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Fremde Gestade Küste von Nuku’atepe, später Nachmittag des 16. Tages des Hitzemondes, im 458. Jahr der Abwesenheit Gottes

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Mit leisem Kratzen fuhr der Federkiel über die Seiten des Logbuchs der Stern von Andhakleia, das aufgeschlagen vor Surjadora auf dem Klapptisch ihrer Kajüte lag. Als sie mit ihrer Eintragung fertig war, überflog sie die Zeilen noch einmal, streute dann ein wenig Löschsand über die Schrift, blies ihn fort und schloß das Buch. Unruhig wanderte ihr Blick zu dem kleinen Fenster. Verschwommen sah sie durch die Bleiglasscheiben die backbord liegende Küstenlinie einer riesigen Insel mit weitem Sandstrand und dichtem Dschungel, in deren Mitte sich ein gewaltiger Bergzug erhob. Bereits seit der Mittagszeit kreuzten sie in etwa einer halben Seemeile Entfernung vor der großen Insel.

Die idyllische Welt, die sie kurz vor Sonnenuntergang des gestrigen Tages am Horizont hatten auftauchen sehen, war in ihrer Schönheit unbeschreiblich. Schon eine halbe Stunde nach Entdeckung des seltsamen Käfers, dessen Reste jetzt wohlverwahrt in einer kleinen Glasflasche in der Seekiste der Kapitänin ruhten, hatte der Ausguck »Land in Sicht!« gemeldet. Und bis zum Abend hatten die beiden Karavellen die ersten der Inseln passiert, auf denen allerlei fremdartige Dschungelgewächse in üppiger Farbenpracht gediehen.

Die größeren der Inseln schienen hauptsächlich aus schwarzem Basalt zu bestehen, und auf manchen von ihnen waren die Kegel kleinerer Vulkane auszumachen, die ehrfurchtgebietend in den Himmel ragten.

Am erstaunlichsten aber war die Tierwelt des Inselreichs. Sie bestand vor allem aus Käfern – und nirgendwo sah man Vögel!

Wären nicht die zwei Meeresschildkröten gewesen, die sie einige Stunden zuvor erblickt hatten, so hätte man beinahe den Eindruck gewinnen können, daß im gesamten Archipel nur Insekten lebten. Zuweilen waren ganze Schwärme von schwarzen Punkten am Himmel über den Inseln auszumachen, und die Mannschaft hatte bereits eine Sammlung von elf verschiedenen Käfern angelegt, die sich bislang zu der Stern von Andhakleia verirrt hatten. Der größte und schwerfälligste von ihnen hatte die Ausmaße eines halben Unterarms. Der panische Zimmermann Tarjixes hatte das brummende Ungetüm noch in der Luft mit einer Planke erschlagen. Doch diese Art schien harmlos zu sein. Anders bestellt war es mit einer ziemlich aggressiven roten Käferart, die einen Seemann vor drei Stunden in den Unterarm gebissen hatte. Er hatte das Vieh ebenfalls erschlagen, aber sein Arm war schmerzhaft angeschwollen. Noch liefen unter der Mannschaft Wetten, wie viele unterschiedliche Käfer es bis zum Abend sein würden, und die Kapitänin wollte den Männern ihren Spaß nicht nehmen. Aber diese roten Biester hatten den Beweis geliefert, daß die Inselwelt trotz des idyllischen Eindrucks, den sie auf den ersten Blick vermittelte, Gefahren aufwies, die man wegen ihrer Fremdartigkeit nicht unterschätzen durfte.

Surjadora hatte während der Nacht nicht etwa Anker werfen lassen, sondern das helle Licht des Mondes dazu genutzt, noch tiefer in den geheimnisvollen Archipel vorzudringen.

»Kein Grund!« Beständig konnte man den monotonen, in der Kajüte gedämpft klingenden Singsang des Lotgasts in den Rüsten hören, der unablässig die Tiefe des Fahrtwassers überprüfte. Das neu entdeckte Inselreich war unbekanntes Seegebiet, und überall konnten Sandbänke und Schlimmeres lauern. Die Kapitänin wollte keinesfalls das Risiko eingehen, daß der Kiel des Schiffes plötzlich auf Grund lief oder der Schiffsbauch von Felsen aufgerissen wurde, die unter der Wasserlinie lagen.

Die aufregendste Entdeckung hatten sie am frühen Vormittag gemacht. Nahe einer Insel waren sie auf einen merkwürdigen Segler gestoßen, der aussah wie ein Floß, das auf zwei schlanke Schiffsrümpfe gesetzt worden war. Auf ihm hatten sich zwei Eingeborene befunden, die schreiend Reißaus vor ihnen genommen hatten. Dieses Segelfloß, wie die Männer es genannt hatten, hatte sich als überraschend schnell erwiesen. Es war ihnen nicht möglich gewesen, die Verfolgung aufzunehmen. Eine Stunde später waren sie nahe einer Lagune an einem kleinen Fischerdorf vorbeigekommen, dessen Hütten auf Stelzen standen und dessen Bauweise bei näherer Betrachtung durch Surjadoras Fernrohr überaus kunstfertig wirkte. Die geschwungenen Dächer der Hütten ähnelten den Flügeldecken von Käfern, und die planvolle Anordnung der Stelzbauten wie auch die prachtvolle Ausführung der Holzarbeiten ließen erkennen, daß hier im Archipel keineswegs primitive Wilde lebten.

Doch die Dorfbewohner hatten offenbar ebenfalls die Flucht vor ihnen ergriffen, denn Strand und Dorf waren menschenleer gewesen, als sie darauf zugesteuert hatten. Surjadora hoffte auf Einheimische zu treffen, die nicht wegliefen und mit denen man Kontakt aufnehmen konnte.

Energisches Klopfen an der Kajütentür riß sie aus ihren Gedanken. Steuermann Lakshapheus trat ein. Er wirkte aufgeregt, was für einen sonst so beherrschten Mann wie ihn recht ungewöhnlich war.

»Kapitänin, das müßt Ihr Euch selbst ansehen. Es hat den Anschein, als wären wir soeben auf eine große Stadt gestoßen.«

Surjadora zögerte nicht lange, sondern folgte ihrem Schiffsoffizier an Deck. Ihr Eintreffen verursachte diesmal nicht viel Aufsehen, da die meisten der Männer an der Backbordreling standen, wo sie staunend die vor ihnen liegende Küste beobachteten.

Die beiden Karavellen hatten soeben eine langgezogene Landzunge passiert, hinter der im Licht der Nachmittagssonne das Dächermeer einer großen Stadt aufgetaucht war. Die Bauweise der Häuser ähnelte jener, die sie bereits am Vormittag erblickt hatten. Surjadora schätzte, daß dort drei- oder viertausend Menschen leben mochten.

Über der Stadt aber, am Hang eines dunklen Basaltberges, thronte eine palastartige Festung aus strahlendhellen Gesteinsblöcken, die sich stolz von der Kulisse der Pfahlbauten abhob.

Surjadora klappte ihr Fernrohr aus und blickte hindurch. In der Bucht vor der Stadt wimmelte es von den Segelflößen der Eingeborenen. Eine unübersehbare Menschenmenge war am Strand versammelt. Viele von ihnen waren in prachtvolle Gewänder gehüllt. Strand und Boote schienen festlich geschmückt, und eben noch hatte man die schwachen Klänge von Musikinstrumenten gehört, die jetzt aber, da die Karavellen vor dem Hafen der Stadt in Sicht gekommen waren, abrupt verstummten. Surjadora konnte fast körperlich fühlen, wie sich Hunderte von Augenpaaren auf die beiden Schiffe richteten. Aufregung machte sich unter den Fremden breit.

»Hat hier niemand etwas zu tun?« donnerte Surjadora mit schneidender Stimme, während sie mit einem Ruck ihren marineblauen Sari straffzog. Schuldbewußt gaben die Seeleute ihre Aussichtsplätze an der Reling auf und machten sich eilig wieder an die Arbeit.

»Scheint, daß uns diese Eingeborenen schon erwarten. Mit denen sollten wir zur Not leicht fertig werden.« Bootsmann Brahthos’ Augen leuchteten, und seine Finger rieben einmal mehr aufgeregt über seinen Gottesstern.

»Ich habe es Euch schon einmal gesagt, Bootsmann: Wenn ich Eure Meinung hören will, dann frage ich Euch danach. Bis dahin verschont mich bitte mit Eurem unreifen Gerede.«

Brahthos duckte sich wie ein geprügelter Hund und ließ seinen Ärger über Surjadoras Zurechtweisung umgehend an zwei grinsenden Seeleuten aus, die noch immer an der Reling standen. Surjadora wandte sich angewidert ab.

»Bashorides!«

Der Geschützmeister war unverzüglich zur Stelle.

»Laßt die Söldner an Deck antreten. Außerdem wünsche ich, daß die Elephantinen besetzt werden.« Surjadora deutete zu den Torsionsgeschützen auf dem Vorderkastell. »Ich will kein Wagnis eingehen. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Eure Männer werden sich bedeckt halten, damit wir nicht mißverstanden werden. Wenn es zu einem einzigen voreiligen Schuß kommt, ohne daß ich oder Steuermann Lakshapheus den Befehl dazu gegeben haben, werde ich den betreffenden Richtschützen am Mast aufhängen lassen. Haben wir uns verstanden?«

»Jawoll, Kapitänin!« Bashorides schien die bevorstehende Begegnung mit den Eingeborenen nicht im mindesten zu beeindrucken. Surjadora wußte, daß der Geschützmeister als äußerst zuverlässig galt. Kapitän Vanakinos hatte den Mann vorgeschlagen, und in diesem Fall hatte sie sich auf sein Urteil verlassen können.

Im Hintergrund bellte der Geschützmeister seine Befehle über das Deck, und zwanzig Mann in klirrendem Küraß nahmen geduckt ihre Position hinter dem Schanzkleid der Schiffskastelle ein. Bewaffnet waren sie mit Langbögen und Säbeln; um die Hüften hatten sie Köcher geschnallt, die prall mit Pfeilen gefüllt waren.

»Steuermann«, Surjadora sah zu ihrem Ersten Offizier auf, »veranlaßt bitte, daß Signal gesetzt wird. Ich wünsche, daß auf der Bavakuleos die gleichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.«

Lakshapheus warf einen Blick nach achtern, wo die zweite Karavelle lag. Sein Kommentar fiel wie gewohnt trocken aus. »Nicht mehr nötig, Kapitänin. Kapitän Vanakinos scheint nur auf diese Gelegenheit gewartet zu haben.«

Surjadoras erkannte jetzt ebenfalls, daß auf dem Hauptdeck der Bavakuleos und hinter dem Schanzkleid der beiden Schiffskastelle Seesöldner in Gefechtsbereitschaft gingen Vanakinos hatte überdies die gesamte Mannschaft mit Entermessern bewaffnen lassen. Die Bavakuleos wirkte wie ein zum Entern gerüstetes Kriegsschiff.

»Dieser verdammte Idiot!«

Das erste Mal seit Reisebeginn machte Surjadora ihrem Ärger über Vanakinos vor der gesamten Mannschaft Luft.

»Signalisiert, daß ich umgehend das Feuer auf die Bavakuleos eröffnen lasse, wenn die Söldner nicht umgehend die Köpfe einziehen.«

Lakshapheus mußte dem Matrosen mit den beiden Flaggen in Händen nur zunicken, der bleich die Befehle ausführte. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis die Söldner der Bavakuleos nicht mehr zu sehen waren.

»Das wird noch Folgen haben!«

Wütend warf Surjadora einen Blick durch ihr Fernrohr. Unter den Insulanern hatten sich Gruppen gebildet, die erregt zu diskutieren schienen. Schwach waren die Klänge von Hörnern zu vernehmen. Ein Blick hoch zum Palast bestärkte den unangenehmen Eindruck. Von dort eilte eine Hundertschaft mit Speeren und blinkenden Schilden bewehrter Krieger in Richtung der Bucht.

»Bei den Locken der heiligen Sarmantha! Scheint, daß wir mitten in eine Festgesellschaft geplatzt sind. Wir sollten deutlich machen, daß wir in friedlicher Absicht kommen.« Surjadora wandte sich zu Brahthos um.

»Bootsmann, laßt das Beiboot klarmachen. Ich werde übersetzen.«

»Kapitänin!« Die Stimme von Lakshapheus klang äußerst besorgt. »Das da drüben sind möglicherweise Wilde. Wir wissen nicht, ob sie die Gesetze der Gastfreundschaft respektieren. Sollte ich nicht lieber ...«

»Steuermann, Eure Besorgnis in allen Ehren, aber wenn wir nicht die Initiative ergreifen, werden die dort es tun.« Damit deutete sie auf die halbnackten Krieger mit ihren blinkenden Speeren und Schilden, die vor der Festgesellschaft als schützendes Spalier aufmarschiert waren. Wieder warf sie einen Blick durch ihr Fernrohr. Angeführt wurden die Krieger von einem halben Dutzend Männern mit purpurnen Haaren, die mit Hellebarden bewaffnet waren.

»Nein, den ersten Kontakt muß ich schon selbst herstellen. Signalisiert Kapitän Vanakinos, er soll ebenfalls übersetzen. Allein, nur mit vier Matrosen als Bedeckung, keine Soldaten! In dieser Situation habe ich ihn lieber an meiner Seite als auf dem Achterdeck eines kampfbereiten Schiffes.« Surjadora lächelte bitter. »Wenn wir versagen und Vanakinos und mir dort tatsächlich etwas zustößt, dann seid Ihr, Lakshapheus, noch immer der führende Offizier der Expeditionsflotte.«

Der Steuermann nickte zögernd. »Da drüben scheinen sie etwas zu feiern«, merkte er an. »Ich werde mit Eurer Einwilligung einen Stoßzahn Elfenbein und eine Kiste mit kurjamäischem Glasgeschirr aus dem Laderaum holen lassen. Scheint mir, daß Ihr nicht ohne ein Geschenk übersetzen solltet.«

»Sehr gut.« Surjadora schob ihr Fernrohr mit einem Klicken zusammen. »Falls es zu einem Kampf kommt, deckt uns mit den Geschützen. Versucht ihnen Eindruck zu machen, aber richtet kein Blutbad an. Und schickt uns einen Stoßtrupp. Doch laßt euch keinesfalls auf ein Landungsmanöver mit allen Truppen ein. Was immer auch geschieht: Riskiert nicht, daß mein Schiff in die Hände der Wilden fällt.«

Die Kapitänin öffnete den Verschluß einer Kette um ihren Hals und drückte sie dem Steuermann mitsamt dem daran hängenden Schlüssel in die Hand.

»Hier habt Ihr den Schlüssel zu meiner Seekiste, Lakshapheus. Wenn mir etwas passiert, findet Ihr dort ein Schreiben mit weiteren Anweisungen. Ich weiß, daß Ihr den Verband in meinem Sinne führen werdet. Seid auch weiterhin vorsichtig. Falls mir etwas zustößt und ich entkommen kann, werde ich versuchen, ein Signalfeuer zu setzen ... Geht aber keine unnötigen Risiken ein, um mich zu retten.«

»Jawoll, Kapitänin!« Lakshapheus’ Stimme klang gepreßt.

Surjadora blickte nachdenklich auf das Beiboot, das mittlerweile im Wasser lag.

»Wenn ich nur wüßte, wie wir denen unsere friedliche Absicht klarmachen können. Das übliche Vorgehen innerhalb der Ehernen Liga wird hier wohl niemand verstehen.«

»Mit Verlaub, Kapitänin, aber ich hätte da eine Idee ...«

Der Plan des Steuermanns war riskant und doch in sich stimmig. Surjadora zögerte ...

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