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I.2. Chemotherapie als Quacksalberei

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Die Geschichte der Syphilis als erste chemikalisch behandelte „Seuche” demonstriert die Macht der Propaganda über unser Verhalten. Der inbrünstige Glaube an die existenzielle Bedrohung durch die Mikrobe schafft Gefügigkeit. Sie ermöglicht Beherrschung und betrügerische Ausbeutung.

Die „Syphilis” sei von den Seeleuten des Kolumbus 1493 von Amerika nach Europa geschleppt worden, obwohl niemand im Mittelalter die „Syphilis” objektiv diagnostizieren konnte. Die Krankheit „Syphilis” war erst ab dem 20. Jahrhundert durch Einigung auf eine unkultivierbare, schwer nachzuweisende Mikrobe (Treponema pallidum) als Erreger ätiologisch eingrenzbar. Davor wurden Krankheiten mit ganz verschiedenen, ungeklärten Ursachen als „Syphilis” eingestuft, darunter „mit Sicherheit die Lepra“. Die Erfindung der „Syphilis” war eine Don Quixoterie mit grauenhaften Folgen; sie brachte Ungezählten die Hölle auf Erden.

Als charakteristisch für frühe Stadien der „Syphilis” galten Hautausschläge (Tab. I-1):

Sie können wie Masern aussehen, oder Nesselsucht, oder wie ein Fall von Windpocken; die Hautausschläge können tatsächlich beinahe jede Hautentzündung simulieren. (zitiert bei Shelton 1962).

Nach einer symptomfreien Latenzzeit von bis zu 50 (!) Jahren soll das Spätstadium der „Syphilis” mit degenerativen Symptomen an Gehirn, Rückenmark, Herz, Arterien, Augen und anderen Organen einsetzen.

Die fürchterlichsten Verstümmelungen treten auf, wenn Nasen- und Gaumenknochen zerstört werden. (zitiert bei Shelton 1962).

Noch Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde behauptet, dass in den USA jährlich 40.000 Herz-Kreislauf-Tote durch die „Syphilis” verursacht würden, dazu noch Aneurismen der Aorta und der Hirnarterien, letztere ursächlich für Schlaganfall (Shelton 1962).

„Neurosyphilis” bezeichnet die „Syphilis” des Gehirns und Nervensystems.

Es heißt, so Shelton (1962), dass sie [die „Neurosyphilis”] sehr selten unter primitiven Völkern ist, die nicht primitiver sind als wir, aber die nicht mit Quecksilber und Arsen behandelt werden. 'Neurosyphilis' manifestiert sich durch epileptische Anfälle und lähmende Schlaganfälle in ungewöhnlich jungen Patienten, auch durch Degeneration der Sehnerven, Gehstörungen, Hirnerweichung, Taubheit durch Degeneration der Gehörnerven, Enzephalitis, Meningitis usw. Auch chronische Nierenentzündung (Brights Krankheit), Wahnsinn, Frühgeburten u.a. seien häufig durch 'Syphilis' verursacht…. Kein lebender Arzt kann anhand der Symptome sagen, ob ein Patient 'Syphilis' hat oder nicht. Wenn das die besser ausgebildeten Ärzte von heute nicht können, dann ist es gewiss, dass die Ärzte des sechzehnten bis neunzehnten Jahrhunderts das auch nicht konnten. Haben wir ohne zu fragen einen Mythos zur Krankheit erklärt?

Der angeblich vielen verschiedenen Symptome wegen erhielt die „Syphilis” den Beinamen Großer Maskierer und Großer Imitator. Die fabelhafte Variabilität erlaubte es, beliebige Hautkrankheiten und degenerative Krankheiten zur „Syphilis” zu erklären. Das hatte den Vorteil, sogleich mit dem probaten ach-so-spezifischen Medikament Quecksilber loslegen zu können, das in den ersten Tagen durchaus entzündliche Symptome und Hautprobleme verschwinden machen kann. Jacob Carpensic begann die Quecksilberbehandlung 1502 und erwarb großen Reichtum damit. In 1536 proklamierte Paracelsus das Quecksilber zum einzig probaten Heilmittel gegen „Syphilis”.

Eine aus dem Jahre 1788 stammende kritische Beschreibung der Wirkung medizinischer Quecksilberbehandlung findet sich bei Prof. Hach (2013) zitiert:

"Die vorzüglichste würkung, welche das in den körper gebrachte quecksilber hervorbringt, ist der speichelfluß. Die zufälle folgen auf einander. Der kranke riecht übel aus dem munde, sein zahnfleisch schwillt an und blutet nach der leichtesten berührung; die zähne sind mit einem weißgrauen schleime bedeckt, werden stumpf und fallen aus. Dabei hat der kranke eine ganz besondere empfindung von hitze und trockenheit und einen unauslöschlichen durst. In der folge fließt aus dem munde ein scharfer, dicker speichel. Dann zeigen sich alle symptome einer heftigen entzündung. Die innere seite des mundes wird mit schmerzhaften geschwüren besetzt; die zunge schwillt an, oft so sehr, dass sie den ganzen mund ausfüllt; auch die parotis wird geschwollen; der rachen, die lippen und das gesicht schwellen auf; zuletzt werden sogar die füße und die beine geschwollen; das fieber, welches während dem gebrauche des quecksilbers immer in geringem grade vorhanden ist, wird heftiger; endlich gesellt sich ein starkes blutspeien, oder eine phrenitis [Nierenversagen], oder die ruhr dazu, und der kranke stirbt."

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Quecksilberdosen reduziert. Hach (2013) beschreibt eine Praxis, wo "im Allgemeinen 1 ml der 1%igen Sublimatlösung [entsprechend 10 Milligramm Quecksilber(II)-chlorid] täglich über zwei Wochen bis zweimal wöchentlich über mehrere Wochen" intravenös injiziert wurde. „Der therapeutische Effekt ist als Regel ein sehr guter gewesen, die Symptome verschwanden sehr schnell.”

Was kann gegen solche Erfolgsmeldungen eingewendet werden? Als Erfolg kann nur ein permanentes Verschwinden der Symptome gelten. Das ist dauerhaft bei der Anwendung von Quecksilber nicht möglich, da es die Symptome hervorruft, die es zum Verschwinden bringen soll (Tab. I-1). Die Einheit von (angeblichen) Krankheitssymptomen und toxischen Symptomen der Quecksilberbehandlung macht es aber möglich, die Giftwirkung des Quecksilbers auf den erfundenen Erreger abzuschieben, und die Behandlung fortzusetzen. Wenn Entzündungen anfänglich zum Verschwinden gebracht werden, dann liegt das an der rundum toxischen Wirkung des Quecksilbers, welche auch die entzündungserregenden Zellen des Immunsystems erfasst und deren entzündliche Aktion hemmt.

Es ist offensichtlich, dass destruktive Konzentrationen von dem Akkumulationsgift Quecksilber bei medizinischer Anwendung schnell erreicht werden – zuerst in den besonders quecksilberaffinen Geweben von sensiblen Individuen. Es liegt in der Natur menschlicher Praxis, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen, und die Quecksilberkuren zu wiederholen; dabei geht die Kontrolle über die Quecksilber-Medikation verloren. Dazu kommt die menschliche Tendenz, im Umgang mit gefährlichen Stoffen schnell lässig zu werden. Daher ist die medizinische Anwendung eines Akkumulationsgiftes niemals vertretbar! Es gibt immer Alternativen! Aufgeregte Alternativlosigkeit zügelt der wissenschaftstheoretische Philosoph Karl Popper durch Mahnung zur Selbstbesinnung:

Wenn immer Ihnen eine Theorie als die einzig mögliche erscheint, dann nehmen Sie das als Zeichen, dass Sie weder die Theorie noch das Problem, das sie zu lösen beabsichtigt, verstanden haben.

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