Читать книгу König Tod - Thilo Corzilius - Страница 11
Sieben
ОглавлениеSie fuhren mit Thaddäus’ schwarzer Mercedes-E-Klasse bis nach Othmarschen und dort auf die A7, um den Elbtunnel zu nutzen und gleich südlich der Elbe an der Ausfahrt Waltershof wieder abzufahren. Sie flankierten die Ausläufer des gewaltigen Hamburger Hafens und fuhren weiter, vorbei am Werk eines riesigen deutschen Flugzeugbauers und dem dazugehörigen Flugplatz in Finkenwerder.
Das Wetter hatte sich nicht wesentlich gebessert. Grau wie eine Schicht Blei hingen die Wolken über der großen Hansestadt und dem Alten Land in der Elbmarsch südlich des großen Flusses. Doch immerhin war heute noch kein Regen gefallen.
Amir saß mit angezogenen Knien auf dem Beifahrersitz der Limousine und spielte mit Thaddäus’ Tablet, das dieser anstelle eines Navigationssystems benutzte. Thaddäus’ offizielle Begründung dafür war, dass der Bildschirm größer war – aber insgeheim fand er das Gerät einfach nur schicker als das in die Jahre gekommene Navi.
»Ich könnte dir die neueste Version des Betriebssystems draufspielen«, meinte Amir, während er Thaddäus die Straße auf dem Hauptdeich in Richtung Nordwesten entlanglotste.
»Nein, danke«, lehnte Thaddäus ab.
»Aber das ist viel fortschrittlicher«, setzte Amir nach, beinahe wie ein Verkäufer. »Der Browser ist erheblich schneller, und die Hardware von dem Ding wird besser ausgenutzt.«
»Welchen Teil von Nein hast du missverstanden?«, fragte Thaddäus nach. Amir konnte ein Nerd sein, wie er im Buche stand. Von Computern und Technik hatte er immens viel Ahnung. Gut, die musste er als künftiger Informatiker auch haben. Und es war ja auch nicht verkehrt. So hatte Amir Thaddäus beim Kauf des Tablets beraten und sorgte auch dafür, dass Thaddäus’ Notebook stets stabil und bombensicher lief. Das Einzige, was Amirs technisches Know-How ab und zu ein wenig unerträglich machte, war sein ständiger Optimierungsdrang.
»Ich mein ja nur, Mann«, murmelte Amir. »Ist nicht böse gemeint.«
»Ich fasse das ja auch nicht böse auf. Aber versteh doch bitte, dass es mir reicht, wenn ich weiß, wie ein solches Gerät zu bedienen ist. Verstehst du: Es reicht, wenn es zuverlässig funktioniert. Die fünf Millisekunden, die es nach deinem Update schneller läuft, sind mir die Einarbeitungszeit nicht wert.«
»Es sind schon mehr als fünf Millisekunden.«
»Im Sommer können wir vielleicht darüber reden, Amir. Wenn ich Urlaub habe und Zeit.«
Erstaunt blickte Amir ihn an. »Du machst manchmal Urlaub?«
»Ja. Nicht häufig, aber manchmal mache ich auch Urlaub.«
***
Schließlich fanden sie ihren Weg in ein Wohngebiet im Nordosten der Stadt. Dort standen kleine, oft grau verputzte Einfamilienhäuser mit noch kleineren, aber stets akkurat gepflegten Vorgärten.
Mitten unter ihnen befand sich das Haus von Familie Harms. Der Putz war eine Nuance heller als der bleigraue Wolkenhimmel. Aber dennoch wirkte es besonders trostlos.
Trostlos wirkte auch Amir, wie er aus Thaddäus’ Auto stieg. Mit dem zu großen, schwarzen Jackett, das er sich von Thaddäus geliehen hatte, sah er außerdem ein wenig unbeholfen aus.
Kurz entschlossen straffte Thaddäus die Schultern, ging die wenigen Schritte über einen kleinen gepflasterten Weg durch den Vorgarten und klingelte. Da im Haus kein Licht an diesem dämmrigen Tag brannte, musste er davon ausgehen, dass Familie Harms möglicherweise gar nicht zuhause war.
Eine Weile geschah nichts und Thaddäus wollte sich schon wieder zum Gehen wenden. Da öffnete eine Frau die Tür. Sie mochte vielleicht Mitte Vierzig sein, aber in ihrer aktuellen Verfassung hätte sie ebenso gut jenseits der Sechzig sein können. Sie war möglicherweise ebenso attraktiv wie ihre Tochter, denn die Ähnlichkeit sah man auf den ersten Blick. Doch im Moment war ihr Gesicht blass und aufgequollen von Tränen.
»Guten Tag«, hauchte sie unheilvoll leise.
»Guten Tag, Frau Harms?«, erkundigte Thaddäus sich vorsichtig.
»Ja, worum geht es?«
Ihre Stimme klang brüchig.
»Ich ... zunächst einmal muss ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen.«
Frau Harms schien beinahe durch ihn hindurchzustarren.
»Danke«, murmelte sie.
»Mein herzliches Beileid«, kondolierte auch Amir hinter Thaddäus.
»Simone«, kam ein Ruf hinter ihr aus den Tiefen des grauen Hauses. »Wer ist da?«
Verwirrt sah Simone Harms wieder zu Thaddäus.
»Wer sind Sie eigentlich?«, fragte sie tonlos.
»Thaddäus von Bergen«, stellte Thaddäus sich höflich, aber bestimmt vor. »Ihre ... ich meine, Monika hat bei mir im Haus gewohnt. Ich ...«
»Und was wollen Sie?«
Thaddäus räusperte sich, überlegte, was er sagen sollte.
Verdammt noch mal, lass dir was einfallen, Thaddäus!
Warum hatte er sich auf der Fahrt nichts zurechtgelegt? Weil er Gespräche mit Amir hatte führen wollen, die größtenteils stumm verlaufen waren? Abgesehen von denen über Technikdetails.
»Wir dachten, Sie wüssten eventuell jemanden, dem Monika sonst noch ... äh ... nahe gestanden hat. Eine Freundin oder-«
Ein bulliger Mann im gleichen Alter wie die Frau erschien hinter ihr im Türrahmen. Er war äußerlich der Inbegriff allen Selbstmitleids. Ein Feinripp-Unterhemd mit einem großen, nicht näher definierbaren Fleck, spannte sich über seinen muskulösen Oberkörper und die Wölbung seines Bauchs. Unter seinen Augen zeugten dunkle Ringe von der schlaflosen Nacht.
Was hatten sie sich bloß dabei gedacht, herzukommen? Richtig, es war ihnen auch nicht viel besser ergangen, was den Schlaf anging. Auch Amir und Thaddäus waren erschüttert und getroffen. Aber ihr eigenes Empfinden konnte wohl in keinem Verhältnis zu dem der trauernden Eltern stehen.
»Was wollen Sie hier?«, blaffte Herr Harms Thaddäus unvermittelt ins Gesicht.
»Herr Harms, es tut mir schrecklich leid-«
»Was – wollen – Sie – hier?«, fragte Herr Harms langsamer, deutlicher, bedrohlicher. »Sind Sie etwa von der Scheiß-Presse?«
»Peter, bitte«, echauffierte sich Simone Harms halbherzig über die Ausdrucksweise ihres Mannes. »Das ist der Vermieter von Monika, er wollte uns etwas fragen.«
»Ach so, der feine Herr Graf von So-und-so?«, kommentierte er zähnebleckend. »Sie sind das also, der meine Tochter auch noch ermutigt hat, ihren ganzen Zeitungs-Mist zu machen?«
»Was habe ich getan?«, fragte Thaddäus überrascht und entsetzt über die Wendung, die die Situation gerade nahm.
»Na, Sie sind doch der komische adelige Top-Journalist, bei dem meine Tochter untergekrochen ist.«
»Ihre Tochter hat bei mir zur Miete gewohnt.«
»Einen Scheiß hat sie«, begann Peter Harms zu brüllen, und seine Blicke projizierten allen Weltschmerz über den Tod seiner Tochter auf Thaddäus. »Sie hat erzählt, wie Sie sie umsonst bei sich wohnen lassen, wenn sie Ihre verfluchte Villa putzt. Was denken Sie sich eigentlich, Sie arroganter Schnösel? Sie sollten meine Tochter nicht auch noch ermutigen. Hätten Sie sie nicht einfach wieder nach Hause schicken können, wo sie irgendetwas Vernünftiges gelernt hätte?«
Jetzt wurde Thaddäus die Tirade zu viel.
»Ihre Tochter war die begabteste Journalismus-Studentin, die ich jemals kennengelernt habe«, entgegnete er im Brustton der Überzeugung. »Hören Sie: Jemals!«
»Wagen Sie es nicht-«, platzte Peter Harms nun endgültig der Kragen, und er griff an seiner Frau vorbei nach Thaddäus. Doch er fasste taumelnd ins Leere, stolperte und landete auf den Knien seiner abgetragenen Cordhose.
»Peter!«, flehte seine Frau, ging in die Hocke und schlang die Arme um ihn. »Peter, bitte! Bitte lass es gut sein. Der meint es doch gar nicht böse.«
Doch nachdem es einen kurzen Augenblick so schien, als bekäme Peter Harms sich wieder in die Gewalt, schürten die Worte seiner Frau den Schmerz nur wieder.
»Was heißt hier, der meint es nicht böse? Der hat Monika auch noch bestärkt. Ohne ihn wäre sie jetzt noch hier. Sie wäre noch hier ...«
Sein Geschrei machte einen Salto hin zu einem kläglichen Jammern. Mit einem Schluchzen überschlug sich seine Stimme.
»Bitte ...«, setzte Thaddäus noch einmal an, der kaum noch hinsehen konnte.
Doch Peter Harms zeigte mit dem Finger auf Amir und schrie weiter. »Und was haben Sie uns dann noch für einen Scheiß-Kanacken angeschleppt? Meinen Sie, ich kriege nicht mit, wie Sie mich hier alle verarschen?«
Er wandte sich jetzt direkt an Amir. »Wie heißt du, Kleiner? Ali? Mustafa? Ihr seid doch alle gleich.«
Gleichermaßen voller Abscheu und Mitleid sah Amir auf den massigen Mann herunter.
»Amir Benayoun«, stellte er sich vor. »Ich bin ... war ...«
»Was warst du?«, fuhr Peter Harms ihn an. »Ihr Freund? Ihr Lover? Ja, natürlich. War das nicht dieser ganze Multi-Kulti-Mist, von dem sie immer geredet hat?«
Seine Frau sagte nichts mehr, drückte ihn bloß fester mit den Armen an sich.
»Es ... es tut mir leid«, stammelte Thaddäus und gab Amir ein Zeichen zum raschen Aufbruch. »Es tut mir wirklich leid.«
Als er sich abgewandt hatte, kniff er sich eine Träne des Entsetzens aus dem Augenwinkel. Dann ging er raschen Schrittes zum Wagen, stieg ein und drehte den Zündschlüssel.