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Die Stacheln Girgas

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Kramus’ Einheit bestand aus ihm selbst und einigen Arbeits- und Kampforks. Zusammengefasst war es gerade ein Dutzend grauhäutiger Kreaturen, die auf Reitwölfen der Orks nach Osten ritten, um den Befehl des Halbgottes Kastro auszuführen. Reitwölfe waren die gezüchteten Versionen der Gebirgswölfe, die in den Stacheln Girgas, wohin Kramus und die anderen unterwegs waren, lebten. Vor Jahrhunderten zähmten die Orks einige Jungtiere dieser Wölfe und begannen, sie als Reittiere zu züchten. Ein Ork war zwei Meter oder noch größer, also wurden auch Reitwölfe entsprechend groß. Im Kampf erwiesen sie sich als aggressiver und gefährlicher als die Pferde, auf denen Menschen ritten.

Die Wölfe konnten konstant eine hohe Geschwindigkeit halten und fegten mit ihren Reitern über das freie Gelände zwischen dem Orkmachtsitz und den Stacheln Girgas innerhalb nur eines Tages. Die Stacheln Girgas wurden ihrem Namen gerecht. Wie die Stacheln eines Igels streckten sie sich steil und spitz in den Himmel. Der höchste Berg, der ehrfürchtig die Spitze Girgas genannt wurde, ragte bis in die Wolkendecke und verschwand dort. Es war der Berg, in dem das wertvolle Metall des Trollgoldes zu finden war – wonach Kramus und die anderen auf Befehl von Kastro suchten.

Eigentlich hatte Droom die Anweisung bekommen, hierher zu kommen, während Kramus den Norden Selakuns nach Elfensiedlungen ausforschen sollte. Kramus hatte jedoch die Aufgabe mit Droom getauscht, da er lieber eine gefährliche Expedition ins Gebirge anführte, anstatt Gerüchten in der Wüste nachzujagen. Droom hatte das widerspruchslos akzeptiert und war mit einer Gruppe Orks nach Norden aufgebrochen.

Sobald sie die engen Täler der Gebirge passierten, bremsten die Reitwölfe ihre Geschwindigkeit und der schnelle Ritt wurde zu einem mühsamen Voranschleppen. Die Täler wurden zu engen Schluchten, die manchmal in Sackgassen endeten. In solchen Fällen mussten die Orks an den Rändern der Schluchten nach oben klettern, um weiterzukommen. Kramus zog einen anderen Ork am Arm nach oben, während er selbst von seinem Reitwolf gehalten wurde. Das Tier war kräftig genug, um das Gewicht beider Orks zu tragen. Der Ork, den Kramus hochzog, drückte mit den Füßen gegen die Schluchtenwand und machte schnelle Schritte nach oben, um Kramus zu helfen. Als er oben war, reichte er die Hand einem weiteren Ork, den er mit Kramus’ Hilfe schneller hinaufbefördern konnte.

Ein schauriges Heulen übertönte den Wind, der laut durch die engen Schluchten und Täler brauste. Kramus erhob sich und sah sich vorsichtig um, während er nach der Satteltasche seines Reitwolfes tastete, in der sich sein Schwert befand. Er fand die Tasche und riss sie mit seiner starken Hand auf, zog das Schwert heraus und machte einen vorsichtigen Schritt rückwärts zu seinem Reittier. Die anderen Orks griffen ebenfalls nach ihren Waffen und sahen skeptisch zu den Steilwänden der manchmal fast senkrecht nach oben ragenden Stacheln Girgas auf. Bis plötzlich ein Reitwolf winselte und gleich darauf verstummte. Die Orks fuhren herum und sahen, wie der Reitwolf von drei anderen Wölfen zerbissen wurde. Ein großer Blutfleck war im Genick des Reittieres sichtbar. Aus den drei angreifenden Gebirgswölfen wurden plötzlich acht, fünf weitere sprangen aus der Schlucht. Als der andere Teil des Rudels von einer Steilwand heruntergerannt kam, konnten die Orks sechszehn Wölfe zählen.

„Ein ganzes Rudel!“, rief Kramus. „Schlachtet sie ab!“

Das Wolfsrudel knurrte und umzingelte die Orks drohend, während diese sich langsam auf den Ring aus Wölfen, der sie gefangen hielt, zubewegten. Plötzlich sprangen vier Wölfe auf einen Ork, der sofort wild mit seiner kurzstieligen Axt um sich schlug und einen Wolf dabei schwer verletzte. Das Tier ließ winselnd von seinem Opfer ab, während die anderen drei weiter auf es losgingen. Wie auf Kommando sprangen die anderen Gebirgswölfe auf einzelne Orks. Zwei griffen Kramus an. Er schwang die silberne Klinge in einem weiten Bogen und erschlug einen der beiden Angreifer im Sprung. Der Wolf verlor die Kontrolle über seinen Sprung und landete – bereits tot – auf dem zweiten Raubtier. Kramus wollte sich gerade dieses vornehmen, als er spürte, wie von hinten Druck auf ihn ausgeübt wurde. Dann hörte er das gierige Knurren eines Gebirgswolfes, der sein Maul zu einem Biss aufriss. Kramus schlug eine Rolle nach vorne und begrub dabei den Wolf, der auf seinem Rücken saß, unter seinem Körper. Der andere Wolf hatte sich einstweilen unter seinem toten Kameraden hervorgezogen und sprang Kramus von vorne an. Der Ork streckte das Schwert nach vorne und das Raubtier sprang genau hinein. Der Wolf an seinem Rücken versuchte, sich abermals unter seiner schweren Last hervorzuziehen, doch Kramus drückte ihn zu Boden und stach ihm dann in einer schnellen Bewegung in den Kopf.

Kramus stand auf und stellte fest, dass die Größe des Rudels sich inzwischen vervielfacht hatte. Es waren unglaublich viele graue Gebirgswölfe, die auf Orks und vor allem auf die Reittiere losgingen. Kramus’ Reitwolf, er nannte ihn Lotschar, kämpfte gerade mit vier Gebirgswölfen auf einmal. Der größere Reitwolf schlug mit seinen Pranken nach seinen kleinen Verwandten, bellte sie an und schnappte immer wieder nach ihnen. Lotschar drängte die Gebirgswölfe zurück und hatte eindeutig die Oberhand im Kampf, bis überraschend zwei Gebirgswölfe ihn von beiden Seiten ansprangen und auf seinem Rücken landeten. Sofort gruben sich Zähne in Lotschars schwarzes Fell und der Reitwolf fletschte wütend seine Zähne. Er rannte auf die vier Wölfe vor sich zu und knurrte dabei laut und angsterregend. Den ersten der vier überrannte er im wahrsten Sinne des Wortes, während er dem zweiten dahinter in die Schnauze biss. Der Wolf war überrascht und wollte sich aus dem Biss des Gegners befreien, doch Lotschar war zu stark. Er biss ihm die ganze lange Schnauze ab. Der Gebirgswolf konnte nicht einmal winseln, als er zwei zaghafte Schritte zurück machte.

Lotschar schien den beiden Angreifern auf seinem Rücken zu erliegen. Er fand keine Möglichkeit, sie irgendwie loszuwerden. Deshalb half Kramus seinem Wolf. Der Ork lief mit einem monströsen Brüllen auf Lotschar und seine beiden hinterhältigen Angreifer zu, erhob im Lauf das Schwert über seinen Kopf und ließ es auf den Wolf auf Lotschars linker Seite niedersausen. Das Tier starb heulend und fiel zu Boden. Der zweite Wolf ließ von Lotschar ab und sprang stattdessen auf Kramus, doch Lotschar richtete sich auf die Hinterbeine auf und so donnerte der zweite Wolf in Lotschars massigen Körper. Der große Reitwolf erdrückte den kleineren Gebirgswolf unter einer wuchtigen Pranke. Die beiden verbliebenen Gebirgswölfe hatten sich ängstlich zurückgezogen.

Kramus sah sich um. Viele Gebirgswölfe lagen tot auf dem Boden, aber auch sechs von acht Reitwölfen und sieben Orks. Die Gebirgswölfe mussten fünfzig, wenn nicht sogar hundert geworden sein. Kramus wusste, dass Gebirgswölfe sehr große Rudel zu ihrem eigenen Schutz bildeten.

Plötzlich stellten die Raubtiere den Angriff ein und horchten auf. Die Orks und Reitwölfe hielten ebenso abrupt inne.

Winselnd liefen die Gebirgswölfe davon.

„Recht habt ihr, und kommt ja nicht wieder!“, rief Kramus ihnen nach. Er beruhigte seinen Puls. Hätte der Kampf noch etwas länger gedauert, so wäre sein Verstand von instinktivem Kampf- und Blutrausch überwältigt worden, der alle Orks in seinen Bann zog, wenn sie kämpften – seit sie von Kastro angeführt wurden.

Nun hatte er die Gelegenheit, die Entfernung zwischen ihnen und der Spitze Girgas genauer abzuschätzen. Drei, vier Kilometer. Sie könnten noch vor Sonnenuntergang da sein.

„Also, wir werden die Spitze Girgas heute noch erreichen. Keine Müdigkeit vorschützen, Verletzungen werden erst behandelt, wenn wir am Ziel sind. Die Toten lassen wir hier“, sagte Kramus in einem scharfen Befehlston zu den verbliebenen Orks. „Aufsitzen! Wir reiten …“ Der Rest seines Satzes wurde von einem tiefen Grunzen verschlungen, das an die Laute eines Schweines erinnerte, so lärmend wie eine Herde Elefanten.

„Was …?“, hörte Kramus einen der Orks fragen. Hinter einem der vielen grauen Felsen trat ein großes Wesen hervor.

„Ein Felseber …“, murmelte Kramus verschreckt. „Davor sind die Wölfe geflohen.“

Felseber waren größer als Reitwölfe oder Orks. Sie maßen bis zu drei Meter, hatten hohe Schultern und ein flaches, hässliches Gesicht. Die Ohren waren dreieckig geformte, schlaff an den Seiten herunterhängende Hautlappen, die Augen lagen tief in den Höhlen und waren von Falten in der dreckigen, braunen Haut umgeben. Eine große Schweineschnauze, flankiert von zwei Hauern zu je einer halben Armlänge, befand sich in der Mitte des Gesichtes. Der ganze Körper des Tieres war mit hellbraunen Borsten überzogen, die Beine waren kurz und hatten Hufe, der Schwanz war nicht mehr als ein paar längere Borsten, die nebeneinander wuchsen. Felseber wachten eifersüchtig über ihr Revier und vertrieben jeden Eindringling, egal von welcher Spezies er war. Ihre Stirn war breit, hoch und steinhart. Damit rammten sie ihre Feinde. Ein einziger Stoß konnte einen Gebirgswolf töten. Ihre Flucht war angebracht gewesen.

Kramus hatte von Orks gehört, die einen Felseber anstelle eines Wolfes gezähmt und geritten hatten. Die großen Schweine dachten eigensinnig nur an sich und ihr Revier, ihnen fehlte die Loyalität von Wölfen, weshalb der Reiter eines Felsebers sehr angesehen war. Kramus hielt es lange Zeit für eine Legende, dass es jemals gelungen sei, eines dieser Tiere zu unterwerfen.

Der Felseber wiederholte sein tiefes Grunzen und galoppierte auf die Orks zu. Das große Tier steuerte direkt Kramus an. Der Ork streckte wieder die Klinge aus und wartete, bis sein Gegner hineinrennen würde. Doch er unterschätzte den harten Stirnknochen des Felsebers. Die Klinge konnte den Knochen nicht durchdringen. Das Tier rannte so kraftvoll auf Kramus zu, dass diesem die Klinge aus der Hand gedrückt wurde, als sie auf die Stirn des Ebers traf. Das Tier grunzte, als es Kramus über den Haufen rannte und sich dann umdrehte, um das Manöver zu wiederholen. Lotschar stellte sich dem Eber sofort in den Weg und knurrte ihn an. Der Eber rannte stur weiter und rammte den Reitwolf mit seiner Stirnplatte. Winselnd wurde Lotschar zu Boden gerissen und von den schnellen Hufen des Ebers vorwärtsgetrieben. Der Felseber verfiel in blinde Kampfwut. Er drehte wieder um, um Lotschar noch einmal anzugreifen.

„Steht nicht so rum! Tötet ihn!“, rief Kramus den anderen Orks zu, während er sich aufrappelte. Einer seiner Hauer war gesplittert und er blutete aus der breiten Nase. Kramus nahm sein Schwert wieder in die Hand und lief seitlich auf den Eber zu. Wie eine schwere Walze richtete der Eber sich gegen die Orks, die Kramus’ Befehl ausführten, und walzte sie nieder. Zwei konnten zur Seite springen, die anderen wurden zu Boden geworfen und überrannt. Einer von ihnen starb dabei. Lotschar und die letzten beiden Reitwölfe liefen dem Eber hinterher, als dieser wieder umdrehen wollte, um drei auf dem Boden liegende Orks niederzurennen. Der Eber bemerkte seine Verfolger und nahm die Wendekurve enger – um die Wölfe wieder rammen zu können. Da stach Kramus dem Eber mit einr flinken Bewegung in die Seite. Das Tier grunzte wütend und wurde schneller. Lotschar und ein anderer Gebirgswolf waren klug genug, zur Seite auszuweichen, als der tobende Eber näher kam. Der dritte Wolf wurde von der Stirnplatte getroffen und von den Hufen zertrampelt.

Axthiebe und Speerstiche der anderen Orks schlossen sich Kramus’ Angriff an. Der Eber rannte auf die Orks zu und krachte wie ein Fels in sie hinein. Kramus und ein weiterer Ork wurden auf den Rücken des Tieres katapultiert, während die anderen durch die Luft geschleudert wurden. Das Tier hatte sich offenbar für Flucht entschieden, denn es lief in die Richtung, aus der es gekommen war. Kramus klammerte sich so gut es ging an dem Eber fest. So gleichmäßig und geordnet wie Lotschar lief der Felseber nicht. Auch der andere Ork schien große Probleme damit zu haben, nicht vom Eber zu fallen. Bei dem Tempo könnte ein Sturz den Tod bedeuten. Kramus ahnte nun, warum Eberreiter mehr als Legenden waren. Es musste nur irgendwo ein kleiner Felsen aus der Erde ragen – das würde genügen. Kramus konnte durch die Staubwolke, die der Felseber bei seiner Flucht aufwirbelte, erkennen, dass die Orks sich auf Lotschar und den letzten Wolf aufgeteilt hatten und ihnen folgten. Die Wölfe konnten mit dem Tempo des Ebers mithalten, aber einholen konnten sie ihn nicht. Der verletzte Eber war einfach viel zu schnell.

Unter Kramus’ Handfläche drückte er sein silbernes Schwert gegen die Haut des Ebers. Wenn es ihm gelang, jetzt in das Genick des Tieres zu stechen, würde der schnelle Lauf ein Ende haben. Kramus hob vorsichtig eine Hand, doch schon geriet er ins Wanken und drohte, herunterzufallen. Der andere Ork klammerte sich an den Eber und starrte verschreckt geradeaus. Kramus kroch langsam nach vorne, um zum Genick des Ebers zu gelangen. Er konnte das Knurren der Reitwölfe und die Rufe der Orks durch den Lärm, den der grunzende, trampelnde Eber verursachte, kaum hören. Kramus streckte die Hand aus und drückte dem Felseber ins Genick. Das Tier quiekte in einer unwahrscheinlich hohen Tonlage und wurde noch schneller. Nur zwei Sekunden danach kam es zum Stehen – es hatte eine hohe Felswand gerammt. Dieser Härte hatte nicht einmal sein Stirnknochen widerstanden. Der Felseber war tot. Die beiden Orks wurden durch die Wucht des Aufpralls vom Rücken des Tieres geschleudert und landeten auf dem Boden. Erleichtert keuchend standen sie auf, als die Reiter sie eingeholt hatten.

Kramus betrachtete die Felswand vor sich. Sie war steil und mit guter Ausrüstung allemal erklimmbar. Der Fels selbst schimmerte im Abendlicht gold-orange. Kramus wusste, wo sie sich befanden.

Er wandte sich an die Reiter: „Reitet zurück und holt die Ausrüstung von unsren toten Kameraden. Wir haben die Spitze Girgas erreicht.“ Die Farbe des Berges war das Kennzeichen der Spitze Girgas. Kein anderer Berg schimmerte so – das lag an der Trollgoldmine in seinem Inneren. Dank des Ebers war Kramus schneller als geplant hier. Kastro würde zufrieden sein.

Girga - Waldsterben

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