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Felix Helvetia

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Eine eidgenössische Feuerwehrkapelle spielt im Pavillon am See flotte Märsche, und wie ein weißer Gänsekiel steht die berühmte Fontäne neben dem Pont du Mont-Blanc. Die Rhône fließt kühl und eilig wie immer aus dem See heraus, nach Frankreich hinunter. Noch sah ich niemanden baden. Aber in den Cafés holen sich parlierende Müßiggänger, die es hier immer in Fülle gibt, die erste Sonnenbräune.

Funkelnde, glitzernde, in Akkorden weich hupende, dahingleitende, regenbogenfarbig glänzende Rudel von Automobilen, weiße, schwarze Pneus auf rotem Asphalt. Blitzende Lichtgirlanden über Straßen, Cafés, Promenaden. Lachende Seitenblicke aus dunklen Augen, schmiegsames Jerseygewebe gibt weiße Schultern frei, modelliert Taillen und mehr. Rauchende Herren in spitzen Schuhen, doppelt geschlitztem Rock und kurzem Kraushaar. Ein südlich perlendes Idiom garniert zierlich leere Höflichkeiten um den ganzen süßen Tanz.

Luxus – es gibt ihn hier ganz beiläufig. Und er ist angenehm. Für die exklusive Creme, die ihn hat, vielleicht weniger als für den Zuschauer, der ihn bewundert – wie ein kunstvoll inszeniertes Stück auf dem Theater, eine Geschichte aus den Tausendundein-Nächten. Dort unter den hundertjährigen Platanen sitzen und der Harmonie eines Abends mit halbgeschlossenen Augen zuhören . . .

Es sei auch hier nicht alles vierzehnkarätig, und was da gleißt, wäre billig? Warum Neid? Ist es nicht schön, daß Watteau »die Einschiffung nach Kythera« gemalt hat? Wird’s weniger schön dadurch, daß niemand diese rosa-him-melblau verdämmernde Insel der Seligen je erreichte? Die happy few, sollen sie doch glücklich erscheinen; denn wer von ihnen wandelt schon wirklich »droben im Licht«.

Das Verlangen nach dem dreihundertpferdigen Wagen, der Villa am Meer, der geheimnisvollen Dame dort drüben hinter dem Eisbecher, unter der rot-weißen Markise – das alles ist harmloser als der finstere Hunger nach Macht, der immer die verzehrt, die das läßlich egoistische Menschenvolk bessern, gewaltsam zu Sittenstrenge und Einfachheit erziehen wollen.

Gleichmütig rückt der Zeiger der großen Blumenuhr im Englischen Garten von Sekunde zu Sekunde. Hier stand ich schon einmal, vor einigen Jahren: Eisenhower traf Bulganin und Chruschtschow. Viele tausend Stunden zeigte diese einzigartige Uhr inzwischen an. Wie ihr Zeiger, so drehte sich um die eigene Achse und kam kein Stück von der Stelle auch: die deutsche Frage. Und nun? Vier großmächtige Außenminister sind versammelt, um abermals den Stein den Berg hinaufzuwälzen.

Eine unzählbare indische Familie, dunkel getönt und sahribunt in einem riesigen Plymouth mit Haifischflossen; ein Zwei-Meter-Neger neben mir im Zoll auf dem Flughafen; flinke Japaner mit Brille unter jeder Arkade – das ist seit den selig-unseligen Völkerbundzeiten jahrauf, jahrab so. Internationale Konferenzen? Kein Genfer Bürger fragt danach.

Die schweizerische Akkuratesse wird in Genf gemildert durch einen Stich romanisches »Laisser-aller«. Da bröckelt schon mal der Putz, und das »merci« des Telefonfräuleins klingt zwitschernd wie in Paris. Die jungen Mädchen mit den Augen im Trauerrand, den blaßrosa Lippen und der Nymphenmähne haben das Zwei-Parteien-System: hie Bardot, hie Vlady. Es wippt der Rock im Frühlingshauch, und weiter oben schwankt es auch (das Herz).

Das männliche Gegenstück, die Studenten, sind ein Cocktail aus »St.-Germain-des-Prés-Existentialismus« und Texas. Die amerikanische Note dominiert, obwohl die Eidgenossen nicht in der NATO sind. Kennzeichen: Jeans, Haltung: relaxed und Hindenburg-Frisur.

Aus der Espresso-Bar tönt’s wie in München und Hamburg: »Ciao, Ciao, Bambina . . .« Ich ziehe abends das »Bavaria« vor, ein Münchner Bier unter Karikaturen von Stresemann und Briand. Hier haben die einmal den Silberstreifen »Frieden« mitsammen erstritten – beim deutschen Bier. Auch damals ging’s um Erbfeindschaft. Heute sehe ich keinen Minister mit dem Kollegen von der Gegenseite ins »Bavaria« gehen. Den Genfern ist’s Wurscht – Felix Helvetia . . .

Zwischentöne - Ein Skizzenbuch

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