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II. Toxizität in Raum und Zeit

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Lebewesen sind durch ihre Umwelt ständigem Wechsel von Licht, Schall, Druck, Temperatur, Wasser und (Nähr)Stoffen ausgesetzt, und jeder Wechsel stellt eine Stimulation dar – einen Stress − der von den Zellen aktiv beantwortet wird durch die Induktion von Proteinen (Abb. II-1); das ist eine Grundregel des Lebendigen.


Dass die Antworten der Zelle den Stress oft nicht völlig neutralisieren lässt sich am Altern erkennen – dem Nachlassen der körperlichen Funktionalität und der Kräfte. Die Ursachen der Alterung liegen immer in angesammelten Schäden aus verschiedensten Belastungen. Deren Minimierung erhöht die Chance, die menschenmögliche maximale Lebensspanne krankheitsfrei auszuleben. Da in neuerer Zeit das Altern vermehrt zu chronischen Krankheiten und jahrelanger Pflegeabhängigkeit führt, ist es sinnvoll und rational, mit der Ernährung – mit allem was inhaliert, getrunken, gegessen, auf die Haut geschmiert und injiziert wird – den individuellen Bedürfnissen seines Leibes freundlich entgegenzukommen. Provozierend dekadente Witze á la „Leber duck dich ‒ es kommt noch ein Pils!” frommen dem menschlichen Interesse nicht. Eine solide Gesundheit steigert auch die Fähigkeit und Willigkeit, Leistung zu erbringen.

Süßigkeiten und Alkohol verleiten dazu, über den objektiven Bedarf hinaus zu konsumieren. Das galt schon in der antiken Sage als anstößig, wo die Tugend (personifiziert als eine bescheidene Frau) – zur Belehrung des jugendlichen Helden Herakles – der Glückseligkeit (auch genannt: die Liederlichkeit), in Gestalt einer aufreizenden Frau, vorwirft:

„Du issest, ehe dich hungert, und trinkst, ehe dich dürstet.”

Der genügsame Lebensstil ist heute auch wissenschaftlich empfohlen, und beruht auf seit 1935 immer wieder bestätigten Laborbefunden, wonach bei Tieren die Reduktion der normalen Futter-Ration um 20 bis 40% zu einer Verlängerung der durchschnittlichen Lebensspanne um 40% führt. Zusätzlich erhöht kalorische Reduktion auch die Resistenz gegen Krankheiten aller Art (Pamplona et al. 2002; Merry 2004; Taormina und Mirisola 2014).

Die Wirksamkeit der kalorischen Restriktion hinsichtlich der Lebensverlängerung ist ohne weiteres glaubwürdig, wenn wir das Essen als wichtige Ursache von Stimulation, Stress und Toxizität anerkennen. Eine kalorisch restringierte Nahrungsaufnahme bedeutet zugleich eine Minimierung belastender Faktoren, die noch dem besten Essen anhängen.

Als praktikabler Weg zur kalorischen Restriktion wird empfohlen, das nächtliche Fasten auf achtzehn Stunden auszudehnen, zum Beispiel zwischen 16°° Uhr und 10°° Uhr nichts zu essen. So wird den Verdauungsorganen (Magen, Darm, Leber) eine anhaltende und um so tiefere Ruheperiode vergönnt – mit „dramatischem Gesundheitsgewinn" (Bengmark 2015; Anson et al 2003). Das nächtliche Fasten geht einher mit einer Normalisierung der Körpermasse. Mit anhaltender Aufmerksamkeit und Übung kann diese Praxis ohne große Willensanstrengung näherungsweise etabliert werden.

Kalorisch restringierte Tiere haben eine körperliche Besonderheit. Sie liegt in deren veränderter Qualität der Lipid-Membranen (Abb. II-2), und beruht auf einem höheren Gehalt an Fettsäuren mit einer geringeren Zahl an Doppelbindungen. Anders ausgedrückt: Membranen von kalorisch-restringierten Tieren enthalten weniger mehrfach-ungesättigte Fettsäuren (Abschnitt IV.2), und stattdessen mehr einfach-ungesättigte und gesättigte Fettsäuren. Dieser Befund überrascht vor dem Hintergrund der seit Jahrzehnten andauernden Mediendröhnung, wonach den Verbrauchern gerade die mehrfach-ungesättigten Fettsäuren (der modernen Öle aus einheimischen Ackerpflanzen) als besonders gesund empfohlen werden, und die traditionell verzehrten gesättigten Fettsäuren (von Tieren und Kokosnuss) verteufelt werden.


Die Bedeutung dieses Befundes wird unterstrichen durch den ebenfalls erhöhten Anteil an gesättigten Fettsäuren in Membranen von natürlicherweise besonders langlebigen Tieren – von Tieren deren maximale Lebensspanne 42-mal länger ist als die von kurzlebigen Warmblütern, und 300-mal länger als die von Insekten (Sohal et al. 1990; 1995; Herrero et al. 2001).

Eine Erklärung für die Korrelation von Lebensverlängerung und erhöhtem Gehalt der Membranen mit gesättigten Fettsäuren kommt von experimentellen Untersuchungen. An isolierten Mitochondrien (Abb. II-2), den membranreichen Zellorganellen der Zellatmung, wurde gezeigt, dass der molekulare Atmungsprozess weniger toxische Zwischenprodukte freisetzt, wenn die Mitochondrien einen höheren Gehalt an gesättigten Fettsäuren aufweisen (Pamplona et al. 2002; Merry 2004).

Bei der Zellatmung werden formal zwei Moleküle Wasserstoff (2H2) mit einem Molekül Sauerstoff (O2) verbunden ‒ unter Erzeugung von zwei Molekülen Wasser (2H2O) ‒ und Freisetzung von viel Energie. Das ist die im chemischen Labor allbekannte Knallgas-Reaktion.

In Membranen mit hohem Gehalt an mehrfach-ungesättigten Fettsäuren verläuft die Zellatmung eher unvollständig, so dass − anstelle von Wasser − Zwischenprodukte der Knallgasreaktion freigesetzt werden; das sind die berüchtigten toxischen Freien Sauerstoffradikale (Abb. II-3), die als prominente Verursacher der Alterung angesehen werden.


Die bei der Knallgasreaktion reichlich freiwerdende Energie wird in den Mitochondrien der atmenden Zelle chemiosmotisch (Mitchell 1978) zunächst in ein elektrisches Feld umgewandelt. Der Feldaufbau geschieht durch aktiven Transport von elektrisch positiv geladenen Wasserstoff-Ionen (Protonen: H+) auf eine Seite der für Ionen undurchlässigen mitochondrialen Lipidmembran; dadurch reichern sich auf der anderen Seite negative Ionen (Anionen) an – z.B. Chlorid (Cl).

Das arbeitsfähige elektrische Feld in den Mitochondrien treibt die enzymatisch gelenkte Erzeugung des universalen energetischen Aktivators Adenosintriphosphat (ATP) durch Phosphorylierung seines energetisch verausgabten Bausteins Adenosindiphosphat (ADP). Das ATP liefert die essenzielle Energie für Reaktionen des Stoffwechsels, wie auch für die DNS-Replikation, Proteinsynthese, Nervenfunktion und für die Muskelarbeit. Ohne ATP geht in der lebenden Zelle garnichts, und deshalb ist eine unkompromittierte Zellatmung die unverzichtbare Grundlage körperlicher und geistiger Gesundheit. Die molekulare Todesursache ist immer ein Mangel an ATP.

Der chemiosmotische Atmungsprozess wird von seinem Entdecker Peter Mitchell (1978) mit der Brennstoffzelle verglichen. Die Brennstoffzelle verbindet elementaren Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser, und transformiert die freiwerdende Energie in elektrischen Strom. Die klassische Knallgasreaktion setzt die Energie dagegen in Form von Wärme frei, und wird in den mächtigen Weltraumraketen zum thermodynamischen Antrieb angewandt. Im Chemielabor gilt die klassische Knallgasreaktion als qualitativer Nachweis für Wasserstoff, der – im Reagenzglas aufgefangen – beim anstecken mit blasser Flamme abbrennt oder verpufft.

Die Entstehung toxischer Sauerstoffradikale bei der Zellatmung hängt vom Zustand der mitochondrialen Membran ab, und der wird wesentlich bestimmt durch die eingebauten Fettsäuren.

Zu einer direkten Beeinträchtigung des Membranzustands kommt es durch Exposition mit fettfreundlichen (lipophilen) Stoffen verschiedenster Art – Alkohol ist der verbreitetste. Viele lipophile Verbindungen führen dosisabhängig zu strukturellen Verzerrungen der Lipid-Membran und machen sie durchlässig für Protonen (H+), wodurch das elektrische Feld zusammenbricht. Dann kann kein ATP gebildet werden, und der Energiefluss läuft in die Bildung von unvollständig veratmetem Sauerstoff – dem Superoxid-Radikal (Abb. II-3).

Das instabile Superoxid (HO-O) reagiert ziemlich wahllos mit Komponenten der Zelle, und richtet dadurch erheblichen Schaden an. Es reagiert auch mit sich selbst, wobei ein Molekül oxidiert, und das andere reduziert wird. Dadurch entsteht Sauerstoff als das oxidierte Produkt, und Wasserstoffperoxid als das reduzierte Produkt:

2 HO-OO=O + HO-OH.

Die Disproportionierung (Dismutation) wird durch Einwirkung des Enzyms Superoxid-dismutase wesentlich beschleunigt. Von den beiden Reaktionsprodukten ist der Sauerstoff unproblematisch, aber das Wasserstoffperoxid ist toxisch; es wird großenteils sofort durch das Enzym Katalase in Wasser und Sauerstoff zerlegt und dadurch entgiftet. In Anwesenheit von Eisen (Fe2+) erfährt Wasserstoffperoxid eine reduktive Spaltung in Wasser und in das besonders reaktive (toxische) Hydroxyl-Radikal (HO). Das dabei zu Fe3+ oxidierte Eisen wird durch Superoxid wieder zum reduktiven Fe2+ aktiviert.

Alle drei reaktiven Sauerstoffverbindungen wirken aneugen (Abb. II-4). Daher beschleunigen sie das Altern und wirken krebserregend. Auch das Eisen wird gelegentlich als karzinogen bezeichnet – wegen seiner Rolle bei der Bildung des besonders reaktiven Hydroxyl-Radikals (Abb. II-3). Es erscheint daher ratsam, Eisen – ein lebensnotwendiges Element – nicht extra in Form von chemikalischen Eisensupplementen einzunehmen. Verzichten Sie auf Eisen-fortifiziertes Weißmehl, Multivitaminpillen mit Eisen, oder Eisenpillen. Letztere werden schwangeren Frauen routinemäßig aufgedrängt, weil Schwangere generell erniedrigte Eisenwerte haben. Es mag aber sein, dass niedrige Eisenwerte eine schützende Funktion für Mutter und Leibesfrucht innehaben. Eisen ist in genuinem Vollkornbrot und in rotem Fleisch in großzügiger Menge enthalten.

Die Enzyme Katalase und Superoxid-dismutase sind in allen Mitochondrien, sauerstoffatmenden (aeroben) und sauerstofftoleranten Mikroben präsent. Die allgegenwärtige Präsenz indiziert die Entstehung von Freien Sauerstoffradikalen als normales Vorkommnis in Gegenwart von Sauerstoff. Die Enzymaktivitäten verhindern, dass großer Schaden durch die Radikale angerichtet wird – aber sie können ihn nicht völlig verhindern, so dass ein minimaler Beitrag zur Alterung des Organisms laufend stattfindet.

Naturphilosophie der Ernährung

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