Читать книгу Der Ideen-Entzünder - Thomas Hamblin Harry - Страница 11
Nicht von allen geliebt
ОглавлениеThomas: Uli, gestern habe ich auf YouTube einen offensichtlich bei einigen deutschen Christen bekannten Redner gesehen, der seine Zuhörer vor der Gefahr warnte, die von dir ausgeht. Schon vor vielen Jahren, als er dir das erste Mal begegnet sei, sei bei ihm eine innere Warnlampe aufgeleuchtet und er habe gemerkt: »Bei diesem Mann musst du vorsichtig sein!« Er hält dich unter anderem aufgrund deiner Einheitsbemühungen über Denominationsgrenzen hinweg für einen der ganz gefährlichen Exponenten der christlichen Szene in Deutschland. Sitze ich hier einem gefährlichen Mann gegenüber?
Uli: Das wirst du dann ja feststellen … Solche Kritik begleitet mich seit vierzig Jahren besonders von sehr konservativer Seite. Ich frage mich, ob dieser Mann von mir wirklich je mehr als eine Momentaufnahme wahrgenommen hat. Oder trägt er vielleicht diese einmal aufgesetzte Brille, die danach nur noch Bestätigung für die eigene Sicht sucht? Wirklich geredet miteinander haben solche Kritiker und ich jedenfalls meist nie. Ich stehe wohl bei denen für eine Reihe von Themen, die Gegnerschaft hervorruft: Einheit und Zusammenarbeit zwischen Charismatikern und traditionellen Evangelikalen oder seit einiger Zeit vermehrt auch mit missionarischen Katholiken. In meinen frühen Jahren war ich stark in der Rüstungs- und Friedensthematik, in Richtung auf einen alternativen Lebensstil oder ganzheitlichen Glauben aktiv – das hat heute in dem Magazin andersLEBEN noch einmal eine Neuauflage gefunden. Ich bin von der Ganzheitlichkeit der Lausanner Bewegung geprägt – Evangelisation und diakonische Hilfe gehen Hand in Hand. Da hat es immer auch einen Widerstand der Besorgten gegeben, der mir fremd geblieben ist, weil ich mich selbst einfach nur als gutwilligen Inspirator und begeisterungsfähigen Menschen sehe, der auf den Spuren von Jesus Gutes will.
Thomas: Du suchst Gutes – und man unterstellt dir Böses?
Uli: Vielleicht wirkt gerade diese Absicht, Gutes weiterzugeben, für manche gefährlich: Da ist einer mit einer Mission unterwegs! Aber das ist ja eine reine Binnendiskussion unter Christen. Wenn wirklich irgendwo Gefahr für den Glauben besteht, dann doch eher draußen – und nicht drinnen. Solche Menschen sehen mich vermutlich als Wolf im Schafspelz: Da ist einer, der fromm redet und auf den ersten Blick fromm scheint – also ist der Typ besonders gefährlich! Natürlich befremdet mich das, weil ich tatsächlich in all meinen Aussagen Jesus-motiviert bin und voranbringen will, was von ihm her dran ist.
Ich kann nur staunen über die Schärfe und Fremdheit, mit der ich manchmal konfrontiert bin. Ich habe aber nach einigem Auf und Ab gelernt, mich bei solchen Angriffen nicht öffentlich zu rechtfertigen – obwohl es mich manchmal juckt. Vor zwanzig Jahren hätte ich noch große Leserbriefe geschrieben, das war mir eine Zeit lang wichtig. Was ich aber immer wieder versuche, gerade wo ich Kritik selbst besser verstehen will oder Hoffnung auf einen fruchtbaren Dialog habe, das ist der Kontakt mit den Kritikern selbst. Oft entsteht da etwas. Es gibt ja in jedem Menschen eine tiefe Sehnsucht, verstanden zu werden, erkannt zu werden in dem, was man wirklich will.
Zugleich merke ich: Bei bestimmten Leuten und in bestimmten Kreisen ist der Versuch, verstanden zu werden, ein Fass ohne Boden. Wenn du einmal unter Verdacht bist, kommst du da nicht mehr heraus. Du wirst nur als Warnfigur und Symbol für Sorgen oder Alarm benutzt.
Thomas: Weshalb lässt du solche Dinge stehen, auch wenn sie dir grundfalsch oder gar verleumderisch erscheinen?
Uli: Ich habe versucht zu lernen, geistlich gut damit umzugehen. Von einem Evangelisten habe ich mal gehört, er habe gelernt, sich nicht mehr öffentlich zu verteidigen, wenn er angegriffen wird. Das hat mir imponiert, weil ich damals gedacht habe: »Ja, aber es drängt mich doch, mich zu verteidigen, es drängt mich doch, mich zu erklären, ich nehme den Kampf auf! Ich werde jeden überzeugen, ich habe doch Argumente, ich muss das zurechtrücken!«
Ich habe dann aber gemerkt, wann immer ich Meldungen oder Vorwürfe, Leserbriefe oder Antworten geschrieben habe: Das bindet enorme Kraft und fesselt mich – ich fokussiere mich auf das Falsche! Ich fange an, aus der Reaktion zu leben, werde unfrei und binde mich an ein falsches Spielfeld. Heute gelingt es mir eher, in Ruhe weiterzugehen, es auch mal an Gott abzugeben im Sinne von: »Herr, das musst du entscheiden, das ist deine Sache – du kennst meine Motive, dein Urteil zählt.«
Thomas: Mir hat an dieser Stelle der Satz des Schweizer Hochschulrektors Ruedi Nützi geholfen, der einmal sagte: »Der Normalfall ist das Missverständnis!« Es ist der Normalfall, nicht die Ausnahme. Und ich würde ergänzen: Manche verstehen dich falsch, ohne es zu wollen. Andere tun es mit Absicht, weil es sie bestätigt.
Uli: Ja, das ist wohl so. Auf der anderen Seite ist schon ein starkes Gen in mir, Menschen, die Dinge missverstehen oder kritisch hinterfragen, zu gewinnen. Persönliche Begegnung zu wagen, mutig und offen zu reden – unter vier Augen, nicht öffentlich. Und das habe ich oft getan und habe supergute Erfahrungen damit gemacht. Ich bin ja selbst ein kritischer Typ und schreibe schon mal sehr offen. Darin liegt die Chance, dass ein Gespräch entsteht, bei dem man sich besser zu verstehen beginnt.
Einige meiner besten Mitarbeiter und Freunde habe ich dadurch gewonnen, dass ich in ihrer Kritik Herzblut bemerkt habe. Ich habe einladend und gewinnend reagiert – und auf einmal kam man zueinander und hat gemerkt: Viel besser als Gleichgültigkeit ist eigentlich Reaktion – selbst wenn sie kritisch ist, denn das ist Beziehungsaufnahme. Kritik ist ja im Grunde ein Hoffnungssignal: Es lohnt sich, die Kritik anzubringen, mal gucken, was der andere sagt! David Neufeld, mein heutiger Verlegerfreund hier an meinem Heimatort Cuxhaven, war mal als junger Mann Autor eines kritischen Leserbriefs an unser Jugendmagazin. Wir begannen einen Dialog – und daraus ist eine schöne Beziehung gewachsen.
Thomas: Und dann gibt es ja auch immer wieder Lob ...
Uli: Ja, natürlich. Es ist schön, wenn du hörst, dass du hier oder da Türen öffnen konntest mit Ideen, die dich selbst begeistert haben. Das ist im Grunde mein Lebensmuster: Ich multipliziere Dinge, die mich selbst begeistern! Bei dem, was mich beeindruckt oder berührt, sitzt oft ein tiefer Impuls in mir: Das muss irgendwie auch zu anderen – ich kann nicht davon schweigen! Davon lebe ich ein Stück weit. Ich bin zutiefst ein Multiplikator, ein Antwortsucher, ein Finder und Verbreiter. Es bringt mir große Freude, gedankliche Bälle gegen die Wand zu werfen und zu hören: Wie kommt das zurück? Was macht das mit anderen? Geht es ihnen auch so, geht es ihnen ganz anders? Das ist spannendes Leben, Beziehung!
Thomas: Ich will noch mal auf die Kritiker zurückkommen. Es ist das eine, Kritiker zu haben. Aber darunter sind eben auch solche wie der eingangs erwähnte Mann, der dich für einen Verführer der christlichen Gemeinden hält. Mir erscheint deine erste Reaktion darauf zu abgeklärt. Ganz ehrlich: Lässt dich das kalt? Ist es nicht ein wenig einfach zu sagen: »Ich beschäftige mich nicht groß damit!«?
Uli: Na ja, du triffst ja jetzt hier auf den Mittsechziger. Meine Reaktion heute ist: Ich kann und will mich von solchen Leuten nicht abhängig machen. Kritik ist etwas, das mir als Journalist und Ideengeber im Grunde mein ganzes erwachsenes Leben vertraut ist. Ein Horizont von Verantwortung und auch von Gewicht, der ständig mitläuft bei allem, was ich tue. Ich musste lernen, damit umzugehen.
Aber ich bin wohl auch ein Typ, der eine hohe Selbstdistanz hat, der sich selbst ständig reflektiert und beobachtend neben sich steht. Meine Frau sagt, ich kann extrem schnell reagieren und verarbeiten, sehr spontan den Punkt treffen und ein Bild entwerfen. Im Grunde läuft bei mir parallel zu allem Reden und Handeln immer eine Reflexionsebene mit: Was könnten Kritiker dazu sagen? Wie nehme ich möglicher Kritik Wind aus den Segeln? Wie baue ich Vertrauensbrücken? Wie sichere ich mich gegen Missverständnisse ab? Ganz klar: Ein Multiplikator und Medienmensch wie ich, der will vor allem verstanden werden! Ich möchte, dass das, was ich sage, richtig ankommt. Man muss mir nicht zustimmen – aber man sollte zumindest verstehen, was ich meine oder will! Und deswegen rede ich oft schon so, dass ich nach links und rechts absichernd Gedanken einflechte.
Für die wirklichen Hardcore-Kritiker reicht das natürlich nicht aus. Zugleich: Wir reden hier über eine zugespitzte Binnenkritik in der frommen Szene. Vielen in der großen evangelischen und katholischen Welt bin ich kaum bekannt. Wir reden über diese evangelikale-charismatische-pietistische Blase von vielleicht ein, zwei Millionen Christen. Diese Jesusbewegung, das ist meine Welt, in der ich mich bewege. Und die ich extrem schätze, weil sie enorm engagiert ist, vieles bewegt, es wirklich ernst meint mit der Nachfolge von Jesus.
In dieser Jesusbewegung gibt es einen sehr konservativen Flügel, den ich wohl irritiere mit meiner offensichtlich vorhandenen Frömmigkeit, die man mir nicht absprechen kann – und doch einer unberechenbaren Fähigkeit, Dinge gegen den Strich zu bürsten und an überraschenden Stellen offen zu sein. Ich glaube, das macht für manche diese Gefahr aus, dieses Gefühl: »Der Typ ist kein ganz offensichtlich Böser – und deswegen muss man besonders vor ihm warnen.«
Ich denke dann manchmal: »Probiert es doch mal mit der Arbeitsthese, dass das vielleicht gar kein Böser ist, sondern dass der Gutes will und vorher nachgedacht hat!« Aber es ist wohl so: Wer einmal auf dem Misstrauenstrip ist, der deutet alles durch diese Brille. Man dringt bei manchen dieser Leute, die auf dem kritischen Rechtsaußenflügel sind, nicht durch ein einmal gefasstes Bild. Das geht mir und anderen mit anderen Brillen wahrscheinlich genauso. Viele Konservative erleben sich heute in einer Kampfsituation gegen liberale Tendenzen – und da zählt nur, wer hilft. Bist du Freund oder Feind? Differenzierte Töne haben es schwer. Ich sage heute: »Ja, ich weiß, dass es Kritik gibt. Ich will sie hören, speise sie ein, möchte gewinnen, gute Argumente bringen, Brücken bauen, die beiden Seiten einander erklären – möchte mich aber auch nicht in einem Binnenkampf verbeißen.