Читать книгу Raus aus der Angst - rein ins Leben - Thomas Hartl - Страница 13
ОглавлениеWas kümmert mich, was andere denken?
Bloß nicht! Was würden denn die Nachbarn denken!? Generationen heranwachsender Mädchen und Buben wurden in diesem (Un-) Geiste herangezogen. Das Motto: Pass auf, was du tust, sagst, bist. Die Anderen, die haben dich im Auge. Wer auch immer das sein mag. Wahlweise die Nachbarn, die Verwandten, vielleicht sogar die Kirche, Lehrer, Arbeitgeber oder andere institutionalisierte Sittenwächter. Verhalte dich unauffällig, mein Junge. Immer schön artig, mein Mädchen.
Junge Menschen lächeln darüber. Ihnen wurde so eine Haltung von den Eltern meist nicht mehr eingetrichtert. „Was die anderen denken, ist mir doch egal“, sagen viele und meinen es vielleicht auch so. Doch sie übersehen, dass die Rolle der Eltern und der Lehrer nunmehr andere ausüben. Die Medien und deren Juroren vornehmlich. Ein Beispiel: Mädchen und Burschen, alle groß und schlank, manche auch schön, träumen vom Ruhm als Model. Und wie uns ebenso zahlreiche wie überflüssige Castingshows mit erhobenen Zeigefingern immer wieder weismachen möchten, ist oberstes Gebot aller Nachwuchsmodels: Schön brav sein. Sich unterwerfen. Kuschen. Nicht aufmucken. Alles tun, was einem gesagt wird. Wehe, es gibt Widerspruch, dann bist du raus! Mach, was dir befohlen wird, wir denken für dich. Der zahlende Auftraggeber hat immer Recht. Ein Übel der heutigen Zeit: Shows, die über die Teilnehmer urteilen. Ob diese gut singen, tanzen, kochen oder einfach nur dünn genug sind. Das unausgesprochene Motto hinter diesen modernen Gladiatorenkämpfen: Wir, die Jury (die Richter, das Gericht) wissen, was gut ist. Wir bewerten dich. Wir urteilen über dich. Bestehst du, bekommst du Applaus, genügst du unseren Vorstellungen nicht, lassen wir dich fallen. Oft regnet es Spott und Hohn. Ob du jung und naiv bist, ob du dir das alles vielleicht sehr zu Herzen nimmst, ob du vielleicht einen psychischen Schaden erleidest, das interessiert uns nicht. Dass du nicht erkennst, worum es hier geht (Quoten für die Werbeindustrie, Geld für die Fernsehanstalten), das ist uns nur recht. Wenn du meinst, dass du hier wichtig bist, dann träume weiter.
Schlimm genug, dass so viele Mädchen und Burschen in ihrer Sehnsucht nach Ruhm alles tun, was von ihnen verlangt wird, dass sie blind gehorchen, noch schlimmer, dass für diese Verblendeten jener Beruf das höchste ihrer Gefühle ist. Ein lebender Kleiderständer zu sein als Lebensaufgabe! Unfassbar, wenn man darüber nachdenkt.
Sagte man früher trotzig: „Was kümmert mich, was die Nachbarn denken“, so sagt man heute vielleicht: „Was juckt mich, was der Juror sagt.“ Doch, und das ist vielleicht noch trauriger, der Nachwuchs bräuchte solche Besserwisser gar nicht, denn durch die Omnipräsenz von Facebook, Instagram und Co. erschaffen sich immer mehr Menschen eigenhändig ihren höchstpersönlichen „Big Brother“. Man stellt sich öffentlich zur Schau, teilt sich mit, stellt sich dar, will sein „Profil“ zeigen. Für viele mag das die einzige Möglichkeit sein, auf sich aufmerksam zu machen, sicher. Doch es besteht die Gefahr, dass man seine Selbstdarstellung, seine Kommentare, seine Fotos und Videos nicht frei wählt, dass man selbst nicht echt ist, eben weil im Hintergrund immer ein Gedanke (oft unbewusst) alles steuert: „Wie wirke ich auf die anderen? Was denken die von mir? Was könnten sie denken, wenn ich dies oder jenes posten würde?“ Die virtuelle Welt hat also die guten alten Nachbarn ersetzt. Deren Funktion ist freilich gleichgeblieben.
Damit spreche ich mich aber ausdrücklich nicht gegen die Möglichkeiten von Social Media aus, diese Plattformen sind einfach eine Realität unserer Zeit. Ich benütze sie selbst, um zu kommunizieren, doch sollte man als Teilnehmer ein kritisches Auge darauf haben, ob man sich damit etwas Gutes tut oder ob man sich dadurch vielleicht in seiner Freiheit begrenzt.
Was kann man tun? Sich die Situation bewusstmachen. Denke und handle ich frei nach meinen eigenen Überzeugungen oder gebe ich mich so, wie mich andere haben möchten? Handle ich frei oder schiele ich nach dem (möglichen) Urteil anderer Menschen?
Ob und welche Schlüsse man aus seinen Erkenntnissen zieht, das mag ein jeder für sich selbst entscheiden.