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35 | Carpe diem

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So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit.

EPHESER 5,15-16 (LUTHER 1984)

An jenem Freitag hatte ich die Küche geputzt. Ein paar Besorgungen hatte ich auch gemacht. Schularbeiten mit den Kindern. Abends waren wir seit Langem mal wieder in einem Konzert gewesen, das war richtig schön. Und das war er, unser Tag, Alltag eben. Warum ich das erwähne? Weil ich erst eine Woche später erfuhr, dass an jenem Freitag eine liebe Freundin verstorben war. Sie hatte an Krebs gelitten. Diese Freundin war und ist ein für Christus entschiedener Mensch, und ich weiß, dass es ihr jetzt in der Ewigkeit gut geht. Sie ist sozusagen doppelt erlöst: Sie leidet nicht mehr unter Schmerzen, und sie hat wirklich das, was man ewige Ruhe nennt! Ich freue mich für sie. Aber da ist auch das nagende Gefühl des Verlustes, der Leere. Das Realisieren: Sie wird den Hörer nicht mehr abnehmen, wenn ich anrufe. Das Eingestehen: Du wolltest sie immer noch einmal besuchen und hast es nicht getan.

Und da ist plötzlich auch diese Selbstkritik: Was habe ich mit meiner Zeit gemacht? Wie lebe ich meinen Tag? Nutze ich ihn? Nutze ich ihn, um meinen Kindern ein Lächeln zu schenken, um ihnen vorzuleben, dass die Entscheidung für Jesus das Wichtigste im Leben ist und sich lohnt? Nutze ich die Fragen meiner Mitmenschen nach dem Sinn des Lebens und Sterbens?

Im Roman Der Club der toten Dichter prägte die literaturversessenen Studenten die Devise »carpe diem« – »Nutze den Tag«. Sie wollten leben, aus dem Vollen schöpfen, ihre Seelen fühlen und füllen. Sie dachten dabei nicht an Gott. Was sie aber hatten, war eine Hingabe zum Leben, die uns Christen manchmal ganz guttäte. Eine Begeisterung, die ansteckt und Kreise zieht. Vielleicht ist das meine wichtigste Lehre aus der Leere des Verlustes: Ja, mir bleibt noch Zeit hier auf Erden, und die will ich nutzen. Ostern war gestern und ist noch heute. Und meine Mitmenschen haben ein Recht darauf, das zu erfahren!

Petra Piater

Nicht alltäglich

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