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Frühe Lesebegeisterung

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Thomas: Was für Bücher hat sie für euch bestellt?

Uli: Alles, was du so als Junge kriegen solltest – altersgerecht. Reader’s-Digest-Jugendbücher, Franck’sche Jugendbücher. Mein Vater hat die Bibel und theologische Kommentare gelesen. Das hätte mich nicht entflammt, aber Mutter hat mir die kleinen Brockhaus-Taschenbücher gegeben und all die christlichen Jugendbücher. Ich habe noch heute ganze Regale voll davon – »Flucht Kurs Ararat!«, »Theo und sein Düsenjäger«, »In der Wildnis verschollen« – manches, das weiß ich heute, war ganz schön schwarz-weiß und knackfromm moralisch oder gesetzlich.


Hochzeit der Eltern, 1940


Auf Mamas Arm bei der Oma in Buxtehude Ostmoor


Mit den Brüdern in der Sandburg


Sonntagsausflug mit dem PW, dem Predigerwagen


Familie mit Bruder Dieter


Weihnachten Mitte der Sechzigerjahre mit Bruder Otto


Im Strandkorb

Weil ich viel krank war, haben beide Eltern darum gebangt, dass ich mein Leben bewältige. Wenn ich wieder mal krank war oder Vater sonntags weg über Land in einer der zu betreuenden Bibelstunden, dann ist Mutter mit mir und einem Buch an die Elbe auf den Schiffsanleger losgezogen. Ich erinnere mich an eine schöne Situation, wo wir stundenlang die Dampfer kommen und gehen sahen und auf einer Bank gesessen haben. Dort hat sie mir ein Brockhaus-Taschenbuch vorgelesen. Das war schön – sie mit mir ganz allein, weil die Brüder schon älter waren. Das war ein besonderer Beziehungsmoment.

Dann hatte sie selbst eine Reihe von Büchern, die ich ebenfalls verschlungen habe: Else Hueck-Dehio »Liebe Renata« – eine tragisch schöne Liebesgeschichte aus dem Baltikum, die mich tief geprägt hat und auch meine eigenen Kinder gelesen haben. Vieles aus dieser baltischen Region aus dem Salzer-Verlag, Familien- und Liebesgeschichten, wo aber auch das Drama des Krieges mit drin war – also Tod und Liebe. Sachen mit Gewicht und Herz, die sie sehr mochte und die sie mir oft gegeben hat, wenn ich krank war und beschäftigt werden musste.

Ein weiteres Buch, das mich sehr geprägt hat: »Gottfried Kämpfer« von Herman Anders Krüger, der Entwicklungsroman eines Jungen: Es geht um einen Predigersohn aus der Gemeinde in Herrnhut – ein Bestseller in den 20er-, 30er-Jahren in vielen christlichen Familien. Dieser kleine Kerl rieb sich an den steilen Vorschriften der Gemeinde. Damit konnte ich mich gut identifizieren. Er war auch Sohn eines Pastors und hatte Rollenfindungsprobleme.

Überhaupt diese Entwicklungsromane, in denen Kinder und Jugendliche Vorbilder finden und sich messen können – superwichtige Bücher, die ich heute im Buchmarkt vermisse! Etwa die Pfäfflings-Geschichten von Agnes Sapper. Solche Bücher haben mich geprägt und Gutes angelegt: Menschen finden ihren Weg, wachsen an Widerständen, scheitern, halten durch, kommen weiter, lernen etwas fürs Leben. Daraus habe ich viel mitgenommen.

Auch später haben meine Mutter und ich viele Bücher gemeinsam gelesen. Erst ich, dann sie oder umgekehrt. Da war ich dann schon ein junger Erwachsener. Als Flohmarktgänger habe ich viel für die Mutter mitgekauft: »Ach, das würde sie interessieren!« Ich brachte ihr die Sachen und sagte: »Schreib mir vorne unbedingt rein, wie du das Buch findest!« Da gibt es heute noch viele kleine Zettel: »Brauchst du nicht zu lesen, nicht wertvoll!«, oder: »Gutes Buch«. So haben wir auch gemeinsam den wunderbar tiefen und dramatischen Fluchtbericht von Hans Graf Lehndorff entdeckt, das »Ostpreußische Tagebuch«. Wer etwas von Krieg und Flucht und Haltung und Barmherzigkeit und Menschsein verstehen möchte, der sollte diesen Klassiker lesen – Lehndorff war Christ, lebte mit den Herrnhuter Losungen, schildert seine Zeit dort rund um das Kriegsende 1945.

Thomas: Ja, Bücher haben auf mich auch eine sehr tiefe Wirkung gehabt. Die Abenteuerbücher meiner Kindheit waren Romane, in denen die Lebensgeschichte historischer Indianerhäuptlinge und Wildwestfiguren nacherzählt wurde. Sie hatten eine enorme Wirkung auf mich und verpassten mir zeitweise eine zweite Identität. Manchmal fühlte ich mich tagelang wie Red Cloud oder Sitting Bull. Ich pirschte ums Haus, stets auf der Hut vor einem Hinterhalt. Oder ich versuchte, genauso geräuschlos durch den Wald zu schleichen wie einer meiner Helden. Mich unsichtbar zu machen oder den Schrei einer Eule nachzumachen und so geheime Signale zu senden. Ich lebte sozusagen die Geschichte weiter und meinte so zu denken, zu fühlen und zu handeln, wie es meine Helden taten. War das bei dir auch so? Lebtest du dein Leben auch ein Stück weit aus dem jeweiligen Buch heraus, als eine Art Verlängerung davon?

Uli: Ja und nein – ich habe die Handlung nicht direkt nachgespielt, aber ich habe sicher viel gutes Verhalten gelernt. Mehr im Sinne eines »Ich fühle mich verstanden, ich kriege einen Kompass, den ich ganz selbstverständlich in mein Leben einbaue«. Wobei ich heute weiß, dass manches an diesen Kinderbüchern geistlich schon auch arg eng und moralisierend war – aber das hat ja für das Finden einer Grobrichtung auf dem Lebenskompass auch etwas Gutes.

Thomas: Also hatten deine Bücher in erster Linie eine pädagogische und geistliche Wirkung auf dich?

Uli: Eine ganz starke sogar. Ich bin bis heute ein von romantischem Idealismus gesteuerter Typ mit hoher Ambition, die Dinge gut zu machen, einem Ideal zu folgen, mich einer Sache mit Leidenschaft hinzugeben. Jesus Freude zu machen, Rechenschaft zu geben, einen geraden, guten Weg zu gehen. Das Richtige zu tun, sich in Not und Gefahr zu bewähren und durchzuhalten. All das sind Prägungen, die viel mit diesen Büchern damals zu tun haben – und dem dazu absolut stimmigen Vorbild der Eltern. Hätte jemand zu mir gesagt: »Hey, du lässt dich aber stark davon prägen!«, dann hätte ich geantwortet: »Genau so muss das Leben doch sein!« Das war ein selbstverständlicher Maßstab.

Die Jahre 1955 – 1968

Thomas: Das war bei mir anders. Meine Bücher und die damit verbundene Traumwelt hatte nicht viel mit meiner Realität zu tun. Dort ging es nicht um Lebensorientierung für das Hier und Jetzt, für meine Kindheit oder den christlichen Glauben ...

Uli: Bei mir kam dazu, dass ich merkte, wie wichtig das meinen Eltern war. Klar habe ich später auch die ganzen Karl-May-Bücher gelesen. Das kam aber stärker über meine Brüder, von denen ich ja als Jüngster viel gelernt habe – Geschwister sind einfach eine großartige Sache!

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