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Die Sprache Gottes Bucht von Colepa’Taru, eine Viertelstunde später

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Die Ruderboote schrammten über den Grund der Bucht, und die Seeleute, die die Kapitänin übergesetzt hatten, sprangen mit bangen, gen Land gerichteten Blicken ins Wasser. Dann zogen sie das Beiboot der Stern von Andhakleia zwischen all den mit Blumen geschmückten Segelflößen an Land.

Ebenso hielten es die vier mit Entermessern bewaffneten Matrosen, die sie Kapitän Vanakinos zugestanden hatte, welcher natürlich, wie wäre es anders zu erwarten gewesen, nicht auf sein soldatisches Auftreten verzichtet hatte. Seine blinkende Rüstung saß wie angegossen. An seinem Helm prangten die Ehrenzeichen seiner Siege, und im Waffengehänge an seiner Seite baumelten ein schwerer Säbel und der Parierdolch. Beide waren so plaziert, daß er sie innerhalb eines Atemzuges ziehen konnte. Es war leicht zu erkennen, daß Vanakinos kein Mann des Friedens war.

Die Kapitänin trug wie gewohnt ihren Sari im strengen Blau der Handelsmarine. In ihrer Schärpe steckte lediglich der kleine, mit Löwenköpfen verzierte Schmuckdolch, den sie vor Jahren in Leonien erworben hatte. Sollte es tatsächlich zum Kampf kommen, dann würden sie gegen die hier versammelte Übermacht ohnehin nicht standhalten können.

Surjadora bemühte sich, Angst und Anspannung zu verdrängen, indem sie die Menschenmenge am Strand eingehend betrachtete. Es mußten inzwischen weit über tausend Insulaner sein, die sie und Vanakinos aufmerksam beobachteten. Und jeden Augenblick wurden es mehr. Die Eingeborenen hier hatten samtdunkle Haut, so wie man es sich von den Wilden in Esanuk erzählte. Die meisten Männer waren halbnackt. Sie trugen ein einfaches Tuch um die Hüften, und ihr langes Haar bändigten sie auf weibische Art mittels Zöpfen, Bändern, Spangen und Kämmen. Das Haar der Frauen hingegen war zu aufgebauschten Frisuren hochgesteckt. Sie waren in bunte Wickelröcke gehüllt, behielten die Schultern aber unbedeckt. Frauen wie Männer schmückten sich mit Halsketten, Ringen und Ohrgehängen aus Perlen, Korallen und zuweilen auch Silber. Manche der Männer hatten ihre Gesichter mit wulstigen Schmucknarben verunstaltet.

Es war leicht, die vornehmeren unter den Insulanern auszumachen.

Wie die Krieger, die sie umringten, trugen sie golden glänzende Kriegsschürzen sowie Arm- und Beinschienen. Die farbenprächtigen Wickelkleider der wohlhabenderen Frauen hingegen ähnelten entfernt den Saris ihrer Heimat. Schmuck aus Gold und Edelsteinen wies auf ihre edle Abkunft hin.

Was Surjadora aber ganz besonders fesselte, war die Farbe der Tücher und Umhänge. Purpur! Die Farbe der Kirchenfürsten und Satrapen.

Neben sich hörte Surjadora das Räuspern von Kapitän Vanakinos. Er musterte die Fremden mit Raubvogelaugen, und es war ihm deutlich anzumerken, daß er sie lieber über eine aufmunitionierte Elephantine hinweg beäugt hätte.

Alle Gespräche unter den Insulanern waren verstummt. In der Luft lag eine Spannung wie kurz vor einem Gewittersturm. Auf den Gesichtern der Fremden spiegelten sich nicht nur Angst und Unsicherheit, nein, auf vielen war blanker Haß zu lesen. Vor allem die Krieger, die sich schützend vor die Festgesellschaft gestellt hatten, wirkten wie auf dem Sprung. Ein knapper Befehl, und man würde sie vom Leben in den Tod befördern.

»Wollen wir nicht lieber wieder umkehren?«

Tvashis helle Jungenstimme unterbrach die Stille, die sich ahnungsvoll über den Strand gelegt hatte. Nichts hätte in diesem Augenblick mehr fehl am Platz klingen können. Furchtsam blickte der Knabe zu den Fremden hinüber, die inzwischen einen weiten Halbkreis um sie gebildet hatten. Sein mit Sommersprossen besprenkeltes Gesicht war totenblaß.

»Ganz ruhig, Tvashareo.« Surjadora legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter und verfluchte sich im stillen dafür, daß sie sich auf den Vorschlag ihres Steuermanns eingelassen hatte, den Schiffsjungen mitzunehmen. Sie würde es sich niemals verzeihen, wenn ihm etwas zustieße. Doch jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Jetzt würde sich zeigen, ob die Insulaner eine unbewaffnete Frau mit einem zehnjährigen Jungen an der Hand als Bedrohung empfänden. Andererseits, wer wußte schon zu sagen, welchen Status Kinder in diesem Inselreich genossen? Wohin sie auch blickte, überall sah Surjadora nur Erwachsene. Hatte man womöglich die Kinder vor ihnen in Sicherheit gebracht?

»Die tragen allesamt Waffen und Rüstungen aus Bronze«, zischte ihr Vanakinos verächtlich zu. »Scheint, daß die Eingeborenen hier kein vernünftiges Eisen kennen!«

Die Händlerin in Surjadora machte sich gedanklich eine Notiz. Dann gab sie ein Zeichen, und die Matrosen hinter ihr begannen die mitgebrachten Geschenke auszuladen. Kurz darauf lagen vor ihnen im Sand ein gewaltiger Elefantenstoßzahn und eine geöffnete Kiste mit zerbrechlichem kurjamäischem Glasgeschirr. Kapitän Vanakinos hingegen hatte lediglich einen Sack mit bunten Glasperlen mitgebracht.

Die Insulaner verrieten mit keiner Regung, ob ihnen diese Geschenke zusagten.

Ein schillernder Käfer umschwirrte plötzlich Vanakinos’ Helm. Der machte eine herrische Bewegung, um das Insekt zu verscheuchen, und sofort ging ein Ruck durch die Reihen der fremden Krieger. Unzählige Speere wurden auf sie gerichtet, und erregtes Gemurmel machte sich unter den Insulanern breit. Die Kapitänin hob beide Hände in einer beschwichtigenden Geste.

»Das hier sind Geschenke. Versteht jemand meine Sprache? Wer ist hier der Anführer?«

Suchend blickte sie sich um. Hatte sie nicht vorhin eine Sänfte durch ihr Fernrohr gesehen?

Wieder waren unter den Insulanern erregte Stimmen zu hören, die unvermittelt von einer tiefen, melodischen Baßstimme übertönt wurden. Eine Gasse bildete sich in den Reihen der Umstehenden, und gedeckt von einigen Kriegern, trat ein unglaublich dicker Mann in purpurfarbenem Gewand auf sie zu. Sein Haupt war mit einem Reif aus Gold gekrönt, in dem der größte Saphir funkelte, den Surjadora je in ihrem Leben gesehen hatte. Hinter ihm war ein junges Paar in Festgewändern zu erkennen. Der Mann trug gleichermaßen einen Goldreif samt Saphir auf dem Haupt. Die junge Frau an seiner Seite hingegen war in ein farbenprächtiges Gewand gekleidet, das mit einer solchen Vielzahl an Perlen bestickt, daß Surjadora der Mund trocken wurde. Das Kleid mußte mindestens 500 Golddubokinen wert sein. Dazu der Blumenschmuck und all die anderen Geschenke ... Hatte sie nicht vorhin durch ihr Fernrohr ein geschmücktes Pärchen erkannt?

Bei den Goldsäcken der heiligen Narcissa! Sie waren offenbar in eine Hochzeitsgesellschaft hineingestolpert. Eine fürstliche, vielleicht sogar königliche Hochzeit!

Der Inselfürst fixierte sie mißtrauisch, rückte den purpurnen Stoff zurecht, der sich über seinen massigen Bauch spannte, und begann in einem melodiösen Baß auf sie einzureden. Verärgert fuchtelte er mit seinen fleischigen Fingern in der Luft herum. Surjadora verstand kein Wort. Sie deutete auf sich.

»Ich bin Kapitänin Surjadora! Das hier«, sie deutete auf den Seeoffizier an ihrer Seite, »ist Kapitän Vanakinos. Wir kommen aus einem Land weit jenseits des Meeres.« Sie beschrieb eine weit ausholende Bewegung und betonte sorgfältig jedes Wort. Doch der Inselfürst vor ihr bellte nur wieder los und deutete auf die beiden Karavellen.

»Tu moai Katauke? Tu lava buro bu nauko tene!« Das letzte klang wie eine wütende Drohung, dann schlug er sich mit der Faust bestimmend vor die Brust.

»Mo moai Halapua!«

Die Festgesellschaft jubelte laut, und die Krieger taten es ihr gleich, indem sie wild ihre Waffen schwenkten. Nein, das lief ganz und gar nicht gut. Der Inselfürst schob sich schnaufend näher, stemmte seine Arme in die ausladenden Hüften und schaute hochmütig auf Surjadora und Tvashi herab. Dann betastete er den Sari Surjadoras und warf einen flüchtigen Blick auf den Jungen. Herrisch fuhr er sie wieder an.

»Tu moai Katauke? Tu nelo Halapua!«

Katauke? Hielten die Fremden sie für Bewohner Serkan Kataus? Wie konnte das sein? Surjadora zuckte entschuldigend mit den Schultern und wandte sich dann vorsichtig an den Kapitän der Bavakuleos, ohne dem Blick des Königs auszuweichen. »Vanakinos, uns sollte schleunigst etwas einfallen. Ich habe das Gefühl, daß das hier sonst nicht gut ausgeht.«

»Das habt allein Ihr zu verantworten, Kapitänin«, zischte Vanakinos aufgebracht. »Ich wäre niemals so verrückt gewesen, diesen Wilden einen Besuch ohne Bedeckung abzustatten.«

»Um damit einen Krieg vom Zaun zu brechen? Nein.« Wütend überging Surjadora die Worte des Kapitäns. So kamen sie nicht weiter. »Vanakinos, versteht Ihr Euch noch auf andere Sprachen als Kurjamäisch?«

»Ich kann ein wenig Elephantinisch und etwas Markomassatisch.«

»Na los, probiert es!«

Man merkte deutlich, wie sich Vanakinos verzweifelt darum bemühte, einen Satz in diesen Sprachen zu bilden. Doch mehr als Gestammel kam dabei nicht heraus. Der dicke Fürst wandte sich jetzt dem Seeoffizier zu, doch es war offensichtlich, daß er auch ihn nicht verstanden hatte.

»Tu moai Katauke?« fuhr er den Kapitän der Bavakuleos an, und es wirkte, als verlöre der Inselkönig langsam die Geduld.

»Wie lange sollen wir uns noch mit diesen Wilden herumärgern?« zischte Vanakinos.

Surjadora bemerkte in diesem Moment, daß ihr Begleiter einen kleinen Signalspiegel unter seiner Kleidung hervorgezaubert hatte. Ein kurzer Blick über die Schulter offenbarte ihr, daß die Bavakuleos inzwischen so nah heran gekommen war, daß die Torsionsgeschütze an Bord den Strand bestreichen konnten. Wenn dieser verdammte Mistkerl jetzt das falsche Signal gab ... Surjadora trat einen Schritt zur Seite und stellte sich wie zufällig zwischen Vanakinos und dessen Schiff.

Tvashis Jungenstimme war wieder zu hören. »Die Priester im Waisenhaus haben immer gesagt, daß es nur eine Sprache gibt, die die Menschen in aller Welt verstehen. Die lingua dei, die Sprache Gottes.« Tvashi blickte zu der Kapitänin hoch, und seine Stupsnase bebte leicht, während sich seine Hand vor Furcht auf die ihre legte.

»Junge, ich glaube kaum ...«

Doch als Tvashi die Worte lingua dei erwähnte, fuhr der dicke Inselfürst herum. Auch einige der prächtig gekleideten Insulaner hinter dem Spalier der Krieger starrten den Kleinen an und begannen erregt miteinander zu diskutieren. Der Eingeborene beugte sich zu Tvashi herab.

»Tu wata linguleve dei? Tu nelo Halapua! Tu nelo!«

Beim Abwesenden Gott! Konnte das sein? Tvashi fing vor Furcht an zu weinen. Surjadora trat energisch dazwischen, schaute zu dem Inselfürsten auf und fuhr ihn empört und mit aller zu Gebote stehenden Schärfe in der lingua dei an: »Ista ratione cum Iiberis vos agitis?«1

In diesem Augenblick war es ihr gleichgültig, wie der Insulaner reagieren würde. Dieser wandte sich von ihrem Schiffsjungen ab, und Surjadora zog den Jungen hinter sich. Da donnerte der Dicke seinerseits los: »Quomodo fit, ut lingua dei loquamini? Vos estis catauecienses? Responde!«2

Es dauerte eine Weile, bis sich Surjadora an den fremdartigen Dialekt gewöhnt hatte, mit dem die Einheimischen hier die lingua dei aussprachen. Wieso wollte dieser Inselfürst wissen, ob sie Kataueken waren? Sollten die Einheimischen nicht besser wissen, wie Kataueken aussahen? Immerhin trieben sie Handel mit ihnen. Oder etwa nicht? Sie versuchte, ihrer Stimme wieder einen ruhigen Klang zu verleihen.

»Non sumus catauecienses! Nos quidem a terra ultra mare sita venimus, sed ...« 3

»Iterum nos non decipietis!«4 unterbrach der Eingeborenenkönig Surjadora.

Seine Rechte war bereits in Richtung der Krieger ausgestreckt, als sich der junge Mann einmischte, der auf die Kapitänin den Eindruck eines Bräutigams machte. Er trat an die Seite des Inselfürsten, und Surjadora erkannte erstmals eine gewisse Ähnlichkeit in ihren Gesichtszügen. Womöglich handelte es sich um Vater und Sohn.

Wie der Inselfürst war der junge Bräutigam hochgewachsen, doch im Gegensatz zu ihm wirkte er außerordentlich durchtrainiert. Seine Augen musterten sie ernst und wach.

Er zog den Älteren beiseite und sprach leise mit ihm. Der Fürst schüttelte energisch den Kopf, so daß die Fleischmassen an seinem Hals zitterten. Doch der junge Mann berührte ihn besänftigend am Arm und redete weiter leise auf ihn ein. Der Inselfürst grübelte eine Weile. Dann wischte er sich mit einem resignierten Seufzer den Schweiß von der hohen, glänzenden Stirn und deutete in einer gleichgültigen Geste zu den Neuankömmlingen. Offenbar bedeutete dies, der Jüngere solle über die Eindringlinge nach Gutdünken verfügen, denn der Bräutigam trat jetzt vor und wandte sich direkt an Surjadora. Auf dem Gesicht des jungen Mannes lag ein feierlicher Ausdruck.

»Mihi nomen est Nukulahi regis filius. Vos esse invasores pristini mihi non videmini. Vestrae naves non minus quam facies et vestes vestrae alteram speciem habent. Praeterea lingua deiloquamini. Hoc igitur die sit inter nos pax. Hodie, quaeso, hospites estis mihi!«5

Der Prinz verneigte sich höflich, und Surjadora, die seine Worte mit Überraschung zur Kenntnis nahm, tat es ihm gleich. Forschend betrachtete sie sein offenes Gesicht, aus dem, wie sie mit einem Anflug von Wehmut erkannte, die Aufrichtigkeit und das Vertrauen der Jugend sprachen. Sie bedankte sich mit einem Lächeln. Die Spannung der letzten Augenblicke schmolz wie Wachs auf einem heißen Stein. Auch Tvashis fester Griff um ihre Linke entspannte sich.

»Kapitän Vanakinos? Habt Ihr verstanden, was Seine Hoheit gesagt hat?«

»Ehrlich gesagt, nicht alles«, brummte Vanakinos mißmutig. Surjadora lachte erleichtert auf. »Für mich hörte es sich so an, als wären wir zu einer Hochzeit eingeladen.«

1 »Ist das die Art, wie ihr mit Kindern umgeht?!«

2 »Wie konmtt es, daß ihr die Himmelssprache sprecht? Seid ihr Kataueken? Antwor-te!«

3 »Nein, wir sind keine Kataueken! Wir kommen zwar auch von weit jenseits des Mee-res, aber ...«

4 »Noch einmal werdet ihr uns nicht täuschen!«

5 »Mein Name ist Prinz Nukulahi. Für mich seht ihr nicht aus wie die alten Invasoren. Eure Schiffe sind anders, ebenso ist es mit euren Gesichter und eurer Kleidung bestellt. Außerdem sprecht ihr die Himmelssprache. An diesem Tag soll Friede herrschen. Bitte seid heute unsere Gäste!«

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