Читать книгу Raus aus der Angst - rein ins Leben - Thomas Hartl - Страница 8
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Ich glaube an ein Leben nach dem Tod. Und ich glaube an ein Leben vor dem Tod. Ersteres wird sich von selbst einstellen, Letzteres leider nicht. Leben will erkämpft werden, Leben muss man sich erobern. Um dies tun zu können, muss einem erst einmal klar sein, wie man lebt. Und genau das ist vielen nicht klar. Man macht sich einfach nicht allzu viele Gedanken über sein Leben, man achtet nicht darauf, wie es sich anfühlt, ob man es genießt, ob man glücklich damit ist, man lebt einfach so vor sich hin. Meist dreht sich alles um das, was man tut. Man definiert sich über seine Arbeit. Lernen wir jemanden kennen, fragen wir ihn als Erstes, was er macht. Und meinen damit seinen Beruf. Wir fragen nicht, ob er sich gutfühlt, ob er sein Leben genießt, sondern: „Und, was machst du so?“ Wir sind ein Volk der Macher. Das ist nichts Schlechtes an sich, doch es greift zu kurz. Sich zu definieren, womit man seine Brötchen verdient, ist zwar üblich, aber auch schuld an der Misere, die wir „Leben“ nennen.
Viele von uns verbringen ihr Dasein wir Tiere im Käfig. Manche sind eingesperrt in einem engen, begrenzten Raum, bei anderen steht die Gittertür zwar offen und sie können auch den Raum verlassen, doch sie haben eine Kette um den Hals und der Auslauf ist begrenzt. Lebt man sein Leben viele Jahre wie in einem Käfig (man ist dort zwar sicher, aber begrenzt), so verlernt man das, was man Freiheit nennt. Fällt die Kette um den Hals plötzlich ab und die Tür geht auf, so sind wir verwundert oder erstarren sogar. Wir schleichen zum Ausgang, sehen vielleicht hinaus, links und rechts, könnten den Schritt hinaus machen, könnten uns wegbegeben. Wozu entscheiden wir uns? Gehen wir in die Freiheit oder warten wir auf den Mann mit dem Schlüssel, der die Tür wieder schließt? Verhalten wir uns wie ein Zootier, das plötzlich ausgewildert werden soll? Trauen wir uns aus Furcht vor der Freiheit nicht aus dem Käfig? Immerhin, wir wissen nicht, was uns da draußen erwartet. Wer wird uns Futter geben, wenn wir uns davonstehlen? Wer wird die Tür abends wieder schließen, damit wir in Sicherheit sind? Wer wird für unser Lebensglück (und unser Leiden) verantwortlich sein? Wir selbst? Das haben wir nicht gelernt. Oder haben wir es nur verlernt?
Freiheit ist ein Wagnis. Freiheit erfordert Mut. Im Gegensatz zu den Tieren im Zoo ist unsere Unfreiheit aber weitgehend selbstgewählt. Wir verbringen unser Leben im Versuch, sicher und ohne Aufregung zu leben; in einem Korsett, welches wir uns selbst angelegt haben oder das wir uns ohne großen Widerstand haben anlegen lassen. Ein Korsett, das sich manchmal zwar recht eng anfühlt und uns die Luft zum Atmen nimmt, aber uns auch Form und Halt gibt. Wenn uns davon schwindelig wird, laufen wir zum Arzt und schlucken Pillen. Wenn uns das Korsett schmerzt, laufen wir zum Arzt und schlucken Pillen. Wenn es uns die Luft abschnürt und uns die Freude am Leben nimmt – erraten –, laufen wir zum Arzt und schlucken Pillen.
Wenn wir nicht in einem real existierenden Gefängnis sitzen oder an einer sehr schweren Krankheit leiden, dann sind wir in der Lage, dieses Korsett abzulegen. Wenn wir nur mutig genug dafür sind. Wenn wir uns dazu entschließen. Wenn wir handeln. Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne, aber wir können das Zaudern überwinden. Wir können unser Gefängnis verlassen, einen ersten Schritt tun, einen zweiten. Wir können losrennen, wir können unsere Kreise ziehen, diese immer weiter und weiter ausdehnen, wir können abheben, gleiten, fliegen, wir können frei sein.
Wir können frei sein. Wenn wir mutig sind.
Wir leben in einem freien Land, dürfen sagen und tun, was wir wollen (in den Grenzen unserer Gemeinschaftsregeln), wir werden oft sogar ermuntert (wie auch hier), uns doch mehr Freiheit zu gönnen. Aber: Wie bitte schön geht denn das? Wie überwindet man seine Ängste? Wie erlangt man Freiheit? Und: Was soll ich denn überhaupt machen, wenn ich frei wäre? Da müsste man ja auch noch Phantasie entwickeln! Es ist aber auch eine Frechheit, dass man das nirgends lernt! Freiheit kann eine echte Zumutung sein. Wenn ich frei sein will, muss ich dann selbst denken, eigene Entscheidungen treffen, vielleicht sogar die bequeme Couch verlassen? Und überhaupt: Wenn mir kein Boss, kein Kollege oder nicht einmal mein Partner vorschreibt, was ich zu tun habe, wie soll ich dann bitteschön wissen, was ich überhaupt tun soll? Im Ernst jetzt! Wie soll ich dann meine Tage füllen? Muss ich dann nur mehr Sinnvolles tun, mein Leben komplett ändern, ein Revoluzzer werden? Einer, vor dem mich meine Eltern immer gewarnt haben?
Gar nichts müssen wir! Nichts! Wenn wir glücklich sind und in uns nichts rumort, das uns sagt, dass das schon ein bisschen arg wenig ist, was wir aus unserem Leben machen, weil wir uns einlullen lassen von langweiligem Fernsehen, langweiligen Jobs und noch langweiligeren Menschen um uns, wenn wir diese Gedanken und Gefühle nicht kennen, dann ist das auch in Ordnung. Legen wir das Buch zur Seite, oder gleich ab damit zum Altpapier. Ah, gut, weg damit! So und jetzt schauen wir mal, was im Fernsehen läuft.
Wenn es aber doch ein wenig in uns rumort (wovon ich ausgehe, hätten Sie sonst Ihre Nase in dieses Buch gesteckt?) und wenn wir unser Leben ein wenig freier gestalten, unsere Fühler ein wenig weiter ins Leben ausstrecken, uns auf neue Dinge und Menschen einlassen, Vertrauen vermehren und Kontrolle abgeben und wagen, auch mal verwundbar, dafür aber lebendiger und wahrscheinlich auch glücklicher zu sein, dann können uns die folgenden Seiten vielleicht (ach, was sage ich: sicher!) dabei behilflich sein. Eines aber wird uns nicht erspart bleiben: von der Couch aufzustehen und zu trainieren, freihändig zu gehen. Freiheit erlangt man nämlich nicht durch das Lesen, sondern indem man nach der (Pflicht-) Lektüre das heimische Gehege mitsamt seinen sicheren Geländern, an denen man sich sein Leben lang festgehalten und abgestützt hat, ab und zu auch tatsächlich verlässt.
Aber, Damen und Herren, das Ganze bitte spielerisch angehen. Leicht und locker. Wer meint, jetzt bierernst unbedingt und sofort über alle seine Ängste hinwegsteigen und frei sein zu müssen, der hat schon verloren. Nix muss. Alles darf.
Und bitte kein zu schnelles Tempo, no stress! Suchen Sie sich einfach die Dinge aus, die für Sie persönlich wichtig sind, die Ihr Ding sind, die Sie der Freiheit näherbringen, die Sie sich für sich selbst wünschen. Es geht nicht darum, möglichst viel von den folgenden Vorschlägen umzusetzen, sondern dass man sich das heraussucht, was einen selbst weiterbringt.
Freiheit kann gelingen, wenn man die eigenen Grenzen elastischer macht, sich an die selbstgezogenen Grenzen heranwagt, diese nach und nach überschreitet und so seinen Spielraum erweitert. Vielleicht wäre es ein guter Ansatz, sein Leben tatsächlich als Spielraum zu betrachten, als einen Raum zum Spielen, der Möglichkeiten enthält und nicht nur Pflichten; der Spiele zulässt, die uns guttun und wirklich Freude bereiten.