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Zwischen Jungfrau und Mönch

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Im Herzen Europas, denkst du, herrscht eitel Zivilisation. Vier Wochen maßvolles Wohlsein bei Alpenmilch und »Grüet Sie alle miteinand!« Doch Wildnis, verwegne, bedroht auch hier, so lernst du, humane Idylle und liebliches Gleichmaß der Ferien. Paar tausend Meter entfernt vom Kuhläuten, roten Asphalt und traulichen Giebel deines Chalets – bleckt Arktis knurrend die Zähne, ragt Eiswelt, dürftig verdeckt unter brauenden, nördlichen Nebeln.

Sie grüßten als art’ge Kulisse beim Frühstück herüber, die stummgigantischen Viertausender des Berner Oberlandes. Nun aber schnurrt auf stählernen Zahnstangen die elektrische Bahn mit dir zum Joch der meistens in Wolken gehüllten Jungfrau. Hybris, sinnst du, menschlicher Übermut, fahrplanmäßig hier U-Bahn zu fahren durch Marmormassive, den längsten Tunnel Europas hinauf zum höchsten Bahnhof des alten Erdteils (3454 m über dem Meer). Einige tausend Tonnen drücken da auf das Köpfchen, und oben ist die ozonige Luft schon recht dünn.

Polarhunde, Eskimoschlitten – das mag wohl nur fromme Prospektlegende gewesen sein. Doch leibhaftig knurrt es und grönländisch finster vom Mönch her, und wie ein Geisterzug rasselt und hechelt der Schlitten an dir vorbei, im Schneesturm, im Wolkendunst weiß. Sechs arktische Hunde, kein Zweifel, ein mähniger Mann mit Schneebrille und Urlauten am Ende und lenkend. Inmitten verloren die Schatten von drei, vier Touristen.

Da ließest du lächelnd und mählich unten in Sommer und Urlaub, bei Alpencreme-Schoko nebst allfälliger Südfrucht, die Kinderchen glücklich, die Gattin. Dreitausend Meterli knapp über ihnen west hier das Urtum, die schneidende Kälte, Gletschergefahr und wildes Getier. Wie herbestellt pfeifen finstere Dohlen schwarz und gezackt um das Berghaus.

Drinnen beim wärmenden Kaffee sieht die Sache normal aus, wenn auch noch immer bizarr. Vor den Fenstern wölkt und brodelt der weiße Ozon distanziert, der riesige Steinadler schaut griesgrämig drein – an der Wand, ausgestopft. Aber es harren die Wunder ihres Betrachters. Vor zwanzig Jahren zum Beispiel haben ein paar Schwyzer Bergmannen die Eishöhle geschlagen, von Hand, in den Gletscher, ins fünfzig Meter tiefe Eis hinein, Gänge und Nischen, einen riesigen Saal für Schlittschuhtänze, und seither steht die kalte Pracht da – unbewegt, verzaubert, denn die Temperatur ist immer frigide hier drinnen.

Oben nur taut der Schnee weg bisweilen, ewig starren Felsen und Eis. Sonne? Die sahen sie stumm wohl millionenmal kommen und sinken, bis zum Halse zugeknöpft meistens, der »Mönch« und die »Jungfrau«, die da Äonen schon nebeneinander koexistieren. Tragen die Namen zu Recht. Wie freiwillig blind kommst du dir vor in dieser weißen Finsternis. Aber warte, du wirst belohnt, es ist keine Sage, das alte Hohelied alpiner Bergschönheit. Ein lässiger Hauch gibt für Minuten den Blick frei auf die beiden Silberhörner des ungeheuren Massivs: du schauderst. Stehst, starrst und schauderst.

Das lohnt vielleicht sogar das Bohren mit Preßlufthämmern durch Jahre, bis der Tunnel stand. Manchmal sind es über zweitausend Leute pro Tag, die viele Fränkli und Rappen spendieren, um einmal im Leben trockenen Fußes einem Viertausender zum Greifen nahe zu sein. Kein Wort ist da, um die erhabene Eleganz, das ironische Blinzeln aus königlicher Unnahbarkeit wiederzugeben, mit der diese Jungfrauhörner – Diamanten auf Blau – niederglänzen zum sterblichen Pilger.

Abwärts rasselnd zum Irdisch-Gemeinen, nistet sich ein Gedanke in deinen Kopf. Das mit den Hunden, ein Jux – man fährt eine Schleife und hat sein Stück Nordpol, mitten im Sommer Europas. Das mit der Bahn, Sight-seeing, ein technischer Gag von Format. Unvergeßlich: Gipfelironie und das unendlich weiße geschmeidige Gleißen der Firne, der Schneefelder zwischen den Riesen, niemals getaut.

Die Erde, ein erkalteter Stern, ist aus Stein, Eis und Meeren. Alles Grün, alles Leben – ist es denn mehr als ein loser, ein flüchtiger Schleier, in den diese Erde sich für einen Weltraumaugenblick zu hüllen beliebt? Und der Mensch? Zwischen Jungfrau und Mönch begreift er sich nur noch als Auge, geschaffen zu warten auf jene wenigen Blicke, vor denen Natur sich enthüllt, um doch gesehen zu werden. Wozu? So fragt das Auge. Die Gipfel sind stumm.

Zwischentöne - Ein Skizzenbuch

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