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Eins

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»Scheiße, Mann!«, brüllte Amir durch den Salon der Villa. »Verfluchte, verdammte Scheiße!«

Er schlug mit der Faust gegen die ockerfarbene Tapete, prellte sich aber wohl nur den Knöchel. Mitleidig sah Thaddäus, wie dem ansonsten so harten Israeli Tränen in die Augenwinkel traten.

Auch Kirsten, die junge Doktorandin war den Tränen zum Greifen nahe. Sie hatte die Hände in sprachlosem Entsetzen vor den Mund geschlagen und verharrte so seit Minuten. Thaddäus wusste, dass der Tod ihres kranken Vaters sie vor einigen Jahren stark mitgenommen hatte. Jetzt hatte es ihre Mitbewohnerin getroffen. Nicht minder entsetzlich – auch, wenn es natürlich etwas völlig anderes war. Sie tat Thaddäus leid, wie sie verloren dastand. Ihre Augen starrten irgendwo in den Raum hinein, an ihm selbst vorbei, durch die beiden Beamten hindurch.

Überhaupt, die Beamten! Wie klischeehaft kann man denn bitteschön auftreten?, dachte Thaddäus.

Ein beiger Trenchcoat, eine speckige Lederjacke, graue Gesichter. Kriminalbeamte, natürlich. Selbstverständlich kannte Thaddäus Gesichter und Namen der beiden von seinen Recherchen. Doch sie wirklich hier zu haben, nahm dem müden Herbsttag in Hamburg die letzte Farbe.

Wie fühlte er selbst, Thaddäus von Bergen, sich eigentlich? War er geschockt? Sicherlich. Aber woher kam diese eigenartige Nüchternheit, mit der er in diesem Moment geschlagen war? Es kam ihm ein wenig vor, als betrachte er alles, was sich um ihn herum abspielte, bloß als Szene in einem Film. Einem blassen, schlechten Film, dessen Kameraeinstellungen eine Zumutung waren, sodass man am liebsten sein Geld zurückverlangt hätte.

»Herr von Bergen?«

Der Trenchcoat-Kommissar sprach ihn erneut an, nachdem er allen Anwesenden einen Augenblick für sich selbst gelassen hatte.

»Hm?«, reagierte Thaddäus. Die Welt fühlte sich seltsam taub an. Er versuchte, sich zurück in die Wirklichkeit zu holen. Der Name des Trenchcoat-Polizisten war Falter gewesen, Hauptkommissar Michael Falter.

»Haben Sie Zeit für ein paar Fragen?«

»Was? ... äh ... ja, sicher.«

Ein kurzes Schweigen folgte.

»Haben Sie vielleicht ein Arbeitszimmer?«, fragte Falter schließlich. »Irgendeinen Ort, an dem wir ungestört sind?«

»Natürlich.«

Thaddäus versuchte, sich so gut es ging zusammenzunehmen. »Kommen Sie mit.«

Er führte die beiden Polizisten durch das Erdgeschoss der Villa, bis sie in seinem geräumigen Arbeitszimmer angelangt waren. Höflich bot er ihnen zwei Stühle vor seinem Schreibtisch an. Er selbst nahm auf seinem Schreibtischsessel Platz und folgte den interessierten Blicken der beiden Polizisten, während sie sich umsahen und den Raum einzuordnen versuchten.

Die dunklen Möbel aus Kirschholz, der schwere Eichenschreibtisch, Regale voller Aktenordner und Bücher. Das alles schienen sie zwar wahrzunehmen. Was sie jedoch besonders gründlich in Augenschein nahmen, stand in einer freigemachten Ecke des großen Raumes.

»Ist das ein Schlagzeug?«, fragte der zweite Polizist ungläubig. Es klang beinahe etwas dümmlich

Thaddäus war kurz versucht, eine entsprechend dreiste Antwort zu geben. Doch dann schob er seine Gereiztheit auf den Schock und besann sich eines Besseren. Er nickte. »Ja.«

»Warum haben Sie ein Schlagzeug in Ihrem Arbeitszimmer?«

»Ich habe sonst keinen Platz dafür. Hören Sie, was soll das? Sie sind sicher nicht wegen des Schlagzeugs hier.«

Der Trenchcoat-Polizist übernahm stattdessen wieder. »Nein, entschuldigen Sie, Herr von Bergen. Nur erscheinen Sie uns – mit Verlaub – einfach ein wenig unkonventionell.«

»Und?«

»Das ist insofern nicht uninteressant: Auf Frau Harms’ Personalausweis stand, dass sie wohnhaft an dieser Adresse war.«

Frau Harms, hallte es durch Thaddäus’ Verstand.

So hörte es sich also an, wenn ein liebgewonnener Mensch zum Aktenzeichen wurde. Er musste schlucken. Ja, Monika Harms hatte hier gewohnt. Das ganze letzte Jahr über.

»Das ist ja auch der Fall«, bestätigte Thaddäus so trocken wie möglich. Und fügte nach einer Pause an: »Gewesen.«

»Wie darf ich mir das vorstellen?«, fragte Hauptkommissar Falter.

»Ganz einfach. Ich vermiete die Räume im oberen Stockwerk der Villa an junge Leute. Studenten meistens.«

»Hier zu wohnen, ist doch sicher nicht besonders günstig. Was zahlen ihre Mieter denn so?«

Thaddäus sagte es ihm.

Völliger Unglaube spiegelte sich auf dem Gesicht von Falter wider. »Das ist nicht Ihr Ernst.«

Thaddäus zuckte bloß mit den Schultern. »Warum nicht? Was soll ich denn sonst mit den Räumen tun? Mir ist lieber, dort oben wohnt jemand, der es sich sonst nicht leisten könnte.«

»Jemand wie Monika Harms?«

Thaddäus nickte. »Ja.«

»Sie müssen wissen, dass das in unseren Augen schon ein wenig eigenartig wirkt, Herr von Bergen.«

»Dass ich das Obergeschoss der Villa an Studenten vermiete?«

»Nein, nicht dass Sie es vermieten. Merkwürdig ist, dass ausgerechnet Sie der Vermieter von Frau Harms sind.«

In Thaddäus’ fragendem Gesicht konnte man lesen, wie in einem offenen Buch.

»Kommen Sie schon, Herr von Bergen. Wollen Sie mir etwa erzählen, es sei völliger Zufall, wenn Sie erst eine ausführliche Reportage in einer renommierten Wochenzeitung über einen bizarren Mordfall verfassen und wenige Wochen später wird Ihre Mieterin auf exakt dieselbe Weise umgebracht wie damals Herr Brünning.«

Erschrocken fuhr Thaddäus hoch.

»Das war derselbe Kerl?«, rief er aufgebracht. »Derselbe, der auch Wolf-Dieter Brünning umgebracht hat? Bitte sagen Sie mir, dass Sie mich auf den Arm nehmen wollen!«

Doch Hauptkommissar Falter schüttelte lediglich den Kopf.

»Nein, keineswegs«, meinte er besonnen. »Und ich fürchte, ich muss Sie auch fragen, was Sie gestern Abend so gegen zwanzig Uhr getan haben, Herr von Bergen.«

Thaddäus fühlte sich, als hätte ihm jemand einen harten Schlag in die Magengegend versetzt. »Ich ... äh ... Sie sagen gegen zwanzig Uhr? Vermutlich habe ich Schlagzeug gespielt. Keine Ahnung, fragen Sie doch Amir und Kirsten. Normalerweise bekommen die mit, wenn ich spiele. Das ist ja kein leises Instrument. Ich-«

»Das werden wir tun, Herr von Bergen«, versprach Falter. »Wenn Ihre Hausbewohner das jedoch nicht bestätigen sollten – hätten Sie in diesem Fall etwas dagegen, uns zu einer weiteren Vernehmung aufs Polizeipräsidium zu begleiten?«

Langsam, ganz langsam flaute die erste Aufregung bei Thaddäus ab. Stattdessen wurde ihm regelrecht übel. Die Mischung von nachmittäglichem Kaffee, Schock und Fassungslosigkeit machte seinem Magen zu schaffen.

»Nein.« Er schüttelte erschöpft den Kopf. »Natürlich komme ich mit.«

König Tod

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