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Der Federschnabel Palast von Colepa’Taru, Hauptstadt der Königsinsel Nuku’atepe, Archipel von Coleopa, 15. Tag des Hitzemondes, im 458. Jahr der Abwesenheit Gottes

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»Ihr wolltet zur fünften Nachmittagsstunde geweckt werden, Prinz.« Nur schwach drangen die Sonnenstrahlen durch das kleine Fenster und tauchten das Badezimmer des Königspalasts in ein geheimnisvolles Licht. Es duftete nach Zitronengras und Kokosmilch. In der Ecke blubberte das Wasser auf einem steinernen Ofen und trieb Nukulahi angenehm den Schweiß auf die Stirn. Alle paar Augenblicke zischten feine Dampfschwaden auf, die sich träge im Raum verteilten.

Der coleopäische Prinz wurde durch ein wohliges Kitzeln an der rechten Schulter langsam aus seinem Traum geweckt. Es war eine weiche, fast zärtliche Berührung, die ein prickelndes Gefühl auf seiner Haut hinterließ.

Nukulahi blinzelte und sah sich in dem Bad um, dessen Wände von farbenfrohen Mosaiken geschmückt wurden. Sie stellten Wale und andere Meeresbewohner dar.

Mit leiser Überraschung entdeckte er Lumelume, eine junge Palastdienerin, die direkt neben ihm auf dem Beckenrand ein silbernes Tablett mit zahlreichen Leckereien abgestellt hatte. Die Spitzen ihres langen Haars hatten ihn gestreift, und doch war ihm, als hätte sein Traumbild in ihr auf wundersame Weise Gestalt angenommen. Denn seit Jahren schon, besonders aber in den letzten Tagen, galten all seine Gedanken und Sehnsüchte einer ganz bestimmten Frau: seiner Braut. Und wie zuvor hatte er sich auch heute vorzustellen versucht, wie sie wohl aussehen mochte ...

»Ich bin nicht hungrig. Stell das Tablett dort auf den Sims.« Nukulahi deutete gedankenverloren zu einer Stelle nicht weit vom Ofen entfernt. Die Dienerin tat, wie ihr geheißen, und der Prinz musterte sie verstohlen. Ob seine Braut wohl ebenso hübsch wie Lumelume war? Es wurde wirklich Zeit, daß er heiratete.

Die junge Frau griff nach einem Tuch. »Wünscht Ihr, daß ich Euch abtrockne, Prinz?« Etwas an dem Blick, dem sie ihm zuwarf, verriet Nukulahi, daß die hübsche Dienerin seine Gedanken erraten hatte. Verlegen räusperte er sich.

Im Umgang mit Frauen war er nicht gerade erfahren. Lumelume wußte das, jeder Colepa’Tari wußte das. Vielleicht lachte die Dienerin innerlich bereits über den künftigen König? Ein Wink von ihm, und sie würde zu den Färberhütten versetzt werden, wo die Arbeit hart und anstrengend war. Nukulahi schämte sich seines Gedankens. Solche Niedertracht war eines künftigen Königs nicht würdig. Hatte ihn sein Vater, König Halapua, nicht gelehrt, ein Herrscher müsse stets verantwortungsvoll mit der ihm gegebenen Macht umgehen? Das Mädchen konnte doch nichts für die alten Traditionen, der sich die Herrscherfamilie zu beugen hatte.

Nukulahi atmete tief ein und lachte. Seine strahlend weißen Zähne standen in angenehmem Kontrast zu seiner dunklen Haut. Er strich sich die langen Haare aus dem Gesicht und nahm Lumelume das Tuch entschlossen aus der Hand. »Nein, ich habe soeben den Entschluß gefaßt, daß die einzige Frau, die mich von nun an berührt, meine Braut sein soll. Ich habe schließlich lang genug darauf warten müssen.«

Die junge Dienerin schaute ihn verblüfft an, schmunzelte und fing dann ebenfalls an zu lachen. »Wenn mir die Bemerkung gestattet ist, so hat Prinzessin Tuilaepe allen Grund, ihrer Vermählung mit Freude entgegenzusehen.«

»So, hat sie das?« Nukulahi schaute Lumelume zweifelnd an und hoffte, daß seine Braut ähnlich empfinden würde.

Prinz und Prinzessin wurden einander bereits im Kindesalter versprochen, doch der coleopäische Brauch sah vor, daß sie sich bis zu ihrer Hochzeit nicht sehen durften. Man hatte Tuilaepe stets von ihm ferngehalten. Allerdings war es ebenso Tradition, daß die beiden gegen den alten Ritus verstießen und sich kurz vor der Hochzeit heimlich am heiligen Nooga’Ka’ata, dem Walfriedhof, trafen. Morgen nun war die Hochzeit. Doch heute abend schon hoffte Nukulahi seiner Braut endlich in die hübschen Augen schauen zu können. Hoffentlich stand ihm da keine böse Überraschung bevor.

»Wie wagst du es, mit dem Prinzen zu sprechen?« Die heitere Stimmung zerstob. Im Eingang zum Bad stand mit finsterem Blick Tongaro, Sohn des Solars von Lavaka’motu und Nukulahis bester Freund. Die Augen in seinem kantigen Gesicht blitzten. Sein schwarzes Haar war auf lavaka’motische Art zu zwei seitlich herabhängenden Zöpfen geflochten, und wie immer trug er stolz das Rüstzeug der coleopäischen Krieger. Um seine Hüfte war eine golden blinkende Kriegsschürze geschnallt, deren Metallplatten sich wie Fischschuppen überlappten. Arme und Beine hingegen wurden von metallenen Röhren geschützt, die mit purpurnen Bändern festgezurrt waren. Sie glänzten im Wettstreit mit Tongaros muskulöser Brust, die er sorgsam mit Ölen eingerieben hatte. Um seinen Hals aber trug er eine Kette mit scharfen Haifischzähnen, die sich in strahlendem Weiß von der dunklen Haut abhoben.

Schlagartig verstummte das Lachen der Dienerin. Offenbar entsetzt darüber, daß ihr die kessen Worte entschlüpft waren, hielt sie sich die Hand vor den Mund und schaute den Prinzen unsicher an. Wie lange mochte Tongaro dem Gespräch wohl schon gelauscht haben?

Der Prinz zwinkerte Lumelume verschwörerisch zu, um ihr die Angst zu nehmen. Dann erhob er sich, schlug seine langen schwarzen Haare zurück und begann sich abzutrocknen. Nukulahi war hochgewachsen, und sein kräftiger Körper brauchte den Vergleich mit seinem Freund nicht zu scheuen. Im Gegensatz zu Tongaro hatte er jedoch ein schmales Gesicht, und seine schräg stehenden Wangenknochen und der vorwitzige Schwung seiner Augenbrauen, unter denen helle, wache Augen blitzten, verliehen ihm ein kühnes Aussehen.

»Soll ich das Mädchen persönlich bestrafen?« Tongaro wechselte unvermittelt in die kehlige Himmelssprache, die der Gottessohn Eomes einst den Hohen Familien als Geschenk hinterlassen hatte. Während er die junge Dienerin betrachtete, spiegelten sich in seinen Zügen Wollust und Empörung zugleich.

»Laß es gut sein, Tongaro.« Nukulahi antwortete ihm in derselben Zunge, während Lumelume ihren Blick gesenkt hielt und, am ganzen Körper zitternd, eine Wasserlache zu Füßen der Wanne fixierte. Was mußte das Mädchen bloß denken? Traditionell nutzten die Hohen Familien die Himmelssprache nur bei rituellen Anlässen oder wenn es wichtige Entschlüsse wie etwa Urteile zu fällen galt. Er wandte sich daher erneut der jungen Dienerin zu und sprach sie freundlich auf coleopäisch an. »Du kannst jetzt gehen.«

Die Dienerin schenkte ihm ein erleichtertes Lächeln, raffte ihren bunten Wickelrock und schlüpfte geschwind aus dem Bad. Tongaro sah ihr grinsend hinterher und betrachtete dann beiläufig Nukulahis kräftigen Körper. »Ist hübsch, die Kleine. Also, ich hätte gewußt, was ich an deiner Stelle gemacht hätte.«

»Ja, ja, ich weiß. Du läßt es ja schon seit Jahren nicht aus, mich damit zu verspotten, daß ich wohl die einzige männliche Jungfrau zwischen hier und Vavaska’tepe bin. Aber ich bin nun einmal der künftige König. lch muß unsere heiligen Traditionen befolgen.«

»Traditionen, Traditionen. Du bist inzwischen neunzehn Jahresläufe alt. Glaube mir, niemand würde sich darum scheren, wenn du zwischenzeitlich ein paar Erfahrungen gesammelt hättest. Glaube mir, den Mitgliedern der Hohen Familien liegen die Frauen zu Füßen. Du bist doch ein Mann, oder?« Tongaro grinste zweideutig.

Nukulahi, der inzwischen seine Kriegsschürze umgeschnallt hatte, blickte seinen Freund stirnrunzelnd an. »Einen Mann, mein Freund, zeichnen vor allem Ehre, Charakterstärke und Treue aus. Nicht die Zahl der Frauen, die mit ihm das Lager geteilt haben. Das gilt insbesondere für den Herrscher eines Volkes, der seinen Untertanen mit leuchtendem Beispiel voranschreiten muß. Du magst wer weiß wie viele Frauen gehabt haben. Ich aber«, der Prinz schaute seinem ausdruckslos vor ihm stehenden Freund in die Augen, »ich warte auf die eine wahre Liebe meines Lebens. Im übrigen werde ich die Frau ehelichen, die dir für immer versagt ist und die als die schönste von allen gilt. Deine Schwester!«

Tongaro mustere ihn mit eigentümlichem Blick, und Nukulahi befürchtete schon, seinen Freund verärgert zu haben. Doch plötzlich lachte dieser.

»Du bist unverbesserlich, Nukulahi.«

Mit spitzbübischem Lächeln schlug der Prinz seinem Freund auf die Schulter. »Komm, heute ist der Tag der Tage. Bitte beschreibe mir Tuilaepe noch einmal.« Nukulahis Stimme senkte sich zu einem Flüstern, und er schaute sich vorsichtig nach unliebsamen Zuhörern um. »Ich kann es kaum abwarten, ihr endlich persönlich gegenüberzustehen.«

Tongaro schnaubte, ließ sich auf dem Beckenrand nieder und fächelte sich die feinen Dampfschwaden aus dem Gesicht, die ihm den Schweiß aus den Poren trieben. »Glaube mir, du hast so viel Glück, wie es allein dem künftigen Herrscher zusteht. Tuilaepe ist die schönste Frau im gesamten Inselreich.«

Nukulahi hing an den Lippen seines Freundes, der nach den passenden Worten suchte und dessen Blick nach innen gewandt schien, beinahe als wäre auch er ein wenig verliebt in die Schönheit seiner Schwester. »Ihre Haut ist makellos, ihre Brüste und Schenkel sind fest und wohlgeformt, und ihr schwarzes Haar glänzt so seidig wie der Panzer eines Aiokkäfers. Ihre Augen sind wie Nachtperlen, und ihr Lachen erobert das Herz eines jeden, der es vernimmt. Sie ist eine Meisterin in allen Figuren des heiligen Copbuh. Ich habe noch keine Tänzerin gesehen, die ihr darin gleichkommt. Von meiner Mutter vielleicht abgesehen.« Tongaro blinzelte Nukulahi zu. »Jeder, sei es Mann oder Frau, ist von ihrem Liebreiz eingenommen. Sie ist eine geborene Königin und so strahlend wie der neue Stern, der am Himmelszelt aufgegangen ist.«

Nukulahi lächelte in sich gekehrt. Der neue Stern. Wie ein heftiger Wind hatte sich die Nachricht von seinem Auftauchen über ganz Coleopa verbreitet. Er war in den letzten Nächten immer größer geworden, und sein Vater, König Halapua, war davon überzeugt, daß er ein Glücksbote war. Mehr noch, er sprach sogar davon, ihm, Nukulahi, werde Großes in seiner künftigen Königsherrschaft bevorstehen. Heute, an seinem vorletzten Tag als Gebieter der Tausend Inseln, ließ sich sein Vater von den bereits eingetroffenen Solaren und ihren Familien noch einmal die Aufwartung machen. Nukulahi ahnte, daß der neue Stern ebenso Gesprächsthema war wie die anstehende Hochzeit. »An dir ist ein Dichter verlorengegangen, Tongaro. Wenn du nicht Tuilaepes Bruder wärst, würde ich dich als mutmaßlichen Rivalen persönlich in den Krater des Mauga Kara’tubo werfen lassen.«

Beide Männer lachten, und Tongaro erhob wieder die Stimme. »Und jetzt zu den Dingen, die ich dir verschwiegen habe.«

»Bei Eomes, ich wußte, daß das kommen würde.«

»Meine Schwester ist stolz, mein Freund. Nur ein Krieger wird diesen Stolz brechen und sie bezwingen können.«

Nukulahi hob verwundert eine Augenbraue. »Ihren Stolz ... brechen? Ich dachte eigentlich eher daran, sie für mich einzunehmen. Sie ist doch nicht mein Feind.«

Tongaros Gesichtsausdruck wechselte ins Überhebliche. »Du lernst es schon noch, wie man mit Frauen umgeht. Die Liebe gleicht einer Schlacht. Entweder du gewinnst, oder du unterliegst. Ein König kann es sich nicht leisten, sich von einer Frau beherrschen zu lassen.«

Verwundert sah Nukulahi seinen Freund an. Er kannte Tongaros herrschsüchtige Art, und ihm war in den letzten Jahren nicht entgangen, daß ihn manche Solarssöhne deswegen gar zu fürchten schienen. Oder war es Neid? Tongaro gehörte einer der vornehmsten Solarsfamilien an, und es gab im Reich der Tausend Inseln kaum einen sportlichen Wettkampf von Bedeutung, den er nicht für sich entschieden hätte. Auch wenn ihm nachgesagt wurde, nicht verlieren zu können und sich unlauterer Mittel zum Sieg zu bedienen, glaubte er, Nukulahi, nicht daran. Und doch ... Noch immer hielt sich das Gerücht, Tongaro habe bei der letztjährigen Katamaranwettfahrt das Boot seines ärgsten Rivalen in der Nacht vor dem Wettstreit von Perltauchern anbohren lassen. Aber das war gewiß nichts als üble Nachrede. Nein, er konnte sich keinen treueren Kameraden als Tongaro vorstellen und war stolz, ihn zum Freund zu haben. Er beschloß, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

»Und? Wird sie kommen?«

»Natürlich wird sie kommen.« Tongaro lachte herausfordernd. »Sie ist bereits mit meinem Vater und seinem Gefolge auf Nuku’atepe eingetroffen. Unten im Süden, bei dem Fischerdörfchen Noa’tari. Eure Perlenfischer und ihre Familien haben ihr einen begeisterten Empfang bereitet. Der Ort ist voller Menschen, die der zukünftigen Königin ihre Aufwartung machen wollen. Wie die Tradition es verlangt, wird sie dem heiligen Nooga’Ka’ata morgen zur Mittagszeit ganz offiziell einen Besuch abstatten, um die sterbenden Wale um Weisheit für ihre Amtszeit zu bitten. Bis zum Nachmittag wird mein Vater sie zu eurer Hochzeit nach Colepa’Taru führen. Und was wir nicht vergessen sollten: Morgen abend schon wird ein neuer König über Eomes’ wunderbares Reich gebieten.« Tongaro lachte, als hätte er einen Scherz gemacht. »Wie ich gehört habe, hat dein Vater bereits alles für das Zeremoniell vorbereiten lassen. Wenn du mich fragst, wird das morgen ein Tag, den niemand in Coleopa vergessen wird.«

»Jaja, ich weiß.« Nukulahi seufzte ungehalten. »Ganz Colepa’Taru steht schon seit Wochen Kopf. Die Hochzeit eines Prinzenpaares und noch am selben Tag die Ernennung zum König, das hat es schon seit über zweihundert Jahren nicht mehr gegeben. Ich bin froh, wenn die Aufregung vorbei ist. Wahrscheinlich kann ich dankbar sein, daß man mich wenigstens heute nachmittag ein paar Stunden allein gelassen hat. Aber, Tongaro, eigentlich will ich wissen, ob Tuilaepe kommt. Heute abend, meine ich.«

Tongaro lächelte noch breiter. »Wäre ich sonst hier? Überrascht es dich wirklich, wenn ich dir sage, daß sie – insgeheim – dem heiligen Walfriedhof bereits heute um Mitternacht einen Besuch abstattet?« Augenzwinkernd zog er ein kostbares Perlmuttblättchen hervor, auf dem sich die Zeichnung eines kleinen Wals befand.

»Wie versprochen habe ich ihr einen von euren Warakkäfern gebracht, der das vereinbarte Zeichen ihres Einverständnisses vor einer Stunde in den Palast getragen hat.«

Die kostbaren Warakkäfer fanden selbst dann zu ihren Nestern zurück, wenn man sie mehrere Inseln entfernt aussetzte. Nur ein Sturm konnte sie von ihrem Flug abbringen, und schon seit vielen Generationen nutzten der König und seine Solare diese Form der schnellen Nachrichtenübermittlung, indem sie untereinander heimische Käferarten austauschten.

Nukulahi griff berührt nach dem Plättchen und streichelte vorsichtig mit seinem Daumen darüber. Vor wenigen Stunden erst hatte Tuilaepe das Zeichen ihres Einverständnisses mit eigener Hand darauf gemalt. Ob sie wohl ebenso aufgewühlt war wie er?

Dann blickte er auf.«Wußtest du, daß meine Mutter die gesamte letztjährige Tributleistung an Perlen in die Hochzeitsdekoration hat einarbeiten lassen? Seit etlichen Monden sind die Perlensticker und Kunsthandwerker ganz Nuku’atepes damit beschäftigt, deiner Schwester den prachtvollsten Empfang seit dem Einzug Eomes’ zu bereiten.«

Tongaro zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Ich glaube kaum, daß selbst der prachtvollste Schmuck ihr an Schönheit gleichkommen wird.«

Nukulahi lachte.«Meine Güte, einen besseren Fürsprecher als dich hätte sich deine Schwester wirklich nicht wünschen können. Und? Hast du ihr auch mein Brautgeschenk zukommen lassen?«

»Ja, ich habe ihr das merkwürdige Tier überbracht.« Wie schon am gestrigen Morgen, als er Tongaro den Käfig anvertraut hatte, war dem jungen Krieger sein Mißfallen deutlich anzumerken.

»Das ist kein merkwürdiges Tier«, begehrte Nukulahi empört auf.«Ich frage mich, was du gegen dieses Geschenk hast? Es handelt sich immerhin um einen lebendigen Federschnabel. Sie stammen vom Rande der Welt. Du weißt selbst, wie selten man sie auf den Inseln erblickt. Die Schlupf- und Majokkäfer bohren Löcher in ihre Kalkeier, so daß sie hier nicht überleben können. Und wenn sie Pech haben, fallen Zaikars über sie her, während sie schlafen. In Gefangenschaft aber vermehren sie sich nicht. Das haben schon die Alten vergeblich versucht. Ich habe ihn selbst vor zwei Tagen hier im Palast entdeckt und eingefangen. Das war das kostbarste Geschenk, das ich deiner Schwester machen konnte.«

»Und ich sage dir, daß du diesem Federschnabel gleich den Hals hättest umdrehen sollen. In meinen Augen sind sie nichts als Unglücksboten. Die gleichen Federschnäbel sind auf einem Muschelrelief abgebildet, das sich im Palast meines Vaters befindet. Mein Großvater hat mir berichtet, sie seien kurz vor der Invasion vom Rande der Welt zusammen mit den Schmaläugigen auf den Inseln aufgetaucht. Es heißt, daß die Tiere mit ihren Riesenkatamaranen zu uns kamen. Sie sind Lästerungen der Schöpfung. Allein die heiligen Wale sollten in der Lage sein, vom Weltenrand zum Reich der Tausend Inseln zu reisen. Nur was auf den Inseln des göttlichen Fischers selbst gedeiht, ist dazu bestimmt, sein Auge zu erfreuen – so lautet der Wille des Gottessohns. So und nicht anders. Vom Rand der Welt kommt nur Unglück über unsere Inseln. Du solltest das besser wissen als jeder andere.«

Nukulahis Euphorie war verflogen, und er verbiß es sich nachzufragen, ob Prinzessin Tuilaepe den gleichen Standpunkt vertrat wie ihr Bruder. Vielleicht war ihm mit diesem Federschnabel tatsächlich ein schwerer Fehler unterlaufen? Er kam sich plötzlich sehr töricht vor. Dabei hatte er Tuilaepe doch bloß etwas Unvergleichliches schenken wollen. Etwas, das ihr zeigen sollte, wie einzigartig sie für ihn sein würde. Vielleicht fragte sich Tuilaepe bereits, wie pflichtvergessen ihr künftiger Gemahl war? Tongaro hatte recht, er mußte diesen Fehltritt wiedergutmachen. Kein Schatten durfte über ihrer ersten Begegnung liegen.

»Und wenn schon.« Tongaro schien plötzlich wie ausgewechselt und schlug einen vergnügten Plauderton an. »Morgen abend wird sich ohnehin niemand mehr den Kopf über irgendwelche Federschnäbel zerbrechen. Das verspreche ich dir. Meine Schwester schon gar nicht. Und jetzt kümmere dich um deine anstehenden Verpflichtungen. Ich werde zwei Stunden vor Mitternacht mit meinem Katamaran unten im Hafen auf dich warten und dich dann zu ihr fahren. Bringen wir dieses Zeremoniell hinter uns. Ich hoffe für dich, daß du dein Lied gut einstudiert hast.«

Der Prinz schaute überrascht auf, und seine Niedergeschlagenheit war dahin.

»Deine Schwester mag ja eine Meisterin im Copbuh-Tanz sein, Tongaro, aber im Gesang hat mich mein Vater höchstpersönlich unterrichtet. Du weißt selbst, daß er damals als der begabteste Sänger im ganzen Königreich galt. Zumindest mit meinem Gesang sollte ich vor Tuilaepe bestehen können.« Schmunzelnd trat er einen Schritt zurück. »Hör nur, welches Lied ich für sie einstudiert habe.«

Nukulahi hielt die Rechte an sein Herz, während er die langen Haare zurückwarf, tief einatmete, um seine Brust zu weiten, und mit der Linken eine langsame, weit ausholende Geste beschrieb. Leise begann er zu singen. Rein und klar erklang seine Stimme, und das uralte coleopäische Lied, das die vollkommene Schönheit der Welt pries, hallte von den Wänden des Bades wider. Federschnäbel hin oder her, es war wie immer, wenn er seine Stimme zu einem Lied erhob. In solch einem Augenblick fühlte sich Nukulahi eins mit der Welt. Tongaro verzog zwar spöttisch das Gesicht, doch der Prinz bemerkte sehr wohl den leisen Anflug von Neid, mit dem sein Freund ihm lauschte. Nun war der künftige König davon überzeugt, daß sich dieser Teil des alten Werbungsbrauchs als die leichteste aller Übungen erweisen würde.

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