Читать книгу Der Ideen-Entzünder - Thomas Hamblin Harry - Страница 12
Von Lob und Kritik
ОглавлениеThomas: Was ist charakterlich und geistlich für dich schwieriger zu verarbeiten: wenn man dich mit Lob überhäuft oder wenn man dich in die Ecke der Verführer stellt?
Uli: Beides hat ganz eigene Gefahren ...
Thomas: Die da sind?
Uli: Bei Lob gibt es natürlich immer die Gefahr, dass du eingebildet wirst, dich davon abhängig machst, dafür arbeitest. Oder dich manipulieren lässt. Es gibt ein funktionalisierendes, instrumentalisierendes Lob, das dich für ein Anliegen öffnen soll. Da wirst du natürlich sehr schnell vorsichtig. Wenn Lob einen dankbaren Charakter hat, dann merkst du: »Das ist echt, das tut gut.« Das kostbarste Lob kommt für mich von Leuten, die mir einigermaßen nahe sind, die es beurteilen können und mir irgendwann zusprechen: »Das kannst du gut!«, oder: »Da bist du besonders!« Die mir aber auch kritische Sachen sagen.
Rückblickend wundere ich mich zum Beispiel, dass ich erst so spät gemerkt habe, dass ich manche Dinge außergewöhnlich gut kann: Situationen erklären, Unausgesprochenes verbalisieren, Begeisterung wecken, eine treffsichere Analyse machen, Brücken bauen und gegensätzliche Sichten einander verständlich machen. Oder auch diese Fülle an Ideen, die da ständig in mir sprudeln, diese »Da müsste man was machen«-Gedanken. Meine persönliche Selbstunterstellung war lange Zeit: »Das, was ich bin und kann, das kann jeder! Ich mach’s halt nur – aber eigentlich könnte es jeder!«
Im Nachhinein sehe ich, dass es gut gewesen wäre, wenn mir jemand früher zugesprochen hätte, dass ich da besondere Gaben habe. Ich habe gar nicht verstanden, wer ich bin, weil ich intuitiv dachte, dass jeder so ist! Und das führte sowohl dazu, dass ich mein Potenzial nicht voll nutzte, als auch dazu, dass ich Leute überforderte, weil ich in meiner Selbstunterstellung zu viel von ihnen erwartet habe. Und zugleich ist das ja sowieso eine der ganz großen Lebensfragen: Wer bin ich eigentlich?
Thomas: Interessant, dass du das sagst. Ich beobachte dasselbe bei jungen Menschen, die ich begleite. Einige verfügen über herausragende und augenfällige Stärken. Sie selbst nehmen das aber oft nicht wahr. Sie schauen sich verwundert um und sagen: »Das ist doch nichts Besonderes!« Man muss jungen Menschen zusprechen: »Nein, diese Stärke ist außergewöhnlich, das musst du ernst nehmen.«
Heute verstehe ich: Die betroffene Person nimmt es selbst oft nicht wahr. Sie kennt nichts anderes; sie kann es ja einfach. Das ist wie beim Fisch im Wasser, für den Schwimmen eine Selbstverständlichkeit ist. Logisch kann er es und macht er es. Für alle anderen aber ist es das nicht ...
Uli: Das ist wohl eines der vielen Lebensgeheimnisse: Menschen zu helfen, sich selbst zu entdecken in ihrer Besonderheit, in ihrer Einzigartigkeit. Das ist ein Dienst, den wir füreinander tun können: die oder den anderen ansehen und herausheben, was besonders ist. »Du, mach da was draus! Das hat nicht jeder! Du musst das entwickeln!« Und ich frage mich: Wer nimmt diesen Dienst wahr? Eltern können das oft gar nicht. Da ist häufig eine zu große Nähe, eine Überlagerung und Sichtbehinderung durch den Alltag. Ein Kind, das besonders ist, aber nie sein Zimmer aufräumt, für das finde ich vielleicht nicht den richtigen Ton und die richtige Botschaft. Wo ist die Person mit einer gewissen Halbdistanz, die so reinblicken kann, dass sie dir etwas zuspricht? Wäre eine spannende Aufgabe für Gemeinde, Freunde, Jugendgruppen.
Thomas: Ja, ich glaube auch, das gehört dorthin.
Uli: Es ist die Frage, ob es dort gemacht wird. Ob es überhaupt als Aufgabe wahrgenommen wird, einander etwas zuzusprechen – letztlich Gutes und Kritisches. Beides ist ein Liebesdienst, eine Fürsorge.
Thomas: Und die Kritik?
Uli: Kritik tut immer weh – aber das ist sicher nicht die große Gefahr. Sie hat ja auch einen reinigenden Charakter, sie läutert. Jeder braucht Kritik, muss sie an sich heranlassen, muss lernen, sie nicht einfach nur abzuwehren oder erhaben darüber zu sein. Dieses Unterscheidungsvermögen muss wachsen. Wenn Kritik gut ist, dann hält sie dir einen Spiegel vor und lädt dich zur Veränderung ein. Es heißt ja, Kritik ist kostenlose Beratung – und wer etwas tut, der kriegt zu Recht natürlich auch Rückmeldungen und sehr viel »Beratung« ...
Ganz oft ist Kritik ja berechtigt und lässt uns lernen. Am leichtesten hören wir sie, wenn sie aus reinem, freundschaftlichen Herzen kommt. Unberechtigte Kritik dagegen tut besonders weh – dieses Gefühl, verkannt zu werden. Auch wenn die Motive nicht sauber sind, ist es schmerzhaft. Und klar: Kritik kann defensiv machen, gerade wenn man sich davon abhängig macht oder überfordert ist. Du lebst dann nur noch in ängstlicher Reaktion oder mit einem »Ich werde es euch beweisen!«. Das Wichtigste ist wohl, sich nicht zu verhärten, nicht defensiv zu werden oder verbittert.
Mir hat ein Lied von Greg Ferguson von Willow Creek sehr geholfen, eine gute Einstellung zu bekommen, von der ich mich immer wieder hinterfragen und motivieren lassen will. In »Audience of One« geht es darum, was am Ende wirklich zählt, wenn der Applaus oder eben auch die Kritik verhallt ist. Wirklich wichtig ist mir, was Jesus über mich denkt: »Es ist eine so große Versuchung, für den Applaus der Menschen zu leben. Ich aber will zufrieden sein damit, einem Einzigen zu dienen – nur seine Anerkennung und Zustimmung zählt, wenn einmal alles gesagt und getan ist«, singt Greg. Ein superschönes, nahegehendes Lied. Das ist wirklich auch mein Gebet und erinnert mich immer wieder daran, was entscheidend ist.
Ich muss an den Apostel Paulus denken. Er spricht davon, dass er sich weder dem Urteil anderer noch seinem eigenen unterwerfen will (1. Korinther 4,3-5), weil am Ende nur das Urteil Gottes zählt. Eine wichtige Hilfe im Umgang mit von außen und von innen (dem eigenen Herzen) kommender Kritik. Aber auch eine Gratwanderung, weil dies manchen Menschen zum Vorwand gereicht, sich nichts sagen zu lassen. Unser Gesprächseinstieg hat gezeigt, wie wichtig es ist, bei diesem Thema die Balance zu halten.
Ein Anfang ist gemacht, der Teppich ausgerollt. Wir sind bereit, uns den Wurzeln von Uli anzunähern.