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Beispiele: Kinder und Eltern
ОглавлениеWenn ich weiß, dass mein Kind den leckeren Schokoladenpudding als Nachtisch essen möchte, weil es noch Hunger hat, dann kann ich dies nutzen und diesen leckeren Nachtisch als Belohnung für ein aufgeräumtes Kinderzimmer in Aussicht stellen. Ansonsten gäbe es ja auch noch gesundes Gemüse gegen den Hunger. Ich könnte das Kind für das Zimmeraufräumen natürlich auch extra bezahlen oder mit einer WLAN-Sperre drohen, falls das nicht passiert. Eventuell ist Ordnung als wichtiger Wert in dieser Familie auch schon von allen Familienmitgliedern derart verinnerlicht, dass der Hinweis auf ein mögliches schlechtes Gewissen genügt, um zum Aufräumen zu bewegen. Und selbst ein hochgradig egoistisches Kind mag man beeinflussen durch die Erinnerung daran, dass das Aufräumen des Zimmers einen nützlichen Vorteil auch für das Kind darstellt. Denn wenn die Eltern nicht zusätzlich dessen Zimmer aufräumen müssen, haben sie die notwendige Zeit, um Schokoladenpudding zu kochen.
Wichtig ist zum einen, dass die Wahl der Beeinflussungsmittel dem Sinn des Handelns der anderen Menschen, die beeinflusst werden sollen, entsprechen bzw. mindestens nicht widersprechen. Denn wer Liebe einsetzt und einen nur am Geld interessierten Menschen vor sich hat, kann das Beeinflussungsziel leicht genauso verfehlen, wie jemand, der/die an Solidarität appelliert, obwohl der andere Mensch im Feindschaftsmodus ist. Bei einem Entscheider brauche ich nicht an dessen schlechtes Gewissen zu appellieren und von einer Herrscherin brauche ich keine Unterwürfigkeit zu erwarten. Zudem müssen die Einflusspotentiale in Beeinflussungskonstellationen nicht gleich verteilt sein. Die Asymmetrie von Einflussmöglichkeiten dürfte sogar der Normalfall sein, weil entweder die gesellschaftlichen Strukturen keine Gleichheit zulassen, wie dies z. B. in hierarchisch strukturierten Organisationen der Fall ist, oder die Menschen verfügen schlicht nicht über die gleichen Kapitalien, das heißt, nicht über die gleiche Menge an Geld, Freund:innen, Bildung usw. (bzw. die Qualität der Ressourcen unterscheiden sich). Zudem macht die Dynamik von Beeinflussungen aus, dass diese auf die Konstellation selbst zurückwirken kann, wodurch sich die Beeinflussungschancen zugunsten oder -ungunsten eines Menschen oder einer Gruppe verschieben können. Wenn aus der Mitarbeiterin eine Vorstandsvorsitzende wird, verändert dies nachhaltig ihr Einflusspotential auf ihre vorherigen Vorgesetzten. Aus den mehr oder minder zufälligen wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Menschen können also immer Chancen der Beeinflussung erwachsen. Gerade die Asymmetrien in den Einflussmöglichkeiten treiben oftmals die Interaktionen an, z. B. in einer Mutter-Kind-Beziehung, in der die Mutter scheinbar zunächst mehr Macht und mehr Möglichkeiten hat als das Kind, das Kind aber auf die Selbstansprüche der Mutter zurückwirkt, bspw. auf den von der Mutter an sich selbst gerichtete Anspruch, stets die Hauptverantwortliche für die Betreuung des Kindes zu sein. In ähnlicher Weise drückt die starke formale Macht von Vorgesetzten gegenüber den Angestellten nicht alles an Macht aus, die in dieser Beziehung ausgeübt wird, weil ein erhebliches Beeinflussungspotential ebenfalls bei den Angestellten liegt, die z. B. mit ›Dienst nach Vorschrift‹ drohen können.
Die Dynamiken von Beeinflussungskonstellationen können sehr komplex werden. Und je nach neu entstandener Situation kann anderer Handlungssinn, können andere Bedürfnisse und Strategien wirksam werden. Schon zwischen zwei Menschen können Mehrfach-Überlagerungen vorherrschen. Das heißt, es bestehen zugleich z. B. Interessen an verschiedenen Dingen, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben, außer dass sie bei diesen beiden Menschen zugleich vorkommen.