Читать книгу König Tod - Thilo Corzilius - Страница 10
Sechs
ОглавлениеAn Schlaf war nicht zu denken. Die wirren Spielchen, die Thaddäus’ Verstand mit ihm spielte, schlossen festen Schlaf völlig aus.
Gegen vier oder fünf Uhr morgens war er dennoch in einen kurzen, traumlosen Schlummer gefallen. Die pure Erschöpfung hatte seinen Körper wohl dazu gezwungen.
Doch bereits um halb sieben schlug er die Augen wieder auf und das Mahlwerk hinter seiner Stirn begann erneut, Gedanken, Schuldgefühle und Verwirrung zu einem zähen Brei zu zermahlen.
Schließlich stand er auf, warf sich seinen Morgenmantel über den Pyjama und schleppte sich müden Schrittes in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen. Zu den Segnungen des ehemaligen Haushalts seiner Eltern gehörte natürlich ein Kaffee-Vollautomat. Doch als das Gerät anfing, die Bohnen in seinem Inneren zu zermahlen und Wasser aufzubrühen, dröhnte das Zischen dermaßen in Thaddäus’ Gehörgang, dass er die Maschine um ein Haar wieder abgestellt hätte. Nur die Aussicht auf die allmorgendliche Dosis Koffein ließ es ihn ertragen. Anschließend schlurfte er weiter in sein Arbeitszimmer ...
... und stockte.
Dort auf dem Teppich vor seinem Schreibtisch saß Amir. Er hatte den Kopf nach hinten an das schwere Büromöbelstück aus Eiche gelehnt und war in einen dämmrigen Halbschlaf verfallen. Die Haltung sah äußerst ungesund aus und hätte bei Thaddäus wahrscheinlich schon nach wenigen Minuten erhebliche Nackenschmerzen verursacht.
»Amir?«, brummte Thaddäus überrascht. »Was soll das denn nun wieder?«
Erschrocken schlug der Israeli die Augen auf und erhob sich.
»Sorry, Thaddäus«, meinte er hastig. »Bin wohl eingepennt.«
Thaddäus legte den Kopf schief. »Du hast wahrscheinlich ähnlich wenig geschlafen wie ich, stimmt’s?«
»Gar nicht«, verbesserte Amir ihn missmutig.
»Also?«
»Was heißt also?«
»Was machst du hier?«, ergänze Thaddäus.
»Du wolltest herausfinden, wer Monika getötet hat ... Das hast du zumindest gestern Nacht noch gesagt.«
Das war so nur halb richtig.
»Amir«, versuchte Thaddäus dessen mögliche Erwartungshaltung etwas zu relativieren. »Ich habe gesagt, ich würde versuchen, ein wenig nachzuforschen. Aber ich glaube nicht, dass ich einen Mörder finden kann, den selbst die Polizei nicht schnappt.«
»Aber versuchen kann man es«, beharrte Amir.
Thaddäus wiegte den Kopf. »Vielleicht kann man ja irgendetwas finden, was die Polizei übersehen hat ... eine Kleinigkeit vielleicht, die bei den Ermittlungen hilft.«
»Siehst du? Du willst Monikas Mörder doch finden.«
So gesehen hatte Amir natürlich recht, musste Thaddäus sich eingestehen. »Ja, wenn du so willst. Natürlich.«
»Dann helfe ich dir, Mann!«
Das war keine Bitte und auch kein Angebot. Amir hatte gerade einfach festgestellt, dass er Thaddäus helfen würde. Und Thaddäus wiederum wusste, dass Amir äußerst begeisterungsfähig sein konnte, wenn ihn einmal eine Idee gepackt hatte.
Das kann ja heiter werden.
»Du hast eine Menge Ahnung, Thaddäus. Du bist ein großer Journalist und hast viele gute Beziehungen«, stellte Amir klar. »Ich hingegen besitze technisches Wissen. Computer-Know-How, wenn du so willst.«
»Aber ich kann auch mit Computern umgehen«, betonte Thaddäus.
»Du kannst E-Mails lesen und schreiben. Wie langweilig.« Die Bemerkung klang beinahe verächtlich. »Aber kannst du E-Mail-Postfächer auch knacken?«
Nein, das kann ich natürlich nicht, musste Thaddäus sich eingestehen. Amir Benayoun, seines Zeichens stolzer Student der Medieninformatik konnte das aber offenbar sehr wohl, wie er der Aussage entnahm.
»Aber–«
»Kein aber, Thaddäus!«, schloss Amir jegliche Widerrede kategorisch aus. »Wenn du Monikas Mörder kriegen willst, bin ich dabei. Ob du willst, oder nicht.«
Ja, dachte Thaddäus. Ob ich nun will oder nicht.
Zwar sagte ihm ein innerer Beschützerinstinkt, dass er Amir aus solchen Dingen eigentlich besser heraushalten sollte – allerdings kannte er natürlich auch seine Pappenheimer: Amir würde auch ohne ihn versuchen, etwas herauszufinden. Thaddäus hatte ihn quasi mit der Idee infiziert, ihm den Floh ins Ohr gesetzt – und er verfluchte sich im Stillen dafür.
Amir hingegen deutete Thaddäus’ grüblerische Kunstpause als Zustimmung. Die Lebensgeister des Israelis begannen sich zu regen. Nein, sie begannen zu hüpfen. Der Jungspund war Anfang zwanzig, voller Elan. Und dieses unternehmungslustige Blitzen in den kaffeebraunen Augen war nicht wegzudiskutieren. Und das, obwohl er am Abend zuvor ein Sixpack getrunken und danach noch nicht wieder geschlafen hatte.
»Gut«, klatschte Amir also tatkräftig in die Hände. »Wo fangen wir am besten an?«
***
Wo fing man am besten an, wenn man versuchte, in einem völlig aussichtslosen Fall zu ermitteln? Vor allem, wenn man es noch nie zuvor getan hatte.
Innerhalb weniger Minuten hatte Amir die Kork-Pinnwand aus seinem Zimmer hergeholt, alles Angepinnte abgerissen und sie an einen der Aktenschränke gelehnt.
»So etwas haben sie im Fernsehen auch immer«, erklärte er. »Und außerdem hab ich keinen Plan, wie wir sonst anfangen können.«
Die Pinnwand war gar keine schlechte Idee, befand Thaddäus, der langsam und bedächtig an seinem Kaffee schlürfte.
»Also«, drehte sich Amir schließlich um. »Wie legen wir los?«
Thaddäus überlegte. Wie gehe ich vor, wenn ich für eine größere Story recherchiere?
»Am besten schauen wir zunächst, was wir alles über Monika wissen.«
»Klar.«
»Also?«
Amir überlegte kurz, dann zog er einige Blätter aus dem Papierfach von Thaddäus’ Drucker und pinnte sie an die große Korkplatte. Erstaunlich sachlich begann er zu kommentieren, was er mit Edding in großen (wenn auch krakeligen) Druckbuchstaben aufschrieb: »Monika Harms, geboren 1991, aufgewachsen in Stade, gestorben 2013. Studierte Journalistik und Kommunikationswissenschaften an der Uni Hamburg. Arbeitete dort für einen Professor.«
Thaddäus nickte, während er die Informationen im Geiste mitverfolgte.
»Professor Flammer«, ergänzte er. »Ich kenne den Namen.«
»Weiter?«, fragte Amir. »Was haben wir sonst noch an Infos?«
»Sie war sehr talentiert und hat für mehrere Zeitungen oder Zeitschriften gearbeitet. Ich weiß aber nicht genau, für wen alles.«
»Für dieses eine Campus-Magazin hat sie auf jeden Fall geschrieben«, merkte Amir an.
»Welches?«
»Großes, rotes Logo, billiges Papier ...«
»Das weißt du wahrscheinlich besser als ich, Amir.«
»Vermutlich.«
»Also wissen wir jetzt ungefähr, was Monika offiziell so gemacht hat. Wer sie auf dem Papier war.«, fasste Thaddäus zusammen. »Fragen wir mal anders: Wer waren ihre Freunde? Mit wem verstand sie sich besonders gut? Viel wichtiger noch: Mit wem verstand sie sich nicht? Hatte sie irgendwelche Feinde?«
»Es gibt da diese Amelie.«
»Amelie, und wie weiter?«
»Keine Ahnung, Mann.«
»Das hilft uns nicht.«
»Doch, ich hab ihre Nummer.«
Amir grinste schelmisch, als hätte er mit der Nummer einst einen großen Fisch aus dem Teich geangelt.
»Applaus, Applaus!«, brummte Thaddäus sarkastisch. »Na immerhin etwas. Dabei fällt mir ein: Eine Nummer hab ich auch – sogar eine Adresse. Und zwar von ihren Eltern.«
»Klar, Mann, weil du willst, dass man so etwas bei dir angibt, bevor du ein Zimmer vermietest.«
»Ist das so verkehrt?«, wunderte Thaddäus sich.
Amir schüttelte den Kopf. »Aber was willst du denn zum Beispiel mit der Nummer von meinen Eltern in Tel Aviv, hm?«
»Es ist nie verkehrt, so etwas zu haben.«
»Wenn du meinst.«
»Ja, das meine ich.« Thaddäus ging nicht weiter darauf ein, sondern überlegte weiter: »Das sind ja nicht gerade besonders viele Informationen, die wir da haben, Amir. Was ist denn mit ihrem Kalender?«
Amir schüttelte den Kopf. »Die Polizei hat alles mitgenommen, woraus sich Informationen gewinnen lassen könnten.«
Thaddäus knurrte. Das war natürlich richtig. In den Händen der Beamten machten Monikas Sachen gerade auch wesentlich mehr Sinn als bei Amir und ihm hier in der Villa. »Und nun?«
Doch Amir signalisierte durch Schulterzucken, dass er ebenfalls keine Idee hatte.
»Wir könnten ihre Eltern fragen«, schlug Thaddäus schließlich etwas zögerlich vor. Besonders wohl war ihm bei dem Gedanken nicht.
»Du willst da anrufen?«
»Das wäre als Vermieter durchaus angebracht, um mein Beileid zu bekunden. Aber nein, ich rufe nicht an. Wenn überhaupt, dann will ich hinfahren.«
»Heute?«
»So schnell wie möglich. Vielleicht ...« Er zögerte wieder. »Vielleicht haben ihre Eltern ja auch ein Interesse daran, dass noch jemand aktiv wird – wo doch die Polizei so offensichtlich im Dunkeln stochert.«
»Wir stochern auch im Dunkeln«, warf Amir ein.
»Das stimmt wohl«, sagte Thaddäus. »Aber es hilft nichts. Wenn wir das hier wirklich tun wollen, dann müssen wir irgendwo anfangen. Also los, zieh dir ordentliche Sachen an! Dunkle Sachen!«