Читать книгу Vampire Blues 2 - Thomas Barkhausen - Страница 11
FREAK
ОглавлениеDie Fingernägel, viel zu lang, rubinrot, spitz zugefeilt.
Super Freak
Wie schaffte sie es nur, nicht an den Fingernägel zu kauen?
She's a very kinky girl
Snyder klackerte mit den Nägeln in nervtötendem Rhythmus auf die Tischplatte. (Nestor beutelte ein erneuter Anflug von Kopfschmerz.)
The kind you don't take home to mother (Rick James „Super Freak“)
Sie erklärte es Rahil.
„Also. Es basiert auf dem antiquierten Lenkraketen-Prinzip. Das Projektil, in diesem Fall die Bündelung der komprimierten Silbermoleküle über dem steuernden Kernimpuls, die wir uns als Geschoss vorstellen können, der Einfachheit halber, saust durch die Venen. So weit so gut. Jetzt stellen wir uns drei davon vor. Nummer eins nimmt den Weg über die Augennerven, Nummer zwei zackt sich wie ein Blitz durch das Hirn. Das Hirn verdampft, die Augen glühen aus. Nummer drei schlängelt sich zum Herzen, um dort die beiden anderen Kollegen Silberpfeile zu treffen. Perdu. Finis. Aus. Ende. Vorbei. Torro muerto. L’ultimo Tango. Shi, shibo… “
„Ist ja gut“, knurrte Nestor.
Snyder nahm ihre Brille ab. Heute trug sie ein besonders apartes Exemplar aus ihrer umfangreichen Sammlung. Die Gläser von roten Herzen umrahmt. Ziemlich ‚überkandidelt’, dachte Nestor, ein weiteres neues Wort, das er bei seinen Streifzügen durch die antiquarischen Umgangssprachen gefunden hatte. Aber eigentlich meinte er ‚affig’, das Wort kannte er schon länger. Er riss sich vom Anblick der Brille los.
Snyder fuhr fort: „Das sind drei Wege, die dazu noch unterschiedlich lang sind. Ein echtes Navigationsproblem, nicht war, Kapitän?“
Sie grinste.
Der Kapitän nickte mürrisch.
„Wie funktioniert das?“, fragte Rahil.
„Sie kommunizieren miteinander. Sie ändern ihre Geschwindigkeiten und passen sich an. Sie synchronisieren sich. Nummer drei dient als eine Art Kommunikationsbasis. Sie nimmt aller drei Daten auf, verarbeitet sie und gibt die Impulse an die anderen beiden weiter, so dass sie sich auf eine Nanosekunde genau über der linken Herzkammer treffen und aus dem Aufprall die Energie für die vollständige Vernichtung des Herzens produzieren.“
„Das ist nun also die neueste Technologie“, rekapitulierte Rahil. „Was ist der Unterschied zu den Waffen im Fall Dymast?“
„Die neuesten sind nicht nur schneller und präziser, sie funktionieren auch mit peripheren Treffern.“
„Das heißt?“
„Zwei Treffer und ein Streifschuss reichen aus. Und - perdu!“ Snyder atmete tief ein, um zu einer neuen Todes-Wort-Kanonade anzusetzen.
„Danke!“, bellte Nestor und wandte den Kopf Rahil zu. „Sie basieren aber beide auf der Black-Laser-Technologie.“
„Theoretisch“, Snyder schnippte mit dem Zeigefinger dreimal hintereinander in die offene Handfläche. „Theoretisch langen eine Waffe und ein Schütze, der drei Schüsse kurz nacheinander abfeuert. Sie synchronisieren sich von selbst und zwar innerhalb unserer guten, alten Nanosekunde. Einerseits sind sie erheblich schneller als die alte Technologie, andererseits verzögern sie effektiver und gelangen immer zur Synchronisierung.“
Rahil war verwirrt. „Also, ich verstehe nicht, waren das nun modernste Waffen bei Dymast?“
„Nein.“, sagte Nestor.
„Aber“, schnitt ihm das rote Mädchen das Wort ab, „sie basieren auf derselben Technologie und sie …“
„Und“, schnitt Nestor ihr das Wort ab, „das bedeutet, sie werden…“
„über kurz oder lang…“
„zu denselben…“
„Ergebnissen…“
„gelangen wie die…“
„vampirischen Forscher!“
Rahil war beeindruckt. „Damit könnt ihr im Zirkus auftreten. Wie lange seid ihr schon verheiratet, Snyder?“
Snyder, empört. „Ich treibe es doch nicht mit einem Sechsjährigen!“
Nestor ignorierte die Bemerkung. „Wenn sie über diese Technologie und diese Waffen verfügen, ist das hier mehr als nur ein bedauerlicher Einzelfall, dann könnten sie zu einer ernsthaften Bedrohung werden.“
Snyder dachte darüber nach, ob sie es mit Nestor treiben würde.
Rahil nickte aus anderem Grunde. „Dann sollten wir genauer wissen, wer sie sind.“
Snyder kam zu keinem Ergebnis.
Nestor machte eine Geste mit der Hand.
„Snyder, klär uns auf, bitte!“
Snyder nahm ihre Herzchenbrille ab, nestelte aus ihrer sackartigen Umhängetasche ein leeres Etui hervor, verstaute die Sehhilfe darin, dann wühlte sie umständlich wie ein Maulwurf in der Tasche bis sie fand, was sie suchte, ein zweites Etui. Sie klappte es auf, nahm eine schmale Brille mit einem kirschroten Gestell heraus und drapierte sie sich auf die Nase, was ihr das Aussehen einer ökologisch und politisch korrekt agierenden Kunstlehrerin im existenzialistischen Rollkragenpullover wie auf den antiquarischen Fotodokumenten verlieh.
Sie klickte sich mit fliegenden Fingern durch die Dateien und begann die bekannten Fakten über die Sonnenkrieger zu referieren - und einige darüber hinaus.
„Also in Kurzform das, was wir wissen. Das oder die Quartiere liegen außerhalb des 10-Meilen-Gürtels. Sie verfügen über eine Art Zentrale und es gibt ein Labor. Genaue Standorte sind unbekannt. Der Versuch sie dort draußen im Dickicht der ‚Zone‘ aufzuspüren, würde nicht nur alle Sicherheitskräfte binden, wenn die vorhandenen überhaupt ausreichten, es würde der berüchtigten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen gleichen.
Man hat sie bisher toleriert. Toleriert in Anführungszeichen, weil es bisher nicht möglich war, sie gänzlich zu domestizieren oder zu vernichten. Ihre Anschläge galten bis dato Sicherheitseinrichtungen ohne Verluste vampirischen Lebens. Gezielte Morde an Vampiren treten jetzt zum ersten Mal auf. Sie scheinen die Taktik der Nadelstiche verfolgen zu wollen. Hit-and-run. Guerillataktik.
Bisher machten die Sonnenkrieger keine Anstalten, die gesicherten Areale des inneren Kreises ernsthaft angreifen zu wollen. Sie wären dazu auch, glaube ich, nicht in der Lage. Die jetzige Situation ist, gelinde ausgedrückt, undurchsichtig. Wir wissen nicht, was sie vorhaben. Ihre Organisationsstruktur ist demokratisch angelegt. Ihre Führung zweigeteilt. Quentin.“
Snyder drehte den Laptop so, dass die beiden anderen auf den Monitor sehen konnten.
„Quentin. Geboren 2037, heute 29 Jahre alt. Militärischer Führer. Und Nummer 2: Cassidy.“
Ein anderes Bild erschien.
“Hübscher Bengel! Hat irgendetwas Trauriges im Blick. Fast so hübsch wie unser blauäugiger Vampir-Prinz. Irgendwie anziehend.“
„Snyder“, seufzte Nestor.
Sie rückte die Brille zurecht und fuhr fort: „Also. Cassidy. Geboren 2033, heute 33 Jahre alt. Ingenieur, Wissenschaftler und Mediziner. Er soll der Leiter des geheimen Labors sein. Das Labor hatte zuerst nur eine militärische Zielsetzung. Hier wurden die Terminierungswaffen weiterentwickelt. Aber jetzt wird dort auch geforscht. Vermutungen sprechen von Blutsubstrat.“
„Ist er gefährlicher als Quentin?“, fragte Rahil.
„Beide sind gefährlich. Er stellt genetische Forschungen an und er forscht wohl auch über Blut. Wir wissen nicht warum. Wie gesagt, vielleicht geht es um ein Blutsubstrat.“
„Wozu“, wollte Rahil wissen.
„Es gibt eine Theorie“, klinkte sich Nestor ein. „Eine Theorie ist vielleicht der falsche Ausdruck, eher eine Utopie über die friedliche Koexistenz. Ein verträgliches und ausgereiftes Blutsubstrat könnte dazu führen, dass Vampire keine Menschen mehr aussaugen müssten. Die Utopie wurde von Quandt formuliert.“
„Quandt?“, fragte Rahil.
„Später“, winkte Nestor ab. „Mach weiter, Snyder!“
„Wir haben keinen Einblick, was Cassidy genau erforscht oder wie weit er mit seinen Forschungen ist.“
Sie öffnete das Portrait eines aschblonden Mannes mit kantigem Kinn, schmalen Lippen und einem offenen rehbraunen Auge, über dem linken trug er eine Augenklappe.
„Eine skandinavische Physiognomie würde ich es nennen mit dazu passendem Namen: Erik Vidkun, 30 Jahre alt, Norweger, gebürtig aus Oslo, Quentins rechte Hand. Koordinator. Logistiker. Spitzname Pirat. Siehe Augenklappe. Gerüchte besagen, er habe Quentin das Leben gerettet, indem er sein eigenes aufs Spiel setzte und dabei das linke Auge verlor.“
Freaky, schoss es Snyder durch den Kopf, super-freaky.
„Wahrscheinlich verantwortlich für die Ausführung der Anschläge, wenn es die Sonnenkrieger waren. Elite-Soldat. Quentin gilt als Falke. Erik sagt man noch radikalere Positionen nach.“
„Das heißt?“, wollte Rahil wissen.
„Ausmerzung aller Vampire vom Erdball.“
Auf dem Monitor erschien ein Bild von Quandts aufgedunsenem Gesicht.
“Und hier nun der eben erwähnte Quandt. Der große alte Mann. Wer weiß, vielleicht auch der weise alte Mann. Philosoph. Undurchsichtige Herkunft. Vielleicht Deutscher. Zog Quentin und Cassidy wie seine eigenen Söhne auf. Alkoholiker. Keine hohe Lebenserwartung mehr.“
„Was für eine Rolle spielt er?“, fragte Rahil.
„Ausgleichende Kraft. Er hat, wie gesagt, die Thesen zur friedlichen Koexistenz von Menschen und Vampiren aufgestellt. Obwohl die meisten diese Position ablehnen und als naiv, wenn nicht sogar Schlimmeres bezeichnen, steht er in hoher Achtung. Er ist untouchable. Quandt vertritt eine Ethik, die Gerechtigkeit und Verantwortung mit Freiheit in Einklang zu bringen sucht.“
„Haben sie auf die beiden Anschläge reagiert?“
Nestor sah Snyder fragend an.
„Nein, nicht offiziell. Es gab keine Bekennerbotschaft. Aber auch kein Dementi. Es gibt Gerüchte innerhalb ihrer eigenen informellen Kommunikation.“
„Was sagen die Gerüchte?“, fragte Rahil.
Snyder ließ das Bild des aschblonden Mannes sich um die eigene Achse drehen.
„Erik. Man sagt, er handele manchmal auch ohne ausdrückliche Anweisung.“
„Es bleibt die Frage nach dem Motiv.“
„Hass. Er ist ein Radikaler. Man munkelt, seine Eltern seien von Vampiren entführt worden. Als Reproduktionspaar in den frühen Jahren.“
„Gibt es Unterlagen oder Daten darüber?“
„Nein, es waren die ersten Experimente, als die Vampire noch im Untergrund lebten. Diese Phase ist nur spärlich dokumentiert.“, klärte Snyder sie auf.
„Was den Mord an Dymast mit diesen für die Menschen neuartigen Waffen angeht, kann auch Kalkül eine Rolle gespielt haben. Wie weit kann man gehen? Es gab nicht wenig Zustimmung für die Anschläge unter den Jungen.“
„Würde Erik ohne Zustimmung von Quentin handeln?“
Snyder zuckte die Achseln. „Wer weiß?“
„Aber es gibt keine Nachweise oder Gerüchte über eine Anweisung von Quentin. Warum also sollte er inoffiziell handeln?“
„Es gibt Rücksichten von Quentin auf seinen Ziehvater Quandt, der ist ein Gegner von Anschlägen; er rechtfertigt Gewalt nur als Notwehr.“
„Wie naiv“, warf Rahil ein.
„Und es gibt“, fuhr Snyder fort, „Rücksichten gegenüber Cassidy.“
„Hm?“, machte Rahil.
„Sie sind wie Brüder“, sagte Snyder.
„Wozu dann die Anschläge?“
„Tests“, schlug Snyder vor. „Tests in dreierlei Hinsicht. Zum einen die neue Technologie testen, zum anderen die Reaktion innerhalb der Sonnenkrieger testen. Ein Probeschuss des radikalen Flügels. Gibt es Zustimmung bei den Sonnenkriegern für den Beginn eines Guerillakrieges? Und drittens: Wie reagieren die Angegriffenen? Also die Vampir-Macht.“
„Bisher reagiert die Vampir-Macht nicht.“
„Wir“, sagte Nestor, „sind ihre Reaktion. Wir sollen die Fälle einwandfrei aufklären.“
„Und dann?“
„Das wird sich zeigen.“
„Vielleicht ist Rahil aus diesem Grunde hier.“, warf Snyder ein. „Für das ‚und dann’…“
„Ich verstehe nicht“, sagte Rahil. Sie sah verwundert zu Nestor hinüber.
„Das spielt keine Rolle. Man wird es Ihnen schon früh genug mitteilen.“
Snyder schnalzte mit der Zunge. „Das scheint ja noch interessant zu werden.“
„Was ist mit dem Labor, Snyder?“
„Die Einbruchspuren deuten, das hast du ja bereits gesagt, auf ein kleines lernfähiges Crack-Werkzeug hin - ebenfalls auf der Basis von Black-Laser-Technologie.“
„Was ist denn nun dieser Black-Laser?“, fragte Rahil ungeduldig.
„Schwarzes Licht. Schwarzes Licht, das durch die Nacht schneidet.“
„Sie kennen die antiquierte Laser-Technologie?“, fragte Nestor.
Rahil nickte. „Ja.“
„Also. Der Black Laser ist ein Laser, der steuerbar ist, hochkomplex und arhythmisch steuerbar, und er ist krümmbar, er ist eine Art intelligenter Laser-Strahl.“
„Und?“
„Das muss für das erste genügen.“, beschied ihr Nestor. „Weiter, Snyder!“
„Die Eindringlinge haben“, fuhr Snyder fort, „den CO in der Sonderabteilung nach Black-Laser-Formeln durchsucht. Sie haben das Pass geknackt und sind reingekommen und haben einige Dateien geöffnet.“
„Wie konnten sie das Passwort knacken?“, wollte Nestor wissen.
Snyder zuckte die Schultern. „Irgendein MF mit nicht unerheblichem Talent hat ihnen ein ziemlich genial angehauchtes Programm geschrieben.“
„MF?“, fragte Rahil.
„Motherfu-“, antwortete Snyder.
„Ein Ausdruck, der Ihren Wortschatz nicht erweitern muss!“, unterbrach Nestor sie.
Das rote Mädchen grinste ihn herausfordernd an. „Ich habe gelegentlich einen Hang zur Obszönität.“ Sie deutete auf Nestor. „Er mag das gar nicht!“
Rahil sah sie fragend an.
„Er achtet auf seine Worte. Jeder sollte das tun, meint er.“
„Ok, weiter!“, sagte Nestor. „Denkt nach!“
Snyder lächelte still.
„Also?“, forderte Nestor.
Rahil überlegte. „Was wollten sie mit Informationen oder Formeln zum Black Laser, wenn sie ihn schon haben, wie der Einbruch zeigt und die Waffe, die im Fall Dymast benutzt worden ist?“
„Wenn sie es waren“, sagte Snyder.
Sie sahen Nestor an. Er nestelte in seiner Jackentasche nach einem der kleinen Schokoriegel, die er immer bei sich trug und die seinem Magen so wenig gut taten; es war keiner mehr da. Lindes Bedauern trat in seine Züge.
Snyder grinste plötzlich, sie hatte eine Eingebung. „Es gibt eine verbesserte Formel!“
Nestor räusperte sich, dann nickte er. „Also. Es gibt neuere Berechnungen, das ist richtig, so viel darf ich verraten.“
Snyder grinste Rahil an. „Und? Weiter!“
„Es gibt einen Prototyp auf dem neuesten Stand der Waffentechnologie.“ Er hätte jetzt gerne einen Schokoriegel. „Die verbesserten Terminierungswaffen benötigen nur noch einen einzigen Schuss - nicht mehr drei, wie vorhin erwähnt. Mit den neuesten Waffen könnte ein Kind umgehen, deshalb sind sie auch geheim.“, ergänzte Nestor. „Und deshalb ist der General so beunruhigt.“
Snyder pfiff durch rubinrote Lippen. „Fuck!“, sagte sie.
Nestor sah sie streng an, er hätte jetzt wirklich gerne einen von den süßen Schokoriegeln, leises Bedauern wischte die Strenge aus seinem Gesicht.