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Kinderglaube

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Thomas: Wie muss ich mir den Kinderglauben des 11-jährigen Uli vorstellen? War der Glaube ein durchgehend natürlicher Teil deines Lebens? Oder »musstest« du dich bekehren?

Uli: Ich wusste immer, was richtig ist, woran »wir« glauben. Und ich habe mich in einer Kinderevangelisation im Alter von neun oder zehn Jahren bekehrt. Ich habe »mein schwarzes Herz« aus Pappe ausgeschnitten und in einem Briefumschlag an unsere Gemeindehelferin abgegeben. Ich weiß nicht mehr, ob ich ein weißes Herz dafür gekriegt habe oder was der Deal war. Auf jeden Fall habe ich es gemacht und wahrgenommen, dass es Wohlwollen um mich herum auslöste. Alle haben sich gefreut.

In gewisser Weise war das wie ein Initiationsritus: Danach wurdest du ernst genommen. Als Bekehrter konntest du mitarbeiten: in der Kindergruppe, im Kindergottesdienst. Eine Kindermitarbeiterin wollte unbedingt, dass ich Xylophon spiele – immer mit gutem Beispiel voran, der kleine Uli. Ich hatte davon keine Ahnung, stand hilflos vorne und habe an jeder Melodie vorbeigeklimpert. Ich fühlte mich völlig überfordert und ausgesetzt ...

Ich sehe das heute ein Stück archetypisch: Da ist ein Pastorenkind und es ist ja fromm und offensichtlich auch ganz pfiffig – ein kleiner frecher Wusel mit lockerem Mundwerk. Der muss das ja können! So wurde ich oft ins kalte Wasser geworfen, habe aber dadurch auch schnell Schwimmen gelernt.

Thomas: Dein Kinderglaube äußerte sich vor allem durch das Eingebundensein und Mitmachen-Können oder -Dürfen und weniger als eine Innerlichkeit und Frömmigkeit nach dem Motto: »Ich spreche mit Jesus über alles und ich lese die Bibel mit dem Kinderbibelleseplan … «

Uli: Au backe, der Bibelleseplan – ich hatte immer Riesenprobleme mit solchen regelmäßigen Übungen. Ich fand sie langweilig und den Lebensfluss hindernd. Ich war überfordert, wenn es um selbstständiges Bibellesen ging. Ich war unterfordert, wenn es um Bibellesepläne ging. Ich wusste immer: Das ist gut, das solltest du machen – aber am Ende war es langweilig, vielleicht auch zu moralisch. Allerdings hatte ich diesen guten Kontext als Pastorenkind. Von sechs bis achtzehn oder zwanzig war ich im Gottesdienst und habe die Predigten meines Vaters gehört. Das war eine extrem gute Ausbildung. Und ich hatte ganz viel Übungsfeld in der Gemeinde, klar.

Thomas: Wenn die Predigten so gut waren, dann wundert es mich, dass du eine Art Bibelüberdruss bekommen hast.

Uli: Aufgrund der vielen Predigten und der vielen Bücher hatte ich immer den Eindruck: Ich weiß das schon alles! Ich kann bis heute viele Bibelverse aus den Predigten meines Vaters in ihrem Zusammenhang zitieren – manchmal bis in den Ton und Ausdruck hinein. Ich hatte ein extrem evangelikales, auf Richtig-Falsch, Schwarz-Weiß angelegtes Glaubens- und Gottesbild, verbunden mit einer starken Verhaltensfokussierung. Das Wesentliche des Glaubens war: »Lebe richtig, mach es gut!«

Vor rund zwanzig Jahren traf ich im Willow-Kontext einige lutherische Pastoren, die mit großer Barmherzigkeit und Freiheit darüber sprachen, dass natürlich auch Leute mit gebrochenen Lebensläufen oder zerbrochenen Ehen weiterhin Christen sind. Und ich dachte: »Das ist aber schön zu hören – die haben so viel verkehrt gemacht und sind trotzdem gut dabei! Lutherische Freiheit, richtig gut!«

Im Nachvollziehen meines inneren Staunens merke ich, wie moralisch die Bilder manchmal waren, aus denen ich komme: »Die haben aber was verkehrt gemacht! Die haben Eheprobleme! Der ist nicht mehr in der Gemeinde. Der ist auf dem falschen Weg!« Falsch und richtig waren starke Treiber meines Lebens, wie ja oft auch noch heute in der evangelikalen Szene. Man redet über Gottes Barmherzigkeit, weiß aber vor allem viel darüber, wie man es selbst richtig machen sollte – und möglichst ohne Barmherzigkeit durchkommt. Da musste ich mich über Jahrzehnte hinweg von manchem freischwimmen: hin zu einem Gott als Beziehungsgegenüber, der mich annimmt in all dem, wie ich war und bin, mit all meinen schwierigen oder ambivalenten Seiten.

Meine Eltern haben es nicht besser gewusst, ihre Erziehung war sicher auch von einer gewissen Pädagogik und dem Wunsch nach gelingendem Leben überformt. Ich habe unheimlich viel Gutes mitgenommen – aber die Essenz eines reformatorisch-barmherzigen, beziehungsorientierten Glaubens habe ich dort nicht gelernt. Alles war stark verhaltensorientiert, auch die Predigten. Das hatte seinen Ursprung vielleicht auch darin, dass sich dieser erweckliche Gnadauer Flügel, aus der die FeG Nord hervorgegangen war, ein Gegenüber zur Kirche war, die alles ein bisschen zu locker sah. Und Vater hatte sich bewusst wegbekehrt von der Welt, von den rauen, saufenden Zimmermannsgesellen, die er auf den Baustellen erlebt hatte. Ich glaube, dass er auch sehr klar Gnade und Barmherzigkeit gepredigt hat, aber hängen geblieben ist vor allem dieses »Mach es richtig!«. Das war die Essenz des Glaubens – und Gott insofern der verlängerte Arm des elterlichen Erziehungswunsches. Da musste man manches Problem und manche Dunkelheit verborgen halten.

Diese heuchelnde Doppelgesichtigkeit des Glaubens ist bis heute für mich ein großes Thema. Die Ehrlichkeit meiner Eltern hat andererseits auch wieder großen Raum ermöglicht, damit klar umzugehen, sich nichts vorzumachen. Ein bisschen mehr Luther und Reformation, ein bisschen weniger Erweckung und Pietismus hätte es sein dürfen ...

Thomas: Erwartungsdruck kann lähmen oder anspornen. Was überwog bei dir?

Uli: Insgesamt war das alles eher Ansporn für ganz viel Engagement – und die Gemeinde mit ihren Kinder- und Jugendgruppen war ein enormes Übungsfeld und hat hohe soziale Kompetenz vermittelt. Man lernt Leitung. »Etwas tun, wenn man ein Problem erkennt« – das war das Paradigma.

Ich war als Jugendlicher eine Zeit lang Mitglied in der Jungen Union der CDU, weil ich Klassenkameraden hatte, die politisch aktiv waren. Mit 16 ging es um den Wahlkampf Rainer Barzel gegen Willy Brandt. Ich glaube, ich bin ein- oder zweimal bei einer Parteiversammlung in einer Gaststätte dabei gewesen. Man rauchte und trank ordentlich – und alles ging irgendwie an mir vorbei. Ich habe schnell gemerkt: »Das ist hier ja gar nicht wie Gemeinde, da machst du doch nicht mit!« Und bin wieder ausgetreten.

In dieser Zeit gehörte ich zu einer Gruppe für den Gustav-Heinemann-Geschichtswettbewerb. Mein Freund damals war Geschichtsfreak und wir haben mit drei Leuten zweimal daran teilgenommen – einmal ging es um eine Arbeit über die Revolution 1848 und das zweite Mal um die Revolution 1918 in Cuxhaven. Da konntest du richtig was rausholen.

Ich habe damals das Titelblatt für diese Arbeit gezeichnet, die alte Reichsfahne im Übergang zur neuen deutschen Fahne flatternd. Zweimal haben wir deutschlandweit den dritten Preis gewonnen. Ich wurde dann ins norddeutsche Regionalfernsehen eingeladen, wo ich – hübsch mit langen Haaren – über unsere Gruppe erzählt habe. Ich hatte Respekt, habe es aber wohl gut gemacht. Immer, wenn ich ein Mandat habe, kann ich meine Schüchternheit vergessen und mutig sein. In der Gemeinde wussten sie von diesem TV-Termin und unsere Kindermitarbeiterin hatte hohe Erwartungen, ich könnte in diesem Interview irgendwie meinen Glauben, »unseren Jesus«, einbauen. Ich weiß nicht mehr, ob ich das wirklich geschafft habe, aber ich wusste immer um diesen Erwartungshorizont, »dass der Junge ein Zeugnis ist« in dem, was er da macht.

Der Ideen-Entzünder

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