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DER LEIBWÄCHTER

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I still don't know what I was waiting for

And my time was running wild (David Bowie)

Der Wecker machte ring rring rrriing rrriiinnng. Ein altes Ding aus den Vorzeiten, das rrring klang erst wie wwwring dann wie wwwrong, dann so als würde einer eine Katze erwürgen.

Arana stand gewöhnlich um 12 Uhr mittags auf, schlecht gelaunt aber diszipliniert, trank eine Tasse Tee, schwarz und heiß, ohne Milch, ohne Zucker, zog ihren braunen Trainingsanzug über und begab sich in die Sporthalle, die Dymast hatte anbauen lassen an den hinteren Trakt, in dem die Dienstboten und Wachleute ihr Quartier hatten.

Unter dem dünnen Stoff hob und senkte sich die Brust jetzt wieder gleichmäßiger. Ihr Atem war ruhig, eine letzte Woge war durch ihren Körper geglitten, von einer raschen, heftigen Bö zerrissen, die den Meeresspiegel aufwühlte, um dann - ein kurzes Aufbäumen - sich wieder an die Glätte der See zu verlieren.

Es hatte mit einem leichten Schwindel eingesetzt, der sich immer weiter in den Himmel schraubte, bis er zerbarst und kopfüber herab zurück ins Meer stürzte.

Eine traurige Hand strich über ihr Gesicht, als schlössen feingliedrige Finger die Augen einer Toten. Denn dem Sterben war, was geschehen war und immer wieder geschah, so nah, dass es ihn, der es beobachtete, zerriss.

face the strain

Seine Hand liebkoste ihre Wange, ihr Atem ging nun merklich ruhiger. Er spürte ihre Schwäche unter seinen Fingern. Er konnte nichts dagegen tun, konnte ihr nur die Arznei zwischen die Lippen tröpfeln und warten, bis sie aus dem Wirbel, der sie zu verschlingen drohte, wieder hervortauchte. Es schnitt in ihn, als sei es sein eigener Leib.

(Turn and face the strain)

Arana hob mühsam die Lider, ihr Wille zerrte daran wie Jungen an einem Gullydeckel, sie bekam sie endlich auf und sah zu ihrem Leibwächter, der schützend über sie gebeugt stand, hoch.

Ein gehetztes Wild. Verschreckt und erschöpft, gerade einem Kampf entronnen, den zu gewinnen nie Chance bestand. Das Braun ihres einen Auges war wie durch Milch gezogen. Die Lider hatten aufgehört zu flattern wie Libellenflügel, voller Anstrengung hielt sie sie auf, als zögen bleischwere Gewichte daran wie Züge in einem Uhrwerk, zogen mit den Bildern, die die Augen sahen, die Welt von ihr fort, zogen sie in Schatten, aus deren Dunkel das Nichts wuchs.

Ihr Gesicht war gezeichnet vom Krampf, schärfer die Konturen ihrer Nase, der Nasenrücken wie mit einem dürren, harten Stift herabgezogen gegen die Rundung des Kinns, die blutleeren Lippen nun schmale Striche. Ihr Gesicht eine bleiche Maske, als skizzierte ein von übermächtigen Dämonen getriebener Zeichner schwarze Konturen einer Fratze, die ihn heimsucht des Nachts, ins weiße Papier.

Wie jeden Morgen hatten sie zusammen trainiert. Sie waren schnell schweißgebadet beim Sparring. Arthur hatte sie nicht geschont. Und auch Arana setzte ihm zu mit ansatzlosen Schlägen der Handkante, kurzen, trockenen Tritten mit Fußballen und Fußspitze, sauber gezirkelt gegen Schläfe oder Kehlkopf des Gegners.

Sechs Jahren war es jetzt her, dass sie schwer erkrankt war an etwas, das sie im Nachhinein als „nicht näher bestimmte Immunschwäche“ deklarierten, mehr eine Wortreihe denn eine exakte Diagnose oder Wiedergabe dessen, was sie fast in den Tod gerissen hätte. Seit jener Zeit benötigte sie ein spezielles Medikament, das in der abgeschotteten Sonderabteilung des Zentrallabors hinter blau schimmernden Türen gebraut wurde, unter Aufsicht einiger weniger überaus wortkarger Wissenschaftler.

Die eigentliche und offizielle Aufgabe dieser Wissenschaftler war die Optimierung von Zodiaks, der Entwurf neuer Reihen halbsynthetischer Krieger. Sie waren aber auch und nicht so offiziell die Schöpfer einer genetischen Matrix, die vampirisches mit menschlichem und biosynthetischem Material aus den Prototypen der autonomen Zodiaks kombinierten, wovon nur Auserwählte wussten. Und diese spezielle Abteilung war direkt dem Fünfersenat unterstellt, der einzig weisungsbefugten Instanz ihnen gegenüber. Ein Senat, der die regelmäßig dargelegten Ergebnisse der Experimente weder verstand noch ihre Auswirkung auf die Zukunft erahnen konnte - mit der Ausnahme zweier Mitglieder des Rates...

Arana begann ihr Training, wie sie es immer begann. Lockerung, Dehnung, Aufwärmphase. Gewichte folgten und eine Runde Sparring mit einem Bruder, der wie so oft in letzter Zeit, übernächtigt und ausgelaugt, schnell aufgab und neidlos der Schwester den Sieg zugestand, sich übertrieben verbeugte, sie zu ihrer Kondition, Beweglichkeit, Schnelligkeit sowie variationsreicher Technik beglückwünschte und sich dann eilig verabschiedete. Aramis war ein zu leichter Gegner geworden - irgendetwas nahm ihn sehr in Anspruch.

Arthur nahm nach und nach seinen Platz ein, die obligatorische Sparringsrunde mit dem Bruder war schon bald zu einem leidenschaftslosen Ritual verkommen. Der Leibwächter hatte Mühe die Kämpferin im Zaum halten. Er war ihr an Kraft und Schnelligkeit überlegen. Nicht aber an Verbissenheit. Sie fauchte. Leopard auf dem Sprung.

demasiado

Sie riss ihn fort, den Schleier der Trauer. Nächte, gesegelt auf Tränenschiffen in einem teerschwarzen Meer. Tränen, die trockneten, sich zu harten Perlen ballten. Der Blick ihres rechten Auges klar, iolithen. Geschmiedet zu einer eisig-grauen todbringenden Spitze.

corazón

Rache, Rache brannte sich ein, wie ein Mal, das Tröstung verhieß. Vergeltung. Präzise, kühl, kalkuliert. Der Wille zum Tod, den sie den Mördern ihres Vaters bringen würde.

demasiado corazón

Behutsam hatte Aramis ihre Aufmerksamkeit auf die Sonnenkrieger gelenkt, Bemerkungen gestreut, am Rande Hinweise erwähnt, Indizien angefügt, Argumente angerissen, ihr die Conclusio überlassen. Und was erst nur als Verdacht dämmerte, erwachte zur unabweisbaren Gewissheit, die nach der Tat schrie…

demasiado

Die letzte Kombination, die sie schlug, drang wie ein Tornado auf ihn ein, Wirbelwind im Wasserglas der Sporthalle. Klauenhände, die durch die Luft rauschten, Tritte, die wie Schemen durch den Raum preschten; ihr Sirren warf einen scharfen Ton gegen die Wände der Halle, die ihn zurückwarfen. Kehlige Kampfschreie, die im Raum explodierten wie Schrapnelle. Sie schloss die Kombination ab. Ihre Technik makellos, präzise ziseliert, eine Studie fürs Lehrbuch. Arthur wehrte den tödlichen Schläfentritt ab, keuchte. Nur mit Mühe hatte er die schnellen, ansatzlosen Schläge parieren können, die in unablässiger Folge auf ihn einprasselten.

Arana kam mit einem flachen Salto rückwärts auf dem Boden wieder zum Stehen, ein süffisantes Lächeln auf ihren Lippen. Arthur schickte sich gerade - immer noch keuchend - an, ihr ein Kompliment ob der Verbesserung ihrer Fußtechnik zu machen, das er mit einem knappen zynischen Seitenhieb umgehend wieder zu relativieren gedachte, als er sie straucheln sah, ihr Knöchel schien umgeknickt. Er fing ihren Blick, sie sah ihn an mit Augen voll Verwunderung, aus denen keine stählernen Spitzen mehr blitzten. Sie fiel…

Pale blue eye

Arthur liebte das aufbrausende Mädchen. Er liebte ihre stille Wut, die unter der Oberfläche simmerte, dann explodierte und sich in einem heißen, unkontrollierbaren, steil aufschießenden Geysirstrahl entlud, der die Partikel ihrer lang genährten Wut hinausschleuderte und jeden mit glühend heißem Erdschleim verbrühte, der in ihrer Nähe war. Arthur sah auf sie hinab…

Demasiado corazón

Es war ein Zufall gewesen, der Arthur in die Dienste von Dymast und in die Nähe Aranas brachte. Zwei kurze Jahre - die ihm viel länger erschienen -, war es erst her, dass er zum persönlichen Leibwächter der jähzornigen, extravaganten jungen Dame avancierte, deren so gut kaschierte Zerbrechlichkeit er sofort durchschaute und die ihn mit einem Gefühl der Traurigkeit anrührte, das ihn erinnerte an das, was er fühlte, als seine Mutter der Seuche zum Opfer fiel, als er selber noch sehr jung und sehr zerbrechlich war.

Lera. Seine Mutter war eine blasse, hagere Erscheinung gewesen, mit papieren dünner Haut. Sie las ihm die Gedichte vor von jenem Jungen, der mit siebzehn ein Genie war, der mit neunzehn Jahren das Schreiben aufgab und dessen Spuren sich quer durch Europa bis nach Afrika zogen, der mit Kaffee, Gewürzen, Häuten und Waffen handelte in Äthiopien und Abessinien, dem sie das Bein amputierten in Marseille, der ihm den Namen gab, den man französisch aussprach mit einem ü wie Arthür, und der starb irgendwo im Niemandsland zwischen Wüsten und Versen.

Und er liebte als Kind die Indianer, die Rothäute in dem langen Gedicht von jenem Schiff, das trunken war, und genau wie jenes Schiff hatte Arthur sich später dann treiben lassen, sich narkotisiert nach dem Verlust der Mutter und nur selten noch las er den einen oder anderen Vers des wilden Lockenjungen aus den Ardennen.

demasiado

Arthur hatte viele Affären. Er war hoch gewachsen. Ein hübscher Bursche mit gleichmäßigen Zügen, geheimnisvoll, melancholisch.

Keine schlug bei ihm eine Saite an, die nachklang, die ein dich und mich zusammennahm wie einen Bogenstrich, die aus zwei Saiten eine Stimme zog, keine bewog ihn zu einer Verlobung, einer Hochzeit gar.

Er war mit seinen 25 Jahren ein einsamer, zorniger junger Mann, als er Dymast traf und sich in dessen Tochter verliebte, in ihren Jähzorn, der seinem Zorn ähnelte, den er aber zu zügeln vermochte, sich verliebte in ihre durchschimmernde, gläserne Zerbrechlichkeit, sich verliebte, schmerzlich spürte, dass diese Liebe nicht erwidert wurde - und sie in sich einmauerte und aus ihr eine Schwesternliebe machte und ihr Leibwächter wurde, weil er sie sein Lebtag lang beschützen wollte und er nun mit der Liebe abgeschlossen hatte.

Er fand ein wenig Trost und Zerstreuung in Intermezzi mit wohlgestalten Vampirinnen aller Couleur, die ihm aber bald fad wurden. Er war nun ihr Leibwächter und er würde es bleiben, bis zu seinem Tod.

Gerade heute, noch bevor Arana wach war, hatte er, durch einen Seiteneingang eingelassen, die Kontrollen im Hochsicherheitstrakt der Sonderabteilung des Zentrallabors über sich ergehen lassen, stoisch wie immer - austariertes Gegengewicht zu den cholerischen Ausfällen seiner Schutzbefohlenen -, hatte von einem weiß bekittelten Laboranten das Fläschchen mit dem Mittel in Empfang genommen und war zurückgekehrt in die Sporthalle. Wo er sie fand, eine 300 Kilogramm schwere Langhantel stemmend. Ferne Gerüchte kursierten, raschelnd wie sachter Wind im herab gefallenen Laub, die sprachen von den Folgen einer verbotenen genetischen Manipulation an der Tochter des Dynasten, von einer mysteriösen Krankheit vor sechs Jahren. Doch niemand, so schien es, wusste genaueres.

Demasiado

Zu viel

Demasiado

Zu viel Herz

Demasiado corazón

Cora –

Vampire Blues 2

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