Читать книгу König Tod - Thilo Corzilius - Страница 12
Acht
ОглавлениеSchweigend fuhren sie die Strecke zurück. Dumpf zog die Landschaft an ihnen vorbei. In tiefes Grübeln versunken, bestimmten vor allem Grautöne Thaddäus’ Blickfeld. Ihr erster Schritt in Sachen eigenständiger Ermittlung war – um es salopp auszudrücken – ein Griff ins Klo gewesen. Sie hatten nichts erfahren, das sie auch nur im Mindesten nach vorn gebracht hatte. Im Gegenteil: Sie hatten sich von Monikas emotional hart geschlagenen Eltern eine deftige Abfuhr eingeholt.
Obwohl, hatten sie wirklich nichts erfahren? Vielleicht nichts, was zur Klärung des Mordfalls Monika Harms beitragen würde. Jedoch ließ die Begegnung vor dem Haus der Familie Harms einige bedrückende Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen Eltern und Kind zu.
In Thaddäus’ Augen war Monika eine höfliche, äußerst strebsame, hochtalentierte und mit ihrem blassen Teint und dem roten Haar obendrein eine bildhübsche junge Frau gewesen. Sie war ihm sympathisch gewesen, und das nicht auf anzügliche Art und Weise, sondern einfach von Herzen sympathisch. Dennoch hatte er stets eine gewisse Distanz gespürt. Zunächst hatte er diese ganz speziell auf sich bezogen. Erst später hatte er bemerkt, dass sich Monika trotz aller Herzlichkeit jedem gegenüber einen Rest von Reserviertheit bewahrte. Bei einigen wenigen Gelegenheiten, zu denen Thaddäus seine Mieter (oder sollte er besser sagen Mitbewohner?) zum Essen eingeladen hatte, war ihm diese Reserviertheit besonders aufgefallen. Monika war gesellschaftlicher Umgang fließend von der Hand gegangen. Sie hatte Smalltalk betrieben, an den richtigen Stellen über Witze gelacht und hatte sich stets höflich und selbstbewusst nach außen gegeben. Aber ihr Benehmen hatte auf Thaddäus auch stets den dezenten Eindruck einer Mauer um sich selbst herum gemacht, ein Schutzschild, hinter dem sie gewissermaßen sicher war. Wovor, das hatte Thaddäus nie hinterfragt. Doch in Anbetracht der wenigen blitzlichtartigen Eindrücke, die er nun von ihrem Elternhaus hatte, konnte er sich durchaus vorstellen, wieso eine junge Frau wie Monika sich auf diese Weise gab. Hatte sich Monika der Rolle verweigert, die ihre Eltern ihr im Leben zugedacht hatten und war ebenso stolz wie misstrauisch ihren eigenen Weg gegangen? Wenn ja, dann war es bewundernswert.
Neben ihm auf dem Beifahrersitz starrte Amir hinaus in das trübe Wetter. Thaddäus wusste nicht, wie sehr ihm die Anfeindungen gegen seine Person als Ausländer unter die Haut gegangen waren. Er selbst hatte jedoch nie und nimmer mit solch einer Heftigkeit gerechnet. Mit starken Emotionen, ja – schließlich hatten die Eheleute Harms ihre Tochter verloren. Aber mit so etwas? Gerade angesichts der Unvoreingenommenheit, die Monika stets ausgestrahlt hatte, hätte er so etwas niemals erwartet.
Das Handy klingelte. Thaddäus drückte am Armaturenbrett auf das grüne Telefonhörerzeichen und die Freisprechanlage tat ihren Dienst.
»Von Bergen«, meldete er sich etwas müder, als er beabsichtigt hatte.
»Thaddäus von Bergen?«, erkundigte sich eine Stimme am anderen Ende. Sie war eigenartig verzerrt, als hielte sich jemand eine elektronische Sprechhilfe an den Kehlkopf.
»Ja?«, bestätigte Thaddäus noch einmal fragend. Gleichzeitig spürte er, wie sich alle Härchen in seinem Nacken aufrichteten.
»Schreiben Sie wieder so einen langen Artikel!«, formulierte die Stimme schlicht aber bestimmt.
Alarmiert tauschten Thaddäus und Amir Blicke aus. Die Stimme hallte dermaßen verzerrt durch die hochwertige Lautsprecheranlage des Wagens, dass man nicht einmal hätte sagen können, ob sie männlich oder weiblich war.
»Einen Artikel?«, versuchte es Thaddäus vorsichtig. »Worüber?«
Ihn beschlich jedoch ein drückendes Gefühl – wie der Schatten einer Vorahnung.
»Stellen Sie sich nicht dumm! Sie sollen natürlich wieder einen Artikel über den Shakespeare-Mörder schreiben!«
Das war ein Befehl gewesen.
Abrupt fuhr Thaddäus auf den Randstreifen der Landstraße.
Für einen Augenblick herrschte Stille im Wagen. Hupend fuhr ihr Hintermann an ihnen vorbei.
»Wieso wieder?«, hakte Thaddäus behutsam nach.
»Verkaufen Sie mich nicht für dumm, von Bergen!«, ging ihn die Stimme an. »Sie wissen genau, warum Sie schreiben sollen. Es hat einen zweiten Mord gegeben, und Sie sollen verflucht noch mal auch wieder an so prominenter Stelle darüber schreiben!«
»Wer sind Sie?«, rief Thaddäus ins Mikrofon des Wagens.
Ein leises, hämisches Lachen war zu hören. Die Membranen der Lautsprecher knarzten von der eigentümlichen Frequenz. »Das ist nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass Sie Text produzieren, von Bergen.«
»Den Teufel werde ich tun«, fauchte Thaddäus. »Was-«
Doch bevor er fertig gesprochen hatte, hatte sein Gesprächspartner am anderen Ende aufgelegt. Das Tuten der Leitung ertönte in regelmäßigen Intervallen, immer und immer wieder.
»Verdammt!« Thaddäus schlug auf das Lenkrad des Benz. »Was soll das denn jetzt?«
»Das war ganz schön spooky, Mann«, sinnierte Amir vor sich hin. »Wer macht so was? Und woher hat der Typ deine Nummer?«
»Gute Fragen«, meinte Thaddäus.
Amir zog augenblicklich das Smartphone aus seiner Halterung zwischen den beiden vorderen Sitzen und tippte und wischte mit seinem Finger darauf herum.
»Was machst du da?«, wollte Thaddäus wissen.
»Die Nummer heraussuchen«, meinte Amir
Einen Augenblick später verriet sein Blick, dass er unter den vielen Funktionen des Gerätes fündig geworden war, und drückte das entsprechende Symbol auf dem Touchscreen. Über eine Bluetooth-Verbindung wurde das Signal des Handys weiterhin an die Freisprechanlage übertragen. Sie hörten das regelmäßige Tuten, das am anderen Ende das Klingeln des Telefons veranlasste.
Es geschah nichts. Lange Zeit nahm niemand ab. Amir legte schließlich auf und versuchte es noch einmal. »Was ist das überhaupt für eine Nummer? Die sieht irgendwie komisch aus.«
Nach dem neunten oder zehnten Klingelgeräusch wurde tatsächlich abgenommen.
»Ja, hallo?«, fragte jemand in den Telefonhörer. Dieser Jemand war eindeutig männlich.
»Hallo, wer ist denn da?«, kam Amir Thaddäus zuvor.
»Merfeld ist mein Name«, sagte die Stimme am anderen Ende. Sie klang verdächtig nach einem Mann, der seine besten Jahre bereits eine Weile überschritten hatte. »Aber wer sind Sie denn überhaupt?«
»Von Bergen«, war Thaddäus diesmal schneller. »Hat vor wenigen Minuten nicht jemand von Ihrem Apparat bei mir angerufen?«
»Das ist schon möglich«, meinte der Alte. »Aber das ist ja auch eine Telefonzelle hier.«
»Telefonzelle?«
»Ja, Sie haben richtig gehört.«
»Wo denn?«
»In Wilhelmsburg bin ich hier«, informierte der Mann Thaddäus. Und dann plapperte er fröhlich weiter: »Ich dachte zuerst, ich höre nicht richtig, aber es war tatsächlich die Telefonzelle, die hier geklingelt hat. Ich wusste ja, dass man die Dinger anrufen kann. Aber dass das auch tatsächlich jemand tut, habe ich mein Lebtag noch nicht mitbekommen. Aber finden Sie nicht auch, dass es irgendwie lustig ist, dass Leute einfach so andere, wildfremde Leute an einem wildfremden Telefon anrufen können?«
»Äh ... ja«, versuchte Thaddäus dazwischen zu kommen, doch der Alte ließ sich nicht beirren.
»Wissen Sie, mein Bruder hat mir einmal erzählt, dass sie sich drüben in den Staaten öfters auf Telefonzellen anrufen lassen. Der Kosten halber, wissen Sie? Mein Bruder ist nämlich damals dorthin gezogen ... ach, was erzähle ich Ihnen das eigentlich, das interessiert Sie doch bestimmt ganz und gar nicht.«
»Bedaure, nein«, murmelte Thaddäus und ergriff die Initiative. »Wo genau steht die Telefonzelle denn in Wilhelmsburg?«
Der Mann nannte ihm den Straßennamen, woraufhin Thaddäus noch eine ganze Minute damit beschäftigt war, den Alten möglichst höflich abzuwimmeln. Schließlich gelang es ihm aber unter Aufbieten all seines diplomatischen Geschicks.
»Also?«, fragte Amir, von der Situation kaum erheitert.
»Wir fahren nach Wilhelmsburg«, beschloss Thaddäus.