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Berliner Seufzer

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O Masse Mensch, o du proletiges Berlin! Am Strand der Havel, im Olympia-Schwimmstadion, am Wannsee und sogar rings um diese lyrisch-verwunschenen Grunewaldseen – da lernt man, unter Badenden, wieder verstehen, daß Gott den einzelnen gemeint haben muß, als er den Menschen menschlich wollte. Wie schön, wie rührend-rundlich so ein kleiner Nackedei im Sand. Wie schön, wie sinnverwirrend kurvenreich diese Nixen im Enganliegenden. Wie schön, wie braungebrannt-athletisch schließlich auch so ein Adonis im tigerfellig gemusterten Lendenschurz.

Das alles, Nackedei, Nixe, Adonis, mal 100 mag gehen, auch wenn der Managerbauch und Omis lachsroter Unterrock dazukommen. Das alles mal 1000? Nun gut, wenn der begehrte Wasserstreif so lang ist wie die Insel Sylt. Aber das alles zusammen in 24 000 lebenden Exemplaren allein im »Strandbad Wannsee«, Strandlänge 1275 Meter, Strandtiefe 80 Meter!

Wie ausgeschüttet von riesigen Baggern, die das Völkchen aus den Vorderhäusern und Hinterhöfen des eingeengten Berlin herbeischaufeln, Jüngling, Mama, Kind und Greis rings um die kleinste Pfütze. Das schreit so laut zusammen, daß du auch mit voller Lunge »Conny« brüllen mußt, wenn dir der Sprößling in dem rosigen Gewoge nicht verlorengehen soll. So hilfst du mit, Getöse zu verstärken, und andere wieder müssen dich überschreien. Das steigert sich, das braust wie eine Molle, die zu warm ist.

Wie göttlich rücksichtslos sie sind. Halbwüchsige kalbern, fallen dabei wie eine Affenhorde mitten in die kleine Familie, die auf schmalem Handtuch träumt, denn eben ist Babychen mal eingeschlafen. Kinder bespritzen sich kreischend und liefern unwillkommenen Regen für das Pärchen, das gerade die Stullen verdrückt. Zwei Adonisse mit geöltem Haar schleichen zwei Nixen an, treten dabei aber leider Großvatern auf die Hand, auf die er sich stützt, während die andere die »Motten-Post« hält.

Und über uns der Himmel, ja – der Himmel aus Benzindunst, denn das sind viel, viel mehr als die 50 000 in West-Berlin zugelassenen Personenautos, was da zum kühlen Naß hinrollt. Das Naß ist naß, kühl ist es kaum, mit Sicherheit aber ist es dreckig. Halte den Arm hinein, und du siehst die Hand im braunen Spülicht verdämmern.

So fliehen manche bloß an die Luft, nehmen die Sitze aus dem Auto, pflanzen sie mitten in wilde Brombeeren und unter den Schirm hoher Kiefern. Sie lohnen den Schatten mit reicher Saat an Butterbrotpapier, Apfelsinenschalen, Bierflaschen. Die Ufer sind von all dieser Ameisentätigkeit runtergetreten, das Gras verblich und erstarb, die Wurzeln der Bäume traten hervor, manch alter Holzriese mußte entfernt werden wie ein wackliger Zahn.

Hie und da zieht der Senat nun Drähte, stützt ab und pflanzt an: Bürger, schont eure letzten Anlagen. Aber, was da sich wälzt an heißen Tagen, brüllt, schwitzt und plantscht, das sind nicht Bürger, das ist Masse Mensch, und den Sensiblen packt Panik. Er bleibt daheim, schätzt die Markise, trinkt kühle Milch. Denn draußen kommt man ihm grob.

Dieser Jargon, der geliebte, ist aggressiv, und in solcher Zusammenballung addieren sich die Nachteile des munteren Volkscharakters, die Vorzüge dagegen dividieren sich weg. Das macht sie proletig, die lieben Berliner, kein Zweifel. Aber wer bliebe da fein?

Vielleicht die Japaner. Selbst drangvoll fürchterliche Enge bewirkt stilbildende Tradition, wenn sie lange genug geübt wird. Sehr schön, aber wir wünschen uns Weite, Raum, Auslauf und Landschaft. Nehmt bald den Deckel ab von diesem Kochpott Berlin!

Zwischentöne - Ein Skizzenbuch

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