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Neun

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Natürlich fanden sie die Telefonzelle im Hamburger Süden verwaist vor. Aber was hatten sie auch erwartet? Immerhin hatte sich auch der gelangweilte Rentner aus dem Staub gemacht und nicht beschlossen, auf sie zu warten. Weder Thaddäus noch Amir stand der Sinn nach einem weiteren höchst belanglosen Schwätzchen. Nicht hier, nicht jetzt.

»Glaubst Du, das war der Mörder von Monika?«, rief Amir gegen den kalten Herbstwind an. Thaddäus stapfte gerade missmutig von der Telefonzelle zurück zum Wagen, den er mit zwei Rädern auf dem Fußgängerweg abgestellt hatte.

Er schüttelte den Kopf. »Nein. War auch nur so eine Idee, herzukommen. Aber ich habe nachgedacht: Eigentlich dürfte es nicht so unheimlich schwer sein, an meine Nummer zu kommen. Die haben viele Leute. Vielleicht reicht es ja sogar, mich zu googlen.«

Mit langen Schritten kam er heran, öffnete die Tür an der Fahrerseite und ließ sich auf den Sitz sinken. »Und eine Meldung über den Mord dürfte die Polizei bereits rausgegeben haben. Ich habe noch nicht nachgeschaut. Normalerweise halten die das nur aus sogenannten ermittlungstaktischen Gründen unter Verschluss. Aber wenn ich Kommissar Falter richtig verstanden habe, fehlen der Polizei ja immer noch sämtliche Hinweise. Um überhaupt an solche zu kommen, wäre es vielleicht gar nicht so dumm, möglichst schnell irgendetwas online zu stellen.«

Er löste das Tablet aus seiner Halterung und begann, darauf herumzutippen.

»Da!«, sagte er schließlich und hielt Amir die im Browser geöffnete Internetseite der Polizei Hamburg mit den Pressemeldungen hin.

»Die Polizei bittet um Mithilfe nach Mord«, las Amir murmelnd die Überschrift vor und überflog die Meldung, in der der Tathergang relativ sachlich geschildert wurde – was ihm jedoch nicht viel von seiner Grausamkeit nahm. »Betäubt ... gefesselt ... mit Blut geschriebene Shakespeare-Verse ...

Amir schien immerhin etwas gefasster zu sein als gestern Abend.

»Mann«, kommentierte er trübselig. »Was für ein abartiger Wichser, dieser Kerl. Warum macht jemand so was?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, gestand Thaddäus, hängte das Tablet wieder ein und startete den Motor um loszufahren. »Das ist schon ziemlich krank. Aber das ist ja auch das Problem. Deshalb ist es ja kaum nachvollziehbar. Wie die Gedankenwelt tickt, die dahintersteckt, weiß niemand so recht.«

»Hm«, machte Amir. »Solltest du diesem Falter nicht von dem Anruf erzählen?«

»Ich weiß ja noch nicht einmal, ob das überhaupt der Mörder war. Das kann auch ein Trittbrettfahrer sein. Solch perverse Spaßvögel gibt’s doch bestimmt.«

»Spinnst du? Auch wenn das nur ein Trittbrettfahrer ist, gehört der in den Knast!«

Thaddäus ließ zehn Sekunden des Grübelns verstreichen.

Ja, natürlich hat Amir recht. Wo zum Teufel bin ich bloß mit meinen Gedanken?

Seufzend zückte er sein Smartphone und wählte Kommissar Falters Nummer.

***

Sie warteten schweigend auf das Eintreffen der Polizei. Thaddäus hatte Falter am Telefon so nüchtern wie möglich erklärt, was vorgefallen war.

Die Blicke, mit denen der Kommissar ihn jedoch seit seiner Ankunft bedachte, waren vernichtend. Es war schwer zu sagen, wie stark er ihn immer noch im Visier hatte. Immerhin war eine ganze Nacht seitdem vergangen. Eine extrem wichtige und arbeitsreiche Nacht. Und Falter sah auch dementsprechend aus. Aber ob die Zwischenzeit gereicht hatte, Falters Misstrauen ihm gegenüber zu entkräften?

»Das hier schluckt eine ganze Menge Kapazitäten, das wissen Sie schon, Herr von Bergen, oder?«, maulte ihn der übermüdete Kommissar an.

»Ich hab Sie nicht verschaukelt«, ging Thaddäus sofort nervös in die Defensive. »Sie können meine Handyverbindungen nachprüfen.«

»Warum sollte ich glauben, dass Sie mich verschaukeln?«, wunderte sich der Kommissar.

»Na ja ... unser Gespräch gestern war etwas ... spannungsreich.«

»Das könnte man so sagen.«

»Hören Sie«, unternahm Thaddäus einen weiteren kläglichen Versuch, irgendwie auf das Wesentliche zu kommen. »Ich weiß wirklich nicht, was das Ganze mit mir zu tun hat. Aber glauben Sie mir bitte, dass ich hier keine bescheuerten Spielchen spiele.«

»Ist schon gut«, brummte Falter. »Sie laufen mir nicht weg. Ich wollte nur andeuten, dass es ein fast absurder Aufwand ist, alle Spuren aus einer öffentlichen Telefonzelle zu sichern. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele Fingerabdrücke wir dort finden werden? Und ich rede hier noch nicht mal davon, dass jemand, der Sie mit verzerrter Stimme anruft, wahrscheinlich auch das bedacht hat und Handschuhe getragen hat.«

Thaddäus sah weg. Das war irgendwie demütigend. Egal, was er tat – er tat das Falsche. Hätte er doch auf seine erste Eingebung gehört und die Polizei herausgehalten. Aber das wäre natürlich auch nicht korrekt gewesen, da hatte Amir ihn schon zu Recht ermahnt.

»Und was haben Sie eigentlich vorher bei den Eltern von Frau Harms getan?«, legte Falter noch eine Schippe drauf.

»Kondoliert«, meinte Thaddäus schlicht. Zumindest war es das gewesen, worauf es hinausgelaufen war. Was sie eigentlich im Sinn gehabt hatten, brauchte Falter nicht zu wissen.

»Aha«, lies Falter vernehmen.

»Was heißt hier aha? Beileid zu bekunden ist eine Frage von Anstand!«

»Schon gut, Herr von Bergen.«

»Nein«, echauffierte Thaddäus sich. »Nichts ist gut, verdammt. Ich hab mir das nicht ausgesucht. Lassen Sie Ihren Frust darüber, dass Sie nicht vorankommen, bitte nicht an mir aus.«

Falters Augen blitzten auf. »Wer sagt denn überhaupt, dass wir nicht vorankommen?«

»Sie fragen im Internet ungewöhnlich schnell nach Mithilfe aus der Bevölkerung. Sie haben nichts Besseres zu tun, als mich zu belästigen. Sie kommen sofort persönlich her, wenn ich Sie wegen eines Anrufes aus einer Telefonzelle kontaktiere ... nur um mir dann vorzuhalten, dass hier kaum etwas zu verwerten sei? Hören Sie doch auf, Herr Falter. Ich bin Journalist, ich weiß, wie eine Sackgasse in puncto Recherche aussieht.«

»Vorsichtig, Herr von Bergen. Vergreifen Sie sich nicht im Ton!«

»Kann ich gehen?«

Kommissar Falter machte eine Geste mit der Hand, die Thaddäus als wortlose Bestätigung interpretierte. Verwirrt und innerlich kochend vor Zorn auf Falter ging er hinüber zu seinem Benz.

»Komm!«, meinte er zu Amir.

***

Sie waren bereits eine Weile zurück auf der Straße, als Amir Thaddäus vorsichtig ansprach. Offenbar war er nicht ganz sicher, ob sich Thaddäus’ Ärger über den Kommissar schon gelegt hatte.

»Ich hab noch mal eine Frage.«

»Ja?« Thaddäus versuchte, nicht allzu gereizt zu klingen. Schließlich war sein Zwist mit Kommissar Falter ja nicht Amirs Schuld.

»Was war das für ein Zitat, das der Mistkerl mit Monikas Blut an die Wand geschrieben hat?«

»Shakespeare.«

»Ja, verdammt. Geht’s genauer, Mann?«

»Also beim Mord an Wolf-Dieter Brünning war das Zitat aus König Lear. Es ist gegen Ende des Stücks im Text zu finden. Ich kann es nicht auswendig, aber ich kann es zuhause sofort finden. Ich hab es ja in die Reportage für den Chronos geschrieben.«

Doch Amir nahm ohne zu zögern das Tablet in die Finger und begann, im Internet zu surfen.

»Das braucht nicht bis zuhause warten«, meinte er, schon wieder ganz in seine Tätigkeit versunken. »Der Chronos ist für Abonnenten doch bestimmt online abrufbar, oder?«

»Brauchst du ein Passwort?«, fragte Thaddäus, der als freier Mitarbeiter selbstverständlich ein solches Abonnement besaß.

»Nein«, meinte Amir schlicht.

»Du hast ein Abo?«, erkundigte Thaddäus sich erstaunt.

»Nein«, wiederholte Amir im selben ausruckslosen Tonfall.

Weiter fragte Thaddäus lieber nicht nach.

Wenige Minuten später hatte sich Amir Zugang zu den abonnement-exklusiven Vorteilen im Online-Angebot des Chronos verschafft.

»Du hast mal einen Artikel über das Schlafzimmerverhalten in europäischen Königshäusern geschrieben?«, fragte er nach einer Weile amüsiert nach.

Thaddäus stöhnte. »Da war ich ziemlich jung.«

»Aber du hast es immerhin damit in Deutschlands größte Wochenzeitung geschafft«, spöttelte Amir.

»Wie hast du ...«, begann Thaddäus, brach den Satz jedoch ab.

»Ich hab nach deinem Namen gesucht«, murmelte Amir da bereits. »Schien mir die einfachste Möglichkeit, schnell an den Artikel zu kommen.«

»Reportage«, betonte Thaddäus ein wenig eingeschnappt. »Nicht einfach bloß Artikel.«

Amir blickte verwundert hoch. »Wo ist der Unterschied?«

»Es geht mitunter auch um eigene Eindrücke.«

»Du willst sagen, dass du dich mit Polizisten getroffen und dir damals den Tatort hast zeigen lassen? Solche Sachen?«

»Ich-«

»Aber letztlich hast du das Ding trotzdem an irgendeinem Schreibtisch am Computer geschrieben. Ist also auch bloß ein langer Text.«

Thaddäus hatte keine Lust, sich zu streiten.

»Wie lautet das Zitat also genau?«, wollte er stattdessen wissen.

Mit einigen Mühen gab Amir wieder, was dort geschrieben stand – seine Deutschkenntnisse waren zwar extrem gut, aber einen Text mit ungewohntem Vokabular und derartigem Versmaß flüssig vorzulesen, fiel ihm dennoch schwer:

»Wir hören armes Volk vom Hof erzählen

Und schwatzen mit, wer da gewinnt, verliert,

Wer in, wer aus der Gunst, und tun so tief

Geheimnisvoll, als wären wir Propheten

Der Gottheit; (und) so überdauern wir

Im Kerker Ränk und Spaltungen der Großen,

Die ebben mit dem Mond und fluten.«

Eine Weile starrte Amir noch auf den Text, als ob er gerade etwas sehr Bitteres hätte hinunterschlucken müssen. »Warum steht das und in Klammern, Thaddäus?«

»Weil es nicht an der Wand am Tatort stand.«

»Aber normalerweise gehört es dorthin?«

Thaddäus nickte. »Zumindest soweit ich recherchiert habe. Ich weiß nicht, ob es unter den zahllosen Auflagen dieser Übersetzung im Laufe der Zeit mal eine gab, in der dieses und nicht gedruckt wurde.

»Hm«, machte Amir und versank in ein kurzes, aber offenbar ergebnisloses Grübeln.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte er stattdessen schließlich weiter.

»Was stand denn noch auf unserem Brainstorming?«

»Der Professor, für den Monika gearbeitet hat.«

»Ach ja. Richtig«, fiel es auch Thaddäus ein. »Professor Eduard Flammer. Vielleicht wird das ja die erste freundliche Begegnung am heutigen Tag.«

»Glaubst du wirklich?«

»Nein. Nichts von dem, was wir heute tun, verdient eine Bezeichnung wie freundlich

»Hm«, brummte Amir nur wieder. »Weißt du, wie wir dahin kommen oder soll ich googlen?«

»Wenn er gerade bei sich im Institut ist, dann weiß ich es, ja.«

König Tod

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