreut sein wie Keegan, dass ich sie habe davonkommen lassen. Aber wenn mich schon irgendjemand feuert, dann müssen sie es sein.

„Das wird sich klären. Kommen Sie mit nach Hause. Zeit für ein bisschen Erholung. Und um die Sache in Ruhe zu überdenken.“

Ich nicke. Wenn ich ihn in Shrevesport aufsuche, kostet das wertvolle Zeit, in der Casey sich weiter absetzen kann. „Schön. Ich mach mich gleich auf den Weg. Sehen wir uns morgen?“

„Ja. Kommen Sie um eins auf die Wache. Bis dahin habe ich mit dem Polizeichef gesprochen und auch mit den Paces. Dann sehen wir weiter.“

Das lässt auch mir Zeit, mit ihnen zu reden. Wir verabschieden uns mit Handschlag. Wenn ich den verweigern würde, wüsste er, dass ich ihn durchschaut habe. Als ich den Wagen wende, hat er schon mit dem Check für den Flug begonnen.

Ich werde fast die ganze Nacht im Auto sitzen, wenn ich jetzt heimfahre. Unterwegs bete ich für Casey. Dass sie genug Zeit hat, ein sicheres Plätzchen zu finden, bevor Keegan sich auf ihre Fährte setzt.


Als ich nach Hause komme, ist es schon fast Morgen. Die Wohnung ist stickig. Und dieser Geruch, der mir schon aufgefallen ist, als ich einzog, ist wieder da. Ich vermute, wenn man mal ein paar Tage von einem Ort weg ist, verfeinert sich der Geruchssinn und ist leicht beleidigt, wenn man wiederkommt.

Ich werfe einen Blick in Kühlschrank und Mülleimer, ob da etwa etwas verrottet. Dann schütte ich einen Klecks Spülmittel in den Abfluss und lasse Wasser nachlaufen. Der Fäulnisgeruch verschwindet, aber das Aroma der Vormieter nicht. Vermutlich wird mein Hirn sich in den nächsten Tagen wieder daran gewöhnt haben und es nicht mehr bemerken.

Ich öffne die Tür zu meinem schmalen Balkon und trete hinaus an das verrostete Geländer. Wenn ich mich vorbeuge, kann ich den Parkplatz sehen, wo ein junges Pärchen einen Streit austrägt. Sie droht, sie werde gehen, und er keift zurück. Als sie tatsächlich losfährt, schmeißt er ihr Schimpfworte nach. Dann stürmt er in eine Wohnung unten im Haus und wirft die Tür zu.

Jetzt ist alles wieder still.

Ich lasse mich in den Liegestuhl sinken, auf dem sich Blütenstaub gesammelt hat, und stelle die Füße auf den umgedrehten Plastikkübel. Die altvertraute Bedrohung liegt in der Luft und macht mir das Atmen schwer. Meine Therapeutin nennt es Depression und will der Sache auf den Grund gehen.

Ich habe ihr gesagt, wie enttäuscht ich von mir selbst bin, dass ich mir nutzlos und faul vorkomme, seit ich wieder in den Staaten bin, dass ich kein Ziel habe. Komisch, über dieser Jagd nach Casey habe ich das alles vergessen. Ich hatte ein Ziel: Ich war auf der Jagd nach dem vermutlichen Mörder meines Freundes.

Und jetzt habe ich auch wieder ein Ziel.

Ich stelle die Füße auf den Boden und stütze die Ellbogen auf die Knie. Warum macht der Gedanke daran, dass ich dieses Ziel geheim halten werde, alles nur noch bedrohlicher? Ich muss für mich behalten, was ich weiß, bis ich so viele Beweise habe, dass man sie nicht mehr unter den Teppich kehren kann. Ich muss die Paces belügen und das tue ich nicht gern. Sie haben viel durchgemacht und sie vertrauen mir, nicht nur als Ermittler, sondern auch als langjährigem Freund ihres Sohnes. Sie erwarten, dass ich seinen Mörder vor Gericht bringe.

Und das werde ich. Nur ist die Person, die ich für ihr Geld suchen soll, eben nicht dieser Mörder.

Und noch etwas gefällt mir nicht. Die Vorstellung, was es für das Polizeidezernat in Shreveport bedeuten wird, wo ich eines Tages gern arbeiten würde. Ich bewundere Cops, ich respektiere sie. Schon immer. Es gibt auf der Seite des Gesetzes gute Leute, ohne die mein Leben anders verlaufen wäre. Die Männer und Frauen, die auf die Schreie und Schüsse und Explosionen zulaufen, wenn alle anderen wegrennen. Es sind die korrupten, die denen das Leben schwer machen, die Mut und Integrität beweisen.

Ich möchte der Shreveporter Polizei keine schlechte Arbeitsmoral unterstellen oder sie alle über einen Kamm scheren. Ich werde chirurgisch vorgehen und diejenigen entfernen, die in den Knast gehören, die, die den Ruf der Polizei schädigen, die, die gefährlich sind. Von diesen Leuten will ich die Polizei befreien. Sie sollen zum abschreckenden Beispiel für alle werden, die ihre Dienstausweise missbrauchen, um andere zu terrorisieren und zu erpressen. Und sie sollen für jeden einzelnen Messerstich in Brents Körper bezahlen, für jede Lüge, mit der sie diesen Mord vertuscht haben, für jeden Moment, in dem sie noch die Stars in ihrem eigenen Roman sind.

Aber wer bin ich, dass ich das bewerkstelligen könnte? Ich bin ramponierte Ware. Ich kann mich ja nicht mal mehr auf meinen eigenen Kopf verlassen.

Aber ich kann jetzt auch nicht mehr zurück. Caseys Leben hängt davon ab.

Ich schließe die Augen und sehe die ihren, als wir Auge in Auge unter der Straßenlampe gestanden hatten. Sie waren unergründlich, voller Worte, die sie nicht aussprach, Worte, die ich zu gern gehört hätte. Ich hätte gern ihre Verletzungen verbunden, hätte gern ihr hübsches Gesicht betrachtet und den Frieden genossen, der mich erfüllt hat, einfach nur weil ich in ihrer Nähe war. Ich muss an die Worte denken, die sie mir von einer Mail-Adresse aus geschrieben hat, die sie nur für diesen Zweck eingerichtet hat – an eine Mail-Adresse, die ich ebenfalls nur für diesen Zweck eingerichtet hatte.

In dieser Welt gibt es das wirklich Böse. Ich habe ihm ins Gesicht gesehen. Es wäre ein akzeptabler Preis, wenn ich mich für den Rest meines Lebens verstecken müsste, um diesem Bösen zu entkommen. Wenn es nur nicht so allgegenwärtig wäre …

Und dann kam ihre Herausforderung.

Haben Sie den Mut, das Böse aufzuspüren, das mich quält – selbst wenn das bedeutet, dass der Job, für den man Sie angeheuert hat, ebenfalls im Dienst dieses Bösen steht?

Hier sind ein paar Namen. Keegan, Sy Rollins, die beiden auf jeden Fall. Sie sollten weder deren Freunden vertrauen noch Keegans Sohn. Keegan und Rollins sind nicht nur korrupt, sie sind brutal. Das Böse sitzt in der Abteilung Kapitalverbrechen und verkündet Urteile über Leute wie mich.

Ich gehe zurück in die Wohnung und hole den Computer aus der Tasche. Ich fahre ihn hoch und gucke in meine Mails, um zu sehen, ob sie vielleicht Kontakt aufgenommen hat. Es gibt nichts Neues, also lese ich noch einmal die Nachrichten, die sie bisher geschrieben hat.

Es tut mir weh, dass Casey Gott nicht kennt und sich nicht an ihn wenden kann. Ich würde es ihr wünschen. Einsamkeit ist eine Last, die zu schwer ist für einen allein. Jesus hat nie versprochen, dass er seinen Leuten jede Last abnehmen würde. Aber er hat versprochen, beim Tragen zu helfen.

Ich lege mich auf die Couch, starre an die fleckigen Deckenkacheln und bete für sie. Sie muss ja nicht glauben, damit Gott sie beschützt. Während ich bete, spüre ich, dass sie Gott am Herzen liegt. Er sieht in ihr, was auch ich sehe.

Ob sie noch unterwegs ist? Ich hoffe, sie hat inzwischen das Auto gewechselt, bevor sie Keegans Fahndungsaufruf zum Opfer fallen kann. Vielleicht hat sie ja ein sicheres Plätzchen zum Schlafen gefunden. Und hoffentlich hat sie noch genug Bargeld, um sich durchzuschlagen.

Ich werde sie wiederfinden, das weiß ich. Und dann kann ich hoffentlich dafür sorgen, dass sie unbehelligt zurückkommen kann, um diejenigen Lügen zu strafen, die sie verdächtigen.

Wenn sie mich finden

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