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Verlorene Zeit – wiedergefunden

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Die Zeit der Könige und ihrer Schlösser scheint für unser politisches Gefühl Jahrtausende zurückzuliegen. Und doch hat unsere ältere Generation noch den Trommelwirbel der farbenprächtigen Wachablösung im Ohr, die goldene Equipage der Hoheiten vor Augen. »Fridericus Rex, unser König und Herr . . .« – das mag begeistert oder mürrisch gesungen worden sein, oft und oft, auf dem Exerzierplatz vorm Charlottenburger Schloß. Pferde bestimmten noch das Straßenbild, in dem es an kokettierenden Demoisellen, stutzerhaften Rokoko-Kavalieren, schnauzbärtigen Gardekürassieren nicht fehlte.

Aus alten Kupferstichen tritt uns diese Welt noch entgegen. Und aus den königlichen Parks, Lusthäuschen, Galerien und Kuppeln, die erhalten blieben. Ein Schimmer vom Glanz versunkener Epochen stimmt uns lyrisch. Gern, vielleicht allzugern vergessen wir die Not, die Unterdrückung feudaler Jahrhunderte vor den majestätischen Proportionen, dem gediegenen Luxus. Berlins Schlösser wurden vom Kriege besonders hart verwüstet. 1943 brannte das schönste vollkommen aus, das Charlottenburger. Napoleon fand 1806, als er Berlin erobert hatte und hier wohnte, es sehe Versailles sehr ähnlich. Unersetzliche Porzellane, Tapeten, Möbel, Stuckarbeiten und Intarsien gingen verloren. Ganz unwiederbringlich die Fresken von Pesne an Decken und Wänden.

Fünfzehn Jahre nach der zerstörenden Bombennacht erhob sich aus dem musterhaft gepflegten Park eine glänzende neue Fassade. Kupfergedeckt ragt die 48 Meter hohe Kuppel Eosanders von Goethe über dem Mittelteil; die steinernen Gladiatoren hüten das äußere Tor. In der Mitte des Hofes: Andreas Schlüters »Großer Kurfürst«. Dieses riesige Bronze-Reiterstandbild hat im Baedeker zwei Sterne; es ist eines der schönsten Bildwerke des ganzen europäischen Barock. Früher stand es auf der Langen Brücke, versank dann auf einem Transport für drei Jahre im Wasser. Nun thront der schwere Kurfürst wieder auf seinem schweren Pferd und blickt ins Weite; es scheint ihn nicht zu kümmern, daß sein Brandenburg in den Staub sank – für immer. Rechts ist der lange Flügel, den Friedrich der Große von seinem Baumeister Knobelsdorff anfügen ließ, ebenfalls ganz wiederhergestellt – und zentralgeheizt, denn hier gibt es jetzt die schönsten Sonderausstellungen der Inselstadt Berlin.

Die »Nationalgalerie der ehemals Staatlichen Museen« zeigte hier zuletzt Lovis Corinth, aus Anlaß seines hundertsten Geburtstages. Bisher gab es wohl noch nie eine solche Zusammenfassung der besten Werke des Ostpreußen, der zusammen mit Liebermann und Slevogt das große Berliner Dreigestirn der Zeit vor dem ersten Weltkrieg bildete. Die derbe Sinnlichkeit Corinths muß damals schockiert haben. Die Akte und Stilleben, die Blumenstücke bersten vor Kraft und Farbe. Überraschend geistig, ja psychologisch, daneben die Porträts: Eduard Graf Keyserling, Friedrich Ebert – vor allem aber: er selbst. Nach dem Schlaganfall im 54. Lebensjahr ist die dionysische Fülle dahin, die Sinnlichkeit vergessen, der starke Puls nur noch matt. Aber das letzte Selbstbildnis und die »Ausgeschütteten Blumen« des Todesjahres 1925 sind die schönsten Stücke der Ausstellung. Er war teilweise gelähmt, als er das schuf, seine Hand zitterte. Und doch sprach erst jetzt ganz unabgelenkt sein Genius. Früher schäumt und brodelt die Lebensfreude so stark, schlägt sein Realismus manchmal so wild zu, daß übertriebene, manchmal sogar kitschige Effekte die Bilder schreien lassen. Jetzt entstehen Landschaften aus dem Alpenvorland, die zu den ewigen Meisterstücken der Malerei zählen: die Komposition apollinisch souverän, die Farbe aber noch kühn und saftig; über allem jedoch der gebrochene Schimmer des Bewußtseins der Vergänglichkeit, der verklärt und bewegt.

Der Blick aus den tiefen Fenstern des Knobelsdorff-Flügels schweift ungehindert durch den vorfrühlingshaft kahlen Park. Spaziergänger in warmen Mänteln noch, die die Stille und heiter gemessene Kultur dieser Oase im Trubel der großen Stadt genießen. Freilich wird es dauern, bis die jungen Linden und Blumen den erneuerten Stein in jenes poetische Grün wieder einbetten, das erst ganz die Illusion zurückgibt von einer guten, alten, verlorenen und wiedergefundenen Zeit.

Zwischentöne - Ein Skizzenbuch

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