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Drei
Оглавление»Sag mal, haben sie dir irgendwas in den Kaffee getan?«, herrschte Eichendorff Thaddäus an, als sie das Hamburger Polizeipräsidium durch den Haupteingang verlassen hatten.
Die feuchtkühle Luft des Hamburger Herbstes zog durch jede Ritze in der Kleidung. Thaddäus schlug den Kragen seines dunklen Lodenmantels hoch und antwortete seinem Anwalt mit einem verstimmten Brummen.
»Ganz ehrlich«, schimpfte der weiter. »Die Show dort drinnen hättest du auch ohne Weiteres alleine abziehen können. Aber indem du einen superteuren Anwalt bestellst, gibst du den Herren Polizisten auch noch einen zusätzlichen Anlass, irgendwas im Busch zu wittern. Das war nicht wirklich schlau, mein Lieber.«
»Scheint wohl so«, entgegnete Thaddäus etwas abwesend.
»Alles in Ordnung soweit?«, vergewisserte sich Eichendorff etwas vorsichtiger, nachdem der erste Zorn verraucht war.
»Oh, außer, dass gestern Abend eine junge Frau ermordet wurde, die in meinem Haus gewohnt hat ...«
»Hm«, stellte Eichendorff fest. »Das geht dir wirklich nahe, oder?«
Verwirrt drehte Thaddäus sich zu ihm um. »Natürlich. Was denkst du denn?«
»Nun«, gab Eichendorff zu. »Ich dachte, es wäre vielleicht irgendein Steuertrick, die Studenten bei dir wohnen zu lassen.«
Da war sie wieder, die Denkweise jener Menschen, die sich einer gewissen Oberschicht zugehörig fühlten. Sie verfolgte Thaddäus von Bergen wie ein Schatten durch die Welt. Natürlich! Warum sollte Thaddäus auch Leute aus reiner Freundlichkeit bei sich wohnen lassen? In der Gedankenwelt einiger Menschen war das leider schlichtweg absurd.
Thaddäus hasste das. Hatte es immer gehasst. Es stand ihm bis über beide Ohren. Selbst der Tod seiner Eltern vor einigen Jahren hatte nichts daran geändert. Aus einer Laune heraus hatte er damals seine Schwester ausgezahlt und die Villa allein aus der Erbmasse übernommen. Warum er in diesem Augenblick so gehandelt hatte, hatte er sich in den Folgejahren immer wieder sehr ernsthaft gefragt. Doch schließlich hatte er sich damit abgefunden, dass auch ein Thaddäus Ferdinand Wilhelm von Bergen eben durchaus mal zum Spielball seiner eigenen Emotionalität wurde: Er hing einfach an dem Haus.
Folglich erwiderte er auf Eichendorffs Bemerkung einfach gar nichts.
Steuertrick? Soweit kommt es noch, dass ich bei der Steuer großartig herumtricksen müsste.
»Kann ich dich noch mitnehmen nach Harvestehude?«, bot der Anwalt ihm an.
Doch Thaddäus lehnte leicht genervt ab. »Danke, nein. Ich fahr nicht sofort nach Hause. Ich muss mir irgendwo den Frust von der Seele reden.«
»Bei Eva?«, bohrte Eichendorff nach.
Herrgott, ja verdammt noch mal, genau da: Bei Eva!
»Vielleicht brauche ich auch einfach einen Moment für mich«, versetzte Thaddäus. Doch es klang, als hätte er sich eben erst dazu entschieden. Nicht sonderlich überzeugend.
»Also dann«, verabschiedete sich Eichendorff, ging zum Parkplatz. Kurz darauf sah Thaddäus eine schwarz lackierte S-Klasse davonfahren.
Selbstverständlich wählte Thaddäus Evas Nummer. Während er das Tuten in der Leitung über sich ergehen ließ, besah er sich das Polizeipräsidium noch einmal. Welch ein monströser Bau, den man vor ein paar Jahren erst hierhin gepflanzt hatte. Er hatte in etwa den Grundriss einer stilisierten Sonne: Ein runder Kringel mit zehn Strahlen nach allen Seiten. Nur war es natürlich keine einfache Strichzeichnung, sondern ein ringsherum siebenstöckiges Bürogebäude.
»Thaddäus?«, meldete sich eine vertraute Stimme am anderen Ende.
»Hallo Eva. Hast du eventuell ein wenig Zeit für mich?«
»Am Telefon?«
»Könnten wir uns vielleicht sehen?«
»Wo bist du denn?«
»Beim Polizeipräsidium, ich ... ich ...«
Thaddäus stotterte, er wusste nicht recht, wie er es ausdrücken sollte. »Mir ist da ein wirklich ganz schön großer Mist passiert.«
»Was ist denn los, um Himmels willen?«, fragte Eva mit ernster Sorge in der Stimme.
»Kann ich dir das nicht persönlich sagen?«
»Soll ich dich abholen?«
»Das wäre sehr lieb von dir.«
»Okay, warte ...«
Im Hintergrund war zu hören, wie sie ihrem Mann etwas zurief, das mit den Kindern zu tun hatte. Wahrscheinlich sollte er sie ins Bett bringen. Dann wandte sie sich wieder dem Telefongespräch zu. »Ich bin in zwanzig Minuten bei dir. Okay?«
»Danke!«
Thaddäus wusste nicht, ob das Gespräch mit Eva ihn wirklich erleichtern würde. Aber es war im Moment sicherlich gut, nicht mit sich allein zu sein.
Apropos Alleinsein. Er fragte sich, was Amir und Kirsten wohl gerade taten. Gut, Kirsten würde wohl ihren Freund angerufen haben, der irgendwo in Bergedorf wohnte. Da war sie auch zur Tatzeit gewesen. Dieser Eugen war ein netter Kerl, aber für Thaddäus auch irgendwie ein Niemand. Das lag nicht daran, dass er ihm unsympathisch war. Doch so richtig konnte er ihn auch nicht einschätzen. Es gab Menschen, die waren irgendwie ... durchschnittlich. Sie fielen durch nichts besonders auf. Kirstens Eugen war einfach jemand, den Thaddäus in einer Menschenmenge schlichtweg nicht bemerkt hätte.
Und Amir? Thaddäus wusste nicht, ob der israelische Student irgendjemanden zum Reden hatte. Also nahm er sich vor, nach seiner Rückkehr in die Villa ihm wenigstens anzubieten, dass sie reden könnten – wenn Amir denn wollte. Der temperamentvolle Wirrkopf war ihm im Laufe der letzten anderthalb Jahre irgendwie ans Herz gewachsen.
Da fiel ihm ein: Hatte Amir ihm nicht letztens ein Spiel auf Thaddäus’ Smartphone installiert? Mit einem fetten Grinsen und der Bemerkung, dass man ja nie wisse, wann einem mal langweilig sei? Thaddäus scrollte durch das Menü. Da war es. Eigentlich überhaupt nicht seine Form der Freizeitbeschäftigung. Aber er wartete immerhin vor dem verdammten Hamburger Polizeipräsidium und sein Kopf brummte vor lauter Gedanken, die er sich lieber nicht machen würde. Also katapultierte er halb gelangweilt irgendwelche Vögel über den Touchscreen des Gerätes, während er frierend auf dem Gehweg unter einer Straßenlaterne stand.
Nach diversen anspruchslosen Leveln des Spiels kam ein grüner Volvo die Straße entlanggefahren und hielt an der Ecke zum Parkplatz, an der Thaddäus stand. Eine Frau in Thaddäus’ Alter – sie trug ihre blonden Locken schulterlang und ihr besorgter Blick wurde durch eine markant eckige Brille gerahmt – stieg aus und bedachte Thaddäus mit einer kurzen aber herzlichen Umarmung.
»Was um alles in der Welt ist denn passiert?«, fragte sie unumwunden.
»Jemand hat Monika ermordet.«
»Wen?«
»Eine Studentin, die bei mir gewohnt hat.«
»Scheiße!«, entfuhr es ihr.
»Das trifft es wohl.«
Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Ich fühle mich ziemlich elend, Eva.«
Er erntete verständnisvolles Nicken. »Ist jemand ... äh ... sollen wir fahren?«
»Bitte.«