Читать книгу Girga - Waldsterben - Thomas Ladits - Страница 12
Der hohe Regierungsrat der Elfen
ОглавлениеFür Mathros konnte heute ein großer Tag werden. Es war für ihn nichts Ungewöhnliches, vor der großen, hellblau gefärbten Flügeltür der Kopfbirke zu stehen und gleich darauf hineinzugehen. Der weiße Stamm der Kopfbirke erhob sich fünfzig Meter in die Luft und hatte einen Durchmesser von sechzehn Metern. Außerdem war er durch Ast- und Hängebrücken mit anderen Gebäuden von Treelive verbunden. Ganz oben, in der Baumkrone, wurden die Verhandlungen des Elfenrates abgehalten. Der Stamm gabelte sich dort oben in sieben breite Äste, wobei jedes Ratsmitglied einen bezog. Eine lange Wendeltreppe im Inneren des Baumes führte bis nach oben.
Mathros ging ohne zu Zögern hinein. Vielleicht würde er später wieder hinausgehen, ohne dass ihm jemand zugehört hatte. Er hatte noch nie davon gelesen, dass ein Ratsvorsitzender die Vision eines Propheten vortrug und darum bat, sie zu diskutieren. Er rechnete damit, dass er und sein Anliegen als unwesentlich und zweifelhaft abgehakt wurden. Während er die Wendeltreppe nach oben ging, dachte er darüber nach, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass er sein Anliegen durchbringen könnte. Er als Ratsvorsitzender brauchte nur ein Drittel des Rates als Fürsprecher zu haben. Also drei von sieben Mitgliedern. Eines davon war er natürlich selbst. Medoché war zurzeit nicht anwesend, aber er konnte sich vorstellen, ihre Stimme zu bekommen. Medoché war immer jemand gewesen, der zu allem Ja und Amen sagte und die meisten Vorschläge der anderen Ratsmitglieder absegnete, sofern sie nicht für die Bevölkerung von Faltous zum Nachteil wurden. Allerdings, wenn Mathros recht überlegte, war es höchst unwahrscheinlich, dass Medoché eine Vision eines alten Elfen für wichtig erachten würde. Selbst Medoché würde an ihm zweifeln – und ihre Stimme könnte an den Gegenpol verloren gehen. Mathros versuchte, optimistisch zu sein und ging davon aus, dass Medoché ihn unterstützte. Mit sich selbst wären das schon einmal zwei Stimmen. Wo sollte er nur die dritte herbekommen?
Sicher nicht von Rat Lunc. Wenn Mathros als Ratsvorsitzender kritisiert wurde, hatte Lunc immer die lauteste Stimme. Er würde Mathros’ Seriosität auch noch untergraben, wenn er allen Ernstes mit einer Prophezeiung kam. Niemand glaubte mehr Propheten, weil sie sich immer geirrt hatten. Was häufig darauf zurückzuführen war, dass die meisten Propheten sich früher einfach irgendwelche Geschichten ausgedacht hatten. Loz gehörte zu den wenigen, die manchmal wirklich Visionen hatten. So hatte er zum Beispiel Luja vorausgesagt, sie würde einen einflussreichen Mann heiraten. Damals, hatte sie Mathros erzählt, hatte sie darüber gelacht. Heute wusste sie, dass Loz recht gehabt hatte. Loz hatte auch vorhergesehen, dass Goltan Seemann werden würde – sogar einer der besten. Und er hatte recht gehabt. Loz’ bester Freund Goltan war tatsächlich zum Seemann geworden. Dennoch würde das nicht reichen, um Lunc zu überzeugen. Es wäre ein Wunder, würde Lunc ihm zustimmen.
Rätin Zamjja und Rat Urntêch würden ihm wohl auch kaum ihre Stimme geben. Zamjja war das älteste Ratsmitglied, und sie hatte sogar noch miterlebt, wie den Propheten früher sozusagen die Schlinge um den Hals gelegt wurde. Sie war eine der Befürworterinnen gewesen, als es um die Anschuldigungen der Propheten, sich Lügengeschichten auszudenken, ging. Sie würde Mathros bestimmt nicht unterstützen. Rat Urntêch war früher nichts weiter als ein normaler Schriftgelehrter gewesen – bis Rätin Zamjja ihn in den Rat gebracht hatte. Wie auch immer. Urntêch vertrat seitdem immer Zamjjas Meinung. Dies war einer der Punkte, die Mathros am aktuellen Rat stark kritisierte.
Rätin Sarija könnte Mathros vielleicht unterstützen. Sarija übertrieb oft mit ihrer Fürsorge um das Volk. Einmal hatte sie einen Antrag um Quarantäne über das Elfendorf Villagewooder gestellt, weil dort drei Bewohner zugleich eine Erkältung bekommen hatten. Der Vorschlag war damals als irrelevant abgetan worden. Wenn Mathros mit seiner Schauergeschichte vom nahenden Unheil kam, würde Sarija wahrscheinlich die Erste sein, die sagte, sie müssten etwas dagegen unternehmen. Alles, was das Volk bedrohte und fürs Volk schlecht war, glaubte Sarija sofort. Ihre Stimme war Mathros ziemlich sicher. Wenn Medoché ihn auch absegnete, hätte er das Drittel, das er brauchte.
Tat sie es nicht, so hing alles von Rat Machutoc ab. Urntêch, Machutocs größter Gegner, würde vielleicht versuchen, seine Stimme ungültig zu machen, indem er seine Vertrauenswürdigkeit infrage stellte. Sollte Machutoc sich gegen Mathros aussprechen, so würde alles von der abwesenden Medoché abhängen. Bis sie zurückkam, dauerte es Mathros zu lange. Deswegen hatte er schon geplant, seinen Antrag als Notfallantrag vorzutragen. Dies erlaubte es ihm, über den Antrag zu diskutieren, ohne Medochés Rückkehr abwarten zu müssen. Er wurde behandelt, unabhängig davon, ob bereits eine Abstimmung zur Annahme stattgefunden hatte oder nicht. Die Abstimmung wurde nicht ausgelassen – doch sie markierte nicht den Beginn der Verhandlung, sondern konnte auch später stattfinden. So lange Medoché also nicht da war und sich nicht aussprechen konnte, würde die Verhandlung normal aufgenommen werden. Außerdem stellte ein Notfallantrag alle anderen Verhandlungen – so wie zum Beispiel die um Rat Machutoc – in den Hintergrund, schließlich war es ein Notfall.
Doch Mathros rechnete auch nicht wirklich damit, Machutocs Stimme zu bekommen. Der junge Rat war zwar dafür, die Elfen militärisch auszustatten, aber wenn er eines nicht war, dann abergläubisch. Und Visionen und Prophezeiungen waren schon zu Zamjjas besten Zeiten als Aberglaube erklärt worden.
Mathros kam bei der Ausstiegsluke ins Freie an. Er öffnete die Luke und kletterte die kurze Leiter hoch. Nun war er unter freiem Himmel. Das Sonnenlicht wurde von zahllosen Blättern der Kopfbirke ferngehalten, sodass eigene Sternenfackeln zum Erleuchten dieses Gebietes nötig waren. Mathros stand genau an der Stelle, wo sich der Stamm in seine sieben Äste gabelte. Er ging an seinem Ast entlang und setzte sich auf den Lehnenstuhl, der aus dem Ast gewachsen und für seinen Körper wie angegossen war. Er wartete darauf, dass die anderen Ratsmitglieder erschienen. Seine Boten hatten die Diener der anderen Mitglieder schon informiert, lange bevor er überhaupt in Treelive angekommen war. Sie wussten über Zeit und Ort (der ja immer derselbe war) Bescheid und sollten in Kürze erscheinen. Mathros ging in Gedanken alle Möglichkeiten durch, wie er am seriösesten sagen sollte, dass er sie wegen einer Vision seines Schwagers hierher gerufen hatte.
Die Eingangsluke öffnete sich wieder und der erste Rat trat heraus. Es war Lunc. Der hoch gewachsene Elf hatte längere, spitze Ohren als Mathros und sein ergrauendes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Seine dunkelblauen Augen starrten Mathros zu einem stillen, funkenwerfenden Gruß an, ehe er sich auf seinen Platz begab – den Ast Mathros gegenüber. Mit Lunc kam auch der Duft frischen Silberkrauttees in die Krone der Kopfbirke. Lunc trug eine Tasse in einer weiß behandschuhten Hand. Ein langer, fließender Mantel hing von seinem Rücken herab und sein Hellblau stand im Kontrast mit der fast schwarzen Tunika.
„Rat Mathros“, sagte Lunc steif, als er seinen Platz auf dem Ast eingenommen hatte. Aus dem Ast war, wie auch aus allen anderen, ein Stuhl mit einer breiten Armlehne gewachsen, auf dem Lunc seine dampfende Teetasse aus weißem Porzellan abstellte. Der Stuhl war perfekt an Luncs Körper angepasst, wie auch Mathros’ an den seinen.
Zamjja und ihr Schützling Urntêch folgten auf Lunc. Zamjja neigte respektvoll das mit weißen Haaren bewachsene Haupt vor Mathros und nickte Lunc zum Gruß zu. Wie auch Lunc trug sie eine dunkle Tunika, allerdings keinen Umhang dazu. Ihr welliges, weißes Haar wallte an ihrem Rücken herunter und endete etwa zehn Zentimeter unter den Schulterblättern. Urntêch trug eine weiße Robe und einen blauen Umhang, der mit Goldfäden bestickt und verziert war. Sein blaues Haar war kurz und die Elfenohren ragten kaum drei Zentimeter über den Kopf hinaus. Urntêch war das jüngste Ratsmitglied, danach kam Machutoc und dann lange nichts. Urntêch war auch das Opfer von Machutocs Gewaltanfall gewesen. Eines seiner Augen war immer noch merklich angeschwollen und er hatte noch eine Binde um den Arm getragen, als Mathros in das letzte Mal gesehen hatte. Er war nicht dabei gewesen, doch Mathros hatte gehört, dass die Meinungsverschiedenheit extrem gewesen war. Urntêch, eigentlich nicht mehr als Zamjjas Werkzeug und Nachfolger im Rat, verbeugte sich kurz vor Mathros und sagte: „Vorsitzender.“ Dann drehte er sich zu Lunc, nickte ihm zu und sagte: „Rat Lunc.“ Lunc erwiderte den Gruß. „Urntêch.“
Zamjja hatte schon ihren Platz – rechts von Lunc – eingenommen, und Urntêch begab sich nun auf den Ast rechts von Zamjjas. Der Ast zur Urntêchs Rechten würde leer bleiben. Hier saß normalerweise Rätin Medoché, wenn sie anwesend wäre.
Für ein paar Minuten erklang außer Luncs leisem Schlürfen aus der Teetasse kein Geräusch, bis die Luke sich erneut öffnete und Rat Machutoc heraustrat. Mathros konnte hören, wie Urntêch ihn mit einem grimmigen Brummen musterte und ihn geradezu anfunkelte. Machutoc wandte sich Urntêch zu und erwiderte den Blick. Die Spannungsblitze waren fast sichtbar. Nach ein paar Sekunden wandte sich Machutoc ab und nickte Mathros zu, wobei er „Vorsitzender Mathros“ sagte. Lunc und Zamjja legten keinen Wert mehr auf Machutocs Gruß, und da Machutoc das wusste, machte er sich gar nicht die Mühe, die beiden zu grüßen. Er trug eine hellbraune, fließende Robe und einen weißen Stirnreif, der das silberne Haar an den Kopf presste. Das Haar fiel ihm bis zu den Wangen herab. Eine Halskette mit einem Sichelmond als Anhänger hing um seinen Hals, ein Ring mit demselben Symbol saß an seinem linken Zeigefinger. Schweigend nahm Machutoc seinen Platz ein.
Kurz bevor er sich setzte, eilte Rätin Sarija herein. Sie verbeugte sich knapp vor Mathros, während sie seinen Namen zwischen zweimal Keuchen hervorpresste, dann nickte sie jedem in der Runde – außer Machutoc – zu. Ihr fließendes, blau-grünes Kleid hatte dieselbe Farbe wie ihre Augen und Haare. Die Haare waren zu einem meerfarbenen, kunstvollen Zopf zusammengebunden, den Sarija über ihre rechte Schulter hervorgebettet hatte. Ihr linker Unterarm wurde von einer silbernen Armschiene geschmückt und ein Ohrring hing an ihrem rechten Ohr – in derselben Farbe wie die Armschiene. Sarija nahm den Platz zu Luncs Linken und damit auch zu Machutocs Rechten ein. Der wiederum saß rechts von Mathros.
Mathros stand auf und machte einen kleinen Schritt nach vorne. „Gut, dann sind wir jetzt ja alle anwesend. Ich …“
„Fast alle“, unterbrach Lunc ihn, der es schon vom ersten Augenblick an darauf anlegte, Mathros reinzureden und zu stören. „Medoché ist in Faltous.“
Mathros versuchte, sich nicht provozieren zu lassen, so wie er es immer tat. „Ich weiß. Ich würde auch keine Ratssitzung einberufen, bei der nicht alle anwesend sein können, wenn es nicht wirklich wichtig wäre. Lasst mich bitte mein Anliegen vorbringen.“
„Sprecht“, sagte Lunc und lehnte sich wieder in seinem mit Blättern gepolsterten Holzstuhl zurück. Mathros begann daraufhin zu sprechen, mit der Vorahnung, dass er gleich ausgelacht werden würde. Vor ihm hatte noch fast kein Ratsvorsitzender wegen einer Prophezeiung einen Ratssitzung verlangt.
„Ich weiß, es ist sehr zweifelhaft. Aber dennoch hat ein mir bekannter Bürger des elfischen Reiches mir eine beunruhigende Neuigkeit gebracht. Er sagte, einen Traum gehabt zu haben, in dem …“
„Schmückt es nicht unnötig aus“, funkte Lunc erneut dazwischen, „Wir wissen alle, dass dieser Bürger Euer Schwager ist. Loz von Palor. Ein Möchtegern-Prophet. Träume, die von so einem geträumt werden, sind kein Thema in unseren Ebenen.“
„Das findet meine Zustimmung“, sagte Zamjja kurz angebunden. Urntêch neben ihr nickte. „Meine ebenfalls.“
„Lasst doch den Vorsitzenden fertig sprechen“, bat Sarija kleinlaut.
„Danke, Rätin“, sagte Mathros.
Lunc wollte etwas sagen, doch Mathros ignorierte ihn und sprach einfach weiter: „… einen Traum, in dem ein gewaltiges Unheil über die Elfen hereinbrechen soll, das unser Volk sehr stark gefährden könnte. Er rät uns dazu, sofort Maßnahmen dagegen zu ergreifen, ansonsten könnte es, und ich scherze nicht, den Untergang unseres Volkes bedeuten.“
Urntêch konnte nicht anders und fing laut zu lachen an.
„Urntêch! Disziplin!“, mahnte Zamjja ihn. Der Rat beruhigte sich schnell wieder und sagte, immer noch erheitert: „In welchem Schauermärchen habt Ihr das denn aufgegabelt?“
„Bei allem Respekt, das klingt nicht sehr glaubwürdig. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, wie viel Unheil und Pein die Propheten über die Elfen gebracht haben, bis ich und die früheren Ratsmitglieder sie ausgeschaltet haben“, erklärte Zamjja.
„Ausgeschaltet?“, fragte Lunc zynisch.
„Entrechtet“, korrigierte Zamjja.
Vor wenigen Jahren waren unter Treelive ganze Hallen voller Leichen gefunden worden, einige von ihnen trugen die Markenzeichen früherer Propheten. Man beschuldigte Zamjja und den früheren Rat, eine große Vernichtungsaktion gegen die Propheten durchgeführt zu haben, was sie erfolgreich bestritten hatten. Die Leichen waren in unterirdische Grüfte gebracht und die Grüfte wurden verschlossen. Als sie entdeckt wurden, hatten alle Ratsmitglieder, die zur Zeit der „Entrechtung“ der Propheten gelebt hatten, bereits das Zeitliche gesegnet, außer Zamjja.
„Darum geht es hier nicht!“, ergriff Mathros wieder das Wort und lenkte damit erneut die Aufmerksamkeit auf sich. „Ich weiß, es klingt unglaubwürdig, aber es besteht die Möglichkeit, dass tatsächlich ein großes Unheil über uns hereinbricht! Ist Euch das denn nicht klar?“
„Nur weil Euer Schwager das gesagt hat?“, fragte Lunc. „Unheil kann uns immer treffen, egal ob ein Elf jetzt davon träumt oder nicht.“
„Aber jetzt haben wir einen richtigen Anhaltspunkt. Einen Hinweis. Eine Warnung! Warnung davor, dass es passieren könnte!“
„Selbst wenn Euer Schwager recht hat“, sagte Sarija, um Sachlichkeit bemüht, „welches Unheil soll das eigentlich sein?“
Mathros schüttelte ratlos den Kopf. „Das weiß ich nicht. Er sagte nur, es wäre ein Unheil.“
„Ohne genaue Definition können wir dieses Thema nicht diskutieren“, sagte Zamjja.
„Zumal ich es für überflüssig halte“, fügte Lunc schnell hinzu.
Eine feste, bestimmte Männerstimme ertönte und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Zum ersten Mal in dieser Verhandlung ergriff Rat Machutoc das Wort: „Wir als Regierungsrat der Elfen sollten hier nicht über Möglichkeiten eines Unheils diskutieren, sondern lieber dafür sorgen, dass es unmöglich wird. Es ist unsere Aufgabe, Unheil von den Elfen fernzuhalten, sie vertrauen uns in dieser Hinsicht. Sie müssen uns vertrauen, weil sie gar keine andere Wahl haben. Es ist unsere Aufgabe, sie zu schützen, und das tun wir nicht, indem wir versuchen, alles, was sie bedrohen könnte, als unmöglich abzutun. Stattdessen müssen wir Maßnahmen dagegen ergreifen und die richtigen Entscheidungen treffen. Wir müssen unser Volk beschützen. Das ist unsere Aufgabe und nicht sinnloses Diskutieren.“
Für einen Moment waren alle Augenpaare staunend auf Machutoc gerichtet. Auch Mathros war überrascht von diesen bestimmten Worten. Urntêch ließ mit seinem Widerspruch nicht lange auf sich warten: „Wir? Unsere? Dieser Verräter gehört nicht mehr zum Elfenrat!“ Er zeigte mit einem anklagenden Finger auf Machutoc.
„Eine Verhandlung über die Eliminierung seines Postens als Rat ist im Gange! So lange diese Verhandlung nicht abgeschlossen ist, können wir ihm nichts glauben! Er verdient es nicht, dass wir ihn nur ansehen!“
Die Diskussion verfehlte Mathros’ Anliegen, weshalb er sprach: „Urntêch …“
„Danke, Vorsitzender, aber ich möchte das selbst regeln“, sagte Machutoc. Mit einem Hauch von Bewunderung für diese Stärke ließ Mathros Machutoc das Wort. „Es ist wahr. Ich bin Eures Vertrauens nicht würdig. Aber wenn dieses Unheil wirklich kommen sollte …“
„Wenn“, unterbrach Zamjja.
„… werden wir wehrlos davorstehen, weil wir nicht darüber diskutieren konnten. Und zwar, weil der Rat es für wichtiger erachtet, mich loszuwerden. Wir würden das Volk enttäuschen.“
Er wandte sich an Mathros. „Aber ich muss auch eines hinzufügen: Euer Anliegen ist tatsächlich höchst … ungewöhnlich.“
„Genug jetzt!“, sagte Sarija. „Es mag ja sein, dass Ihr nichts davon hören wollt, aber ich sorge mich um die Elfen. Mathros, habt Ihr noch etwas zu dem Traum Eures Schwagers zu sagen?“
Mathros verneinte kopfschüttelnd.
„Lasst uns darüber abstimmen, ob wir das Thema behandeln oder nicht.“
„Rätin Medoché ist nicht anwesend. Ohne sie können nicht alle sieben Stimmen abgegeben werden“, protestierte Lunc.
„Dennoch möchte ich nun von jedem Einzelnen von Euch wissen, ob er das Anliegen für verhandlungswürdig hält. Bedenkt, es könnte den Untergang unseres Volkes verhindern“, sagte Mathros.
„Ich stimme für eine Behandlung meines Anliegens.“ Mit harter Miene, obwohl er wusste, dass es hoffnungslos war, wandte er sich an Lunc. „Und Ihr?“
Lunc warf die Hände in die Luft. „Es ist ja kein Geheimnis, dass ich Euch oft kritisiere, aber das ist einfach nur lächerlich. Ich bin dagegen.“
Wie zu erwarten war. Mathros’ Blick wanderte weiter zu Zamjja, die einfach nur verneinend den Kopf schüttelte und sagte: „Propheten? Dagegen.“
„Dagegen“, fügte Urntêch schnell hinzu.
Mathros’ Hände begannen zu schwitzen. Er als Ratsvorsitzender brauchte mindestens ein Drittel des Rates – also drei Stimmen, seine eigene eingeschlossen. Wenn Medoché ihm seine Stimme gab, sobald sie zurück war, brauchte er noch eine, um das Thema durchzubringen. Er wandte den Blick seiner größten Hoffnung als dritte Stimme zu.
„Sarija? Seid Ihr für oder gegen die eventuelle Rettung unseres Volkes?“ Sarija lächelte traurig. „Ihr wisst, dass alles, was die Elfen gefährdet, mir nahe geht. Aber das … Mathros, es war ein Traum. Wenn meine Träume alle in Erfüllung gehen würden. Meine Güte. So leid es mir um Euch tut, Mathros, aber ich bin dagegen.“
Selbst mit Medochés Stimme … jetzt war es vorbei.
„Dafür“, hörte er eine Stimme rechts von ihm sagen. Machutoc stand dort, vor seinem Stuhl, und sah anklagend durch die Runde: „Schön zu wissen, wie nahe Euch allen die Elfen stehen“, fügte er hart hinzu.
„Seine Stimme zählt nicht!“, warf Urntêch sofort ein. „Er gehört nicht mehr zum Rat!“
„Rat Machutoc ist immer noch ein vollwertiges Mitglied des Regierungsrates der Elfen“, sagte Mathros bestimmt.
Urntêch machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Mathros war schneller. „Und so lange die Verhandlung nicht abgeschlossen ist, wird er das auch bleiben!“ Mathros warf dem jungen Rat Urntêch einen strengen Blick zu und dieser versank wieder in der Blattpolsterung seines Stuhls.
„Mit meiner und Rat Machutocs Stimme sind nun zwei von sieben Ratsmitgliedern dafür, wobei Rätin Medoché ihre Stimme noch nicht abgegeben hat“, sagte Mathros wieder sachlich und professionell. „Euch ist sicher allen bekannt, dass es sich bei meinem Anliegen um einen Notfall handelt. Die Gesetze besagen, dass ein Notfall nicht aufgeschoben werden darf. Also werden wir über mein Anliegen verhandeln, bis Rätin Medoché zurückkommt und sich für oder gegen das Thema ausspricht. Wenn sie dafür spricht, werden die Verhandlungen fortgesetzt. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass wir das Thema nun verhandeln müssen.“
Also hing alles von Medoché ab. Nach der letzten Aussage Machutocs, dass er die Prophezeiung skeptisch sah, hatte Mathros nicht mit seiner Unterstützung gerechnet. Tat er das, wie er sagte, fürs Volk oder nur für seinen persönlichen Rachefeldzug gegen Urntêch und die anderen? Nur um ihnen Steine in den Weg zu legen? Um die Verhandlung über seinen Verbleib im Regierungsrat weiter aufzuschieben? Wenn Mathros ehrlich war, war ihm das egal. Hauptsache war, dass er mit Machutocs Hilfe das Thema vorerst durchgebracht hatte und bis zu Rätin Medochés Rückkehr darüber verhandeln konnte.
Allerdings musste er seinen Gegnern in einem Punkt zustimmen: Die Prophezeiung war höchst unpräzise. Niemand, selbst Mathros nicht, wusste, was sie gegen das Unheil, was auch immer es war, tun sollten. Vielleicht würde Loz ihm das bald sagen können.
Goltan ging auf und ab, suchte die Gegend nach Loz ab oder musterte die anderen Schiffe, die am Hafen von Palor ankerten. Zufrieden stellte er fest, dass sich keines mit seinem Sturmbezwinger messen konnte. Der junge Elf wartete auf Loz. Dieser hatte ihm gesagt, er wolle sich mit ihm hier, am Hafen von Palor, beim Sturmbezwinger treffen, um ihn um etwas Wichtiges zu bitten. Auf eine Zeitangabe hatte er dabei natürlich verzichtet. So stand Goltan nun schon den ganzen Morgen da und vertrieb sich die Zeit mit Möwenzählen, Schiffe mustern und Lieder summen. Goltan hatte keine richtige Einschätzung mehr, wie lange er gewartet hatte, als Loz endlich die Steintreppen neben der Hafenschenke herunterkam.
„Da bist du ja endlich!“, begrüßte Goltan seinen Freund. Loz begrüßte Goltan freundlich, dann ging er mit ihm zum Sturmbezwinger, während er sagte: „Ich habe mit Mathros über meinen Traum gesprochen. Du weißt schon, der, von dem ich dir kürzlich erzählt habe.“
„Der mit dem Unheil. Ja?“, fragte Goltan.
„Mathros trägt die Sache dem Regierungsrat vor.“
Goltan bekam einen viersekündigen Hustenanfall, ehe er sich wieder beruhigte und erstaunt rief: „Was?“
Loz nickte brummend.
„Ich weiß aber noch nicht, wie die Verhandlungen ausgegangen sind.“
„Vermutlich haben alle deinen Ratsfreund ausgelacht“, mutmaßte Goltan.
„Mach dich nicht lustig, dafür bin ich nicht hier“, mahnte Loz ihn.
„Warum dann?“, wollte Goltan wissen.
Loz blieb vor dem Sturmbezwinger stehen und sah sich das Schiff kurz an. „Der hat schon alles überstanden, oder?“, fragte er.
„Ja“, bestätigte Goltan stolz, „alles.“
Loz sah ihn an. „Wenn es kommt, dann nimm Luja, Mathros und so viele wie möglich und flieh. Versprich mir, dass du dein Schiff bereit hältst, und fliehst, wenn die Zeit gekommen ist.“