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Zehn
ОглавлениеSie fuhren durch den langsam abebbenden Vormittagsverkehr zurück in den Stadtteil Rotherbaum. Direkt südlich an Harvestehude grenzend, war dies einer der schillerndsten Teile Hamburgs. Besonders der Grindel war ein Ausbund multikulturellen Aufeinandertreffens. Nicht nur der Campus der Universität Hamburg befand sich hier. Für Amir war der Grindel bereits deshalb von besonderem Interesse, weil sich hier einstmals und heute wieder das jüdische Leben Hamburgs konzentrierte.
Aber auch sonst bereicherte Rotherbaum das kulturelle Leben in Hamburg ungemein und auf vielfältige Art und Weise. Hier traf die Hochschule für Musik und Theater gleichfalls auf den legendären Konzertschuppen Logo, ebenso wie die nüchternen Betonbauten der Universität den umliegenden Villen und Parkanlagen begegneten.
Thaddäus und Amir parkten in der Bornstraße, kreuzten zu Fuß hundert Meter weiter den Grindelhof und passierten das Abaton, Deutschlands ältestes Programmkino, in Richtung Allendeplatz, der direkt an den Campus der Universität grenzte. Hier lag das Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaften, das sie durch den Haupteingang betraten. Im Erdgeschoss fanden sie eine der üblichen Stecktafeln, die weiß auf schwarz über die Verteilung der Räume und Büros im Gebäude informierten. Professor Flammer hatte sein Büro in Raum 213. Die Tafel wies ihn zudem als Leiter des Lehrstuhls für Journalistik und Kommunikationswissenschaften aus.
Im zweiten Stock angelangt, klopfte Thaddäus energisch an die Tür des Geschäftszimmers zum Büro des Professors.
»Herein«, kam es von drinnen und Thaddäus öffnete die Tür.
»Entschuldigen Sie«, begann er und blickte in die strengen Augen einer Sekretärin mittleren Alters.
»Ja?«
»Thaddäus von Bergen ist mein Name, ich hätte da eine dringende Angelegenheit, die ich kurz mit Herrn Flammer besprechen müsste.«
Die Dame hinter dem Siebzigerjahre-Schreibtisch blickte ihn wie eine strenge Lehrerin über den Rand ihrer Brille hinweg an. Eine kurze Stille entstand.
»Wer sagten Sie doch gleich, sind Sie?«
»Thaddäus von Bergen.«
»Und Sie haben keinen Termin«, folgerte sie.
»Bedaure. Aber ich sagte doch bereits, dass es dringend sei.«
Etwas pikiert wirkend, stand die Dame auf und stakste auf dünnen Absätzen um ihren Schreibtisch herum, um an die Tür zu Professor Flammers Büro zu klopfen. Auch von dort ertönte eine Aufforderung zum Eintreten und sie steckte den Kopf hinein, um dem Professor etwas zuzuraunen. Schließlich hielt sie die Tür auf und nickte Thaddäus und Amir äußerst missbilligend herein.
Professor Flammer war ein Mann von gemütlicher Statur und trug einen hellen, gepflegten Vollbart um sein fröhliches Gesicht. Als er Thaddäus erblickte, stand er hinter seinem Schreibtisch auf, lief um das Möbelstück herum und drückte Thaddäus beinahe überschwänglich die Hände.
»Herr von Bergen, nehme ich an?«, sagte er offensichtlich hocherfreut.
Thaddäus war ob der übermäßig herzlichen Begrüßung ein wenig verdattert. »Sie kennen mich?«
»Oh ja«, nickte Flammer. »Seien Sie nicht so bescheiden! Ich bin Professor meines Fachs, natürlich ist mir Ihr Name ein Begriff.«
»Oh, na wenn das so ist«, meinte Thaddäus. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Flammer.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Und wer ist der Herr, der Sie begleitet?«
»Amir Benayoun«, stellte Thaddäus Amir vor, der ein wenig unschlüssig neben ihm stand, immer noch sein geliehenes schwarzes Jackett tragend, als hätte man ihn dazu gezwungen.
»Amir ist Student der ...«
»Medieninformatik«, ergänzte Amir recht einsilbig.
»... richtig. Also, Herr Flammer, Sie können sich sicherlich denken, weshalb wir Sie aufsuchen?«
Mit aufrichtiger Irritation schaute Flammer ihn aus kleinen Augen an.
»Nein«, formulierte er schließlich vorsichtig. »Sollte ich?«
Auch das noch!, durchfuhr es Thaddäus. Die Polizei war noch gar nicht hier.
Das machte die ganze Sache natürlich nicht gerade einfacher.
Thaddäus holte also tief Luft und rückte kurzerhand mit der brutalen Wahrheit heraus.
***
»Das ist ja grauenhaft«, stammelte Flammer schließlich, nachdem Thaddäus versucht hatte, seinen Bericht so knapp und sachlich wie möglich ausfallen zu lassen.
»Das ist ja wirklich absolut grauenhaft«, wiederholte sich der Professor.
Er ließ sich auf einen Stuhl neben einem runden Tischchen sinken, das er ansonsten offensichtlich für Beratungs- oder Prüfungsgespräche nutzte. Dann zog er eine Packung mit Papiertaschentüchern aus der Hosentasche seines schlichten Dreiteilers und wischte sich mit einem davon den kalten Schweiß von der Stirn.
»Und Sie sagen, es sei derselbe Mörder wie zuvor bei Herrn Brünning?«
Thaddäus nickte betroffen.
»Er hat exakt dasselbe mit Monika getan, was er auch vor ein paar Wochen schon getan hat?«, hakte Flammer weiter nach und es machte Thaddäus betroffen, diesen an sich sympathischen, rundlichen Kerl dermaßen fertig zu sehen. »Ich meine alles mit den Messern und den Shakespeare-Versen und so weiter?«
»So hat es die Polizei mir gegenüber verlauten lassen«, bestätigte Thaddäus tonlos.
»Das heißt«, warf Amir ein, »dass wir noch nicht wissen, ob es auch dieselben Shakespeare-Verse wie beim ersten Mord sind.«
»Wir hören armes Volk vom Hof erzählen. Und schwatzen mit, wer da gewinnt, verliert«, begann Professor Flammer nachdenklich murmelnd zu rezitieren.
»Woher kennen Sie das?«, rief Amir augenblicklich und machte einen bedrohlichen Schritt auf Flammer zu, der sich reflexartig an seine Rückenlehne presste. Thaddäus fuhr den Arm aus und stoppte Amir.
»Beherrsch dich!«, mahnte er ihn. Aber auch Thaddäus blickte den Professor durchdringend an und zwang ihn damit regelrecht zu einer hektischen Erklärung.
»Ich habe Ihren Artikel gelesen und ... und außerdem bin ich ein großer Shakespeare-Verehrer«, stammelte Flammer nervös. »Ich spiele privat im Laientheater und-«
»Ist schon gut«, griff Thaddäus auch hier verbal ein, weil ihn die Verlegenheit des Lehrstuhl-Leiters tatsächlich ein wenig peinlich berührte.
»Das können Sie sonstwem erzählen, Mann«, setzte Amir nach.
»Ruhe!«, bellte Thaddäus seinen aufmüpfigen Mitbewohner an. Dann wandte er sich weiter an Professor Flammer. »Wir sind ja ohnehin nur hier, weil die Polizei ziemlich ratlos scheint. Die Beamten werden Sie sicher bald aufsuchen. Es ist wohl Zufall, dass wir eher zu Ihnen gekommen sind.«
Die Züge des rundlichen Professors entspannten sich etwas.
»Moment, verstehe ich das richtig?«, fragte er. »Sie ermitteln hier auf eigene Faust?«
Thaddäus seufzte. »Nur wenn Sie es so sehen wollen.«
»Das erschließt sich mir nicht ganz«, gab Flammer zu, während ihm immer noch der Schweiß auf der Stirn stand.
»Na ja«, räumte Thaddäus ein. »Ich würde nicht sagen, dass wir ermitteln. Der Tod von Monika geht uns recht nah. Und da die Polizei ja nicht wirklich voranzukommen scheint, fühlen wir uns ein wenig ... in die Pflicht genommen, etwas beizutragen.«
Professor Flammer nickte als er begriff, und murmelte verständnisvoll: »Sie können wahrscheinlich auch einfach schlecht bei sich zuhause herumsitzen.«
»Ehrlich gesagt fällt das gerade ziemlich schwer, ja.«
»Das kann ich mir vorstellen. Wenn ich mich schon derart schlecht fühle, wie muss es Ihnen dann erst gehen?«
»Fragen Sie besser nicht.«
»Verstehe. Was wollen Sie denn von mir wissen im Zuge Ihrer ... sagen wir mal Recherchen?«
Thaddäus bedeutet Amir, sich endlich zu setzen. Dessen tänzelndes Herumlungern machte ihn ebenso nervös, wie Amir es höchstwahrscheinlich war.
Er überlegte, wie er am besten anfangen sollte. Immerhin legten sie hier nicht so einen tollpatschig trotteligen Auftritt hin, wie noch am Vormittag beim Ehepaar Harms.
»Wir haben festgestellt, dass wir über Monika Harms eigentlich relativ wenig wissen.«
»Was meinen Sie mit relativ wenig?«, fragte Flammer verwundert. »Ich dachte, Sie haben unter einem Dach gewohnt. Übrigens etwas, wofür ich Frau Harms als Student der Journalistik beneidet hätte. Bei jemandem wie Ihnen zu wohnen, Herr von Bergen, ist sicherlich sehr förderlich für die Karriere.«
»Sie glauben, da gäbe es so eine Art Seilschaft zwischen Monika und mir?«
»Nein«, schüttelte Professor Flammer den Kopf. »Das wäre zu negativ ausgedrückt. Außerdem möchte ich so etwas nicht unterstellen. Aber Sie sind immerhin ein herausragender Journalist. Ich kann mir vorstellen, dass eine begabte Person wie Frau Harms eine Menge von Ihnen lernen kann.«
War es so? Hatte Monika viel von ihm gelernt? Nein, zumindest hatte Thaddäus ihr nichts aktiv beigebracht. Er hatte sich Monika gegenüber nie so recht wie ein Mentor gefühlt – obwohl es ihn sicherlich stolz gemacht hätte. Ja, sie hatte sich mal den einen oder anderen Tipp abgeholt. Aber das war äußerst selten gewesen, und auch dabei war sie immer irgendwie verschlossen geblieben. Sie hatte sich niemals auf irgendeine Weise in die Karten gucken lassen.
»So war es aber nicht«, sagte Thaddäus schließlich. »Monika war eine unglaublich begabte und obendrein auch sehr sympathische Person. Aber bei aller Herzlichkeit, die von ihr ausging, mussten wir nun leider doch feststellen, dass wir im Grunde gar nicht so viel aus ihrem Leben wussten.«
Professor Flammer wiegte den Kopf mit dem bärtigen Gesicht, überlegte sichtlich.
»Jetzt, wo Sie es sagen«, pflichtete er Thaddäus bei, »kommt es mir auch ein wenig so vor. Sie war immer sehr freundlich und ... ja sogar herzlich, wie Sie sagen. Aber von sich selbst hat sie relativ wenig erzählt. Sie strahlte stets diese unglaubliche Professionalität aus. Völlig ungewöhnlich für eine Frau in ihrem Alter. Wissen Sie, was ich meine?«
Das traf die Sache ziemlich gut. Es stimmte, Monika Harms war stets auf eine gewisse Weise professionell gewesen. Sie hatte alles getan, was von ihr an Freundlichkeit im gesellschaftlichen Umgang erwartet wurde. Aber man war das Gefühl nicht losgeworden, dass sie sich nie wirklich geöffnet hatte.
Es war schon eigenartig, welche Erkenntnisse man über einen Menschen gewinnen konnte, von dem man eigentlich viel mehr zu wissen geglaubt hatte. Ja, hätte man Thaddäus noch vor einigen Tagen gefragt, hätte er vermutlich aus reinem Empfinden heraus gesagt, dass er Monika Harms auch über die bloße Bekanntschaft hinaus eigentlich ganz gut kenne. Doch seit einigen Stunden war er sich sehr unschlüssig darüber geworden.
Als Professor Flammer merkte, dass Thaddäus erneut ins Grübeln versunken war, stellte er einfach seine vorherige Frage erneut: »Was möchten Sie denn von mir wissen?«
»Hm«, machte Thaddäus nachdenklich. »Ich brauche Sie also nicht zu fragen, wie Monika als Person war.«
»Wie gesagt, darüber wissen Sie möglicherweise sogar sehr viel mehr als ich – auch wenn das ebenfalls nicht viel zu sein scheint.«
»Was können Sie mir dann sagen über Monika? Was ist mit ihrer Arbeit? Ihrem Studium?«
»Dass Frau Harms ein begnadetes Talent für unseren Beruf hatte, ist Ihnen vermutlich bewusst.«
»Absolut.«
»Ab und zu hat sie mich zu Methoden der Recherche gefragt. Sie wissen schon, das Übliche: Was ist erlaubt in der Berichterstattung? Wo sind Grenzen? Wie kommt man zum Beispiel am schnellsten an Informationen aus der jüngeren Geschichte? Solche Dinge eben.«
»Das passt zu dem Eindruck, den ich von Monika Harms hatte. Hat sie Ihnen gegenüber mal irgendetwas darüber verlauten lassen, woran sie zurzeit arbeitete?«
»Ja, sie hat an einem Reportage-Projekt für ein Seminar gearbeitet, das ich geleitet habe. Aber fragen Sie mich bitte nicht nach Details. Sie ließ einmal durchsickern, dass es ihrer Ansicht nach um ein relativ brisantes Thema ging.«
»Und Sie haben nicht nachgefragt, was Monika bei Ihnen als Arbeit abgeben wollte?«
»Nein, wieso sollte ich? Alles, was Frau Harms gemacht hat, war von hervorragender Qualität. Ich habe da voll und ganz auf ihre Fähigkeiten vertraut.«
»Das kann ich mir gut vorstellen. Wie sah es denn mit Kontakten zu anderen Studenten aus?«
Professor Flammer kratzte sich am Hinterkopf. »Sie ließ ja wenig durchschimmern. Die einzige Person, die ich nennen könnte, wäre Amelie Hermann. Ebenfalls eine recht engagierte Studentin mit guten Noten. Aber wie weit der Kontakt ging, weiß ich nicht.«
Er überlegte noch eine Sekunde. »Da war irgendwann mal die Rede von einem Ex-Freund.«
Jetzt horchte Amir auf und saß plötzlich kerzengerade in seinem Stuhl.
»Aber fragen Sie mich bitte nicht nach dem Namen.«
Thaddäus seufzte erneut. »Nein, ich habe verstanden, dass Sie mir da wohl nicht weiterhelfen könnten.«