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Dopingfrei von der West- zur Ostküste der USA!

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Wie oft höre ich bei Seminaren und Vorträgen: Das kann doch nicht gesund sein, wenn man 24 Stunden oder gar mehrere Tage nonstop auf dem Fahrrad sitzt. Und in der Tat denke ich, dass die Wettkämpfe im Langstreckenradsport auf einem solchen Niveau generell nicht unbedingt der körperlichen Gesundheit dienen. Dennoch weiß ich mittlerweile gut, dass sich die Körper recht rasch erholen und es auch keine dokumentierten Langzeitschäden gibt. Von psychischen langfristigen positiven Effekten und der persönlichen Genugtuung, nahezu Unmögliches geschafft zu haben, zehren Langstreckenradsportler ohnehin ihr Leben lang.

Meiner Erfahrung nach ist der Weg dorthin dafür umso gesünder. Es wäre grob fahrlässig, ohne körperliche und psychische Vorbereitung ein solches Extremevent bestreiten zu wollen. Die Chance, das Ziel zu sehen, wäre überdies sehr gering. In der Arbeit mit Leistungssportlern durfte ich oft feststellen, dass gerade der jeweilige Erfolg davon abhängig ist, ausreichend Belastungspausen, sprich Erholungszeiten, in der Vorbereitungszeit einzuhalten und eben das Leben an sich nach dem anziehenden und gewünschten Ziel auszurichten. Eine Trainingsplanung, die einerseits körperliches Training, ausreichend Erholungsphasen, Techniktraining, Ernährung und mentales Training sowie den Umgang mit herausfordernden Situationen beinhaltet, ist notwendig. Die darüber liegende Klammer ist Freude und Spaß am Tun sowie die Ausrichtung seiner Aufmerksamkeit und damit Lenkung der Energie auf sein Ziel! Langstreckenradrennen sind nicht gesund, der Weg dorthin dagegen sehr!

Was aber, wenn aus körperlichen Gründen wie Verletzung und Krankheit das zu erreichende Ziel immer unerreichbarer scheint? Dann gibt es seit Jahrzehnten im Leistungssport oft nur ein Thema: Medikamente, leistungssteigernde Mittel, Doping. Vor allem der Profiradsport scheint aufgrund seiner Härte und seiner Leistungsanforderungen ohne Doping nicht existieren zu können. Dies ist einer der Gründe, die mich am Langstreckenradsport von jeher fasziniert haben. Dopingfälle sind nicht bekannt. Klassische Dopingmittel würden bei solchen Extrembelastungen im Langstreckenradsport nicht funktionieren bzw. hätten teilweise tragische Konsequenzen. Eine Sportart, bei der es nichts zu verdienen gibt, ruft auch keine professionellen Doper auf die Bühne. Denn Doping kostet Geld. Immerhin gibt es in Europa nur zwei Radevents in der Langstrecke, bei denen es ein minimales Preisgeld gibt. Die Unkosten einer Teilnahme (Startgebühr, Kosten für den Sprit und das Begleitfahrzeug, Ernährung …) verzehren bereits mehr als das zu erwartende Preisgeld. Viel dramatischer zeichnet sich die finanzielle Situation beim Race Across America. Eine Teilnahme verschlingt für einen Europäer je nach Größe der Crew und Aufwand in der Medienberichterstattung zwischen 25 .000 und 50.000 Euro. Da bleibt kein Geld für Dopingmittel.

Dennoch bin ich nicht so blauäugig, wie ich es hier vielleicht schreibe. Schmerzmittel und entzündungshemmende Präparate, oral eingenommen oder als Salbe appliziert, sind die Normalität, wie sie auch Herr und Frau Österreicher (oder aus welchem Land Sie auch immer kommen) anwenden. Darum galt es noch vor einiger Zeit als normal, bei Langstreckenradevents mit entzündungshemmenden Substanzen wie Diclofenac einen Grundspiegel aufzubauen. Die Konsequenzen sind vermutlich bekannt. Wenn nicht, können Sie gerne einmal die Packungsbeilage studieren, denn Medikamente mit oben genanntem Wirkstoff finden sich nahezu in jedem Haushalt. Um Magenschmerzen und Magen-Darm-Problematiken zu verhindern, wird ein zusätzliches Medikament, ein quasi Magenschutz (Protonenpumpenhemmer) notwendig. So führt die eine Handlung zur nächsten und bedeutet in einer Situation, wo es um mentale und körperliche Höchstleistung gehen soll, eine zusätzliche Belastung für das System, anstatt es zu entlasten. Übrigens höre ich diesen Teufelskreis in meiner Beratungspraxis quasi täglich. Am Abend ein Schlafmittel, um besser schlafen zu können, am Morgen etwas zur Aktivierung, um überhaupt in den Tag starten zu können. Gedachte kurzfristige Unterstützung für Symptom X wird dieser Prozess in kurzer Zeit zu einem Teufelskreis, der in einem klassischen Suchtverhalten endet. (Allein in Österreich liegt die offizielle Zahl der Medikamentenabhängigen bei 350.000. Die Dunkelziffer wird mit ungefähr 1,000.000 Menschen angegeben.)


RAAM 2012 Christoph Strasser + Thomas Jaklitsch Foto: lupispuma.com

Aus diesem Grunde und um die Körper-Geist-Balance zu steigern, startet Christoph mittlerweile ohne schmerz- oder entzündungshemmende Medikamente in seine Wettkämpfe. Zur Verwunderung unseres Team­arztes und gleichzeitigen Teamchefs beim RAAM 2011, Dr. Rainer Hochgatterer, entschieden wir uns für keine standardisierten Gaben dieser Medikamente zum Rennstart. Auch nicht in den folgenden Tagen, weil der sensationellen Leistung zum Trotz die Wahrung der Gesundheit und das intelligente Nutzen von Erholungspausen im Vordergrund standen. Klar war dies auch nur möglich, weil Christoph im Vorfeld sein System durch monatelanges bzw. jahrelanges Training in unterschiedlichen Bereichen und durch eine Umstellung von verschiedensten Gewohnheiten optimiert hat. Unser schulmedizinischer Teamarzt, der als Sportmediziner langjährige Erfahrung in unterschiedlichen Sportarten, vor allem aber auch im Langstreckenradsport als Betreuer zum Beispiel von Wolfgang Fasching und Gerhard Gulewicz beim RAAM aufzuweisen hatte, staunte sehr. Er ließ sich dann zu folgender Aussage am fünften Tag des RAAM 2011 hinreißen: „Anscheinend habe ich jahrelang nur die Nebenwirkungen der Medikamente behandelt, anstatt mich auf die Gesunderhaltung meiner Sportler zu konzentrieren.“

Als dann aufgrund der körperlichen und mechanischen Belastung am Tag sechs Schmerzen im Kniebereich auftraten, bekam Christoph die superwirksamen und hoch dosierten „Painkiller“ (auf Deutsch: Schmerztöter). Regelmäßig verabreicht und direkt aus dem amerikanischen Drugstore. In Wirklichkeit Zuckertabletten, also Placebos ohne realen medizinischen Wirkstoff. Doch in der Realität unseres Empfängers, Christoph Strasser, hochwirksam und ausreichend, um den Fokus der Wahrnehmung wieder auf das Ziel zu lenken. Der Geist versetzt anscheinend nicht nur die bekannten Berge, sondern auch Knieschmerzen. Und das nebenwirkungsfrei.

Im Jahr 2011 fuhr Christoph 60 Meilen vor dem Ziel einem ungefährdeten Sieg, nicht nur über sich selbst, sondern auch im Rennen, entgegen. So beschlossen wir, ihm dann doch diese noch verbleibenden zwei, drei Stunden angenehmer zu gestalten. Wir gaben ihm zwei handelsübliche und rezeptfreie Schmerztabletten und meinten es gut mit ihm. Dass wir dadurch beinahe eine Katastrophe ausgelöst hätten, wurde uns erst später bewusst.

Der deutsche, schon längst verstorbene Bühnenautor Berthold Brecht meinte dazu einmal: „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht!“

Innerhalb weniger Minuten wirkten die scheinbar harmlosen Schmerztabletten primär auf seine Psyche und auf seine Fähigkeit, die Umgebung richtig einzuschätzen. Desorientierung, Wahrnehmungsstörungen und psychische Totalaussetzer waren die Folge. Auch das sonst so gewinnende und freundliche Wesen Christoph Strassers wandelte sich kurzfristig in einen schimpfenden Despoten. Momente, in denen wir wie gewohnt über das Mikrofon mit ihm sprachen und ihm den Weg ansagten, wurden anscheinend in seiner nun gedämpften Wahrnehmungsfähigkeit herabwürdigend. Er blieb sogar mitten auf einer Kreuzung stehen, um eine Schimpftirade an uns zu richten. Ich sprang sofort aus dem Begleitauto und holte ihn nicht nur sprichwörtlich dort ab, wo er stand. Mitten auf der Kreuzung und in der Höhe des geistigen Niveaus eines Kleinkindes. Nur mit viel Wertschätzung und Akzeptanz brachte ich ihn dazu weiterzufahren. Immerhin keine ungefährliche Situation und auch unter direkter Beobachtung des „Officials“, des uns begleitenden Schiedsrichters des Veranstalters des Race Across America. Ohne Penalty, der Schiedsrichter hat hier Gnade vor Recht ergehen lassen. Weil wir die Situation so rasch klären konnten, fuhren wir weiter. Vor uns Christoph Strasser. Wir im Pacecar hinterher. Kurz davor hat mir Christoph auf der Kreuzung stehend seine Meinung gesagt: „Ihr behandelt mich ja wie ein Kleinkind. Ich weiß schon, wie ich Rad fahre. Lasst mich in Ruhe Rad fahren.“

Demzufolge ließen wir ihn Rad fahren. Wir waren ja über die kurze Sprechpause auch nicht unglücklich. Denn gerade in den letzten Tagen eines solchen Extremradevents sind auch die Teammitglieder an der Grenze ihres Leistungsvermögens. Stundenlanges Unterhalten des Sportlers, gleichzeitig Kontrolle und Übersicht über die Ernährung und auch nicht ganz zu vergessen, den richtigen Weg zu finden und zu navigieren, fordert die Multitaskingfähigkeit der Betreuer.

Zur besseren Nachvollziehbarkeit: Exemplarisch hier ein Auszug aus der Kommunikation mit Christoph ein paar Minuten vor dem unliebsamen Stopp auf der Kreuzung: „Super Christoph … Genau … Schön das Pedal raufziehen und runterdrücken … So … In 20 Metern kommt eine leichte Linkskurve … Bleib bitte schön in der Mitte deiner Fahrspur … Genau … Hervorragend machst du das … Bitte auch wieder an das Trinken denken … O. k. wenn es momentan von den Händen schwer möglich ist, dann kannst eh schon das Tempo rausnehmen und locker ausrollen … Denn da vorne kommt ein Stoppschild. So und bremsen. Stehen bleiben und einen Fuß ausklicken. Sehr gut. Trink gleich einen Schluck oder am besten gleich die Flasche austrinken, dann brauchst nicht so viel Gewicht mittragen. Passt. Flasche nehmen wir gleich. Wir fahren jetzt geradeaus … So links geht’s, rechts auch und los geht’s wieder … super. Schön wieder auf Zug, deinen Rhythmus finden … Kannst gerne einen Gang runterschalten … Geht schon viel leichter …“


RAAM 2011 Christoph Strasser Foto: lupispuma.com

Sollten Sie den Eindruck haben, wir reden auf ihn ein wie auf ein krankes Tier, haben Sie recht. Erfahrungsgemäß ist es gerade in den letzten Tagen solch enormer Belastungen notwendig, jemandem ständig die Sicherheit zu geben, er ist nicht alleine, sondern jemand ist hier. Er bekommt die Ansprache und Kommunikation, um auch den eigenen internen Dialog zu limitieren. Er bleibt munter. Und vor allem bekommt er die positive Bestätigung seiner Leistung, die er momentan erbringen kann.

Doch Christoph oder die Medikamente in ihm, mahnten uns zur Stille. Keine Ansprache, keine Bestätigung, und da es auch keine Richtungswechsel gab: Stille!

Dies ging nicht einmal drei Minuten gut. Christoph bog auf einer kerzengeraden Straße in einem kleinen Ort in Richtung des Zielortes Annapolis plötzlich mitten in eine Hauseinfahrt ein. Zum Glück rammte er weder Bordstein noch Zaun. Er bremste, blieb stehen und klickte auch noch rechtzeitig aus. Uns blieb im Pacecar quasi das Herz stehen. Er grinste spitzbübisch und fragte nur: „Wo geht’s nochmal weiter?“

Mit unserer Unterstützung fuhr Christoph gesund und wohlbehalten ins Ziel. Wir sprachen wieder wie gewohnt mit ihm und waren wieder als Team unterwegs. Er vorne als Leitstern, wir hinter ihm als Team. Als Absicherung nach hinten, als Augen nach vorne, als Schutz bis ins Ziel.

Vielleicht war mit der Schrecksekunde für das Team auch Christophs Zustand wieder in den Urzustand zurückversetzt. Das Gift, das Medikament aus seinem System eliminiert oder einfach nur durch körper­eigene Substanzen überlagert. Am 22. November 2013 sorgte ein Bericht in den österreichischen Fernsehnachrichten der ZIB (Zeit im Bild) für mich verwundernswert für wenig Aufregung: Aus Langzeitstudien und Erfahrungswerten, so wurde berichtet, muss man bei drei von 1000 Anwendern, die Schmerzmittel aus Diclofenac verwenden, mit einem Herzinfarkt rechnen.

Schlussfolgerung

Es gibt keinen Ersatz für offene Sinneskanäle. Sorgen Sie für offene Sinneskanäle, um die Bedürfnisse Ihres Körpers wahrzunehmen!

Vermeiden Sie die Betäubung Ihrer Wahrnehmung und sorgen Sie rechtzeitig dafür, in körperlicher und geistiger Balance zu bleiben. Erkennen Sie die Signale Ihres Systems. Haben Sie Mut zur Pause!


Thomas Jaklitsch „Powernap“ Foto: Andreas Tösch

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