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II.2. Toxizität in Graden
ОглавлениеDie forsche Einführung hoch-toxischer Chemikalien in die industrielle Produktion, Landwirtschaft und Medizin geht Hand in Hand mit zunehmender Chemikalisierung der Ernährung. Das liegt alles auf einer Linie mit der dekadenten Tendenz des modernen Individuums nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und Genuss.
Die Chemikalisierung des Lebens wird gerechtfertigt durch die von Paracelsus überlieferte Doktrin, wonach die Dosis das Gift mache:
„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift;
allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.“
Dieser Satz ist Ideologie. Er ist falsch, erstens, weil ganz sicher viele Lebensmittel in naturbelassener Form völlig frei von unerwünschten toxischen Wirkungen sind (Tab. II-2).
Zweitens gibt es Gifte, die in jeder Verdünnung destruktiv sind, weil sie die vererbte genetische Materie beschädigen und destabilisieren. Ganz klar wird das bei den radioaktiven Elementen und Isotopen: die kleinste mögliche Strahlendosis ist die Bahn eines ionisierenden Partikels durch eine lebende Zelle. Trifft es den Zellkern, dann wird das Erbgut beschädigt (Gofman 1994) und führt zu chromosomaler Instabilität (Aneuploidie), die sich von Zellteilung zu Zellteilung autokatalytisch immer weiter verschlimmert (Abb. II-4). Zum Funktionieren ihres Zellgewebes kann eine aneuploide Zelle immer weniger beitragen. Sie verhält sich zunehmend wie ein freilebender Einzeller – nur noch um den Erhalt ihres Selbst bemüht – verlustig jeder Erinnerung an ihre eigentliche, genetisch bestimmte Funktion für den sie ernährenden Leib. Eine aneuploide Zelle ist Ballast, und der äußert sich in fühl- und sichtbarer Weise durch die Alterung. In seltenen Fällen, „etwa so häufig wie sechs Richtige im Lotto“, ermöglichen die genetischen Veränderungen den aneuploiden Zellen sich schneller zu vermehren als ihre gesunden Nachbarzellen, und das resultiert bei aller bereits bestehenden Unordnung in einer Krebsgeschwulst (Duesberg 2007).
Bei geringer Belastung mit radioaktiven Stoffen, etwa durch den laufenden Betrieb von Atomanlagen, ist die Häufigkeit von Strahlenopfern entsprechend gering. Nach der Havarie des Atomkraftwerks in Tschernobyl (Sowjetrepublik Ukraine) im Jahr 1986 wurde aufgrund der 134Cäsium-Verseuchung von unabhängigen Wissenschaftlern die Zahl fataler Krebserkrankungen in ganz Europa auf 475.000 prognostiziert, und auf ebenso viele nicht-fatale Krebserkrankungen (Gofman 1994). Demgegenüber urteilte 1987 das amerikanische Atomministerium (DOE) getreu der Paracelsus Doktrin:
Unser Null-Risiko Modell besagt, dass bei diesen niedrigen Dosen nichts geschehen wird, weil niedrige Dosen sicher sind.
Dem entsprechend kalkulierte im Jahr 2006 das Chernobyl Forum der industriehörigen World Health Organization (WHO) die Zahl aller durch die Havarie beeinflussten Todesfälle auf 9.000 (siehe Yablokov 2007). Der russische Ökologe und Umweltaktivist Alexei Yablokov (2007) hat die Zahl der Totgeburten, Säuglings- und Kindersterblichkeit, Mortalitätsrate der Liquidatoren und der allgemeinen Bevölkerung in besonders verseuchten Gebieten detailliert untersucht, und kommt bis zum Jahr 2004 zu der Zahl von 985.000 Opfern. Diese ganz andere Zahl liegt in der Größenordnung von Gofmans Prognose. Der Abgrund zwischen den um den Faktor 100 variierenden Schätzungen geht ums Ganze und hat weniger mit den Fakten zu tun, als mit Geld und Macht.
Synthetische Chemikalien setzen keine geschossähnlichen Partikel frei, aber sie können nicht generell im Sinne der Paracelsus Doktrin entlastet werden, wonach es für jedes Gift eine ungefährliche Dosis geben soll, da viele reaktive Verbindungen, in jeder Verdünnung, mit der genetischen Materie (DNS) reagieren können, wodurch sie Aneuploidie (Abb. II-4) auslösen. Aneuploidie ist ein irreparabler Schaden an der vererbten DNS, der sich autokatalytisch mit jeder Zellteilung verschlimmert. Deshalb liegen zwischen Exposition mit einem Karzinogen und dem Krebstumor viele Zellteilungen – viele Jahre. Alle Krebsgeschwülste entstehen aus aneuploiden Zellen (siehe Duesberg 2007).
Paracelsus liegt auch deshalb falsch, weil zwar viele Stoffe bei einmaliger Exposition und geringer Dosierung durchaus harmlos sein mögen, es in praxi aber so ist, dass die Exposition, wenn sie einmal passiert, wiederholt passiert. Das hat zur Folge, dass sich die Giftwirkung addiert und plötzlich schädlich wird – so wie bei den von Paracelsus in die Medizin eingeführten berüchtigten Quecksilberbehandlungen – von welchen sich der Name Quacksalber etymologisch ableitet. Der weithin verehrte amerikanische Hygieniker Dr. Herbert Shelton (1962) betont:
Ursprünglich wurde das Wort Quacksalber für jene verwendet, die ihre Patienten mit Quecksilber vergifteten. Nun wird es fälschlicherweise für alle verwendet, die sich weigern, ihre Patienten zu vergiften. Jeder intelligente Leser erkennt leicht, auf wen der Begriff wirklich passt.
Die Erfahrung zeigt, dass die ideologische Paracelsus Doktrin immer wieder direkt in die Quacksalberei führt. Den rettenden Standard setzt die hippokratische Lehre (Hippokrates ca. 460 bis 370 v. Chr.). Sie gilt dem rationalen humanistischen Denken als Vollendung praktischer Heilkunst. Das Ethos kulminiert in der Empfehlung:
„Eure Heilmittel sollen Nahrungsmittel
und eure Nahrungsmittel Heilmittel sein.”
Unter „Nahrungsmittel“ sind hier erstmal nur die lokalen unprozessierten Naturprodukte zu verstehen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass für die vielfältigen Notfälle menschlicher Existenz oftmals die Anwendung stark wirkender Produkte angezeigt ist, die keineswegs regelmäßig eingenommen werden sollen, und oft auch nicht lokal erzeugt werden. Seit dem Advent der chemisch-synthetischen Industrie haben sie zunehmend auch nichts mehr mit Tradition oder lebender Natur zu tun. Generell lässt sich die komplexe Lage so einschätzen: Solange Arzneimittel von Lebewesen hervorgebracht werden, dürfte ihre fachkundige Anwendung meistens für vertretbar gelten, obwohl auch biogene Produkte durchaus problematisch sein können. Die Probleme werden verschärft durch die industrielle Extraktion einzelner wirksamer Bestandteile bis hin zum molekular definierten Chemikal. Chemikalien erleichtern die Anwendung und verstärken oft die Wirksamkeit, gleichzeitig aber auch die Gefährlichkeit. Als angereichertes Produkt bedeutet der Extrakt vorweg einseitige Ernährung.
Im Fall der therapeutisch wichtigen Antibiotika ist nach heutigem Wissensstand die Extraktion (aus Schimmelpilzen und Bakterien) nicht zu umgehen. Antibiotika sind sowohl als Bakterizide als auch als Antiphlogistika bei Verletzungen und in der Chirurgie unverzichtbar. Darüber hinaus sind ihre auch bei viralen Affekten oft stark entzündungshemmenden und dadurch schmerzstillenden Wirkungen so überzeugend, dass es vielen Ärzten inhuman puristisch erscheint, sie nur zur Abtötung von pathogenen Bakterien einsetzen zu sollen. Allerdings sollten Bettruhe und Kräutertee unbedingt bevorzugt werden, um keinen Raubbau an seiner Gesundheit zu betreiben. Es ist zudem immer gut, sich durch ein paar Tage Bettruhe über die Ursachen seiner Erkrankung klar zu werden. Beantragen Sie notfalls Urlaub und probieren Sie, sich selbst zu behandeln (Tab. II-3). Nur wenn es nicht besser wird ist eine Vorstellung beim Arzt ratsam, denn allzu schnell wird der Patient durch den persönlich oft attraktiven Arzt abgelenkt, so dass er seine Selbstverantwortung auf den Arzt und dessen patentierte Pharmaka überträgt.
Eine Steigerung der Chemikalisierung über die Extraktion einzelner Wirkstoffe hinaus liegt in der Anwendung naturfremder synthetischer Verbindungen (Xenobiotika). Xenobiotika können wirksame Enzyminhibitoren sein und – neben unerwünschten Wirkungen – eine Zeitlang auch Linderung bringen. Langfristig wirken Xenobiotika durch ihre naturfremde Struktur jedoch wie Sand im Getriebe. Wenn eine Verbindung nirgendwo als in den Kesseln der chemischen Industrie erzeugt wird, dann nicht, weil die Natur dazu nicht in der Lage wäre − die lebendige Natur ist erfinderischer als der Mensch − sondern weil die Einverleibung solcher Chemikalien keinen nachhaltigen Wert für Lebewesen bringt. Man könnte sagen, dass Xenobiotika, im Gegensatz zu den biosynthetischen Molekülen, die biologische Qualitätskontrolle nicht bestanden haben. Sie sind in Wahrheit nur Ersatz für biogene Wirkstoffe, die immer bevorzugt werden sollten.
Besondere Vorsicht ist angezeigt, wenn Chemikalien aus Elementen und Strukturen aufgebaut sind, die in der belebten Natur nur ausnahmsweise vorkommen; dazu gehören tertiäre Alkyl-Reste (z.B. t-Butyl), Nitrogruppen (R-NO2) und atomar gebundene Halogene (s. Periodensystem Tab. VI-1). Die Einführung eines Halogenrestes in eine organische Verbindung kann extrem reaktive und karzinogene Verbindungen erzeugen, wie zum Beispiel den Bis-chloro methyl ether (Cl-CH2-O-CH2-Cl), Kampfgase wie Phosgen (O=CCl2), Senfgas (Cl−CH2−CH2−S−CH2−CH2−Cl) oder das persistente Sevesogift (Tab. II-4), das beim Verbrennen von chlorierten Kohlenstoffverbindungen entsteht – z.B. von dem billigen Kunststoff PVC. Auch das von Krimiautoren ob seiner Wirkung dramaturgisch oft überbewertete historische Narkosemittel Chloroform (Trichlormethan: CHCl3) ist eine unangenehm toxische Halogenverbindung, wie auch viele Medikamente – darunter viele, die nach jahre- oder jahrzehntelangem Gebrauch zurückgezogen wurden (Schubert-Zsilavecz 2011). Atomar gebundene Halogene finden sich auch in zahllosen Pestiziden – zum Beispiel in Insektiziden und Herbiziden. Halogenierte Pestizide sind persistent und reichern sich an: im Wasser, Boden und in unseren Leibern. Zu ihnen gehören das in Industrieländern längst verbotene Insektizid DDT (Abb. II-7), das Herbizid 2,4-Dichloro phenoxy essigsäure (2,4-D), oder das im Jahre 2017 skandalisierte Insektizid Fipronil. Die Anwendung von Fipronil bei Schlachttieren ist zwar verboten, wurde aber dennoch für Hühner im internationalen Maßstab angewendet.
Wenn wir die wirklichen Ursachen der Polio oder des spanischen Giftöl-Skandals betrachten (s.u.), dann geben Pestizidrückstände in Lebensmitteln durchaus Anlass zur Besorgnis. Allerdings hat der Arzt und Ernährungsforscher Prof. John Yudkin (1986) ebenfalls einen Punkt, wenn er den bereitwilligen, oft gierigen Verzehr von gezuckerten Speisen und Getränken als viel gefährlicher einstuft. Die Massenmedien kritisieren den frenetischen Zuckerkonsum nicht, und wenn es doch einmal unvermeidlich wird, dann nur, um stets zu versichern, dass es bei guter Mundhygiene so schlimm nicht sei, und Zucker ja doch ein lebenswichtiger Energieträger ist.
Zu den generell verdächtig erscheinenden Strukturen gehören auch Moleküle mit bloß drei- und viergliedrigen Ringen. Aus-dem-Verkehr gezogene Medikamente wie Sibutramin und Ciprofibrat (Tab. II-4) sind Vertreter davon, wie auch die natürliche Sterculsäure in Baumwollsamenöl (Abb. IV-7C). Solche engen Ringe stehen unter mechanischer Spannung und können daher besonders reaktiv sein. Beim Sibutramin hängt darüber hinaus noch ein xenobiotischer Chlorbenzol-Rest am Cyclobutan; beim Ciprofibrat hängen am Cyclopropan zwei Chloratome sowie ein Fibrinsäure-Rest, der bei Nagetieren zuverlässig Leberkrebs verursacht. Sibutramin und Ciprofibrat sind hoch artifizielle Verbindungen, von denen niemand mit Sachverstand jemals glauben konnte, dass ihre Einnahme irgendeinen gesundheitlichen Mehrwert schafft. Bei der Sterculsäure in Baumwollsamen verursacht die Doppelbindung im Cyclopropan (das somit zum ungesättigten Cyclopropen wird) eine besonders hohe autoxidative Reaktivität, die im gesättigten Cyclopropan-Ring der gutartigen Lactobacillsäure abwesend ist (Abb. IV-7).
Ein dramatisches Beispiel für die Toxizität naturfremder Verbindungen ist das neurotoxische und hoch-teratogene Contergan (Tab. II-4). Contergan erschien strukturell unverdächtig und lässt sich elegant und umweltfreundlich synthetisieren. Es wurde bis 1961 in deutschen Apotheken als rezeptfreies Schlafmittel in Dosen von 25 bis 100 mg pro Tablette vertrieben – und auch als Mittel gegen Schwangerschaftsübelkeit. Ein Teil des Contergan-Moleküls, der Glutarimid-Rest, ist unproblematisch, da er in dem jahrzehntelang eingenommenen narkotischen Schlafmittel Doriden keine auffälligen Nebenwirkungen verursacht hat. Dagegen bewirkt der gänzlich naturfremde xenobiotische Phthalimid-Rest die Wandlung zu einem Neurotoxin von katastrophaler Teratogenität:
"Je nach dem Zeitpunkt der Einnahme [des Contergans] störte es die Ausbildung der Extremitäten, des Schädels oder der inneren Organe. Waren lebenswichtige Organe betroffen, starb der Embryo ab; hemmte das Thalidomid [Contergan] die Entwicklung der Extremitäten, kamen fehlgebildete Kinder zur Welt. 1958 wurden 24 geschädigte Kinder geboren, die Zahl schnellte im Jahr 1961 auf 1.515 hoch, um ein Jahr später wieder auf knapp 1.000 zu sinken. In Deutschland wurden ungefähr 5.000 Kinder mit Contergan-Schäden geboren, bis heute haben 2.500 Menschen mit zum Teil schwersten Fehlbildungen überlebt.” (Thomann 2007).
Auch die weithin als PVC-Weichmacher verwendeten Phthalsäure-Ester (Phthalate) sind teratogen, aber sie werden nicht als Arzneimittel verwendet, so dass die individuelle Exposition gering bleibt. Doch auch eine geringe Phthalat-Exposition wird als problematisch angesehen, da Phthalate, wie viele andere Xenobiotika, hormonähnliche Wirkungen haben können. Die Verwendung von Phthalsäure-diethylester (Diethylphthalat) als Fixateur in Parfüm erscheint jedenfalls unnötig riskant. Das trotz seiner unbestrittenen Karzinogenität seit langem verwendete fungizide Phthalimid Folpet (N-(Trichloromethylthio)phthalimid) scheint erst bei hohen akut-toxischen Dosen dauerhafte Folgen für die Leibesfrucht zu verursachen.
Erneut auffällig wurde der Phthalimid-Rest durch seine Verwicklung in die katastrophale Neurotoxizität des als Insektizid verwendeten Phosmet. Dieses Organophosphat (Tab. II-4) wurde mit guten Gründen – und entgegen den offiziellen Behauptungen, für den Rinderwahnsinn (BSE) verantwortlich gemacht (Purdey 1998). Der Wissenschaftler und Bio-Bauer Mark Purdey (1998) stellte fest, dass seine am Bio-Hof großgezogenen Rinder von der degenerativen Nervenerkrankung BSE verschont blieben, nicht aber zugekaufte Rinder, die im Mutterleib, damaliger britischer Vorschrift entsprechend, hochdosiertem Phosmet ausgesetzt worden waren. Phosmet ist ein insektizides Organophosphat, das durch den gemeinsamen Phthalimid-Rest mit Contergan verwandt ist (Tab. II-4).
Der phantastischen offiziellen Theorie gemäß soll BSE durch infektiöse Proteine (Prionen) verursacht werden. Die pathogenen Prionen sollen von spontan erkrankten, genetisch-degenerierten Zuchtschafen stammen, deren Schlachtabfälle zu Futtermitteln für Rinder verarbeitet wurden. Das Problem mit dieser Theorie ist die Tatsache, dass die inkriminierten Futtermittel in die ganze Welt verkauft wurden, der Rinderwahnsinn aber nur in einigen wenigen Ländern auftrat, darunter an einsamer Spitze in Großbritannien mit 150.000 BSE-Fällen (Purdey 1998). An einsamer Spitze war auch der britische Verbrauch von dem phthalimidhaltigen Organophosphat Phosmet (Tab. II-4), das den Rindern ab Ende der 1970er Jahre systemisch verabreicht werden musste. Dazu wurde Phosmet als hochdosierte ölige Lösung halbjährlich auf dem Rücken entlang der Wirbelsäule verrieben – in einer landesweiten Anstrengung zur Ausrottung der parasitären Dasselfliege (Purdey 1998).
Die außergewöhnliche Gefährlichkeit des Contergans lässt den Eifer mancher Individuen merkwürdig erscheinen, Contergan erneut als Medikament zu verwenden, sowie neu entwickelte Phathalimid-Verbindungen (Apremilast, Pomalidomid) in die Heilkunde einzuführen ‒ wenn auch für schwerwiegendere Indikationen. Neben schamlosem Profitstreben scheint dahinter das Bemühen zu stehen, Reputation, Image und Ideologie der synthetischen Pharmazie aufzuwerten, sowie das persönliche Selbstverständnis abzuschirmen vor der als peinlich bewerteten Einsicht in die integrale Abhängigkeit des Menschen vom Leben auf der Erde, dem Gegenteil der seit langem als progressiv propagierten morbiden Dekadenz judaeo-christlicher Kultur (Nietzsche 2008).
Naturfremde synthetische Chemikalien sollten immer nur vorübergehend eingenommen werden, oder als Ultima Ratio, wenn durch die Einnahme eines spezifischen Enzyminhibitors das Leben glaubwürdig noch einige Monate lebenswert weitergeführt werden kann. Allerdings behaupten die Autoren Abel (1995), Ellis et al. (2015) und viele andere, dass die chemotherapeutische Intervention selten etwas Gutes für die Patienten bewirkt.
Die fundamentale Alternative zu den chemischen Arzneimitteln ist der radikale Wandel des Lebensstils. Das lässt sich am Beispiel des Typ 2 Diabetes besonders leicht einsehen: Das entscheidende Ziel der Diabetesbehandlung ist die Normalisierung des erhöhten Blutglukosespiegels. Ernährungstherapeutisch logisch ist daher eine Diät, die so weit wie möglich auf Kohlenhydrate verzichtet. Der physiologische Bedarf an Kalorien muss dann durch einen höheren Verzehr von Fett und Protein gedeckt werden; erlaubt sind auch Blattgemüse, da sie wenig verdauliche Kohlenhydrate enthalten. Diese ketogene Diät (siehe Abschnitt IV) soll sich bewährt haben, um innerhalb von wenigen Wochen seine Insulinsensitivität wiederherzustellen, und somit ohne Insulin und Medikamente seinen Blutglukosespiegel zu normalisieren (Paoli et al. 2013; Atkins 1999). Die antidiabetische Wirksamkeit der ketogenen Diät ist logisch unmittelbar einleuchtend und gilt als empirisch belegt, so dass jede dagegen laufende Empfehlung als irrationalistisch bewertet werden muss.
Praktisch beruht eine ketogene Diät für Diabetiker und andere chronisch Kranke auf hohem Fleischverzehr, was Vegetarier in ein Dilemma bringt. Als Ausweg deklarieren sie durchaus vorhandene Unterschiede zwischen den stärkereichen Lebensmitteln für wesentlich, bei deren Berücksichtigung eine Normalisierung des Blutzuckers gelänge (Dufty 1975). Für diabetesgerecht erachten sie oftmals Naturreis und Hafer, während sie Weizen und Kartoffeln eher verteufeln.
Dem sympathischen Eifer für eine heilende Ernährung fehlt hier nur leider die Logik, da auch Reis- und Hafer zur Glukose verdaut werden, die der Typ 2 Diabetiker wegen seiner Insulinresistenz nicht verwerten kann ‒ und mühsam durch die Nieren ausscheiden muss. Nicht ohne Zorn ist auf die Krankenhäuser zu verweisen, die es wider den gesunden Menschenverstand und entgegen empirischer Befunde unterlassen, ihre diabetischen Patienten auf eine ketogene Diät umzustellen, und einzig auf Medikamente und Insulin setzen.
Die allgemein gesunde Diät beginnt mit dem unsentimentalen Verzicht auf Süßigkeiten. Diese essenzielle Forderung lässt sich mit steigendem Verständnis für die schleichende aber unentrinnbare Toxizität des Zuckers zunehmend leichter befolgen. Der Verzicht auf Zucker wird durch gleichzeitigen Verzicht auf Alkohol erleichtert, wenn nicht sogar erst ermöglicht. Es ist sicher kein Zufall, dass Alkohol ein Naturprodukt ist, das aus Zucker gebildet wird (Lustig et al. 2012). Der verwegene Philosoph Friedrich Nietzsche preist den Islam für sein striktes Alkoholverbot, und schilt das Christentum für die Einsetzung von Wein zum Sakrament. „Alkohol korrumpiert“, sagt Nietzsche, und meint damit, dass er eine Geisteshaltung fördert, die sich allzu leicht mit jeder Gemeinheit – sich selbst und anderen gegenüber – abfindet.